1 ✧ Morgenfrost
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Hätte sie es nicht besser gewusst, so hätte Morgenleuchten gedacht, dass ein wütender Bär in das Lager hineingestürmt war oder direkt über ihr der Donner tobte.
Oder neben ihr. Und er hatte die Gestalt eines schlaksigen Katers mit etwas struppigem hellbraunen Fell, dass sich bei jedem seiner gewaltigen Schnarcher hob und senkte. Der schnarchende Kater schien allerdings im Moment mit ihrem eigenen Magen um die Wette zu knurren.
Sie hatte sich den Platz im Kriegerbau nicht ausgesucht - nein, sie hatte nur das »wer zuletzt an der DämmerClan-Grenze ist, schläft neben Talschlummer!« nach ihrer Kriegerzeremonie zu spät gehört. Und wie sollte man einen Wettlauf mit verstauchter Pfote gewinnen?
Die Kriegerin ließ ein tiefes Seufzen ertönen, unterdrückte es jedoch gleich darauf wieder, um niemanden zu wecken. Morgenleuchten wusste, egal, wie oft sie die Augen noch zukniff, mit knurrendem Magen und Talschlummers Schnarchen im Ohr würde sie nicht wieder einschlafen können. Also erhob sie sich langsam und tappte vorsichtig zwischen ihren Clan-Gefährten hindurch, achtete sorgfältig darauf, auf niemandes Schweif oder Pfote zu treten.
Bevor die Kätzin den Bau verließ, blickte sie sich erneut darin um. Hinten grenzte er direkt an die Felswand des Feuerberges, davor schliefen die Katzen, die Morgenleuchten jedes Mal mit unendlich viel Wärme im Herzen, die jede Kälte einer Blattleerenacht vertreiben konnte, anblickte. Es waren nicht nur die Katzen, mit denen sie zufällig in einem Bau schlief. Es war ihr Clan. Ihre Familie.
Da war Wildfeuer. Kohlenflackern. Die Heilerin Mitternachtsregen. Orkanfunke. Böenpfeil. Talschlummer, der Faulpelz. Meisenruf. Drosselmut. Bronzefuchs.
Und Pumaherz.
Pumaherz, bei dessen Namen Morgenleuchten ein warmer Schauer über den Rücken lief. Noch immer lag der zimtfarbene Kater mit gleichmäßigen Atemzügen und geschlossenen Augen in seinem Nest neben ihrem, den Schweif dort, wo Morgenleuchten eben noch gelegen hatte.
Sie riss sich aus ihren Gedanken; es war bestimmt unhöflich, Katzen beim Schlafen zuzuschauen. Die Kriegerin drehte sich um und schlüpfte aus dem Bau, der aus geflochtenen Zweigen und Ästen bestand. Eisiger Wind pfiff um ihre Schnauze, ließ ihre Schnurrhaare zittern und als die junge Kätzin ganz aus dem Bau herausgetappt war, plusterte sich ihr Fell gegen die Kälte auf, die ihr schon jetzt bis in die Knochen kroch. Oh, wie Morgenleuchten die Kälte hasste!
Der Blattfall neigte sich langsam, aber sicher dem Ende zu und obwohl die Sonne schon längst den Himmel hätte golden färben sollen, hatte er gerade die Farbe von düsterem Rauch, der sich am Horizont zu Wolkenwällen zusammengeballt hatte. Warum kann nicht wenigstens die Sonne pünktlich aufgehen? Mir friert das Hinterteil ab!
Im Bau war es warm wie in einer Kinderstube, weil er direkt am Hang des Feuerberges lag, und umso mehr spürte Morgleuchten jetzt die Kälte der düsteren Blattwechsel, die sich wie ein dunkler Nebel über den Clan gelegt hatte. In der Blattgrüne strahlte um diese Zeit schon lange das Leben in allen Farben.
Sie saß einige Herzschläge lang reglos in der Lagermitte und hatte den Kopf gen Himmel erhoben, an dem sich langsam die finsteren Rauchwälle auflösten und Strahlen der Hoffnung durchließen. Vor ihrer Schnauze bildeten sich ebenfalls kleine Dampfwolken, bevor sie sich in der Unendlichkeit der Luft verloren.
