12. Kapitel

F U N K E

Verwirrt starrte Funke Himmelsmond an. "Was denn? Kann ich mich nicht erst ausruhen?"
Ihre Pfoten fühlten sich an wie Felsbrocken, die an ihren Beinen klebten, ihr Magen knurrte laut wie ein Dachs und ihre Kehle war wie ausgetrocknet.

Die seltsame Katze nickte. "Also gut. Schlaf ein wenig, ich bringe dir Beute und frisches Moos."

Erleichtert ließ sich die rote Kätzin auf der Stelle fallen, dem ihre Beine konnten sie keinen Schritt mehr tragen. Nun konnte sie sich mit nichts ablenken, alle Erinnerungen an Falkenfrost kamen zurück, all die unerträglichen Schmerzen über ihren Verlust. Funke versuchte, die Trauer ein für alle Mal aus ihrem Kopf zu verbannen, doch sie konnte nicht. Sie hatte alles verloren. Was sollte sie noch tun?

Vielleicht sollte sie aufgeben. Einfach im Wüstensand liegenbleiben. Sich hinlegen und nie wieder aufstehen. Dann wäre ich immerhin bei Falkenfrost...

Nein! Sie konnte nicht aufgeben. Sie durfte nicht aufgeben. Nicht jetzt. Ihre Mutter hätte das nicht gewollt.

Und sie hätte auch nicht gewollt, dass ich wegen ihr so traurig bin. Sie meinte, sie sei immer da. Und ich solle meine Bestimmung finden. Aber wie?
Gequält fauchte sie vor sich hin, unterdrückte einen erneuten Klageschrei und presste die trockene Schnauze auf den staubigen Boden.

"Funke?"
Himmelsmonds Stimme klang fürsorglich, etwa wie eine Mutter, die auf ihre Jungen aufpasste. Das ist sie ja auch.
Aber Schattenmond und Flammenmond schliefen tief wie Bären in ihrem hohlen Baum.

"Himmelsmond", krächzte das rote Junge erschöpft und hob mühsam den Kopf. Die braune Kätzin hatte im Maul einen tropfenden Ball aus Moos, zudem hielt sie eine dürre Maus in der braunen Schnauze.
Vorsichtig legte die Katze die kostbare Nahrung neben der trockenen Schnauze der jungen Kätzin ab.

"Danke", krächzte Funke und presste die Schnauze in das nasse Moos, das Wasser schmeckte frisch und kühl auf ihrer rauen Zunge. Gierig leckte sie auch noch den letzten Tropfen auf, bevor sie die Zähne ins zähe Fleisch der Maus schlug. Wie gut es tat, wieder etwas zu fressen!

Nachdem sie die Beute, schnell und hungrig wie ein Geier, verschlungen hatte, fragte sie sich, wie Himmelsmond die Nahrung überhaupt so schnell hatte herbeischaffen können. Es gab hier doch kaum Beute, geschweige denn Wasser. Woher kam das alles nur?

"Du, Himmelsmond, wo hast du die Nahrung denn gefunden? Es gibt hier doch kaum Wasser!"

"Komm mit", meinte diese nur und bedeutete Funke mit einer Bewegung ihres buschigen Schwanzes, ihr zu folgen. Die rote Kätzin rappelte sich auf die Pfoten und tappte Himmelsmond hinterher.

Langsam trabte sie über einen mager bewachsenen Hügel. Was sie sah, überwältigte zunächst all ihre Sinne.

Unter ihr bahnte sich ein Fluss seinen Weg durch den Sand, der überraschenderweise dicht von grünen, wuchernden Pflanzen bedeckt war. Das Wasser sah klar und sauber aus, all die Pflanzen gesund. Es wirkte wie in einer anderen Welt, als Funke plötzlich das wohltuende Geräusch beruhigend raschelnder Blätter vernahm.

"Was ist das?", wollte sie wissen. Erstaunt blickte sie Himmelsmond an.

