»Morgenwinds Flucht«


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Mᴏʀɢᴇɴᴡɪɴᴅs Fʟᴜᴄʜᴛ
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❝Dᴀs Bʟᴜᴛ ᴅᴇʀ Cʟᴀɴs ᴅᴀʀf sɪᴄʜ ᴜɴᴛᴇʀ ᴋᴇɪɴᴇɴ Uᴍsᴛᴀ̈ɴᴅᴇɴ ᴍɪsᴄʜᴇɴ.
Kᴀᴛᴢᴇɴ ᴜɴʀᴇɪɴᴇɴ Bʟᴜᴛᴇs ᴡᴇʀᴅᴇɴ ʜɪɴɢᴇʀɪᴄʜᴛᴇᴛ, ɪʜʀᴇ Eʟᴛᴇʀɴ ᴍɪᴛ Uɴfʀᴜᴄʜᴛʙᴀʀᴋᴇɪᴛ ᴠᴇʀfʟᴜᴄʜᴛ.❞

Falkenblut,
Erste Anführerin der Neuen Zeit,
Das erste Gesetz des Blutes.

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Unter dem Sternenzelt, auf einem Hügel inmitten der endlosen Steppe, saß eine Kätzin, der Bauch leicht angeschwollen, inmitten einiger blattloser Sträucher, die wie Gebeine aus dem Savannenboden ragten.
Am Himmel funkelte das, was vor zahllosen Zeitenwechseln als Silvervlies bekannt gewesen war.
Es wehte nur eine sanfte Brise, doch in der Kätzin tobte ein Sturm. Ein umbarmherziger Orkan, der alles mit sich riss.

Es gab nichts, was sie sich mehr wünschte, als einfach die Zeit zurückzudrehen. Wieder dieses kleine, unbeschwerte Junge zu sein, wieder den vertrauten Ruf ihrer Mutter zu hören, wenn die Sonne unterging und der Frost anfing, unter den Pfoten zu knistern.
»Morgenjunges, Abendjunges, Nachtjunges! Kommt schnell rein, bevor ihr noch erfriert«, hatte sie immer liebevoll geschnurrt, als sie ihre drei Jungen in die Kinderstube des BrandClans gelotst hatte.
Damals, als alles noch so einfach gewesen war. Als reines Blut sie nur interessiert hatte, weil es in ihrer Beute gut geschmeckt hatte.
Damals, als sie noch glücklich gewesen war.
Sie, Morgenwind.

Doch nun stand sie hier, eine erwachsene Kätzin, verloren zwischen den Zeiten - und den Clans. Das schlechte Gewissen verschlang sie schier von innen, doch sie konnte nicht zurücksehen. Sie durfte nicht zurücksehen.
Doch ein letztes Mal würde sie sich noch umdrehen müssen - um sich zu verabschieden. Ein letztes Mal würde sie das Lager dieses Clans sehen, in dem sie aufgewachsen war. In dem sie ihr ganzes Leben verbracht hatte.

Die Kätzin mit den goldenen Augen drehte den Blick ein letztes Mal dem Himmel zu. Ein letztes Mal sah sie diese zahllosen Sterne, ein Meer aus Diamanten am samtenen Schwarz der Nacht.
Wie viele Katzen mussten wohl schon tot sein, um den Himmel zu füllen? Wie viel Blut musste vergossen worden sein?
Den Clans wäre die Menge egal, solange es reines Blut ist.

Verbittert drehte Morgenwind sich weg von den fahlen Sternen, die so unerreichbar schienen.
Ihre kleinen Pfoten fanden den Pfad, der zu ihrem Lager führte, traten in die Pfotenstapfen all jener Krieger vor ihr - bis schließlich der Wall aus toten Büschen wie Gerippe aus dem Boden vor ihr aufragte. Er wirkte bedrohlich und doch schrecklich vertraut.

Sie musste nicht warten, erst recht nicht ins Lager hereinlaufen, denn der kräftige braun gestromte Kater, der Wache gehalten hatte, sprang sofort auf und blickte sie besorgt aus seinen tiefblauen Augen an. Er hatte auf sie gewartet - der Gestromte wusste alles. Alles, was ihr widerfahren war. Er wusste von allen fatalen Fehlern, die sie gemacht hatte, und er wusste tief in seinem Inneren, dass seine Worte nichts ausrichten konnten.

