16. Kapitel

Silberherz lag ausgestreckt auf einem Felsen und ließ ihre ermüdeten Pfoten ausruhen. Den ganzen Tag war sie auf den Beinen und hatte entweder gejagt, oder frisches Nestpolster für die Ältesten und die Kinderstube gesammelt.

Jedoch waren ihre Gedanken die ganze Zeit bei Raven. So sehr Silberherz es auch versuchte, sie konnte den FinsterClan-Kater nicht vergessen. Sie vermisste ihn so sehr, dass sie am Liebsten in das FinsterClan-Territorium eindringen und sich dicht an ihn schmiegen würde.

Die Kriegerin seufzte traurig. Sie würde gerne mit ihren Geschwistern oder ihren Eltern offen über ihre Problem reden und ihr Herz ausschütten. Aber das konnte sie nicht. Silberherz konnte ihnen nicht erzählen, dass sie sich mit einem FinsterClan-Schüler getroffen hatte.

Es verstieß gegen das Gesetz der Krieger, sich mit einer Katze aus einem anderen Clan zu treffen. Silberherz wollte sich nicht vorstellen, wie Goldstern erst reagieren würde.

Wahrscheinlich würde sie einer harten Strafe zugeteilt werden, oder gar aus dem Clan verbannt werden. Sie schluckte unbehaglich. Silberherz' Blick fiel in die Ferne, zwischen die Bäume. Sie fragte sich, wie es Raven wohl ging. Wurde er bereits zum Krieger ernannt? Trauerte er immer noch über den Tod von Veilchenhauch? Dachte er auch an sie?

Silberherz schüttelte sich. Bestimmt nicht.
Oh, Raven. Ich wünschte, du könntest mir verzeihen. Der Brombeerwall der Kinderstube bebte und Flammensprung trottete mit hängendem Schwanz heraus. Langsam bewegte er sich auf den Kriegerbau zu und schob sich durch die dichten Farnwedel.

Seit Fuchsschweifs Sohn, Seelenjunges von einem Milan fortgetragen wurde, lag eine düstere Stimmung im Lager. Viele Katzen hatten den Blick wachsam auf den Himmel gerichtet, aus Angst, es könnte ein weiterer Raubvogel auftauchen.

Rubinjunges war es nur selten erlaubt die Kinderstube zu verlassen, was sie sichtlich ärgerte. Und Fuchsschweif befand sich größtenteils nur noch in der Kinderstube mit trübem, erschöpftem Gesicht. Flammensprung gab mit der Suche nicht auf und befahl jedesmal, bevor eine Patrouille loszog, dass sie nach Spuren von Seelenjunges Ausschau halten sollen.

Doch jede Katze im Clan wusste, dass es sinnlos war weiterzusuchen. Goldstern hatte ihn für Tod erklärt und der Clan hielt eine Totenwache. Silberherz sah hinauf in den Himmel, wo die ersten Sternen-Krieger hell leuchteten.

Ich hoffe du hast deinen Platz im SternenClan gefunden, Seelenjunges. Plötzlich raschelte das Brombeergebüsch und Silberherz spitzte die Ohren. Sprenkelfell betrat das Lager, gefolgt von Windbrise.

Goldstern, der sich gerade in der Nähe des Ältestenbaus mit Waldherz unterhielt, sprang auf die Pfoten und lief mit zuckendem Schwanz auf die Eindringlinge zu. "Was führt euch in das SonnenClan-Lager?", fragte er ruhig, doch in seinen Augen blitzte eine fast unbemerkte feindseligkeit auf.

Und das mit recht. Denn es war noch nicht lange her, dass der FinsterClan den SonnenClan überfallen hatte. Silberherz erhob sich mit gesträubtem Fell und näherte sich den Katzen.
Aber bevor Sprenkelfell etwas erwidern konnte, tauchte auf einmal hinter Windbrise ein rot gestreifter, kleiner Kater auf.

Silberherz' Herz stockte. "Seelenjunges!", rief sie überrascht und gleichzeitig erleichtert. Er lebt! Das kleine Junge tapste fröhlich auf die Lichtung und sah sich ungeduldig nach seiner Mutter um. Goldstern blinzelte perplex und wandte sich wieder an die FinsterClan-Krieger. "Wo habt ihr ihn gefunden?", fragte er, seine Stimme war leise vor Staunen.

Sprenkelfell erzählte, dass sie Seelenjunges auf ihrem Territorium gefunden hatten und ihn in ihr Lager gebracht hatten.
Dann wurde er von Schneeschweif behandelt und schließlich, als es ihm besser ging, begleiteten sie ihn zurück.

