69. Kapitel
»Heute Nacht ist etwas geschehen, das schrecklicher ist als jeder Krieg vorher. Selbst der Frostkrieg hat nicht so viele Opfer gefordert und ein solches Blutbad darf und wird sich niemals wiederholen. Unter keinen Umständen.
Ich danke jeder Katze, die geholfen hat, diesen Kampf zu beenden, jedem Heiler, der Wunden geschlossen hat und jedem Krieger, der in dieser schrecklichen Nacht sein Leben gab.«
Federsterns Worte drangen bis tief in Funkenpfotes Bewusstsein. Er sprach entschlossen und doch ruhig und blickte fast die ganze Zeit irgendjemanden aus den stark geschrumpften Reihen des SturmClans an. Die Augen des alten Katers funkelten wie Smaragde im Licht der aufgehenden Sonne, die ihre Strahlen wie Geschosse aus Licht über die Lichtung schickten - noch immer ein Bild des Grauens.
Wir alle haben jemanden verloren und ich möchte diejenigen ehren, die für das Gute gekämpft haben. Die, die gefallen sind. Und ich weiß, dass ihr noch Feinde seid. Keine der Seiten ist gut oder böse, sie stehen lediglich für verschiedene Ansichten.
Wir werden eine Lösung finden, wie fünf Clans in diesen Territorien leben können.
Doch erst einmal möchte ich etwas tun, das schon längst hätte passieren sollen.
Funkenpfote, Wolkenpfote und Glutpfote aus dem FlammenClan, Kleepfote vom NebelClan, Echopfote vom Moor und Strompfote und Muschelpfote aus dem LichtClan.« Nach kurzem Zögern fügte er noch ein »und Schlangenpfote vom EisClan« hinzu.
Sie war mehr als überrascht, ihren Namen zu hören, und spürte, wie ein Bienenschwarm der Aufregung durch ihren Körper pulsierte.
»Wir haben uns beraten und sind zu dem Schluss gekommen, dass ich die Zeremonie leiten werde. Ich kenne die Worte, die ich sagen werde, und sie sind wahr. Jede und jeder einzelne von euch jungen Katzen hat heute Nacht wie ein SternenClan-Krieger gekämpft. Ihr alle seid bereit, eure Pfoten auf den Pfad eines Kriegers oder Heilers zu setzen. Euch allen steht Großes bevor, wenn ihr nur daran glaubt. Es gibt Schöneres, als unter solchen Umständen den Kriegernamen zu erhalten, doch ihr habt es euch mehr verdient als mit irgendeiner Prüfung. Tretet vor, junge Krieger!«
Funkenpfotes Pfoten zitterten wie bebende Erde, als sie langsam eine Pfote vor die andere setzte. Wolkenpfote neben ihr hinkte, doch auch seine Augen strahlten scharf wie die eines Raubvogels. Die stille Glutpfote trottete neben ihr her, sie wirkte eingeschüchtert, und einige andere Jungkatzen traten neben sie. Eine hellbraune Kätzin mit kleinen Pfoten sah zu alt aus, um noch Schülerin zu sein.
Ihr Herz donnerte in ihrer Brust, als sie Echopfote sah. Er wich ihrem Blick aus, indem er ihn stur nach oben zu Federstern richtete.
Ein kleiner silberner Kater aus dem LichtClan erhob die Stimme.
»Ich möchte nicht von einem fremden Anführer zum Krieger ernannt werden. Schon gar nicht ohne eine Prüfung!«
»Diese Nacht war Prüfung genug und ich spreche hier für alle Anführer«, antwortete der graue NebelClan-Kater. Als alle Schüler vorgetreten waren, fuhr er fort.
»Ich, Federstern, Anführer des NebelClans und Vertreter aller Anführer, bitte unsere Kriegerahnen-«
Bei diesem Wort stockte er kurz, schien um Fassung zu ringen und auch in den Reihen der überlebenden Krieger erhob sich Klagegeschrei, das bald wieder verstummte.
»... auf all diese Schüler herabzublicken. Sie haben hart gearbeitet, um die edlen Gesetze zu erlernen, und ich empfehle sie euch als Krieger.
