Kapitel neun

Die Sonne war schon beinahe hinter dem Horizont verschwunden, doch die beiden Katzen, die unermüdlich an dem Bau herumgruben und immer Erde herausschoben, schien das nicht im geringsten zu stören.

„Beere, wir haben's fast! Es ist schon ein ganz kleines Loch zu erkennen!", rief Kupferglut freudig, so laut, dass seine Schwester es auch hören konnte - diese saß vor dem Tunnel, denn der war mittlerweile so lang und schmal, dass nur eine Katze hereinpasste.
Aufgeregt vergrößerte der Kater das kleine Loch, aus dem warme Luft herausströmte, die einen wunderbaren Murmeltier-Geruch mit sich brachte. Jetzt, wo er so nah an seinem Ziel war, hatte er alle Erschöpfung vergessen, er wollte einfach nur so dringend endlich an die Beute! Mit dem nächsten Pfotenhieb hatte er die letzte, dünne Erdwand durchbrochen, etwas Sand rieselte auf seinen Pelz, doch das störte ihn in diesem Moment kaum. Voller freudiger Erregung betrat er den Bau, in dem es tatsächlich sehr angenehm warm war. An der Rückwand lagen, zusammengerollt und ruhig atmend, vier Murmeltiere. In der Blattgrüne waren diese zu groß, um von den Katzen erlegt zu werden, doch während des Leereschlafs magerten sie stets etwas ab und warum außerdem weniger wehrhaft. Hinter ihm drängelte sich Beerenklang ebenfalls in die Schummrigkeit der Höhle, ihre Augen glitzerten begestertet, als sie erst ihn und dann die Beute ansah. Kurz nickten sie sich zu, dann stürzten sich die Geschwister auf jeweils ein Murmeltier - keines der Beutetiere hatte auch nur eine Chance, zu geschickt drückten die Katzen sie herunter umd dann mit einem kurzen, gezielten Biss ihr Leben zu beenden. Kupferglut erlegte auch das dritte Murmeltier.

„Das sollte erstmal reichen", stellte Beerenklang fest, ihre Stimme war immer noch voller Heiterkeit. Kupferglut stimmte ihr zu, dann legte er jedoch besorgt die Ohren an.

„Hörst du das?", fragte der Kater und schaute sich um. „Kommt von draußen"

Vorsichtig trat er in die Dunkelheit hinaus, die sich rasch ausgebreitet zu haben schien. Schon als er die erste Pfote aus dem Tunnel setzte, wusste er, womit sie es zu tun hatten - er hatte es schließlich vorausgesagt. Ein Schneesturm wütete durch das Tal, eisiger Wind durchdrang sein Fell und traf schmerzhaft auf seine Haut. Mit großer Eile begann Kupferglut, den Eingang des Tunnels abzureißen, in dem er die Erde an der Oberseite lockerte und dann herunterfallen ließ. Das würde sie die Nacht über schützen, am Morgen konnten sie sich dann darum kümmern, wie sie zurück zum Clan gelangen würden.

„Wir sind hier erstmal eingesperrt", erklärte er seiner Schwester, als er zurück in den Bau ging. „Da draußen tobt ein Schneesturm. Ich habe den Eingang verschlossen, sodass wir es die Nacht über sicher und warm haben"

Beerenklang nickte nur langsam, es war keine allzu große Überraschung gewesen, schließlich hatten sie seit einiger mit dem nächsten Sturm gerechnet. Und diese Bleibe war für die Nacht eigentlich ziemlich gut, sie war sicher, warm und sie hatten natürlich Frischbeute! Die Kätzin hatte die Murmeltiere in eine andere Ecke des Baus getragen, sodass sie sich in die Nester der Tiere legen konnten, doch nun holte sie wieder eines hervor und nickte auf den Platz links von ihr. Kupferglut ließ sich dort nieder, ganz nah an ihr; es war zwar nicht kalt, aber Stürme waren schon immer eine der wenigen Sachen gewesen, die Beerenklang Angst gemacht hatten, und er wollte, dass sie wusste, dass er für sie da war. Doch zuerst - er musste schließlich Prioritäten setzen - genoss er den Duft des Murmeltiers vor ihnen. Er gestattete es seiner Schwester, den ersten Bissen zu nehmen, doch danach war ihm die Höflichkeit äußerst unwichtig. Er hatte den ganzen Tag nichts gegessen und das Fleisch der Beute war das beste, was er sich hätte wünschen können. Natürlich schmeckten Murmeltiere in der Blattgrüne besser, dann gehörten sie zu seiner Lieblingsbeute, unteranderem, weil sie so selten zu kriegen waren, doch in diesem Moment, in dem er neben seiner Schwester in einem warmen Bau lag und die Frischbeute verspeiste, während draußen der Sturm wütete, hätte er sich nichts besseres vorstellen können.