"Er hatte Glück, dass er in unserem Territorium gelandet ist", fügte Windbrise hinzu, als sein Clan-Gefährte den Bericht beendet hat. "Sonst hätte er wahrscheinlich nicht überlebt." Die letzte Worte sprach er etwas leiser aus.

Mittlerweile hatten sich einige Katzen um Seelenjunges gescharrt und schnupperten sorgvoll, aber auch glücklich an dem zurückkehrendem Kater. "Seelenjunges!" Fuchsschweifs Ruf hallte über die ganze Lichtung. Ihr Sohn spitzte die Ohren. "Mama!" Die Königin stand vor der Kinderstube und raste auf ihr Junges zu.

Sie leckte schnurrend sein Fell mit energischen Zungenstrichen, sodass er kaum gerade stehen konnte. "Mein Kleiner, ich dachte, ich hätte dich für immer verloren", flüsterte sie. Seelenjunges schmiegte sich an seine Mutter und rieb seinen Kopf gegen ihre Wange. Rubinjunges und Flammensprung tauchten mit großen, ungläubigen Augen auf.

Seine Schwester stürzte sich erfreut auf ihn. "Ich wusste, dass du zurückkommen wirst! Ich wusste es einfach!" Seelenjunges befreite sich schnurrend aus der Umklammerung seiner Schwester. "Der FinsterClan hat mich gerettet. Alle waren total nett zu mir! Sie haben sogar meine Wunden versorgt", erzählte er.

Flammensprung zuckte beunruhigt mit der Schwanzspitze. "Der FinsterClan?", wiederholte er fassungslos. Fuchsschweif blickte sich um und ihre Augen verharrten auf Windbrise und Sprenkelfell, die mit Goldstern redeten. Sie trottete auf sie zu und neigte tief den Kopf. "Ich danke euch, dass ihr mein Junges heil in den SonnenClan gebracht habt. Das werde ich nie vergessen."

Sprenkelfell nickte. "Das war doch selbstverständlich", entgegnete er. "Wir würden niemals wegsehen, wenn ein Junges in Not ist." Auch Goldstern erwiderte ein knappes Nicken der Dankbarkeit.

"Richtet eurem Anführer meinen Dank aus." Er hielt inne und blinzelte verwirrt. "Tut mir Leid, dass ich frage, aber da Kurai gestorben ist, würde es mich sehr interessieren, wer nun euren Clan anführt."

"Schattenkralle hat Kurais Platz übernommen", antwortete Windbrise. "Er macht sich hervorragend als Anführer." Silberherz sah, wie Fuchsschweifs Augen sich für einen Herzschlag weiteten. "Das nehme ich an", miaute Goldstern anerkennend.

Für den Moment herrschte eine friedliche Stimmung zwischen den beiden Clans und es sah so aus, als hätte sich die Feindschaft in Luft aufgelöst. Doch Sprenkelfell verkündete dann: "Es wird Zeit, dass wir wieder nach Hause gehen."

Der SonnenClan-Anführer erhob sich. "Nochmals vielen Dank." Der schwarz-weiße Krieger zuckte nur mit den Ohren und die FinsterClan-Katzen zogen sich zurück und verschwanden im Schatten.

Silberherz hätte gerne gefragt, wie es Raven ging, doch das wäre zu auffallend gewesen. Ihre Clan-Kameraden hätten sofort bemerkt, dass sie sich für den jungen Kater interessierte. Die Kriegerin blickte auf die vereinte Familie, die zur Kinderstube tappten.

Flammensprung lief dicht neben seiner Gefährtin Fuchsschweif, während Seelenjunges und Rubinjunges vor ihnen her hopsten. Ein wehmütiger Stich machte sich in ihrer Brust merkbar. Silberherz fragte sich, wie ihre Jungen wohl aussehen würden, wenn sie welche hätte.

Sie schloss die Augen und sah kleine, flauschige Fellbündel, die gierig an ihrem Bauch saugten. Neben ihr saß ein schwarz-weißer Kater, der ihr liebevoll zwischen den Ohren leckte und mit stolzen, blauen Augen seine Jungen betrachtete.

Schnell schüttelte Silberherz sich, um diese Bilder, die niemals eintreffen werden, aus ihrem Kopf zu verbannen. Das wird niemals geschehen, dachte sie traurig. Raven und ich können nicht zusammen sein.

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