11 ✧ Sternenschatten


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Über ihr ragte der sternenlose Himmel auf. Es war eine dunkle Neumondnacht, und Morgenleuchten blickte durch das Loch über ihr geradewegs in den Himmel hinein. Keuchend stieß die Königin sich mit ihrem rechten Hinterbein an einem winzigen Vorsprung ab und hievte sich mit den Vorderbeinen aus dem Lich heraus, aus dem es vermodert und feucht stank.

Auch ihren rechter Hinterlauf konnte sie über die Kante setzen, und sie zerrte ihr unbrauchbares zweites Hinterbein hinterher wie ein totes, aber unendlich schweres Beutetier. Schmerzen schossen bei jeder Bewegung durch ihre Glieder hindurch wie Pfeile aus Feuer.

Es hatte gestunken in diesem Tunnel, in den die Zweibeiner sie hineingejagt hatten, gestunken wie der Schmutzplatz von tausend Katzen mit Durchfall. Ewig lang war sie diesen feuchten Weg entlanggehumpelt, so lange, bis über ihr der Himmel zu sehen war.

Aber in ihr keimte ein Funke aus Freude und Hoffnung auf, als sie sich umblickte und statt des harten grauen Bodens Gras unter ihren Pfoten bemerkte. In der Ferne flimmerte noch immer das Lichtermeer des Zweibeinerortes, aber sie hatte es aus dieser Hölle herausgeschafft - lebend.

Die Sorge um ihre Jungen zerfraß sie fast von innen, aber die Königin versuchte mit aller Macht, sich einzureden, es müsse den Kleinen ja gut gehen, schließlich hatte sie sich bei jedem Sturz um sie zusammengerollt, stets auf sie geachtet.

Morgenleuchten hinkte unter einen Baum, wo sie am liebsten zusammengebrochen und einfach eingeschlafen wäre. Aber sie wusste, obwohl sie eigentlich keine Ahnung von der Kunst des Heilens hatte, wie Mitternachtsregen sie praktizierte, dass sich die Wunden ungesäubert entzünden würden.

Zwischen den Wurzeln hockend leckte die Königin ihre wund gescheuerten Pfoten und die Abschürfungen vom Steinboden, was den brennenden Schmerz etwas linderte. Noch immer ragten aus ihrer Schulter und ihrem Rücken zwei Glassplitter heraus, die von den Gefäßen der Zweibeiner stammten, die am dürren Körper der Königin zersplittert waren.

Mit zusammengebissenen Zähnen zog sie die Scherben heraus und unterdrückte ein schmerzerfülltes Fauchen, als ein dünnes Blutrinnsal aus den Wunden rann. Sofort begann sie, die vor Schmerz lodernden Stellen zu säubern, was leider nicht wirklich etwas brachte.

Ihr gebrochenes Hinterbein wagte sie zunächst nicht zu berühren, zu sehr schmerzte die Verletzung dabei, aber als sie sah, dass sich die Wunden am Bein vor Dreck beinahe schwarzgrau verfärbt hatten, zwang sie sich, auch diese zu reinigen, bis ein schmerzhaftes Winseln aus ihrer Kehle herausbrach.

So bequem wie möglich kauerte sie sich zwischen die Wurzeln des Baumes, beidem es sich um einen alten Eichenbaum handelte, und blickte zum dunkelgrauen Himmel empor.

Das sternenlose Gewölbe hing schwer wie ein nasser Pelz über der Welt und hüllte alles in Dunkelheit, nur durchbrochen von den Lichtern der zweiten Welt, wie die Königin den Zweibeinerort nannte.
Zum ersten Mal, seit sie Zweibeiner sie verschleppt hatten, hatte sie die Zeit, wirklich über das Geschehene nachzudenken. Über ihre verdammte Dummheit, so nahe an die Geschöpfe heranzutappen wie ein Hauskätzchen oder ein naives Junges.

Was macht Pumaherz wohl gerade? Fehle ich ihm genauso sehr wie er mit?
Die Schuldgefühle schienen sie von innen schier zu zerfressen. Was musste ihr Gefährte nur von ihr denken? Dass sie mit einem Einzelläufer durchgebrannt oder einfach abgehauen war?

Allein beim Gedanken daran, dass Pumaherz so etwas denken könnte, bohrte sich eine schmerzhafte Klaue tief in ihr Herz.
Nein. Er würde niemals schlecht über mich oder irgendjemand anderen aus seiner Familie denken.
Aber bestimmt würde er sie suchen wollen, und wenn er ihrer Spur folgte und sie außerhalb des FunkenClan-Territoriums verlor, würde er womöglich einen anderen Clan für ihr Verschwinden verantwortlich machen.

Himmel, was, wenn ich einen Krieg provoziert habe, wo doch gerade Frieden eingekehrt ist?
Dieser Gedanke erschien so krank und weit entfernt, dass sie sogleich über sich selbst den Kopf schütteln musste. Natürlich nicht, du Mäusehirn! Nordstern, Zwielichtstern und Blätterstern werden eine friedliche Lösung finden.

Aber was, wenn alle Clans sich auf die Suche nach ihr machten und ihre Krieger umsonst wegschickten, weil die verlorene Königin niemals zurückkehren würde? Weil sie am anderen Ende des Meeres allein unter einem sternenlosen Himmel hockte und flehte, keine Katastrophe ausgelöst zu haben?

»SternenClan, hilf mir!«, rief sie verzweifelt in die Nacht hinaus. »Zeig mir den Weg nach Hause?«
Da kam ihr ein grässlicher Gedanke. Was, wenn der SternenClan gar nicht über sie wachen konnte, weil sie zu weit vom Clan-Territorium entfernt war?
»Bitte. Wenn du da bist, schicke mir ein Zeichen.«

Nichts geschah, nur der ferne Ruf einer Eule zerriss die Stille, gepaart mit dem Rascheln der Blätter in der frostigen Nachtbrise.
Und während die Blätter um sie herum, ja sogar ihr eigener Pelz, von einem silbernen Frostschleier überzogen wurde, fielen ihr langsam die Augen zu und sie glitt in einen flachen, traumlosen Schlaf voller Dunkelheit.

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