24. Kapitel

F U N K E

Funke trabte durch die eiskalte Wüstennacht, mit aufmerksam aufgestellten Ohren und misstrauisch gesträubtem Nackenfell.
Sie fühlte sich, als würde etwas sie beobachten.
Um sie herum ragten die mondbeschienenen Hügel auf, die so hoch schienen wie Berge und ihre dunklen Schatten auf den dünnen Pelz der Kätzin warfen. Der Weg vor ihren Pfoten wirkte seltsam vernebelt, sodass sie kaum die Pfote vor Augen erkannte.

Die Silhouette eines gewaltigen Felsens ragte vor ihr auf, so hoch, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um die Spitze zu sehen.
Immer kräftiger zeichneten sich die Umrisse ab, bis sie eine dunkelrote Farbe erkannte.
Wie ein Brüllen pfiff der Wind immer stärker gegen den Fels, zwang Funke, hinaufzuklettern und ihre Pfoten krallten sich wie von allein den Weg nach oben.

Oben angekommen, hatte sie einen großartigen Blick über die endlosen Weiten der Wüste. Gedanken kreisten in ihrem Kopf herum wie Geier, die ein Opfer gefunden hatten.

Wo leben hier wohl die Wüstenkatzen? Neugierde kitzelte sie in der Brust.

Ihr Blick wanderte immer weiter nach unten, bis er an etwas gräulich-braunem hängen blieb. Was ist das?
Vorsichtig bahnte sie sich ihren Weg über die steil nach unten abfallende Felswand, bis ihre Pfoten den sandigen Boden berührten.

Immer weiter trugen ihre Pfoten sie auf dieses seltsame Ding zu, bis sie geschockt erkannte, was dort vor ihr lag.

Es war der tote Körper einer Katze.
Funkes Augen weiteten sich entsetzt, als sie Falkenfrost erkannte. Die Augen der Kätzin waren glasig und unheimlich starr auf sie gerichtet.
Immer tiefer schien sich ihr Blick in den ihrer Tochter zu bohren wie eine Kralle, immer tiefer wühlten die starren Augen in ihrem Kopf.

Und immer lauter wurde die Stimme in ihrem Kopf.
Finde deine Bestimmung!
Falkenfrosts Stimme wiederholte diese Worte unerträglich oft und plötzlich begann der Leichnam, zu zucken. Die Gliedmaßen zogen sich auf unwirkliche Weise zusammen, bis die graubraune Kätzin aufstand.
Auf Funke zulief.
Einen Schritt. Dann noch einen.
Ihr Blick wirkte nicht wie sie selbst, mehr, als würde etwas sie steuern.

Langsam, aber sicher breitete sich Panik in Funke aus und sie machte entsetzt einen Sprung zurück, knallte mit dem Kopf auf einen Stein -

Und erwachte schwer atmend im hohlen Baumstamm.
Um sie herum lagen die warmen, noch immer schlafenden Körper von Sonne und ihren Geschwistern.
Es war nur ein Traum!, redete sie sich ein, versuchte, langsamer zu atmen.
Ihre Pfoten juckten, sie rappelte sich auf, tappte nach draußen, immer darauf bedacht, niemandem auf den Schweif zu treten, und fröstelte in der kalten Luft.

Ihr Blick wanderte hinauf zum finsteren, wolkenverhangenen Himmel, der über ihr zu schweben schien wie ein nachtschwarzer Pelz, bereit, auf sie hinabzustürzen.
Er wirkte bedrohlich, nicht friedlich.

Die Silhouette des Hügelkammes hob sich noch dunkler vom Nachthimmel ab und eine Katze, die den Blick gen Himmel gewandt hatte, konnte Funke erkennen.
Himmelsmond!

So langsam hatte sie das Gefühl, dass die Wildkatze so gut wie gar nicht schlief. Dennoch sah sie so einsam aus, wie sie da auf dem Hügel saß und Funke wusste, Einsamkeit war das schrecklichste Gefühl der Welt.

An ihren noch immer schweißbedeckten Pfotenballen klebten unzählige, vom Mondlicht silbern gefärbte Sandkörner, als sie den Hügel hinaufsprang und sich neben Himmelsmond niederließ.

