21 ✧ Schneeblut
━━━━━━ ✧ ━━━━━━
Morgenleuchten könnte schwören, dass das, was gerade in ihrem Gesicht herumwuselte, der wedelnde Schweif der Füchsin war. Die Kätzin nahm das einfach mal als gern geschehen.
Die beiden warteten und warteten und warteten, für eine halbe Ewigkeit. Selbst, als die Pfotentritte der Wölfe schon längst im Nebel der Ferne verklungen, ihr hungriges Winseln nach Beute verstummt war, warteten sie. Vielleicht aus Erschöpfung, vielleicht, weil sie die Kälte außerhalb des verlassenen Kaninchenbaus fürchteten und es hier immerhin so warm war, dass ihnen die Schnurrhaare nicht einfroren.
Irgendwann, um das Schweigen zu brechen - und weil sie wusste, dass ihre dritte ›Tochter‹ niemals ein Gespräch anfangen würde - maunzte sie: »Wenn ich meinem Ich vor zwei Monden gesagt hätte, dass ich bald hochträchtig mit einem Fuchs vor Wölfen in einen Kaninchenbau fliehe, nachdem ich mit einem gebrochenen Bein um ein Meer herumgetappt bin, dann hätte es mich für verrückt erklärt. Aber... jetzt sind wir hier, was? Und wir sind fast zuhause. Bei meiner - unserer - Familie. Und ich bin sicher, wenn er dich erstmal kennt, dann wird Pumaherz völlig vergessen, dass du nicht seine leibliche Tochter bist.«
Wieder ein Wedeln von der Füchsin, schwächer diesmal. In der kalten Luft lag der beißende Gestank von Blut, aber sie war davon ausgegangen, dass es ihr eigenes war.
»Alles in Ordnung?«, fragte die Königin und Sorge breitete sich in ihr aus.
Dieses Mal kein Wedeln. Nur ein leises »Tut... weh«. Der Welpe verkrampfte sich, und Panik schoss durch ihre Glieder. Morgenleuchten krabbelte, zwängte sich selbst rückwärts aus dem Kaninchenbau heraus und in den blutigen Schnee hinein, in dem vor kurzer Zeit noch ein Kampf getobt hatte.
»Komm raus, vielleicht können wir dir helfen«, bat sie die Füchsin, und sie tat wie ihr geheißen. Morgenleuchten versuchte, sich nichts von ihrer Angst um ihre Tochter anmerken zu lassen.
In Waldis Rücken klaffte eine scheußlich tiefe Wunde, aus der ein dünnes Rinnsal in den Schnee floss. Dort hatte der Wolf sie gepackt, sie geschüttelt wie eine tote Maus.
Und sie hatte weitergekämpft. Die Füchsin hätte fliehen können, aber das hatte sie nicht getan. Sie war geblieben und deswegen war ihr Rücken aufgerissen wir die Erde nach einem Beben.
»Das sieht übel aus«, miaute die Königin und blickte sich fieberhaft nach irgendetwas Hilfreichem um - erfolglos. Aber dann fiel ihr ein, was jedem Schüler an Grundkenntnissen der Heilkunst beigebracht wurde.
»Der Schnee!«, quiekte sie, scharrte eine - mehr oder weniger runde - Kugel aus lockerem Pulverschnee zusammen und drückte sie auf die Wunde. Das fluffige Weiß wie aus gefallenen Wolken wurde blutrot und wasserschwer.
Der Fuchswelpe zuckte heftig zusammen, als das kalte Zeug einen kalten, aber brennenden Schmerz in ihrer Wunde auslöste.
»Alles gut«, flüsterte Morgenleuchten. »Der Schnee stoppt die Blutung, bald wird es besser. Und wenn wir im FunkenClan angekommen sind, dann wird sich Mitternachtsregen um deine Wunden kümmern. Sie ist eine tolle Heilerin, danach wird es dir besser gehen, versprochen.«
Den Gedanken, dass Mitternachtsregens Vater von einem fuchsähnlichen Wesen - vielleicht ein Hund, sie erinnerte sich nicht mehr - getötet worden war, sprach sie lieber nicht aus und versuchte so gut es ging, ihn zu verdrängen. Waldi war kein normaler Fuchs, und sie würde mit ihrer liebenswürdigen Art im Clan schnell Anschluss finden, als wäre sie eine Katze. Ihre Gefährten würden jegliche Vorurteile gegenüber den Rotpelzen ablegen, da war sie sich sicher.
Der weiße Schleier lichtete sich langsam, jetzt konnte sie immerhin zwei oder drei Baumlängen weit sehen, aber noch immer waren ihre Ohren gespitzt und sie wartete nur auf ein fernes Heulen, woraufhin sie wieder im Kaninchenbau verschwunden wären.
Stille. Kein silberner Jäger mit gefletschten Zähnen, kein gieriger Zweibeiner. Nur die Reisenden, die keuchend und blutend im Schnee standen.
Morgenleuchten tappte ein paar Schritte hin und her, spürte den Abhang unter ihren Pfoten, um wieder den richtigen Weg zu finden.
»Kannst du weiterlaufen?«, fragte sie den Fuchswelpen, und dieser nickte tapfer.
»Super. Dann gehen wir jetzt weiter, ja? Nicht, dass die Wölfe noch zurückkommen. Solange es noch so stark schneit, werden sie unsere Fährte nicht verfolgen können.«
Wieder ein Nicken von Waldi - SternenClan, sie musste wissen, wie ihre adoptierte Tochter wirklich hieß! - und dieses Mal auch ein Wedeln ihres buschigen Schweifes. Irgendwie hatte sie das in diesen paar Herzschlägen, in denen es gefehlt hatte, vermisst. Entschlossen leuchteten die Augen des Welpen, und die Reisegefährtinnen machten sich auf den Weg den Abhang hinab, immer weiter, bis sie selbst durch das Schneetreiben hindurch die Bäume ihrer Heimat sehen konnten.
━━━━━━ ✧ ━━━━━━
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top