23. Kapitel
S C H A T T E N P F O T E
Ein Schleier aus unerträglichen Schmerzen vernebelte ihre Sinne.
Seit einem halben Mond.
Sie wusste nicht, ob sie tot war oder lebendig oder irgendetwas dazwischen.
Manchmal brannten die Wunden so heftig, dass sie sich wünschte, tot zu sein.
Und dann sagte sie sich wieder, ihre Zeit sei noch nicht gekommen.
Doch stimmte das?
Sie wusste es nicht. So wie sie auch sonst nichts mehr wusste.
Nichts mehr war wie früher. Ihr Bruder traf sich mit einer Kätzin, die versucht hatte, sie umzubringen. Ihr Territorium lag in Trümmern.
"Wie geht es dir?"
Sie seufzte. Jeden Sonnenaufgang wurde sie das gefragt, obwohl jede Katze wusste, wie sie sich fühlte.
Mühsam öffnete sie ihr unverletztes Auge und sah die hellen, graubraunen Pfoten von Windstern vor ihrer Schnauze.
"So gut, wie es mir eben gehen kann."
Immerhin war sie in der Lage, verständlich zu sprechen. Äußerlich waren ihre Wunden nicht mehr so schlimm entzündet, doch es fühlte sich immer noch an, als würden unzählige Krallen sich in ihren Körper bohren.
Sie wollte nicht dastehen wie ein verletztes, quengeliges Junges, das einfach nur Aufmerksamkeit wollte. Sie wollte eine Kriegerin sein. Und das war der einzige Grund, warum sie noch nicht aufgegeben hatte.
So oft schon hätte sie sich einfach hinlegen können. Einschlafen und nicht mehr aufwachen.
"Wo ist Seepfote?"
Die Worte entglitten ihrer Schnauze, ohne, dass sie es wollte. Aber sie wollte wissen, wo ihr Bruder war.
Ob er sich wieder mit der Silbernen traf.
Sie beide hatten sich verändert. Früher war er der optimistische, fröhliche Schüler und sie die aufbrausende, aber freundliche Kätzin.
Aber er wirkte, seit sie und Wildpfote ihn mit der Silbernen erwischt hatten, immer auf der Hut und angespannt.
Sie selbst versuchte einfach nur noch, zu überleben.
Aber für Windstern schien all das die größte Belastung zu sein. Sie hatte sich gerade in ihrer Rolle als Anführerin zurechtgefunden, da entpuppte sich ihr eines Junges als Verräter und das Andere wurde fast tödlich verletzt.
"Er...", druckste sie herum, "er absolviert gerade seine Prüfung."
Flammend heiße Wut stieg in ihr auf.
"Seid ihr mäusehirnig? Unser Territorium ist zertrümmert und alles, was dir einfällt, ist, einen Verräter zum Krieger zu machen?"
"Er ist kein Verräter! Er wollte das alles nicht..."
"Und warum hat er die Treffen dann geheimgehalten?"
"Schattenpfote, bitte... hör mir kurz zu.
Ich bin eigentlich gekommen, weil ich... dich auch zur Kriegerin ernennen möchte."
Unfassbare Freude ließ ihre Schnurrhaare ungläubig zittern. Ich? Kriegerin? "Aber... ohne Prüfung?"
"Das, was du durchmachen musst, ist Prüfung genug.
Aber ich denke, ich werde deinen Namen ändern."
Nachdenklich nickte die dunkelbraune Kätzin.
"Aber kannst du mir einen Gefallen tun, was das betrifft?"
Windstern spitzte die Ohren.
"Natürlich! Was immer du willst."
"Bitte... bitte gib mir keinen Namen wie Glanzherz oder Mutlicht.
Ich möchte einen Namen, der von diesem Kampf erzählt. Einen Namen, der von Mut und Tapferkeit zeugt."
Überrascht zuckte die graubraune Kätzin mit den Schnurrhaaren.
"Du wirst mir nicht erzählen, dass du dein ganzes Leben einen Namen wie Narbenkehle oder Halbauge tragen willst?"
Fast hätte sie amüsiert geschnurrt.
"Doch."
