14 ✧ Funkenmond


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»Was? Woher... kennst du meinen Namen?«
Verdattert blieb sie stehen, starrte in das Silbervlies der Augen, die ihren Blick unverwandt erwiderten. Ihre Stimme klang krächzend; sie hatte sie lange nicht mehr benutzt.

»Wer bist du?«, wollte die Fremde nur wissen, ohne die Frage der getupften Kätzin zu beantworten. Es schien nicht einmal eine richtige Frage zu sein, klang mehr wie eine Feststellung.

Sie zögerte kurz - schließlich wusste die Fremde doch, wer sie war. Völlig verwirrt antwortete sie dennoch: »Ich bin Morgenleuchten.«

Die Katze seufzte tief.
»Ich habe dich nicht gefragt, wie du heißt. Das weiß ich. Aber ich weiß nicht, wer du bist. Denn das sehe ich nicht sofort, im Gegensatz zu deinem Namen.«

Erneut zögerte Morgenleuchten. Was konnte sie schon sagen außer ihrem Namen? Eine dumme Katze, die es fertiggebracht hat, an einem Tag ihr ganzes Leben zu zerstören, und jetzt nach ihrem Zuhause sucht, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, ob sie die ganze Zeit in die falsche Richtung läuft?
Nein. Auch, wenn es zugegebenermaßen stimmte.
Und obwohl diese Fremde ihr zutiefst suspekt war, antwortete sie so ehrlich wie möglich.
»Ich bin... ein Wanderer, wenn man es so nennen kann. Nein, eigentlich bin ich nur verloren. Auf der Suche nach meinem Zuhause. Wobei das so ziemlich das Gleiche zu sein scheint...«

»Nicht alle, die wandern, sind verloren«, kam es aus der Kehle der Fremden. »Und nicht alle Verlorenen wandern. Aber wenn du ein Ziel hast, dann wird deine Suche erfolgreich sein.« Die Katze hielt inne. »Was ist dein Ziel?«

»Mein Zuhause. Der FunkenClan.«

Die Fremde spitzte überrascht die Ohren. »Oh, eine FunkenClan-Katze? Dass ich das noch erleben darf! Ich hätte gesagt, ein seltsamer Zufall, aber ich weiß, dass es kein Zufall ist.«
Die Katze kam näher, bis auf eine Fuchslänge heran, und es schien, als könnte sie die Fragen lesen, die in ihrem Kopf herumschwirrten.
»Wenn die Katzen, die du liebst, nicht mehr dort wären... wäre der FunkenClan dann immer noch dein Zuhause?«

Jetzt war Morgenleuchten völlig verwirrt. Worauf wollte diese Katze hinaus?
»Ich... weiß es nicht.« Sie dachte nach. Wenn Orkanfunke, Pumaherz, ihre Jungen und all die anderen Katzen nicht mehr im FunkenClan leben würden... diesen Gedanken wollte sie gar nicht erst zu Ende denken.
»Nein. Nein, dann würde ich mich niemals dort zuhause fühlen.«

Die Fremde nickte.
»Wonach suchst du also?«

Irritiert schüttelte sie den Kopf.
»Tut mir leid, aber ich weiß nicht, worauf du hinaus willst.« Um den irritierenden Fragen der Fremden zu entgehen, stellte sie nun ihrerseits eine.
»Wer bist du überhaupt? Und... warum weißt du das alles?«

»Das kommt darauf an, wen du fragst.«

»Dich frage ich.«

»Dann fragst du nur den Schatten einer längst toten Fremden, die für viele einst eine Heldin war, und den eines Gestirnes, das mehr Fragen aufgibt, als es beantwortet.«
Jetzt war Morgenleuchten noch verwirrter. Ihr Gesichtsausdruck musste wohl ziemlich dumm aussehen, denn die Fremde unterdrückte nur mühsam das tiefe Schnurren, das in ihrer Kehle rumpelte. Die Augen wie Nachthimmel, blickte die rotbraune Tigerkätzin die Königin schon wieder unverwandt an.

»Hier kannst du nicht bleiben. Aber lass mich dein Bein ansehen, bevor du wieder verschwindest, sonst schaffst du es nie bis Tannenlicht zum FunkenClan«, wechselte die Kätzin das Thema.

