67. Kapitel

»Wie oft müssen wir dich noch töten, bis du endlich kapierst, dass du noch schwächer bist als der SternenClan?«, fauchte Wildherz mit kochender Wut in ihrem Herzen. Noch immer brummte ihr Schädel und sie keuchte vor Erschöpfung, doch dieser Hass überwog selbst das lähmende Gefühl nach dem Kampf mit Eis.

Es war kein Kampf mit Krallen gewesen, doch er hatte mehr Kraft gekostet als jede Schlacht und dennoch hatte sie verloren, war eingesperrt worden in der Tiefe seines kalten Herzens, das verkrüppelt und hart schien wie ein Kiesel.

Obwohl sie nun wusste, wie er wirklich hieß, widerstrebte es ihr, ihren zweiten Mentor Eisklang zu nennen. Eisklang, der Verräter. Hatte sie es nicht von Anfang an gewusst? Hatte sie sich nur wichtig fühlen wollen? Oh, ich war so ein naives Ding.
Doch für solche Gedanken war keine Zeit, das wusste Wildherz spätestens, als die grau-weiße Kätzin die Krallen ausfuhr.

»Versuch doch, mich zu besiegen, wenn du so viel stärker bist als ich«, höhnte Eisstern mit einem Funkeln in ihren dunkelblauen Augen, die wie zwei kleine Saphire blitzten.

Ohne zu antworten stürzte sie sich hasserfüllt auf die Anführerin, blitzartig und mit ausgefahrenen Krallen auf ihre Kehle zielend. Jeder normale Krieger wäre völlig überrumpelt von der pfeilschnellen Attacke, doch Eisstern riss den Kopf herunter und so fetzten Wildherz' Klauen nur an ihrem Genick ein Fellbüschel weg.

Im nächsten Moment wälzten sich die Kätzinnen auf dem Boden, ein sich windendes Bündel aus Fleisch, Krallen, Blut. Flammender Hass verschlang jeden Skrupel in den Feindinnen.
Beide waren sie erschöpft; lähmende Müdigkeit lastete schwer auf den Knochen der Schildpattfarbenen, doch Eisstern schien sich noch nicht von ihrem Tod erholt zu haben.

Wildherz lauerte auf einen einzigen Fehler der Anführerin, einen schlecht parierten Klauenhieb, einen falsch platzierten Hagelschauer aus Krallen. Achtete darauf, selbst ihre Deckung nicht zu vernachlässigen - das war ihre größte Schwäche im Kampf, ebenso wie ihre mangelnde Körperkraft - denn sie wusste, dass jeder Fehler sie in den SternenClan befördern konnte. Oder in den Wald der Finsternis... nach vier Morden wahrscheinlicher.

Doch jetzt stand sie noch nicht an der Schwelle zum Tod, und sie nutzte jeden Funken Wut aus dem flammenden Meer, um ihren müden Pfoten Kraft zu verleihen, sich schneller wegzuducken unter dem erbarmungslosen Krallenregen Eissterns.
Wie in Zeitlupe sah sie die funkelnden Sicheln des Todes wie Krallenmonde auf sie zuzischen. Die Zeit schien stillzustehen, als würde der SternenClan selbst sagen »jetzt! Jetzt oder nie!«

Und sie tat es jetzt. Ihre Hinterbeine katapultierten sie hoch in die Luft, senkrecht in den Himmel. Im Flug drehte sie sich, streckte das geöffnete Maul vor und grub die dornenscharfen Fangzähne in den Hals der EisClan-Anführerin. All das geschah so langsam, dass es ihr vorkam, als würde die Zeit stillstehen. Blut tränkte ihren Pelz, füllte ihr Maul mit seinem metallischen Geschmack.

»Wildherz! Wildherz! WILDHERZ
Der Schrei ging ihr durch Mark und Bein, ihre Knochen schienen zu gefrieren und der Griff um Eissterns Kehle lockerte sich, der Körper der kleinen Kätzin fiel schlaff ins Gras.

