Das weiße Blatt
-Evee-
Sie saß in ihrem Bau und starrte angestrengt auf ihren Schachtelhalm Vorat. Die Ernte war gut gewesen und die Schüler hatten ihr fast ein bisschen zu viel mitgebracht. Nun musste sie entscheiden, welche sie behalten wollte und welche nicht.
Es wollte ihr aber einfach nicht gelingen. Immer wieder musste sie an den Traum denken, den sie gehabt hatte. Schon mehrmals nun.
Ein mulmiges Gefühl überkam sie, wie eigentlich immer, wenn sie daran denken musste.
Zwei Vögel zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie zwitscherte angeregt. Schien, als wollten sie um einen Brutplatz kämpfen.
Belustigt kräuselte sie die Nase.
Kräuter. Evee, Kräuter, ermahnte sie sich selbst und räumte die Halme, die am ältesten schienen hinaus.
Als sie noch klein gewesen war, hatte man sie hier im Wald gefunden. Sie war verletzt gewesen, zu schwach und klein um sich selbst durchzukämpfen. Da hatte der Moosclan sie aufgenommen, sie groß gezogen und ausgebildet.
Woher sie kam und wer ihre Eltern waren, wusste sie nicht genau. Dunkel erinnerte sie sich an eine hübsche rotbraune Kätzin mit langem Fell, doch das war das einzige, was ihr blieb.
Der Rest war wirr und durchzogen von Dingen, die sie nicht verstand.
Man hatte ihr die Krallen entfernt, so viel wusste sie. Zweibeiner waren das gewesen.
Sie waren nicht mehr nachgewachsen. Das war auch der Grund, weshalb sie Heilerin hatte werden müssen. Eine Katze ohne Krallen konnte nicht jagen, nicht ihren Clan versorgen und auch nicht wirklich für ihn kämpfen.
Am Anfang hatte sie sich oft gefragt, wieso sie, wieso musste sie so ein Sonderfall sein?
Mittlerweile hatte sie es aufgegeben.
Die Zeiten waren vorbei, dass sie für einen Heilernamen gekämpft hatte. Nun hatte sie einen und jeder nannte sie trotzdem noch Evee. Selbst sie selbst.
Etwas geknickt rollte sie sich auf ihrem Nest aus Moos zwischen den zwei Felswänden zusammen. Ein kleines Farnblatt fiel ihr ins Auge. Ein Tropfen rann an der kleinen Spirale hinab, löste sich und prallte schließlich mit einem leisen plop auf dem Boden auf.
Das Blatt war so winzig, so schutzlos und doch würde es bald so groß wie die anderen werden.
Sie knurrte und schlug wütend nach dem Blatt. - Als ob es dafür etwas könnte.
Kurz tat es ihr Leid. Sie wollte keinem unschuldigen Blatt etwas tun.
Doch als sie den Schaden sah, den sie gemacht hatte, wurde sie noch wütender.
Nichts. Es hatte lediglich ein wenig gewackelt.
Beleidigt legte sie den Schweif über die Nase und schloss die Augen, in der Hoffnung etwas Schlaf zu bekommen.
Ohne dass sie wieder den Traum hatte.
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