Kleepfote. Versprichst du, das Gesetz der Sterne zu ehren, deinen Clan zu schützen und ihn zu verteidigen, selbst wenn es dein Leben kostet?«
Im Gesicht der Kätzin, etwas älter als Funkenpfote selbst, schienen Verzweiflung und Freude eine Schlacht auszutragen.
»Ich verspreche es«, wisperte die hellbraun getigerte Schülerin dann voller Ehrfurcht und mit leuchtenden grünen Augen.
»Dann gebe ich dir mit de Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Kleepfote, von nun an soll man dich als Kleeblüte kennen. Die Clans ehren deine Hilfsbereitschaft und deine Ausdauer und wir heißen dich als vollwertige Kriegerin willkommen!«
Alle Anführer - sofern sie noch lebten, sonst wurden sie von ihren Stellvertretern ersetzt - legten nacheinander die Schnauze auf die Stirn der neu ernannten Kriegerin.
Federstern wandte sich nun den LichtClan-Schülerin zu, nannte sie Muschelsonne und Stromflut und ehrte ihren Optimismus, Geschick, Tapferkeit und Kampffähigkeiten, auch Schlangenwispern erhielt mit stolz geschwellter Brust seinen Namen.
Dann drehte sich der Anführer Echopfote zu und etwas wie ein dicker Kloß schnürte Funkenpfote die Luft ab. Dieser Verräter... aber andererseits - er war im Wald nie glücklich gewesen und nun schien er selbstsicherer, nicht so ängstlich wie im Wald, in dem er sich vor jeder Maus erschrocken hatte.
»Ich verspreche es«, ließ der silberne Kater klar und deutlich vernehmen und erhielt von Federstern den Namen Echowirbel. Gelobt wurde seine Jagdfertigkeit und sein Mut, was Funkenpfote wenig überraschte.
»Glückwunsch«, miaute sie und zwang sich zu einem Schurren, dass ihrem ehemaligen besten Freund galt. Ein seltsamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht, den sie nicht recht deuten konnte.
Als sich der graue NebelClan-Anführer den FlammenClan-Schülern zuwandte, donnerte ihr Herz in ihrer Brust, die schier zu zerspringen drohte. Ihre Pfoten kribbelten vor Aufregung, als Federstern von ihnen verlangte, das Treuegelübde abzulegen.
»Ich verspreche es«, sagte sie stolz - und lauter, als sie beabsichtigt hatte. Wolkenpfote tat es ihr aus tiefstem Herzen nach und Glutpfote nickte nur sanft, aber entschlossen.
»Dann gebe ich euch nun mit de Kraft des SternenClans eure Kriegernamen. Funkenpfote, von jetzt an wird man dich Funkenlicht nennen, für deinen unerschütterlichen Willen und deine schnellen Pfoten. Die Clans ehren diese Eigenschaften und wir heißen dich als Kriegerin willkommen.«
Funkenlicht. Ungewohnt, diesen Namen zu benutzen. Doch sie mochte ihn und der Stolz kribbelte in ihrer Brust.
Ich bin Kriegerin. Ich bin Kriegerin!
Die konnte es kaum glauben - die Ereignisse der letzten Nacht hatten Realität und Traum miteinander verschwimmen lassen. War das vielleicht nur ein Traum. Nein, sonst würde sie nicht den pochenden Schmerz ihrer Wunden spüren.
»Falkenfrost? Siehst du das? Ich bin Kriegerin! Und ich lebe noch.«
Wie zur Bestätigung ertönte - endlich, nach dieser schrecklich langen Nacht - aus dem Himmel ein markerschütternder Schrei. Die herrlich vertraute Silhouette mit den schlanken Flügeln hob sich von den goldenen Wolken des Morgens ab.
Sie hat versprochen, immer bei mir zu sein. Und das war sie, selbst, als sie Sterne fielen.
Mit einer neuen Freude im Herzen hörte sie, wie Wolkenpfote - für seinen Mut und seine Kraft - Wolkenherz wurde. Der frisch ernannte Krieger strahlte wie die Sonne selbst.