»Tu es nicht...«, flehte er, Verzweiflung stand in seinem Blick. »Ich brauche dich hier doch!« Seine Krallen bearbeiteten den Boden, wie sie es schon getan hatten, als die beiden als Jungen im staubigen Sand gespielt hatten.
Damals.

Aber sie schüttelte nur den schmalen Wildkatzenkopf, eine Bewegung, die ihr nicht nur seelisch Schmerzen bereitete.
»Sie wird Steppenblut von meinem Verrat erzählen und du weißt doch, was mit Jungen unreinen Blutes geschieht.«
Ihre zierliche Vorderpfote scharrte etwas Staub auf, der von der sanften Brise mit dem Mondlicht davongetragen wurde. Eine silbern funkelnde Wolke aus Sternenstaub, die sich in der Endlosigkeit der Steppe verlor. Es war, als läge ein schwerer Felsen auf Morgenwinds Herz.

Die Kätzin wollte sich schon umdrehen, unwiderruflich, da rief ihr der Krieger leise ein letztes Flehen hinterher.
»Bitte, Schwester! Noch... noch ist nichts vorbei. Noch kannst du alles ändern...«
Seine Stimme brach, ebenso wie sein mitternachtsblauer Blick. »Ich tue alles, was du willst, aber bitte komm wenigstens zurück. Noch liegt es in deinen Pfoten! Du bist keine Verräterin, das ist alles nur ein großes Missverständnis...«
Der bettelnde Blick ließ sie sich noch einmal zurückdrehen, das Flehen in seiner verzweifelten Stimme.
Wenn du wüsstest, wie leid es mir tut! Wenn ich es könnte, würde ich doch bleiben, würde weiter mein glückliches Leben leben.

Doch sie konnte nicht.
Und sie sagte ihm nicht, wie schrecklich es für sie war, denn sie war sich sicher, dass der Blauäugige es genau wusste. Und selbst wenn - war ihr Leben überhaupt glücklich gewesen?
Es war egal. Denn diese Zeit war vorbei, und die Vergangenheit kam nicht mehr zurück.
»Es ist zu spät. Und die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, Abendruf.
Das Einzige, was wir tun können, ist, uns ihrem Lauf zu beugen. Wir alle sind nichts als Kiesel im endlosen Fluss der Zeit.«
Ihre Stimme klang schwer und betrübt, doch sie verriet längst nicht den Sturm, der in ihrem Herzen tobte. Die Trauer riss tiefe Löcher in ihr Herz, die Angst vor allem, was kommen würde.

Mit hängenden Schweif nickte Abendruf traurig.
»Dann... lebe wohl. Ich werde nie vergessen, was wir erlebt haben.
Und ich werde dir immer dankbar sein.«
Mit gebrochenen Augen senkte er den Kopf und drehte sich weg, trottete mit schlaffen Schritten zurück, vorbei am Gerippe von einem knorrigen Busch, dessen Blätter schon längst der Dürre zum Opfer gefallen waren.

Doch als sie die Trauer des gestromten Katers sah, schien ihr Herz in tausend Splitter zu zerbrechen. Das ganze Leben der trächtigen Kätzin schien erneut an ihr vorbeizuziehen, in kaum mehr als einem Herzschlag.

Ihre Jungenzeit, so friedlich und glücklich, mit ihrer weisen Mutter und dem Vater, der immer Witze gerissen hatte. Ihre Schülerzeit, die erste Liebe, Verzweiflung, Freude, Trauer - dann die letzten Monde. Verrat. Verfolgung. Zweifel, die sich wie Bremsenstiche tief in ihren Bauch bohrten.
Erst die betrübten Worte ihres Bruders rissen sie aus ihren Gedanken.

»Du wirst mir fehlen«, wisperte Abendruf mit erstickter Stimme. Er hatte es nicht über sich gebracht, zu gehen. Doch Morgenwinds Bruder liebte sie, so sehr, dass er sie nun losließ, weil er wusste, dass die Kätzin nur versuchte, das zu retten, das ihr am meisten bedeutete.

