22 ✧ Meisenlieder
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Die letzten Baumlängen bis zur Grenze sprintete Morgenleuchten, dem flammenden Schmerz in ihrem zertrümmerten Bein und ihrem Rücken, wo die Wolfszähne sie gepackt hatten, zum Trotz. In ihrem Herzen explodierte ein Sternenhimmel aus Glück, und obwohl sie die Sterne am Himmel nicht sehen konnten, wusste sie, dass der SternenClan sie jetzt behütete.
Aufgeregt sprang ihr die Füchsin hinterher und witterte, sog den Geruch von Morgenleuchtens Heimat tief ein. Die Königin tat es ihrer Adoptivtochter gleich, erkannte den Geruch von Orkanfunke, Drosselmut, Bronzefuchs...
Und den von Pumaherz, den sie von der anderen Seite der Berge gerochen hatte, so kam es ihr vor. Kurz hüpfte wie mit drei ihrer Beine aus dem schmelzenden Schnee hinaus, keuchte kurz darauf aber auf, als beide ihrer Jungen sie von innen gegen den Bauch traten.
Ein ziemlich unangenehmes, aber auf seltsame Weise auch wunderschönes Gefühl. Es fühlte sich an, als wären ihre Jungen schon auf der Welt, lebende, fühlende kleine Kätzchen, die es kaum erwarten konnten, das Licht der Welt zu erblicken.
Die andächtige Stille, die für einige Herzschläge herrschte, wurde durchbrochen von den leisen Gesängen der Meisen, die in den Wipfeln der Bäume hausten. Es schien, als fiele der Wind mit ein, und als sänge die Natur ein leises Lied, um die beiden Reisenden willkommen zu heißen. Ein fröhliches, besinnliches Lied, als wäre dieser Tag ein ganz besonderer.
»Wir... zuhause?«, quiekte die kleine Füchsin neben ihr, und ihre Augen leuchteten wie das ganze Silbervlies in einer klaren Blattgrünenacht.
»Ja. Wir sind zuhause.«
Es fühlte sich unglaublich schön und richtig an, diese Worte zu sagen. Nach so vielen Entbehrungen, Abenteuern, Gefahren. Wir sind zuhause.
Wie eine frisch ernannte Schülerin sprang sie an einem zähen Haselstrauch, der schon die Schneeflocken abgeworfen hatte, vorbei und in den lichten Laubwald hinein.
Die Kätzin sah das schützende Blätterdach, das sich über ihr wölbte, aber dennoch Sternenlicht bis auf den Boden sandte.
Sie hörte die Gesänge von Meisen und Winden, die sie und die Füchsin willkommen hießen. Sie roch den warmen Geruch von Wald, Moos und dem fernen Feuerberg, sie spürte die Erde unter dem Schnee an ihren Pfotenballen.
Mit allen Sinnen spürte sie dasselbe: Heimat. Und obwohl sie wusste, dass ihr Zuhause kein Ort war, so wäre es am ehesten dieser.
Leise Pfotenschritte im Schnee, die nicht von ihr oder der Füchsin stammten. Zu schwer für ein Beutetier, zu leicht für einen Wolf oder Zweibeiner. Dann leise Stimmen. Stimmen, die sie kannte. Stimmen, die sie immer so genervt hatten, wenn sie nachts einfach nur schlafen wollte. Stimmen, die sie jede Nacht, in der nur die Stille ein Schlaflied gesungen hatte, so vermisst hatte, dass es ihr das Herz zerriss.
»Drosselmut! Meisenruf!«, quiekte sie wie ein Junges und stürzte durch den Schnee auf die Geschwister zu, während in ihr die Erleichterung alles sprengte, was sie je gespürt hatte.
»Morgenleuchten? SternenClan, du lebst!«, rief Meisenruf und warf sich vorsichtig auf die Königin. Der Himmel wusste, wie eine Katze sich so vorsichtig auf eine andere werfen konnte - aber ihre Freundin schaffte es, ohne dass ihr Bein schmerzte und auch auf ihren geschwollenen Bauch passte sie auf.
»Du hast uns allen so gefehlt!«
»Wir dachten, wir würden dich nie wiedersehen! Erschreck uns doch nicht so«, neckte Drosselmut und sprang herbei, genauso elegant und schnell, wie jede vierbeinige Katze es gekonnt hätte.
Da drehte sich Morgenleuchten um und winkte die kleine Füchsin herbei, die sich schüchtern hinter einem knorrigen Busch versteckt hatte.
Meisenruf schien sofort dahinzuschmelzen, als sie die sternenhaften Augen des Welpen sah.
»SternenClan, ist sie niedlich! Wo hast du sie gefunden? Und wo sind ihre Eltern?«
»Ich glaube, Pumaherz hatte sich eure Jungen etwas anders vorgestellt«, miaute der dreibeinige Kater amüsiert, und Erleichterung machte sich in der Königin breit. Sie hätte kaum mehr Glück haben können, als auf die beiden zu treffen, und dankte gedanklich dem SternenClan.
»Wie heißt sie denn?« Die Frage schien Meisenruf schon länger auf der Zunge zu brennen. Die Kätzin tappte vorsichtig, aber neugierig näher.
»Und wie geht es euch? Was ist überhaupt passiert?«
»Lass uns das vielleicht auf dem Weg zum Lager klären. Ihr seht aus wie Eisklötze, und Pumaherz hat seit zwei Monden praktisch nie geschlafen. Ernsthaft, Bronzefuchs musste seinen Bruder im Nest festhalten, damit er nicht zum siebzigsten Mal alle Territorien durchkämmt.«
Sofort machte sich in Morgenleuchten ein schlechtes Gewissen breit. Vielleicht hätte sie einfach im Lager bleiben sollen, an jenem Tag, an dem die Zweibeiner sie verschleppt hatten, wie es ihr Gefährte gesagt hatte.
Andererseits hätte sie so niemals die Welt gesehen, niemals Bommel oder Funkenmond oder Waldi getroffen. Und sie hätte immer noch Fernweh, als wäre sie ein gefangenes Hauskätzchen, das noch nie außerhalb des Nestes gewesen war.
»Ja. Lasst uns nach Hause gehen.«
Und so machten sich die drei Katzen und die Füchsin auf den Weg zum Lager des FunkenClans, wobei Letztere noch immer etwas argwöhnisch war, was sich aber bei Meisenrufs strahlendem Wesen schnell änderte.
Morgenleuchten erzählte von dem Zweibeinern, von ihrem Bau, von Bommel und der eingebildeten Ashaya, vom Silberpfad, Funkenmond und dem hellsten Stern. Und von dem Fuchswelpen, der sie jetzt begleitete.
Dann fuhr plötzlich ein Schmerz durch ihren Körper, der nicht zu vergleichen war mit allem, was sie bisher gespürt hatte. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich, und es fühlte sich an, als drehe sich ihr Inneres um. Und die Kätzin brauchte nur wenige Herzschläge, um zu begreifen, was geschah.
Die Jungen kommen.
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