***

Kupferglut verspürte erneut eisige Kälte, die bis auf seine Haut drang, und schrecklichen Wind, der an seinem Fell zerrte. Er stand am Waldrand, hinter ihm die Heide des Tals und vor ihm die großen Nadelbäume, die die Grenze des GipfelClan-Territoriums ankündigten. Der Schnee war noch höher als vorhin, es war unbeschreiblich schwer, voranzukommen, und starker Schneefall nahm ihm außerdem die Sicht. Der Kater hatte keine Ahnung, was er hier draußen tat; seine Läufe froren, er konnte wegen des lauten Sturmes nichts hören und er wollte einfach nur zurück in den Bau, zu Beerenklang und zu ihrer Frischbeute.
Kupferglut knirschte missmutig mit den Zähnen und stapfte durch den hohen Frost, in die Richtung, von der er ausging, dass sie ihn zum Bau führen würde. Doch in diesem Moment fiel ihm etwas im Augenwinkel auf - ein Schatten, der zu schnell wieder verschwunden war, als das er erkennen könnte, wozu er gehörte. Eigentlich hatte der Krieger rein gar keine Lust auf ein Abenteuer, doch ein kleiner Funke brannte in seinem Herzen auf und veranlasste ihn dazu, dem Schatten zu folgen. Also kniff er die Augen enger zusammen, plusterte sein Fell gegen den Wind auf und watete in Richtung Wald.
Die Bäume fingen einen größeren Teil des Sturmes ab, als Kupferglut es vermutet hätte. Es war zwar immer noch sehr windig und bitterkalt, aber immerhin blieb ihm der Schnee nun aus den Augen und reichte ihm hier nur noch bis zur Hälfte seiner Vorderbeine. Es hatte sich herausgestellt, dass der Schatten zu der Kätzin gehörte, die er schon mehrmals in seinen Träumen gesehen hatte. Sie war schmal und schien sehr mager, als hätte sie eine lange, ermüdende Reise zurückgelegt, und ihre Ohren sahen sehr merkwürdig aus - sie waren äußerst groß und die Enden nach innen zueinander gekrümmt. In ihrem Maul trug sie immer noch dieses Bündel, doch nun konnte Kupferglut erkennen, was es war: Ein kleines Junge, mit flammend orangenem Pelz, ganz so, wie sein eigener. Interessiert beobachtete er, wie die Kätzin durch den Wald streifte, sich immer wieder wild umschaute und alle paar Schritte inne hielt, umd zu lauschen. Sie verhielt sich nicht wie eine Katze, viel eher wie ein Hase, der Witterung eines Jägers aufgenommen hatte. Die Kätzin blieb bedächtig einige Augenblicke stehen, dann legte sie das Junge ab, zwischen die Wurzeln einer großen Fichte. Sie begann damit, eine kleine Kuhle zu graben, nur um dann Moos herbei zu tragen und ihm ein kleines Nest zu bauen - das fand Kupferglut sehr verwunderlich, denn obwohl er nicht viel von Jungen wusste, konnte er sich doch denken, dass es eine äußerst schlechte Idee war, ein Junges allein in einem Schneesturm in ein Moosnest zu legen. Doch die Kätzin fuhr fort in ihrer Tätigkeit, bis sie das kleine Wesen letzendlich komplett bedeckt hatte und es kaum vom Waldboden zu unterscheiden war. Der Kater hatte erwartet, dass das Junge nun zu fiepsen beginnen würde, doch es blieb komplett still. Die fremde Kätzin sah zum von Wolken bedeckten Nachthimmel herauf und schien etwas zu sagen, doch Kupferglut konnte es nicht verstehen, weshalb ihm nichts anderes übrigblieb, als sie dabei zu beobachten, wie sie einen letzten Blick auf das Junge warf und dann plötzlich den Kopf hob, als das Unterholz hinter ihr raschelte.
Diesmal trug der Wind ihre Worte so klar an Kupfergluts Ohr, als würde er neben ihr sitzen.

„Er hat mich gefunden", murmelte die Kätzin und senkte den Blick, als eine Sturmböe das Dickicht durchwühlte und Schneemassen in den Wald trieb, die die Sicht erschwerten. Kupferglut hielt den Atem an, als er sah, wie sich eine strahlend weiße Katze aus dem dunklen Unterholz schälte, die mit seltsam vertrauten, anmutigen Bewegungen auf die Kätzin zu schritt. Der weiße Kater fauchte, die Kätzin erwiderte dies, doch versuchte gar nicht erst, den weißen Kater zu stoppen, als dieser sie anfiel und zu Boden rang.

Und dann wachte Kupferglut auf.

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