16. Kapitel

S C H A T T E N P F O T E

"Ringelblume gegen Entzündungen, Klettenwurzel gegen Rattenbisse, Borretsch... Fuchsdung, wofür war nochmal Borretsch?"
Frustriert schnaubte Schattenpfote auf und kramte in seinem Kopf nach der Erinnerung.

"Gegen Fieber und zur Milchbildung bei Königinnen."

Kurz zuckte er bei der leisen Stimme hinter ihm zusammen, dann erkannte er sie.

"Danke, Honigwolke."

Obwohl schon einige Sonnenaufgänge zurücklagen, seit ihm die fremden Katzen im Wald der Finsternis von der seltsamen Prophezeiung erzählt und aufgetragen hatten, sie seiner Mentorin zu überbringen, hatte er bisher nicht den Mut aufgebracht, Honigwolke darauf anzusprechen.

Irgendwann muss ich es tun!

"Honigwolke?", fragte er schüchtern.

"Ja?"

"Ich... ich..." unruhig knetete er den Boden mit den Pfoten.
"Ich muss dir was sagen."

"Was denn?"
Honigwolke blickte überrascht von ihren Kräutern auf.
Als Schattenpfote zögerte, beruhigte sie ihn:
"Du kannst mir alles sagen."

"Es war so... letztens, also auf der großen Versammlung, da war ja plötzlich dieser Nebel und dann... bin ich irgendwie ohnmächtig geworden und...", druckste er herum.
Wie soll ich das erklären?

Er hob erneut an: "Ich bin aufgewacht, aber nicht dort, wo ich sein sollte. Ich glaube..."
Er atmete tief durch.
"Ich glaube, ich war am Ort ohne Sterne."

Plötzlich sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus.
"Und ich habe einen Schrei gehört, aber je weiter ich weggelaufen bin, desto lauter wurden sie. Schließlich bin ich auf eine Lichtung gekommen. Da waren ganz viele Katzen und eine hat mich bemerkt, sie hat sich auf mich gestürzt und in einen hohlen Baum gestoßen. Darin waren vier Katzen gefangen und sie haben mir gesagt... sie haben gesagt, die Vier sind am Ort ohne Sterne gefangen."
Sein Redeschwall stoppte, er atmete kurz heftig aus.

"Was haben sie noch gesagt?"
Honigwolke gab sich ruhig, doch in ihren Augen spiegelte sich etwas wie Panik, die sie krampfhaft zu unterdrücken versuchte.

"Sie haben etwas von einer Prophezeiung gesagt."
Der graue Kater senkte die Stimme und wiederholte die Worte der Gefangenen.

Honigwolke schwieg einen Moment, bevor sie nachdenklich nickte.
"Ich werde es Federstern sagen."

"Federstern ist nicht da", erklang plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme vom schilfbewachsenen Eingang des Baues.

"Mondpfote! Was machst du denn hier? Und wo ist Federstern?"

"Ich habe dir doch erzählt, dass mich SturmClan-Katzen an der Grenze angegriffen haben und Federstern will sie darauf ansprechen. Auf der letzten großen Versammlung konnte er das ja nicht, die wurde ja abgebrochen, weil diese Schülerin angegriffen wurde."

Die silberne Kätzin senkte zum Zeichen, wie leid die SturmClan-Schülerin ihr tat, den Kopf, doch Schattenpfote erkannte in ihrem himmelblauen Blick keinerlei Mitleid, eher etwas wie Genugtuung, was ihn stutzig werden ließ.

"Ja, ich erinnere mich...", setzte er trotzdem an, wurde aber von Honigwolke unterbrochen.
"Wie lange bist du schon hier?"

Überrascht riss Mondpfote die Augen auf.
"Hier im Heilerbau? Ich bin gerade erst gekommen!"

Die rot-weiße Heilerin nickte zögernd, bevor sie sich Schattenpfote zuwandte.
"Wir haben keinen Borretsch mehr. Ich werde gehen und welchen sammeln, kannst du solange hier die Stellung halten? Und...

Ehe sie noch etwas sagen konnte, wurde sie von Mondpfote unterbrochen.
"Ach und, warum ich eigentlich hierhergekommen bin, ich habe einen Dorn in der Pfote."

"...und Mondpfote helfen", seufzte seine Mentorin.

Er nickte und tappte zu der silbernen Kätzin.
Welche Pfote ist es?

Wortlos hob Mondpfote die linke Vorderpfote.
Der graue Kater entdeckte einen winzigen Stein, der tief im rosanen Ballen der Kätzin steckte.

"Das ist kein Dorn, sondern ein Kiesel. Wo hast du dir den denn eingefangen?"

Von Schilf über Schlamm gab es im NebelClan-Territorium alles, aber felsig war es beim besten Willen nicht.

