12. Kapitel

Raven saß aufrecht in seinem Moosnest im Heilerbau und starrte auf die Hauptlichtung, wo Windbrise mit Felszahn ein Eichhörnchen teilte. Ein Knurren stieg in seiner Kehle auf und er wandte den Blick ab.

Er blickte zu Schneeschweif, die sich in ihrem Vorratsbau befand. "Wann wirst du mich endlich entlassen? Ich muss meinen Schülerpflichten nachgehen, außerdem ist mir langsam langweilig." Als die Heilerin nicht antwortete fügte der schwarz-weiße Kater hinzu: "Eigentlich wäre ich schon zum Krieger ernannt worden, wenn dieser dämliche Unfall nicht passiert wäre."

Die dunkelbraue Kätzin kroch aus dem Spalt heraus und schüttelte sich. "Wer ist denn dafür verantwortlich?", fragte sie und neigte leicht den Kopf. "Deine Verletzung ist noch frisch. Das braucht Zeit, bis es verheilt." Raven brummte nur.

Schneeschweif tappte an ihm vorbei. "Ich gehe jetzt Kräuter sammeln", teilte sie ihm mit und verließ den Heilerbau. Seufzend legte sich der Schüler in das Nest zurück und schloss die Augen, schlief jedoch nicht.

Plötzlich hörte er Pfotenschritte hinter sich und für einen Herzschlag lang glaubte Raven, es wäre Windbrise und wäre beinahe aufgesprungen und hätte ihn mit einem Fauchen verjagt. Doch als er realisierte, dass es Karminpelz war, entspannten sich seine Muskeln und er richtete sich auf.

Der Kater hatte ihn vom Donnerweg gerettet und ihn den ganzen Weg zurück ins Lager geschleppt. Wenn Karminpelz ihm nie gefolgt wäre, hätte Raven nicht nur ein Ohr verloren, sondern auch sein Leben. Er war dem Krieger sehr dankbar.

"Wie geht es dir?", fragte Karminpelz fürsorglich. "Wenn du das, wegen Windbrises Lüge meinst dann miserabel, ansonsten geht es mir ziemlich gut", antwortete Raven kühl. Der alte Kater seufzte leicht genervt. "Bist du etwa immer noch wütend auf ihn?"

Der Schüler peitschte mit dem Schwanz. "Natürlich bin ich wütend! Und das wird sich auch nicht mehr ändern. Er hat mein ganzes Leben zerstört", wehrte er sich. "Nun übertreib nicht. Windbrise hatte es schließlich auch nicht leicht. Er hat seine Gefährtin verloren, du bist der einzige von seiner Familie, der ihm geblieben ist", meinte Karminpelz scharf.

Raven schwieg und einen Moment lang hatte er ein wenig Mitleid für seinen Vater, doch er schüttelte dieses Gefühl schnell ab. "Verstehst du nicht?", zischte er. "Ich bin zur Hälfte eine Streunerkatze!" Jetzt begriff Raven auch, warum einige Katzen ihm, als Junges, diese missbilligen Blicke zugeworfen hatten. Der Krieger blinzelte gelassen. "Und? Was ist daran schlimm?", fragt er herausfordernd.

Bevor der Schüler antworten konnte sagte Karminpelz plötzlich: "Ich stamme auch von Streunern." Raven starrte ihn ungläubig an. "Ist das wahr? Wie kann das sein?", fragte er verwirrt. Der rote Kater wedelte abwehrend mit dem Schwanz. "Lange Geschichte", murmelte er.

"Erzähle es mir", verlange Raven neugierig. Nun da er wusste, dass er nicht der einzige war der Streuner-Blut in sich trug, wollte er wissen, wie Karminpelz damit klarkommen konnte. Der Ältere sah ihn überrascht an, doch miaute zögerlich: "Na gut."

Er setzte sich und legte den Schwanz um seine Pfoten. "Du musst wissen, dass ich nicht im FinsterClan aufgewachsen bin. Der SonnenClan hatte mich damals aufgenommen, als ich ein Junges war", erzählte er. Raven spitzte sein Ohr und hörte aufmerksam zu.

"Aber wieso lebst du dann im FinsterClan?" Karminpelz senkte den Blick. "Der SonnenClan hat mich verbannt", antwortete er bedrückt. "Verbannt?", wiederholte der Schüler leise. "Wieso das denn?"
"Ich...ich habe einige Fehler gemacht, die ich heute bereue."