Als auch Glutflimmern ihren Kriegernamen erhielt, begannen die Clans, zu jubeln. Es war kein lauter Jubel, aber fast jede Katze, die noch einen Ton herausbringen konnte, feierte das einzig Gute an diesem Tag.
»Kleeblüte! Muschelsonne! Stromflut! Schlangenwispern! Echowirbel! Funkenlicht! Wolkenherz! Glutflimmern!«, erklangen die Schreie der Überlebenden. Die Rufe klangen bis hoch hinauf in den strahlenden Morgenhimmel, wie als würde der Himmel selbst den Clans eine glänzende Zukunft vorhersehen.
Doch einige schwiegen. Es erschien ihnen nicht richtig, zu jubeln, wo sie doch gerade so viel verloren hatten.
Die Anführer aller Clans - auch Farnnebel und der ehemalige Stellvertreter Windsterns - sprangen vom Felsen, einige noch recht zittrig, und legten den neu ernannten Kriegern die Schnauzen auf die Köpfe. Funkenlichts Herz machte kleine Sprünge mit jeder Nase, die sie an ihrer Stirn spürte. Bei Eissterns Berührung verkrampften sie sich beide, doch keine Zähne gruben sich in ihr Genick.
»Genug gefeiert«, erhob Farnnebel die Stimme.
»Wir werden besprechen, wie wir die Territorien verteilen und ihr könnt nun die Toten betrauern. Ehrt die edlen Krieger, die in dieser Schlacht gefallen sind.«
Proteste wallten auf im Meer aus Pelzen. Ein SturmClan-Krieger mit braun getigertem Fell erhob die Stimme, sie klang kratzig und erschöpft, aber vor Wut brodelnd.
»Nachdem diese Streuner die Hälfte unserer Krieger niedergemetzelt haben, wollt ihr sie aufnehmen als wäre nichts gewesen? Vergesst es!«
Einige Katzen stimmten ihm zu, auch der neue Krieger Stromflut.
»Wir werden euch hinterher unsere Vorschläge mitteilen und abstimmen lassen«, sagte Federstern ruhig und die Anführer verschwanden hinter dem Felsen.
Sobald sie außer Sicht waren, verschwand Funkenlichts Hochgefühl, die unbändige Freude verschwand wie der Morgennebel nun. Jetzt erst schienen die meisten Krieger wahrzunehmen, wen sie alles verloren hatten. Freunde, Verwandte, Gefährten, Eltern, Kinder. Edle Krieger waren gefallen.
Sie selbst war zunächst unendlich erleichtert, kaum einen bekannten Pelz zu sehen, da schluckte sie betroffen, als sie die beiden Geschwister Schneesturm und Feuerschatten nebeneinander liegen sah. Friedlich, als würden sie schlafen. Auch der sture Mondschatten war unter den Gefallenen, was sie betrübt feststellte. Seine Gefährtin Lichtfunke, die vor Kurzem Junge geworfen hatte, welche sich unter ihrem Bauch zusammenkauerten, saß neben seinem Leichnam und stieß einen grässlichen Klagelaut aus.
Als sie mit traurig hängendem Schweif weiter nach bekannten Katzen suchte, sah sie immer mehr Elend. Wildherz' schildpattfarbenes Fell sträubte sich entsetzt, als sie einen dunkelgrauen Kater daliegen sah. Die SturmClan-Kriegerin stürmte zu ihm, schrie auf und vergrub die Schnauze im Fell des schlaffen Katers. Eine Gruppe NebelClan-Katzen standen trauernd um eine tote Königin herum, die Zitzen trieften vor Milch, das nie ein Junges würde trinken können.
Dann setzte ihr Herz für einen Schlag aus. Zwei. Drei Schläge.
Blassgoldenes Fell voller Blutflecken blitzte zwischen einem grauen und einem weißen Leichnam hervor.
Sofort stürmte sie los, jeder Herzschlag schien sich über zahllose Monde zu erstrecken. Unerträglich langsam kam die Goldene näher. Näher. Näher.