So gern hätte sie ihrem Bruder gesagt, was sie in diesem Moment fühlte, doch es war ein zu überwältigender Sturm aus Gefühlen, um ihn wirklich in Worte zu fassen. Ein Orkan aus Hoffnung, Liebe, Furcht und unendlichen Schuldgefühlen.

Also war das einzige, das letzte und das entgültigste Wort an die Katze, der sie alles verdankte, kein tiefgründiges oder wirklich gut gewähltes, etwas, das man jeden Tag sagt. Und doch bedeutete es alles in diesem Moment -
sagte alles, was tausend andere Worte nicht gekonnt hätten.
»Danke.«

Und mit diesem letzten Wort drehte sie sich um und blickte nicht mehr zurück, rannte immer und immer schneller, floh vor ihrer Vergangenheit. Rannte, obwohl ein Junges von innen gegen ihren Bauch trat, obwohl alles in ihr schrie: Kehre um!
Ihre Pfoten wühlten Sand auf, Wolken stoben in den Sternenhimmel. Was würde ihre Mutter wohl dazu sagen, wenn sie wüsste, was ihre Tochter hier tat? Dass sie Jungen unreinen Blutes in ihrem Bauch trug? Und, dass sie aus dem BrandClan floh?

Sie erinnerte sich an ihre Mutter, die klügste, humorvollste und freundlichste Katze aller Clans. Die weise Königin hätte ihre Tochter verstanden. Sie hätte eingesehen, dass die Goldäugige keine Wahl hatte, dass es zu spät war, um noch etwas zu verändern. Ihre Mutter hatte immer gewusst, dass Liebe nicht an Grenzen Halt machte.
Vielleicht hätte sie ihr Junges geneckt. »Von euch war doch Nachtpfote die Rebellin, wenn ich mich richtig erinnere«, oder »und, hast du auf mich gehört? Ich habe dir immer gesagt, wenn der Kater als erstes auf deinen Bauch schaut, nimm ihn nicht.«

Ja, das hätte ihre Mutter gesagt - wenn sie nicht den Mut gehabt hätte, sich gegen das Gesetz zu äußern.
Die Kätzin mit den goldenen Augen erinnerte sich noch genau an die letzten Worte der Katze, die sie aufgezogen hatte.
»Heute Nacht wurde Blut vergossen. Was spielt es für eine Rolle, ob es rein ist?«

Ihre letzten Worte, bevor Steppenblut ihr die Kehle aufgerissen hatte. Die letzten Worte, bevor ihr eigenes Herz zersplitterte. Zum ersten Mal. Und sie, damals noch die naive Schülerin Morgenpfote, hatte auch noch geglaubt, nie wieder einen solchen Schmerz zu spüren. Doch der Clan des reinen Blutes, die Geister der verstorbenen Anführer, hatte entschieden, sie fallen zu lassen, tiefer und tiefer. Hatten sie dazu gebracht, ihr eigenes heiliges Gesetz zu brechen.

Oh, diese bis zum Himmel verfluchten Gesetze! Sie hatten ihr alles genommen, was ihr jemals etwas bedeutet hatte. Alles, wofür es sich zu kämpfen lohnte - außer ihre Jungen. Die würde das Gesetz ihr nicht nehmen, egal, was auf sie zukam.
Verzweiflung quoll in ihr hoch wie eine Flut und wollte in einem animalischen Heulen nach draußen.
Kurz hielt sie also an, schrie in Richtung des Himmels.

»Ist das euer Wille, ihr Sterne? Wolltet ihr, dass ich alles verliere?
Wolltet ihr, dass ich mich in einen Einzelläufer verliebe?
Wolltet ihr, dass sie mich verrät?
Ihr seid nicht besser als der Clan des reinen Blutes!«

All ihr Schmerz, all ihre Verzweiflung hallte in ihren Rufen nach. Nun, besonders nach dem letzten Satz, würde ihr Anführer Steppenblut sie erst recht töten wollen, sie und ihre Jungen. »Blutsschänderin!«, hörte Morgenwind ihn schon in Gedanken schreien. Das war immer das letzte Wort aus Steppenbluts Kehle, bevor er einen Gesetzesbrecher tötete.

