7 ✧ Weltensturm


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»Aber gibt es denn gar keinen Weg nach draußen? Ganz sicher?«, miaute sie verängstigt. Zahllose panische Gedanken schwirrten wie ein Schwarm wütender Bienen in ihrem Kopf herum, der jeden Moment drohte, zuzustechen wie ein einziger, gewaltiger Giftstachel.

»Naja, die einzige Katze, die's je versucht hat, ist bei dem Versuch gestorben und ich nehme mal ganz spontan an, du hast darauf keinen Bock.« Bommel legte die runden Ohren an und sein unscheinbares, braun-schwarz getigertes Fell sträubte sich schon bei dem Gedanken an diese Katze.

»Wobei - keine Ahnung, ob sie bei dem Versuch gestorben, oder danach durch die Tür ohne Wiederkehr gegangen ist, aber jedenfalls hat sie's nicht überlebt. Aber sie war eigentlich in Ordnung. Mutig. Anders als die anderen, die immer nur für ein paar Tage bleiben und dann wieder weggebracht werden. Irgendwie war sie einfach anders. Und dabei kannte ich nicht einmal ihren Namen. Weiß nicht, ob sie überhaupt einen hatte.«

Während Bommel in halb traurigen, halb nostalgischen Gedanken versunken schien, wuselten schlechte Fluchtpläne schon in ihrem Kopf herum. Aber wie sollte die Königin aus diesem... Bau entkommen, wenn sie nicht einmal eine Ahnung hatte, wo sie sich befand?

»Wir haben noch zweitausendfünfhundertdreißig Herzschläge, bis unsere Hausleute kommen«, maunzte Bommel, den trüben, grüngelben Blick auf ein seltsames, rundes Ding an der gegenüberliegenden Wand gerichtet. Als Morgenleuchten ihn anstarrte, als hätte er »Ich werde einen Zweibeiner fressen!« gesagt, entwich dem pummeligen Kater ein belustigtes Schnurren.

»Ich hatte die ersten achtundsechzig Monde meines Lebens praktisch durchgehend Langeweile - und hab bemerkt, wie diese Dinger funktionieren. ›Uhren‹ nennen die Hausleute sie und wenn man weiß, wie sie aussehen, dann kann man an ihnen die Zeit ablesen wie am Sonnenstand.«
Bommels Augen strahlten vor Stolz, und Morgenleuchten war ehrlich beeindruckt. Der pummelige, schon etwas ältere Kater schien klüger zu sein, als er aussah und sich benahm.

»Also bleibt uns noch genau diese Zeit, hier abzuhauen«, fauchte die Kätzin und tappte vorsichtig einige Schritte von dem unnatürlich weichen Pelz, auf dem sie aufgewacht war, herunter. Beobachtete zögernd die seltsam geformten Gegenstände um sie herum, die grellen Lichter, die von den schneeweißen Wänden reflektiert wurden - das war wohl einer dieser Zweibeinerbaue von innen.

Überrascht erkannte die Königin, dass einige der Wände beinahe durchsichtig waren. Nicht ganz, aber dahinter schimmerten auf seltsame Weise riesige Steinklötze und zahllose flimmernde Lichter hindurch. Nicht ein einziger Baum, ja nicht einmal ein Grashalm war dahinter zu sehen, nur diese gewaltigen Steine und silbergraue Pfade.

Alles in allem wirkte die Kulisse etwas wie die zertrümmerten Ruinen, die sich im Norden ihres Territoriums befanden, aber viel härter, grauer, geradezu krankhaft perfektionistisch und gleichzeitig so hässlich, dass Morgenleuchten beinahe die Augen zukneifen wollte.

Ob hier, genau an dieser Stelle, vielleicht früher auch einmal ein Wald gelegen hatte? Ein lichter Laubwald wie im FunkenClan vielleicht oder ein Nadelwald, wo Kiefernzapfen raschelnd auf den Boden fielen? Oder eine Wiese, auf der in der Blattfrische Blumen in allen Farben und Formen erblühten und Schwärme von farbenfrohen Faltern durch die Luft flatterten?