»Tannenlicht?«
Diese Katze war seltsam, ja, aber etwas sagte der Königin, dass sie gute Absichten hatte. Sie vertraute der Fremden - soweit das den Umständen entsprechend möglich war.

»Ein bestimmter Tag in der Blattleere. Der einzige Tag, an dem die Lichter des Zweibeinerortes bis hierhin zu sehen sind. Deine Jungen müssten ungefähr zu Tannenlicht kommen. Aber jetzt, zeig mir dein Bein. Das sieht nicht gut aus. Bist du damit von einem Baum gesprungen?«

»So ähnlich«, miaute Morgenleuchten und keuchte auf vor Schmerz, als die Wildkatze ihr Bein mit den Pfoten betastete. Dann verschwand sie hinter ein paar Bäumen und kam nur wenige Herzschläge später mit einem Stock und mehreren getrockneten Kräutern in der Schnauze, über die sich eine lange Narbe zog, zurück. Ohne Vorwarnung riss sie an dem Bein, und eine Feuersalve aus Schmerz schoss durch ihren Hinterlauf, zuckend wie ein Blitzschlag.

»Was machst du da?«, fauchte die dunkelgoldene Kätzin, deren Fell förmlich mit den Kiefernnadeln verschmolz und deren blutverschmiertes Hinterbein jetzt immerhin im richtigen Winkel vom Körper abstand.

Mit flinken Pfoten versorgte die Fremde das Bein der Königin, schiente es mit dem Stock und beschmierte es mit Pasten aus den Kräutern, geschickt wie eine Heilerin. Ohne Worte. Und schon nach wenigen Herzschlägen spürte die Kätzin, wie die flammenden Schmerzen nachließen.
»Dein Bein war so verdreht wie eine sich windende Schlange. Spring einfach nicht mehr auf Bäumen oder was auch immer herum. Und denk ein bisschen mehr nach.«

»Wahnsinn. Dankeschön, es fühlt sich schon viel besser an«, keuchte sie und rappelte sich wieder auf drei ihrer Pfoten, bevor ihr ein Gedanke kam.
»Willst du nicht mitkommen? Du kennst doch den FunkenClan.«

Aber die Kätzin schüttelte nur den grazilen Kopf.
»Danke, aber mein Zuhause ist hier. Ich habe dir gesagt, ich bin der Schatten eines Gestirnes. Und das stimmt. Andere würden mich eine Botin nennen, aber in Wahrheit bin ich nur eine Sklavin der Mondkatze. Sie sagt, was ich tun soll, und das tue ich. Ich gehöre nicht unter die Sterne.

Apropos Sterne - wenn du dein Zuhause suchst, folge einfach dem hellsten aller Sterne. Da lang, solange es hell ist«, miaute die rotbraune Tigerkätzin und deutete mit der Schweifspitze in eine bestimmte Richtung. Dann verneigte sie sich, fast bis auf den Boden.
Vielleicht eine Art Ritual unter ihresgleichen. Sie wusste es nicht, aber die Königin mochte die Geste, und so tat sie es der Fremden nach - so gut es eben ging auf drei Beinen.

Obwohl sie noch immer verwirrt war, nickte Morgenleuchten. »Auf Wiedersehen.«
Gerade wandte sie sich zum Gehen, in die Richtung, in die die Wildkatze gewiesen hatte. Dann fiel ihr siedend heiß eine Frage ein, die sie jeder anderen Katze sofort gestellt hätte.
»Wie ist dein Name?«

Kurz zögerte die Kätzin, bevor sie mit leiser Stimme antwortete.
»Funkenmond.«

Einige Herzschläge lang überlegte die Kätzin, was sie sagen könnte. Etwas Passendes, Tiefgründiges. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie all das, was ihr gerade durch den Kopf ging, in Worte fassen sollte, und so entkamen nur zwei Worte ihrer Kehle. Zwei Worte, die alles meinen könnten.
»Danke, Funkenmond.«

Und mit diesen Worten tappte sie davon, in Richtung Heimat, und all ihre Gedanken kreisten um die Frage, die die Wildkatze gestellt hatte.
Wer bin ich?

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