Es war Funkenpfote, die gerufen hatte und nun herbeistürmte. »Töte sie nicht!«

Die Schildpattfarbene fauchte verächtlich. »Warum nicht? Sie ist am wohl größten Blutbad seit Katzengedenken schuld!« Erneut stieg der brennende Hass in ihr auf. Die Clans waren naiv, egoistisch und verweichlicht, aber das hier hatte keine Katze verdient.

»Und ohne sie können wir es nicht beenden«, miaute die kleine rote Kätzin, Entschlossenheit spiegelte sich in ihren ungewöhnlich leuchtenden Augen.
»Wenn du sie tötest, werden sich die Clans bis auf die letzte Katze vernichten, ehe die Sonne aufgeht. Du hast sie besiegt, jetzt handle wie eine Kriegerin.«
Sie zögerte, war innerlich hin- und hergerissen. Funkenpfotes Worte klangen viel zu erwachsen für die verspielte Schülerin. Und etwas in ihrem Blick, in diesem Leuchten, sorgte in Wildherz dafür, dass ihre Blutgier an zweite Stelle rückte.

»Wenn du sie tötest, bist du nicht besser als sie.«
Schattenschwinges Stimme klang ruhig und ängstlich zugleich, als er zögerlich eine Pfote vor die andere setzte. Sternenlicht spiegelte sich in seinen tiefblauen Augen.

»Hilf ihr, Schattenschwinge! Bitte, sonst bringt alles nichts. Sie lebt ihr letztes Leben, und wenn wir das beenden, könnte das das Ende unserer Clans bedeuten!«
Funkenpfote schob den grauen Heiler zu der am Boden liegenden Anführerin, die noch immer schwach röchelte. Ein grausiges Geräusch, von dem sie sich einfach wünschte, dass es verstummte.

Der NebelClan-Kater begann, auf seltsame Weise Teile von in der Nähe wachsenden Pflanzen abzureißen, presste sie auf eine bestimmte Art und Weise auf die Kehle der Anführerin. Seine Pfoten schienen zu fliegen, er war in seinem Element.
»Wasser«, murmelte er und schon flitzte Funkenpfote los und kam mit einem blut- und wassergetränkten Bündel Moos zurück. Schillernde Wassertropfen versickerten in der ohnehin feuchten Erde und Wildherz fühlte sich schrecklich nutzlos. So gern hätte sie - trotz ihrer schlaffen Pfoten, die drohten, unter ihr nachzugeben - irgendeinen Feind besiegt, ihre Krallen in irgendeinen Pelz geschlagen.
Ich habe sie besiegt, redete sie sich ein.

»Wildherz, pass auf!«, schrie Funkenpfote plötzlich, sie fuhr herum und konnte den ausgefahrenen Klauen der dunkelgrauen NebelClan-Kätzin gerade so ausweichen. Zwei, drei Krallenhiebe, dann ließ die nun noch stärker blutende Kätzin von ihr ab.
Während Funkenpfote Schattenschwinge half und den anderen Katzen Mut zusprach, wachte die Schildpattfarbene vor dem leblosen Körper Eissterns und zog jeder Katze, die sich näherte, die Klauen über die Schnauze - egal, in welcher Absicht sie das tat.

Wildherz wusste nicht, ob sie hoffen sollte, dass die Anführerin überlebte oder starb. War sie wirklich so unerlässlich für den Frieden?
»Sie bewegt sich«, wisperte die kleine rote FlammenClan-Schülerin und Wildherz drehte abrupt den Kopf.
Tatsächlich, Eissterns Körper begann, sich zu regen. Wie auf magische Weise hatte das Blut aufgehört, aus ihren Wunden zu fließen und nur wenige Herzschläge später öffnete sie erneut ihre tiefblauen Augen, die sie an die von Schattenschwinge erinnerten.

»Gib auf«, sagte Funkenpfote, noch immer mit dieser Entschlossenheit im Blick. Sie schien nie die Hoffnung zu verlieren, selbst bei Katzen wie Eisstern nicht.