Windstern war sichtlich hin- und hergerissen. Verständlich, dass sie ihr eigenes Junges nicht nach seinen Verstümmelungen benennen möchte.
Schließlich stand die Anführerin einfach auf, beugte sich über sie und schnurrte ihr leise ins Ohr:
"Ich bin so stolz auf dich."
Mit diesen Worten drehte sie sich um und tappte davon.
Enttäuscht blickte Schattenpfote ihr nach, wie sie zu einer goldenen Kätzin tappte. Goldschimmer, die einzige Älteste des SturmClans, seit ihr Bruder Wolkensee gestorben war.
Sie wollte sich gerade in eine bequemere Position legen, da bohrten sich die brennenden Klauen des Schmerzes in ihre Schnauze, ließen sie nach Luft schnappen.
Fuchsdung! Warum denke ich nie daran?
Sie hörte Schritte, wollte erneut den Kopf heben, doch hatte nicht die Kraft dazu.
Das war auch nicht nötig. Diese Schritte hatte sie im letzten Halbmond so oft zu hören bekommen, dass sie mittlerweile nicht einmal mehr hinsehen musste, um sie zu erkennen.
"Hallo, Moosstrahl", krächzte sie.
Ohne Umschweife kam er zum Thema.
"Ich muss deine Verbände wechseln. Könnte gleich wehtun."
Das tut es so oder so!
Sie gab sich Mühe, nicht vor Qualen laut aufzuschreien, als er den alten Umschlag von ihrer Haut zog und am bloßen Fleisch dazwischen schnüffelte.
"Verdammt, immer noch entzündet", hörte sie ihn grummeln. "Ich frag mich, wie eine Schülerin so etwas anstellen kann." Der Heiler schüttelte ungläubig den Kopf.
Während er frischen Brei aus irgendeiner Pflanze zubereitete, versank Schattenpfote in Gedanken. Was sollte sie auch sonst tun? Löwenmut und Rosenknospe waren aus dem Heilerbau gezogen, Moosstrahl hatte keinen Schüler und er selbst war vermutlich der ungeeignetste Gesprächspartner aller Clans.
Als der Heiler fertig war, trottete er wortlos aus dem Bau, nachdem er einige Mohnsamen vor ihr auf den Boden gelegt hatte. Gehorsam leckte sie die kleinen schwarzen Körner auf, da erklangen erneut Schritte, etwas leichtere diesmal.
Wer ist das?, fragte sie sich, da tauchten vor ihr graue Pfoten auf und eine allzu bekannte Stimme miaute: "Schwester?"
"Bruder."
Sie schloss wütend das Auge. Dank ihm lag sie im Heilerbau und würde vielleicht nie wieder ein normales Leben führen können.
"Schattenpfote, es tut mir leid! Du kannst dir nicht vorstellen, wie schlecht ich mich fühle, weil nicht nur ich mir die Schuld an dem Angriff gebe, sondern der ganze Clan! Aber glaub es mir doch, ich wollte das nie.
Das Gesetz verbietet das alles nicht, aber jede Katze weiß, dass Katzen, die sich mit denen aus anderen Clans treffen, verachtet werden. Und das Gesetz ändert daran nichts!
Nur deshalb haben wir es verheimlicht.
Und ich wusste nicht, was sie geplant hat. Ich schwöre es beim SternenClan!"
Sie zwang sich, aufzublicken. Der unerträgliche Schmerz im Blick ihres Bruders ließ sie zweifeln. Er war immer eine herzensgute Katze gewesen. Warum sollte sich das geändert haben?
"Bitte, Schattenpfote. Vergib mir."
Liebe, Schmerz, Wut und Verzweiflung schwirrten in ihr herum wie Schwärme von stechenden Bienen.
Aber als sie in die hoffnungsvoll aufgerissenen Augen ihres Bruders blickte, wurde ihr doch klar, dass sie ihn immer noch liebte.
"Ich vergebe dir."
Mit leuchtenden Augen rieb er sich an ihrer unverletzten Wange, da erklamg ein lauter Ruf.
