Kapitel elf
Ampferstreif schob den Schnee mit ihren Pfoten gekonnt von sich, heraus aus dem Königinnenbau auf den Lagerplatz. Ihre großen Tatzen waren äußerst geübt darin; so tat sie es doch jeden Morgen, bevor sie mit ihrem Schüler Rauchpfote zum Training aufbrach. Dieser saß gerade im warmen Bau, unterhielt sich mit gedämpfter Stimme mit Wellenschein. Wellenscheins Junge streiften unterdessen im Bau herum; ein wenig wehmütig dachte Ampferstreif daran, wie es ihr noch gar nicht so lang her erschien, dass sie die frohe Botschaft erhalten hatte, Wellenschein sei zum zweiten Mal Mutter geworden - und nun wurden die Jungen bald zu Schülern. Wie die Zeit doch ver- Kupfergluts Name war gefallen. Abrupt hielt sie inne, hob den Kopf, um zu lauschen. Ampferstreif war eigentlich keine Kätzin, die andere belauschte, und schon gar keine, die tratschte, aber wenn der Name von einem ihrer Jungen fiel, wurde sie hellhörig.
„Ich sage es dir, Welle, es war ganz seltsam. Er ist einfach so von draußen gekommen und dann über den Platz gestürmt, als sei er von etwas besessen", miaute Rauchpfote, der mittlerweile neben Wellenschein lag, die sich putzte.
„Was? Das klingt gar nicht nach dem Kupferglut, den ich kenne. Er ist ja nun schon eine ganze Weile Krieger, aber als er noch ein Schüler war ist er oft hierher gekommen und hat mich besucht. Da muss schon irgendwas passiert sein, sonst würde er sich nicht so benehmen", antwortete Wellenschein beiläufig.
„Das ist es ja - es heißt, er spricht in seinem Schlaf, ganz wirre Dinge! Sturmpfote hat erzählt-", er verstummte, als er Ampferstreif erblickte, die nun hinter ihm stand.
„Ich hätte wirklich nicht von dir erwartet, dass du solche Gerüchte glaubst und dann auch noch weitererzählst, ohne mit dem Schnurrhaar zu zucken - das ist nicht, was ich dich gelehrt habe", grummelte die große Kätzin, ihr buschiger Schweif peitschte aufgewühlt hin und her.
„Natürlich nicht, Ampferstreif. Kommt nicht wieder vor", murmelte Rauchpfote, ohne den Blick von seinen Pfoten zu lösen.
„Raus mit dir", wies Ampferstreif ihn an. Der Schüler trottete an ihr vorbei, hinaus auf den Lagerplatz, ohne einen letzten Blick auf die beiden Kätzinnen zu werfen. Ampferstreifs Augen jedoch hingen an ihm, sie stellte sicher, dass er außer Hörweite war, bevor sie fortfuhr.
„Ich habe kein Recht, dich zurechtzuweisen, aber du musst wissen, dass ich auch von dir enttäuscht bin. Du weißt, wie sehr ich alle meiner Jungen liebe und verteidige - du besser, als jeder sonst", mit diesen Worten wendete sie sich von der weißen Kätzin ab, machte sich auf den Weg nach draußen, zu ihrem Schüler.
***
„Du kannst nicht einfach gehen", sagte Birkentatze schrill. Die Kätzin tigerte unruhig auf und ab, ihren Blick stur auf Kupferglut gerichtet. Die anderen beiden, Eschenfeder und Beerenklang, schienen nicht ganz so aufgewühlt zu sein, doch auch sie regten sich unbehaglich.
„Hör zu, ich sage ja nicht, dass ich nicht mehr wieder komme, ich will nur-", setzte Kupferglut an, wurde jedoch unterbrochen.
„Oh doch, genau das sagst du! Du hast nämlich keine Ahnung von der Welt da draußen! Du wirst dich nur selbst umbringen!", sie hielt inne, ihre Atmung schwer, die Augen zornig auf den Kater gerichtet.