»Los, töte mich«, röchelte Eisstern fast unhörbar. »Das war es doch, was ihr immer wolltet. Tötet mich, dann könnt ihr euren Gefährten erzählen, dass ihr das Eis gebrochen habt. Das war es doch, was euer ach-so-lieber SternenClan wollte.« Ihre Augen loderten vor Hass, doch noch immer lag ihr Körper schlaff da.
»Aber richtet ihm aus, dass ich ihn nie geliebt habe, und dass ich niemals seine Jungen bekommen hätte.«

»Wer ist er?«, wisperte Funkenpfote, sie schien nun besorgt und zeigte echtes Mitgefühl. Schattenschwinges Pfoten bewegten sich nun langsamer, der Druck auf Eissterns Kehle ließ nach.

»Töte mich doch einfach, statt mich so lange zu quälen. Los, tu es! Oder bist zu zu feige? Deine Freundin hat mich schon für dich besiegt. Luxus, nicht wahr?«, fauchte die Silberweiße leise.

»Gib auf«, knurrte nun Wildherz. Oder besser - die Worte verließen ihre Kehle ungewollt.
»Eisklang ist tot. Du hast keine Chance und ich will nicht noch mehr Blut an meinen Pfoten kleben haben.«

»Oh, noch eine Verräterin.« Die Anführerin bleckte die blutbefleckten Zähne.

»Eisklang ist der Verräter.«
Der NebelClan-Heiler ergriff ruhig das Wort und in seiner Stimme lag kaum noch etwas von dem Zittern, das er normalerweise unter Angst an den Tag legte.
»Wir sind die Verratenen. Alle wollten Frieden, aber er hat Krieg geführt.«

»Ihr wollt keinen Frieden! Ihr erbärmlichen Lügner!«, wütete sie. Eissterns Pfoten zuckten erneut, ihre sichelförmigen Krallen gruben sich in den durchtränkten Boden.

»Wenn wir keinen Frieden wollten«, miaute die rote Schülerin, »warum hätten wir dich dann nicht töten sollen? Wildherz hat dich besiegt und sie hätte dich töten können. Aber sie hat es nicht getan. Stattdessen hat Schattenschwinge dir geholfen - ohne ihn wärst du tot.«
Wie konnte eine so kleine Schülerin so sprechen? Sie hörte sich an, als wäre sie viel älter, und das, obwohl Funkenpfote ihr immer alles andere als vernünftig vorgekommen war.

»Du willst doch, dass der SternenClan fällt. Und wenn er es tut, wird dein geliebter Ort ohne Sterne es auch«, knurrte Wildherz.

»Das ist mir egal!«, wütete Eisstern, strampelte mit den Pfoten. »Egal, wer dafür sterben muss. Ihr werdet bezahlen!«
Sie strauchelte, versuchte verzweifelt, auf die Pfoten zu kommen, doch die gaben unter ihr nach und erneut presste der Heiler ihr alarmiert die Pfoten auf die tiefe Wunde, aus der dunkelrotes Blut quoll.

»Sieh dich um«, bat Funkenpfote erstaunlich sanft. »Sieh dich um und denk darüber nach. Dann wiederhole deine Worte.«
Was war nur mit der wilden, verspielten Schülerin los? Sie klang wahrhaftig wie eine Anführerin.

Und Eisstern tat es. Langsam richtete sie sich auf und richtete ihre Augen von der Farbe eines Mitternachtshimmels auf das Schlachtfeld. Selbst Wildherz wurde übel bei dem Anblick, der sich ihr bot: Überall war der Biden blutdurchtränkt, dutzende Krieger lagen mit leeren Augen unter dem fahlen Mondlicht. Ausgerissenes Fell lag in Fetzen auf der Lichtung verteilt, zahllose Katzen lagen halb tot am Boden und kaum ein Drittel kämpfte noch.

Wildherz zögerte, ehe sie den Blick in den Himmel richtete.
So etwas hatte sie noch nie gesehen - die Sterne schienen in Flammen zu stehen, jagten mit glühenden Schweigen über den Wolken dahin, stürzten gen Horizont, bis sie dort zu verglühen schienen. Immer mehr flimmernde Lichter am Silbervlies stürzten als flammende Bälle vom Himmel. Der Kampf im Himmel war vorüber, die letzten Krieger verblassten. Der Himmel schien wie leergefegt. Kein Licht mehr, keine Finsternis, als die lodernden Funken wie Falken herabstürzten.

Die Sterne fallen.

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