"Grenzpatroullie."
Eine genauere Antwort kam nicht.
Er nickte nur und begann, die Stelle rund um den Kieselstein zu reinigen, bis der Ballen so sauber und weich war, dass er den Stein mit den Zähnen packen konnte. Vorsichtig, um Mondpfote nicht zu verletzen, zog er ihn hinaus.Die silberne Kätzin fauchte leise und zuckte zusammen, sagte aber nichts.

"Warte, ich mache dir eine Paste", hielt Schattenpfote auf, als sie schon gehen wollte.

Es war doch Ampfer, oder?... ja, ich glaube, es war Ampfer.
Hoffentlich.

Langsam trottete er zu den Kräutervorräten und kramte einige ovale, hellgrüne Blätter hervor, die er zu einem Brei zerkaute.
Nachdem er die Paste auf Mondpfotes Ballen gestrichen hatte, nickte er ihr zu.
"Du kannst jetzt gehen."

Das ließ sich die graue Kätzin nicht zweimal sagen, drehte sich um und trabte wortlos aus dem Bau.

Was ist denn in letzter Zeit los mit ihr? Sie wirkt immer so genervt!

Aber Schattenpfote wollte sich nicht seine gute Laune verderben lassen, trottete Mondpfote langsam hinterher und schaute sich im Lager um.

"Hallo Schattenpfote, komm doch rüber zu uns."
Er drehte den Kopf und entdeckte Kleepfote, deren Kopf aus dem Ältestenbau herauslugte.

Schnurrend machte er sich auf den Weg durch das Lager und merkte erst jetzt, wie kalt es draußen war. Auf den Schilfstängeln sammelte sich Frost, der mit jedem Herzschlag wie eine Pflanze zu wachsen schien.

Mit zuckenden Schnurrhaaren trottete er durch die klirrend kalte Luft, begrüßte seine Schwester kurz Nase an Nase, bevor er sich in den warmen Bau schlängelte.

"Noch einer", brummte Regenfall, ein weißer Kater mit tropfenförmigen schwarzen Flecken, der eigentlich immer müde aussah - und am liebsten den ganzen Tag über schlafen würde.

Sein Bruder Sonnenherz dagegen liebte es, Geschichten zu erzählen und mit Jungen oder Schülern zu spielen.

Gerade saß der goldweiße Kater gegenüber von Schattenpfotes Bruder, während er gespannt den Worten des jungen Katers lauschte.

..."und dann habe ich einen riesigen Satz gemacht! Diese alte Kröte hatte gar keine Chance, zu entkommen!", prahlte Eulenpfote gerade.
Als der orangegraue Kater seinen Bruder sah, drehte er sich um und miaute stolz: "Hast du es schon gehört? Ich habe meine erste Beute gemacht!"

"Das ist toll!", freute sich Schattenpfote für seinen Bruder, auch, wenn ein bisschen Wehmut in ihm aufstieg.

Unsinn! Ich habe mich entschieden, Heilerkatze zu werden und bleibe auch dabei!
...aber wie schön wäre es jetzt, mit meinen Clan-Gefährten zu jagen?

Seine Gedanken wurden von Sonnenherz unterbrochen, der lauthals verkündete: "Wer will eine Geschichte hören?"

Sofort stimmten die Schüler freudig zu, als Schattenpfote einfiel: "Kannst du uns etwas über die Vier erzählen?"

Verwirrt wurde er von Kleepfote und Eulenpfote angestarrt.
Sie müssen denken, ich sei verrückt!

"Sicher", miaute Sonnenherz trotzdem.
Regenfall murrte nur: "Heiliger SternenClan, es wird ja immer kälter!"

Sein goldweißer Bruder unterbrach ihn: "Das Wichtigste, das ihr über die Vier wissen müsst, ist, dass sie eigentlich Sechs waren."

Eulenpfote schaute immer noch verwirrt drein, dennoch fragte er: "Und was ist mit den letzten beiden?"

"Man weiß es nicht. Bis heute weiß es niemand...", wisperte Sonnenherz verschwörerisch.

"Und wer sind jetzt diese Vier?"

"Habt Geduld, Schüler! Das will ich euch ja nun erzählen. Also, vor langer, langer Zeit, als der Mondfall noch ein gewöhnlicher Fels war und der Froschtümpel eine einfache Mulde, als der Himmelsfels des SturmClans nicht mehr als ein Kiesel war und die Sterneneiche ein Sprössling, da lebten weit entfernt, an einem See, fünf..."

Seine Stimme brach abrupt ab, er spitzte die zuckenden Ohren.
Dann zerfetzte ein Schrei die Luft wie eine pfeifende Kralle, die zum Todesschlag ausholt.
Schattenpfotes Pfoten zitterten, erst vor Kälte, dann vor Angst.
Honigwolke.

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