3 ✧ Wellenbruch


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Unter Morgenleuchten schlugen krachend die Wellen gegen die Klippen, spielten ein tödliches Spiel mit dem heulenden Wind. Es schien, als hätte sich ein Schatten auf die Welt gelegt. Auf die Sonne, die Wolken, die Dünen, die Wellen. Und dennoch liebte sie diesen Ort, egal, ob die Sonne ihren Pelz beschien oder Wolken ihn verdunkelten.

Nur hier hatte sie das Gefühl, wirklich frei und unabhängig zu sein von allem anderen auf der Welt.
Seit Pumaherz wusste, dass er Vater werden würde, klebte er wie eine Klette an ihr. Am liebsten würde er sie, so kam es der Kätzin vor, in sämtliches Moos des Waldes wickeln und als einen Moosball in der Kinderstube von allen Kriegern des Clans bewachen lassen.
Und sie liebte diesen überfürsorglichen Fellball.

Weniger liebte sie den eisigen Wind, der ihr Fell aufpeitschte. Gegen raue Luft hatte sie nichts, aber die Kälte, die bis in ihre Knochen kroch, schien ihr gleichzeitig alle Energie zu nehmen.

Eine der tosenden Wellen spritzte so hoch an den Felswänden hoch, dass silberweiße Gischt und Tropfen rund um sie herum niedergingen. Hier und da brachen ein paar vereinzelte Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke und malten helle Tupfen auf ihren Pelz, wie das Spiel von Licht und Schatten auf dem Waldboden - nur, dass hier der Wind um ihre Schnauze wehte und sie bis zum Horizont blicken konnte.

Oft schon hatte sie sich gefragt, was wohl jenseits dieses Horizontes lag. Alles, was sie je gesehen hatte, lag innerhalb der Territorien der drei Clans. ›Freu dich doch‹, sagten ihre Clan-Gefährten, wenn sie ihnen von ihrer Neugierde erzählte, ›früher konntest du nur in deinem eigenen Territorium herumstreunen.‹

Und sie war ja dankbar dafür, dass sie - natürlich nur mit Erlaubnis aller Anführer - durch das hohe Gras des DämmerClan-Territoriums streunen und den brechenden Wellen hier an der Küste zusehen konnte. Aber war die Welt nicht noch viel größer?

Obwohl sie jünger waren als Morgenleuchten, hatten Wildfeuer und ihre Wurfgefährten viel mehr gesehen als die Königin. All die Schrecken, die Wildheit, die Schönheit der Welt, die Morgenleuchten nie zu Gesicht bekommen würde. Und manchmal wünschte sich die Königin, einfach loszulaufen in irgendeine Richtung, ohne Ziel oder Grund, so lange, bis sie etwas fand.

Aber natürlich war das Irrsinn. Sie war glücklich bei den Clans, mit Pumaherz - und bald mit ihren Jungen. Ein leises Schnurren rumpelte in ihrer Kehle. Auch, wenn sie ihre Eltern nie kennengelernt hatten, hatte sie das Gefühl, ebenso eine Familie zu haben wie alle anderen Katzen auch. Ihr Clan war ihre Familie, und sie war von Pumaherz' Wurdgefährten so liebevoll aufgenommen worden wie eine Schwester - die Kätzin hatte wahrlich keinen Grund, sich zu beschweren.

Erneut ging ein salziger Schaumregen auf sie nieder und die Gischt legte sich wie eine Schicht aus Schneeflocken auf ihr Fell. Eine Windböe zauste ihren getupften Pelz, und Morgenleuchten schloss die Augen.

Es hätte ein Herzschlag vergehen können oder ein Blattwechsel, als sie ihren himmelblauen Blick wieder auf die brechenden Wellen vor ihr richtete. Die Sonne war durch die dicke Wolkendecke gebrochen, trocknete langsam ihren Pelz und die Flut zog sich etwas zurück; ein schmaler Streifen aus feuchtem Sand wurde unter ihr an der Küste frei.

Die Königin schüttelte sich streckte ihre schon etwas steifen Glieder. Es war gerade erst Sonnenhoch vorüber und sie tappte den Pfad herunter, der zum Sandstreifen führte. Auch, wenn sie Sand zwischen ihren Pfotenballen nie gemocht hatte - sie klebten noch einen halben Mond später an ihrem Fell und scheuerten ihre Tatzen wund - das Rauschen der Wellen und der Gischt neben ihr waren es wert, dass die feinen Körner an ihren Pfoten klebten.

Ihr Blick wanderte über das Meer, das sich wie ein wogender Wolkenhimmel in der Farbe einer strahlenden Vergissmeinnichtblüte vor ihr erstreckte, bis zum Horizont, wo das Wasser durch einen Nebelschleier mit dem Himmel verschwamm.

Eine dunkle Silhouette zeichnete sich vor den Wolkenfetzen ab, beinahe nachtschwarz, wie sie über das Wasser glitt. Ein Wal?, fragte sich die Königin aufgeregt. Oft schon hatten junge Katzen des Clans, dem dieses Territorium gehörte, von den riesigen Fischen erzählt, die angeblich Luft atmen konnten, aber gesehen hatte kaum eine Katze je einen. Was sollen das auch für Tiere sein - Fische, die Luft einatmen und Wasser aus, in einer riesigen Fontäne?

Aber sie brauchte nicht lange, um zu bemerken, dass es kein Wal war, der da auf die Küste zusteuerte. Dieses Wesen bewegte sich kaum, war steif wie ein Baum, der ins Meer gestürzt war, aber jagte mit beängstigender Geschwindigkeit auf die Kätzin zu. Erst schwirrten Fragen in ihrem Kopf herum, dann packte die Angst sie mit eiskalten Klauen.

Denn sie erkannte die kleinen Gestalten auf dem Wesen. Gestalten, die es nicht geben dürfte. Nicht an diesem Ort. Nicht in dieser Zeit.

Morgenleuchten drehte sich um und rannte.

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