Ihre Ziehmutter beachtete die Kätzin gar nicht, hatte den Blick starr nach oben gerichtet und wirkte wie in Trance, als sie begann, seltsame Worte vor sich hinzumurmeln, die Funke nicht verstehen konnte.
Was macht sie da nur?

"Himmelsmond?"
Die Wildkatze ignorierte sie, summte nur weiter vor sich hin und starrte mit glasigem Blick in den schwarzen Himmel.
Funke fröstelte immer heftiger, als die Kälte durch ihren Pelz kroch wie ein Insekt.

Geisterhaft langsam drehte Himmelsmond den Kopf zu ihr.
"Funke."

"Ja, natürlich bin ich das! Aber du warst irgendwie... nicht da!"

"Ich hatte eine Vision.
Lebe wohl, Funke."
Trauer beschattete den Blick ihrer Ziehmutter, als sie aufstand und zum hohlen Baum hinübertrat.

"M-moment mal! Ihr brecht doch nicht schon auf!
Oder?"

"Wir müssen."

"Ihr... ihr könnt nicht! Bitte! Bleibt! Oder nehmt mich mit!", heulte Funke schmerzerfüllt auf.

"Ich habe es dir doch schon erklärt! Du hast eine andere Bestimmung und du kannst ihr nicht entkommen..."
Himmelsmonds Stimme brach; sie senkte den Kopf und tappte in ihren Bau.

"Schattenmond, Flammenmond. Wir müssen aufbrechen!"

Die beiden Jungkatzen sprangen aus dem Baum, da protestierte Schattenmond auch schon:
"Warum müssen wir unser ganzes Leben für die Mondkatze aufgeben? Wir sind keine Weichpfoten, wir sind frei!"

"Eines Tages wirst du es verstehen," erklärte seine Mutter.

"Nein! Das werde ich niemals verstehen. Ich werde niemals verstehen, warum der Mond dir wichtiger ist als dein Junges!"
Schattenmonds Klauen gruben sich wütend in den Wüstensand.

"Du verstehst das nicht! Funkes Pfad ist ihr vorbestimmt und sie muss ihn alleine gehen!"
Nun peitschte auch Himmelsmonds buschiger Schweif und wirbelte Sand auf.

"Aber was, wenn ich ihn nicht alleine gehen will?"
Angsterfüllt hatte sie die Ohren angelegt.

"Du wirst nicht alleine sein."
Flammenmond erhob ruhig die Stimme. In den Augen der jungen Kätzin lag unfassbar viel Weisheit, von der Funke nichts geahnt hatte.
"Sonne ist doch da. Und auch wir werden immer da sein, nur nicht mit unseren Körpern.
Und noch jemand wird da sein. Immer."

Funkes Herz zog sich qualvoll zusammen, als sie erkannte, wen Flammenmond meinte.
Sie gab sich einen Ruck und nickte.

"Leb wohl", murrte Schattenmond, immer noch widerwillig, und stieß sie freundschaftlich gegen die Schulter.

"Leb wohl, Schwester", hauchte Flammenmond und presste die Stirn gegen Funkes.
"Auf Wiedersehen!", wisperte Funke in das Ohr ihrer Schwester.

Nun trat Himmelsmond vor und legte ihr die Schnauze auf den Kopf.
Schließlich flüsterte sie:
"Es ist nicht das letzte Mal, Funke.
Wir werden uns wiedersehen.
Wenn die Mächte des Himmels sich treffen."

Verwirrt nickte sie.
Eine nach der anderen drehten sich die Wildkatzen um und wanderten durch die Oase davon.
Und Funke stand da und blickte ihnen nach.
Herzschläge vergangen wie Blattwechsel.

Schließlich ertönte hinter ihr eine leise Stimme.
"Sind sie aufgebrochen?"

"Ja, Sonne."
Eine ungewohnte Taubheit lag in ihrer Stimme.
"Und es scheint, als müssten wir das auch tun."

"Aber wohin?", wollte die Wüstenkatze wissen.

Einen Moment lang zögerte sie, dann richtete sie den Blick in Richtung Himmel und erblickte die Silhouette eines schlanken Greifvogels.
Eines Falken.

"Zu den Felsen aus Flammen."

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