Er war zwar davon ausgegangen, dass sie überrascht sein würden, wenn er seinen Geschwistern von seinem Plan, das Territorium zu verlassen um nach seiner Herkunft zu suchen, erzählte, doch das hier war einiges mehr, als er erwartet hatte. Eschenfeder schien immer noch ein wenig missmutig wegen vorhin, als er ihn davon abgehalten hatte, Löwenfrost an die Kehle zu gehen, doch Kupferglut fühlte sich genau so. Es war ein kleiner Verrat gewesen, seiner Ansicht nach. Auch Beerenklang war nicht gerade gut auf ihn zu sprechen, immerhin hatte er sie allein mit zwei Murmeltieren im Schnee zurückgelassen - und das trotz ihrer verletzten Pfote. Nur Birkentatze hatte er in der letzten Zeit nicht maßlos enttäuscht, was es, wie ihm in diesem Moment auffiel, wohl verständlich machte, dass sie diejenige war, die ihn am meisten von der Reise abhalten wollte.
„Ich kann so einfach nicht weitermachen, Birke. Versteh doch", versuchte er, ihr zu erklären, die Stimme bewusst ruhig, doch seine Krallen hatte er in den Boden gerammt, so ratlos war er. „Ich muss einfach wissen, woher ich komme. Sobald ich das erfahren habe, kehre ich zurück. Und zwar endlich zufriedengestellt", miaute er freundlich und senkte den Kopf ein wenig, ohne seinen Blick von ihr zu lösen.
„Lass ihn gehen, Birkentatze", stimmte Beerenklang ihm zu. Überrascht schaute er sie an, doch die stämmige Kätzin nickte ihm nur knapp zu. Das war all die Bestätigung, die er von ihr brauchte. Beerenklang hatte seine Wanderung abgesegnet.
Auch Eschenfeder pflichtete ihr bei, nachdem er kurz mit sich gerungen zu haben schien. „Wir werden ein Auge auf Löwenfrost haben, während du weg bist - damit er auch ja nichts anstellt", schnurrte der sanftbraune Kater belustigt.
„Einen Mäusedreck werden wir tun! Du kannst nicht gehen, Kupferglut!", Birkentatze schien immer verzweifelter zu werden, er konnte ihr ihr Leid und ihre Angst beinahe ansehen. „Wir brauchen dich hier ... ich brauche dich hier", murmelte sie leiser, ihre, im schummrigen Licht des Kriegerbaus, golden glimmenden Augen blieben an ihm hängen.
„Es tut mir Leid, Birke. Wirklich. Aber ich kann so einfach nicht weitermachen, das musst du verstehen", miaute der orangene Kater entschuldigend, bevor ihr tief schnurrend übers Ohr leckte, den Kopf an ihre Schulter lehnte. Birkentatze schluckte schwer, vergrub ihre Nase in seinem dichten, kurzen Fell.
Die Nacht schien in der Blattleere nie so dunkel zu sein, wie sie es eigentlich war. Der Schnee spiegelte das helle Mondlicht, bildete einen unverwechselbaren Kontrast zum tiefschwarzen Himmel.
Im Kriegerbau war alles ruhig. Die Katzen des GipfelClans hatten sich in ihren Nestern zusammengerollt, die meisten mit ihren flauschigen Schwänzen über der Schnauze, sodass ihnen nicht kalt wurde. Der Kriegerbau war recht klein, die Moosnester standen dicht beieinander, sodass die Wärme nicht verloren ging.
Doch das machte es Kupferglut auch schwerer, unbemerkt nach draußen zu schleichen. Er hatte Birkentatze eigentlich versprochen, erst aufzubrechen, wenn die Sonne aufging, doch er hegte die Befürchtung, dass sie ihn dann aufhalten würde. So hatte er sich bei Mondhoch aus seinem Nest erhoben, war so leise wie irgend möglich zwischen den anderen hindurch durch den Kriegerbau geschlichen. Sein Herz schien so laut zu schlagen, dass er überrascht war, dass niemand davon aufwachte. Erst, als er beim schmalen Tunnel angekommen war, der in die Haupthöhle führte, gelang es ihm, etwas zu entspannen. Von hier aus war es einfach; keine schlafenden Katzen befanden sich in unmittelbarer Nähe.
So schlüpfte der Tigerkater durch den Ausgang, hinaus in seine Freiheit und ein riesiges Abenteuer.
Er bemerkte gar nicht, dass ihm eine Kätzin gefolgt war.
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