Sie wusste es nicht und würde es auch niemals erfahren, denn jetzt hatte der dunkelgraue Stein, die flackernden Lichter, die rauen Fassaden jede Spur der idyllischen Natur weggewischt wie ein stürmischer Regen, falls sie hier denn jemals existiert hatte.

»Sach mal, was guckst durch das Fenster wie so  'n Auto?«, miaute Bommel und Morgenleuchten machte sich mittlerweile nicht mehr die Mühe, zu fragen, was all diese Worte bedeuteten.
»Ich weiß, es sieht aus wie eine einzige graue Grütze. Ist halt Winter. Aber im Sommer sieht es viel schöner aus. So viel... hellgrauer.«

Was Sommer und Winter waren, wusste sie nicht, und gerade war es der beinahe panischen Königin auch egal - sie wollte einfach nur zurück in den Wald, ins Tal, an dem Hang des Feuerberges, einfach nach Hause. Und dafür musste sie von diesem schrecklichen Ort fliehen, bevor die Zweibeiner zurückkamen!

Aber dieser Ort schien wie eine andere Welt für die Kätzin. Nein, es war eine andere Welt. Nichts von diesem Bau, diesen seltsamen Gegenständen kam ihr auch nur ansatzweise bekannt vor und selbst, wenn sie es hier heraus schaffte, wo sollte sie hin?
Die Königin hatte keine Ahnung, wie sie nach Hause kommen sollte - nicht einmal Tageszeiten schien es hier zu geben, denn das trübe Dämmerlicht auf der anderen Seite des ›Fensters‹, wie Bommel es nannte, veränderte sich kein bisschen, egal, wie lange sie nach draußen starrte.
Ich muss die Zeit nutzen, verdammt!, schalt sie sich selbst, Statt die damit zu vergeuden, durch eine durchsichtige Wand zu starren und dem FunkenClan hinterher zu trauern, ohne etwas zu unternehmen!

Morgenleuchten richtete den Fokus wieder auf ihren Fluchtversuch und fasste endlich einen brauchbaren Gedanken. Wenn die Zweibeiner in diesen Bau hereinkamen - und das taten sie ja scheinbar ständig - dann mussten sie doch irgendwie auch herauskommen. Und die Kätzin hatte gesehen, wie riesig diese Geschöpfe waren - wenn ein Zweibeiner durch eine Öffnung passte, dann tat das eine Katze erst recht. Und abgesehen davon musste sie ja durch irgendetwas hindurch in diesen Bau hineingekommen sein.

»Bommel?«, erkundigte sich die Kätzin bei dem pummeligen Kater, der gelangweilt auf dem viel zu glatten Boden lag und mit den großen Pfoten versuchte, einen vorbeikrabbelnden Silberfisch zu fangen.

»Ja?«

»Wo betreten die Zweibeiner den Bau, wenn sie kommen?«

»Die Tür dahinten.« Der Hauskater zeigte mit der Schweifspitze auf eine scheinbar  hölzerne, aber seltsamerweise schneeweiße ›Tür‹ in der Wand, auf die die Kätzin sofort zutappte. Wieder einmal überkam Panik sie, als ihr die Fremdartigkeit dieses Ortes ins Auge fiel.
»Aber dahinter ist noch irgendwas, damit wir nicht einfach die Fliege machen, wenn sie reinkommen. Auf jeden Fall noch 'ne Tür, und die beiden Türen sind nie gleichzeitig offen.«

Morgenleuchten nickte dankbar und ging weiter auf die Tür zu, bis sie direkt davonstand. Ein seltsam eckiger Ast wuchs weit über ihrem Kopf aus dem weißen Holz, glänzend und golden.

Noch während sie das seltsame Ding betrachtete und in ihren Kopf zahllose verzweifelte Gedanken Gestalt annahmen, hörte sie ein schepperndes Geräusch. Dann ein Stapfen. Scharben.
Dann unangenehm hohe Zweibeiberstimmen.
Verdammt.

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