"Alle Katzen, die alt genug sind, ihre eigene Beute zu fangen, fordere ich auf, sich hier unter dem Hochstamm zu einem Clan-Treffen zu versammeln!"
"Ich... ich glaube, es geht los."
Vor Aufregung zitterten Seepfotes Pfoten.
"Ich komme mit."
Sie atmete einmal tief durch, dann stemmte sie sich hoch, ignorierte den flammenden Schmerz an ihrem Hals und schaffte es, sich mir aller Kraft aufzurichten.
Ihre Muskeln waren schwach und ihre Beine zitterten, als sie langsam einen zögernden Schritt nach dem anderen machte.
Aus dem provisorischen Heilerbau hinaus taumelte sie, gestützt von ihrem Bruder, in die Mitte des Clans. Ungläubige Blicke verfolgten die verletzte Schülerin.
Windstern trohnte über ihnen auf einem Vorsprung im Himmelsfels und erhob die Stimme, wobei sie so stolz klang, als würde sie gleich platzen.
"Wir haben uns heute versammelt, um zwei neue Krieger zu ernennen.
Seepfote und Schattenpfote, tretet vor."
Mit zitternden Schnurrhaaren und Pfoten traten die Wurfgefährten einen Schritt vor.
"Ich, Windstern, Anführerin des SturmClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diese Schüler herabzublickten.
Sie haben hart gearbeitet, um eure edlen Gesetze zu erlernen und ich empfehle sie euch nun als Krieger.
Seepfote!
Versprichst du, das Gesetz der Sterne zu ehren, den Clan zu schützen und zu verteidigen, selbst, wenn es dein Leben kostet?"
Der große Kater neben ihr straffte die Schultern, ehe er mit klarer, lauter Stimme verkündete:
"Ich verspreche es!"
Windstern unterdrückte sichtlich ein stolzes Schnurren.
"Dann gebe ich dir nun mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen.
Seepfote, von diesem Augenblick soll man dich Seeschatten nennen. Der Clan ehrt deinen Mut und deine Kraft und wir heißen dich als vollwertigen Krieger des SturmClans willkommen!"
Nun richtete sie den Blick auf Schattenpfote.
"Schattenpfote. Versprichst du, das Gesetz der Sterne zu ehren, deinen Clan zu schützen und ihn zu verteidigen, selbst, wenn es dein Leben kostet?"
Aufregung kribbelte in ihren Pfoten und sie fühlte sich so lebendig wie schon lange nicht mehr.
"Ich verspreche es!", jauchzte sie und in ihrer Stimme klang so viel Freude, dass rings um sie herum Katzen zu schnurren anfingen.
"Dann gebe ich dir nun mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen.
Aber erst muss ich noch eine Zeremonie durchführen."
Windstern schluckte kurz, bevor sie fortfuhr.
"Katzen des SternenClans, ihr kennt jede Katze beim Namen.
Und ich bitte euch heute, nehmt den Namen jener Katze, die hier vor euch steht, zurück, denn er steht nicht mehr für das, was sie jetzt ist.
Als Anführerin dieses Clans und mit der Einwilligung meiner Kriegerahnen gebe ich dieser Katze einen neuen Namen.
Schattenpfote, auf deinen Wunsch hin soll dein Name
Narbenherz lauten, in Andenken an alles, was du durchmachen musstest.
Der Clan ehrt deine Tapferkeit und deine innere Stärke und wir heißen dich als vollwertige Kriegerin des SturmClans wilkommen."
Windstern sprang vom Hochstamm und legte ihre Schnauze nacheinander auf die Köpfe ihrer Jungen, während sie vor Stolz, Liebe und Freude laut schnurrte.
Und ein unbändiges Glücksgefühl stieg in ihr auf, als die Glückwünsche ihrer Clan-Gefährten laut erschallten, an der gewaltigen Felswand des Himmelsfelses widerhallten und als einzige Melodie zum SternenClan hinaufstiegen.
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Endlich xD hier ist das Kapitel! Wie ich es geschrieben habe, wissen Feuerrstern und Rosmaringlut12 ziemlich gut xD
ENDLICH gibt es nur noch einen Schattenpfote!
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