Leise sangen die Vögel auf den Wiesen und in den lichten Wäldern des FunkenClan-Territoriums, ein Schatten der Idylle, die dieser Ort in der Blattfrische war. Morgenleuchten schloss kurz die Augen und lauschte auf die Lieder, die Geschichten, die sie erzählten - bis das leise Zwitschern von ihrem eigenen, unerwartet lauten Magenknurren unterbrochen wurde.
Ja, sie war hungrig, aber jetzt, in den kälteren Zeiten, brauchte der Clan jedes Stück Beute, um die Königinnen und Ältesten zu versorgen. Und die Jungen. Die Jungen, die sich Morgenleuchten so sehr wünschte, dass sie jeden Tag, wenn sie Glücksstrahls Töchter im Lager spielen sah, einen Stich im Herzen spürte. Nicht, dass sie sich nicht für ihre Freundin freute, aber es war immer ihr größter Wunsch gewesen, Mutter zu werden und Pumabrands größter Wunsch, Vater zu werden.
Aber mittlerweile kam es ihr so vor, als wolle der SternenClan ihnen dieses Geschenk nicht gewähren.
Erneut ein Magenknurren. Und ihr schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, dass sie sich kurz vor der Blattleere vor den Ältesten und Königinnen ein Beutestück nahm.
Andererseits war sie wirklich hungrig und eine kleine Haselmaus würde der Königin Glücksstrahl wohl kaum fehlen, so fleißig, wie die Krieger ihres Clans jagten.
Das rötlich braune Tier, das ganz oben auf dem kleinen Frischbeutehaufen lag, schien sie förmlich aus den stumpfen, kohlschwarzen Augen anzustarren.
Ich jage einfach später eine Maus mehr, tröstete sie ihr Gewissen und schnappte sich kurzerpfote das Beutestück, von dem ein verführerischer Duft ausging.
Noch immer war die fressende Kätzin die einzige wache Katze im Lager, selbst aus der Kinderstube drang kein aufgeregtes oder müdes Maunzen. Am Horizont hob sich hinter dem dichten Wolkenschleier endlich die helle Silhouette der aufgehenden Sonne ab und der kalte Wind sang ein fast stummes Lied. Es war ein schöner Tag - wenn man von der Kälte absah. Morgenleuchten hasste Kälte.
»Morgenleuchten?«, durchschnitt eine sanfte Stimme die Stille. Lautlos wie immer hatte sich die junge Heilerin Mitternachtsregen genähert und blickte sie verständnisvoll an, ihr nachtschwarzes Fell glänzte leicht im Morgenlicht.
»Ja?«, fragte die Angesprochene verwundert. Etwas an dem Tonfall der Kätzin war seltsam, ein ungewöhnlicher Glanz schimmerte in ihren Augen, aber Morgenleuchten konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten.
»Es ist fast Blattleere«, erklärte die schöne schwarze Kätzin und trat etwas verlegen von einer Vorderpfote auf die andere. »Ich hoffe, ich trete dir nicht zu nahe, wenn ich sage, dass das ein denkbar schlechter Zeitpunkt ist...« Schnell fügte sie noch hinzu: »Nicht, dass ich mich nicht für dich freue, aber... was hast du dir dabei gedacht?«
Jetzt war Morgenleuchten vollkommen verwirrt - worauf wollte Mitternachtsregen hinaus? Hatte sie irgendetwas falsch gemacht?
»Ich glaube, ich kann dir nicht ganz folgen. Was meinst du damit? Wofür ist die Blattleere ein schlechter Zeitpunkt?«
Für eigentlich alles, beantwortete sie sich die Frage im Stillen selbst, aber sie glaubte nicht, dass die Heilerin das meinte, sonst hätte sie es schließlich nicht speziell angesprochen.
»Du... du weißt es also noch gar nicht?«
Jetzt war es an Mitternachtsregen, verwirrt zu sein, aber sofort wurde ihre Miene weicher und ihr tiefblauer Blick begann, noch mehr zu schimmern. Kurz holte sie tief Luft, dann sagte sie die Worte, die das Leben der Kätzin für immer verändern würden.
»Herzlichen Glückwunsch, Morgenleuchten. Du wirst Mutter.«
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