Als sie die trüben, hellblauen Augen sah, die in den Himmel gerichtet waren, drang ein schrecklicher, animalischer Schrei aus ihrer Kehle. Es war ein Schrei der reinen Verzweiflung, als sie schlitternd neben dem schlaffen Körper von Sonne zum Stehen kam.
Tatsächlich. Dort lag ihre mondelange Reisegefährtin, ihre Freundin und irgendwie auch dritte Mutter. Mit glasigem himmelfarbenem Blick und einer scheußlichen Wunde am Hals. Ihr Kopf war seltsam verdreht, und Funkenlicht schob ihn vorsichtig so, dass es wirkte, als würde sie schlafen.
Beim Anblick der toten Stammeskatze splitterte ihr Herz in tausende Teile.
Nein. Nein, das kann nicht sein! Nicht Sonne, nicht die zähe, freundliche, mürrische Sonne, die immer da gewesen war! Nicht sie! Jede andere Katze, nur nicht sie...
Die rote Kätzin vergrub das Gesicht in Sonnes Fell, atmete ein letztes Mal ihren warmen, vertrauten Duft ein.
»Warum... warum hast du mich verlassen? Ich brauche dich doch!«, winselte sie in das goldene Fell hinein.
Sie fühlte sich, zum ersten Mal, seit sie im FlammenClan war, wirklich einsam. Das schrecklichste Gefühl, das sie kannte.
In ihrem Gedächtnis quollen Bilder hoch. Bilder von ihrer gemeinsamen Reise durch die Wüste. Von den Felsen aus Feuer - und von ihren eigenen Worten an Sonne.
»Sie werden in dir weiterleben, solange du die Erinnerung an sie lebendig hältst.«
Und irgendwie tröstete dieser Gedanke sie. Die Trauer vernebelte ihre Sinne, doch Funkenlicht hob langsam den Kopf. Vor dem Horizont zeichnete sich eine verschwommene Silhouette ab, die sie zu kennen glaubte. Langes Fell, klein, zierlich...
Sie traute ihren Augen nicht. Die rote Kätzin erhob sich zittrig und machte mit donnernden Herzen einen Schritt auf die Katze zu. Die Augen ihres Gegenübers wirkten wie ein Sternenhimmel. Das Silbervlies, bevor die flimmernden Lichter gefallen waren. Strudel aus Violett, Blau, Schwarz mit zahllosen Sternen. Rotbraunes Fell wogte um die unnatürlichen Augen herum.
Funkenlicht erinnerte sich an die Wärme, als sie gemeinsam mit der Katze in einem Nest geschlafen hatte. An ihre Trauer, als sie verlassen wurde.
Die schöne Kätzin vor ihr hatte praktisch nichts mehr mit dem flauschigen Jungen gemeinsam, das sie einmal gewesen war.
Doch die Augen kannte sie.
»Flammenmond?«
Die Wildkatze nickte.
»Funke.«
Die FlammenClan-Kätzin stürzte auf ihre Ziehschwester zu, warf sie beinahe um vor Freude und vergrub das Gesicht im flauschigen Halsfell von Flammenmond. Diese tat es ihr gleich und glücklich schmiegten sich die Schwestern aneinander.
»Du hast mir gefehlt«, wisperte die Katze mit den silbervliesfarbenen Augen.
»Und du mir erst! Wie bist du hier hergekommen?«
»Lange Geschichte. Zu lang.«
Einen Moment lang verharrten die Kätzinnen im Licht der aufgehenden Sonne, die ihre Feuerstrahlen in den roten Pelzen spielen ließ.
Funkenlicht wollte die Zeit anhalten. Einfach genießen, dass sie nicht einsam war.
Wolkenherz legte ihr tröstend den Schweif auf die Schulter und der Falke rief. Es war kein erschrockener Schrei, sondern ein hoffnungsvoller.
Der Krieg war vorbei. Sie und die Auserwählten hatten dem Wald den Frieden gebracht.
Und sie hoffte einfach, dass dieses Mal alles gut werden würde. Einfach dieses eine Mal.
Dass der Frieden bleiben würde.
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