"Was hast du getan?", wagte der junge Kater zu fragen. Der Krieger hielt inne und legte die Ohren an. Raven merkte, dass ihm dieses Thema unangenehm sein muss. "Darüber rede ich nicht gerne", gab er nervös zu und seine Augen wurden trüb.

Der schwarz-weiße Kater musste schlucken. Was könnte Karminpelz getan haben, dass der SonnenClan ihn verbannt hatte? Er hat schon eine Vermutung, die ihm kalt den Rücken hinab lief.

"Und als sie dich aus dem Clan vertrieben haben, hast du dich dann dem FinsterClan angeschlossen", vermutete Raven und wechselte somit die Thematik. Der rote Kater nickte bloß. "Aber hast du dich denn nie...ausgeschlossen von den anderen gefühlt, da du keine Clan-Katze bist?", wollte er wissen und sprach seine eigene Sorge aus.

Karminpelz schüttelt den Kopf. "Nein, ich habe schließlich fast mein gesamtes Leben dort verbracht", erklärte er. "Gibt es noch mehr Katzen, die aus ihrem Clan verbannt wurden?", wollte Raven wissen. Der Krieger sah ihn kurz erstaunt an, als hätte er diese Frage nicht erwartet.

"Ja, Schattenkralle lebte auch einst im SonnenClan." Erstaunt zuckte der Schüler mit den Schnurrhaaren. "Er sieht überhaupt nicht wie eine SonnenClan-Katze aus", bemerkte er verdutzt. Karminpelz schnaubte belustigt, doch seine Miene wurde schnell wieder ernster.

"Seltsam, dass Windbrise dir nie davon erzählt hat", meinte er. Raven war nicht wirklich überrascht. "Der erzählt mir doch gar nichts", knurrte er hasserfüllt. "Dann nehme ich an, dass er über seine Vergangenheit auch nichts gesagt hat", murmelte SonnenClan.

Sein Herz stockte. "Was meinst du?" Der Krieger schwieg kurz und verkündete: "Windbrise war ebenfalls eine SonnenClan-Katze." Der Boden schwankte unter Ravens Pfoten. "Was?", keuchte er und starrte ihn fassungslos an.

"Wurde er etwa auch verbannt?" Windbrise würde doch niemals gegen das Gesetz der Krieger verstoßen, oder doch? Aber Karminpelz erklärte hastig: "Nein, nein! Er ist aus freiem Willen gegangen." Seltsamerweise war Raven darüber erleichtert.

"Wieso würde Winbrise sich freiwillig dem FinsterClan anschließen?", fragte der Schüler mehr zu sich selbst. Karminpelz machte ein nachdenkliches Gesicht. "Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Er war damals ein Schüler. Irgendetwas hat ihn wütend gemacht und er floh aus dem Clan."

Raven blinzelte und musste schaudernd feststellen, dass dieses Szenario seinem ähnelte. Mit der Ausnahme, dass er nie den Clan verlassen würde. Er hatte mehr mit seinem Vater gemeinsam, als ihm lieb war. Zorn pulsierte in seinen Adern.

"Dann bedeutet das, dass überhaupt kein FinsterClan-Blut in mir fließt! Ich bin eine halb SonnenClan- und halb Streuner-Katze!", fauchte er und scharrte frustriert mit den Krallen in der Erde.

Er kniff die Augen zusammen. "Wieso hat er mir das alles nie erzählt?", wisperte er entrüstet. "Wieso werde ich nur belogen? Bin ich ihm denn gar nichts wert?" Raven spürte Karminpelz' Schwanzspitze an seiner Schulter.

"Natürlich bist du das", erwiderte er sanft. "Windbrise wusste, dass du die Wahrheit nicht ertragen wirst, deshalb hatte er gezögert es dir zu erzählen."
"Etwas zu lange", murmelte Raven trocken. "Es ist ihm doch egal, wie ich mich fühle." Seine Stimme bebte.

"Nein, das stimmt nicht!", miaute Karminpelz und peitschte mit dem Schwanz. "Er will immer das Beste für dich, du bist schließlich sein Sohn, und seine einzige Familie." Der schwarz-weiße Kater schwieg und starrte wie gebannt auf seine Pfoten.

Er merkte wie Karminpelz sich seufzend erhob. "Du musst ihm verzeihen. Wenn du das nicht tust, wird dein Schmerz dich nie loslassen." Ohne ein weiteres Wort glitt der Krieger aus dem Bau und ließ Raven allein. Verzeihen, dachte er. Ich werde Windbrise das niemals verzeihen!

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