Und es stimmte schließlich; sie hatte das Gesetz gebrochen - für diese wunderschönen grünblauen Augen mit dem schelmischen Funkeln. Für die Geborgenheit, die sie an der Seite ihres ehemaligen Gefährten gespürt hatte.
Doch das war lange schon vorbei.
Die Vergangenheit kam nicht zurück.

Und ihr Gesetzesbruch würde nicht ungestraft bleiben.
Am nächsten Morgen würde sie Steppenblut alles erzählen. Würde ihre ehemalige beste Freundin verraten, und das nur zu ihrem eigenen Vorteil.
Steppenblut würde ihr glauben, nach dem Nest der Kriegerin mit den goldenen Augen suchen und es leer vorfinden, kalt wie ein Leichnam.
Denn Morgenwind war fort.
Er würde schreien und Rache schwören, würde die Blutsschänderin verfolgen und Abendruf würde dasitzen, niedergeschlagen, ohne ein Wort. Vielleicht tat er das auch schon...

Doch sie lief durch die Steppe, immer weiter, bis ihre Lungen brannten und ihre Pfoten blutig waren, und sie spürte weder Schmerz noch Erschöpfung, rannte stundenlang, immer weiter vor der aufgehenden Sonne weg. Es war ihr egal. Eine seltsame Taubheit, ein Schleier über ihren Gedanken und Gefühlen verhinderte klare Gedanken, nur hier und da drang ein Fetzen ihres Geistes wirklich zu ihr durch.
Verraten.
Es ist zu spät.
Der einzige Weg.
Die Jungen.
Ich muss fliehen.

Goldrote Sonnenstrahlen färbten den Sand flammenfarben, ein Meer aus züngelndem Feuer im Dämmerlicht. Die Sonne erhob sich als glühender Flammenball vom Horizont, dem die Kätzin den Rücken zugekehrt hatte. Sie rannte einfach weiter, so lange, bis die Luft klirrend kalt wurde, bis dürres Steppengras zu feuchten Wiesen, dann zu gefrorenem Moos wurde. Wie in einer anderen Welt bedeckte allmählich ein silberner Schleier aus Frost den Boden.

Bald schon würde die Kätzin den Grenzfluss überqueren und mit dem neuen Morgen würde ein neuer Abschnitt ihres Lebens beginnen. Wie passend, dachte sie. Morgenwind.

Als die Kätzin jung gewesen war, da hatte sie immer gehofft, etwas zu verändern. Zu rebellieren gegen die Gesetze, die Liebe verboten und Katzen auf ihre Herkunft reduzierten. Doch sie war nie eine mutige Kätzin gewesen, geschweige denn eine Rebellin. Nein, sie war die Stille, die Tiefgründige, die viel sah und wenig sagte.
Morgenwind rief sich das erste Gesetz ins Gedächtnis, das, das sie am meisten an diesen drei Clans verabscheute.
Das Blut der Clans darf sich unter keinen Umständen mischen. Katzen unreinen Blutes werden hingerichtet, ihre Eltern mit Unfruchtbarkeit verflucht.

So war es seit ewigen Zeiten.
Und Morgenwind wusste, ihre eigene Zeit, etwas zu verändern, war vorbei.
Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Das einzige, was wir tun können, ist, uns ihrem Lauf zu beugen.
Ihre eigenen Worte, so schmerzhaft und doch so wahr. Sie begann schon, all das zu bereuen, ihre Flucht, ihre Schreie und ihren Abschied.

Aber es ist zu spät.
Ja, für sie war es das.
Doch nicht für die winzigen, pochenden Herzen, die sie in sich trug.
Und so lief Morgenwind, floh vor ihrem alten Leben in einen neuen Clan, in ein neues Leben.
Und sie klammerte sich an eine letzte Hoffnung, an einen letzten Sinn in ihrem leeren Leben:
Dass die Herzen in ihr die von wahren Kriegern waren, von Rebellen, von Katzen, die ihre Zeit, etwas zu verändern, nicht vorbeiziehen ließen.


Brandpfote,
Schülerin des FederClans,
2035 Wörter über
Morgendwinds Flucht.

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