"Eine Oase", schnurrte die braune Kätzin. "Es gibt einige davon in der Wüste. Aber wie man sie findet, das wissen nur die Wüstenkatzen."

"Wer sind die Wüstenkatzen?"

"Ich weiß nicht, wie sie sich selbst nennen. Sie leben hier nunmal. Nicht genau hier, aber in der Nähe der Oase, damit sie nicht verdursten. Eine von ihnen ist scheinbar verloren gegangen, sie hat mich und meine Jungen hierhergeführt." Himmelsmond richtete den Blick auf die sandigen Hügel in der Ferne.

"Und warum lebst du nicht einfach in der Oase?"

"Glaubst du, wir wären die einzigen Tiere, die genug Beute finden wollen? Dort wimmelt es nur so von giftigen Insekten und Schlangen." Ihr Gesicht hatte einen besorgten Ausdruck angenommen. "Warte kurz hier, ich muss nach den Jungen sehen."

Funke blieb, etwas einsam, auf dem Hügel stehen; blickte in Richtung des plätschernden Flusses. Wie schön es wäre, sich jetzt die Pfoten zu kühlen...
Irgendwann überwog ihre Neugierde und sie tappte den Hügel hinunter. Als das kühle Wasser ihre kleinen, wunden Pfoten umspülte, seufzte sie erleichtert.

Plötzlich rasselte etwas vor ihr im dichten, dunklen Gebüsch. Es wirkte bedrohlich nah. Sie fuhr herum, wäre fast mit den Pfoten im rutschigen Flussbett ausgerutscht, als sie in zwei schmale, schlitzförmige Pupillen in stechenden gelben Augen blickte.

Vor ihr, eine braun gemusterte, schlanke Schlange mit dreieckigem Kopf und aufgerissenem Maul, in dem gewaltig große Zähne lagen. Wieder dieses Rasseln, als die Schlange den Kopf hob und zustieß.

Ein glühender Schmerz zuckte durch ihr Bein, wo die Schlange sie gebissen hatte. Rasend schnell schien er sich in ihrem gesamten Körper auszubreiten, ihr Blut schien zu brennen. Jaulend wälzte sie sich herum im flachen Flussbett, während die Flamme des Schmerzes in ihr wütete, sie schier verzehrte. Vor ihren Augen verschwamm das Flussbett, alles wurde finster und die kleine Kätzin verschwand in einem Strudel aus Schatten.

Blinzelnd schlug sie die Augen auf, doch alles, was sie sah, war ihr noch schwach zuckender Körper. Noch immer stand sie vor dem Fluss, doch wer war sie? Sie blickte an sich herunter und erschrak; sie war fast durchscheinend und wirkte mehr wie ein Geist als wie eine Katze.

Bin ich... tot?

Sie musste panisch mitansehen, wie Himmelsmond über den Himmel stürzte, Panik in den Augen. Sie spurtete zum Fluss, sah den Biss und begann sofort, irgendwelche Blätter auf die blutende Wunde zu legen. Dann stemmte sie beide Vorderpfoten auf Funkes Schulter und drückte zu.

Was macht sie da? Was ist hier los?

Schier eine Ewigkeit lang drückte Himmelsmond an ihrem Bein herum, da verschwamm Funkes Sichtfeld erneut. Wieder umhüllten sie Schatten, dann öffnete sie die Augen erneut und japste erneut. Über ihr stand Himmelsmond und blickte unfassbar erleichtert auf sie hinab, in ihrem Blick lag fast so viel Liebe wie in dem, mit dem sie ihre eigenen Jungen betrachtete.

Warum? Irgendetwas wusste diese Katze, das wusste Funke. Und sie wollte es wissen, öffnete die Schnauze und krächzte: "Warum... wolltest du mit mir... sprechen? Warum hast du... mich gerettet?"

Die braune Katze seufzte erst erleichtert auf, als sie ihre Stimme hörte, dann legte sich ein Schatten über ihre leuchtenden Augen. "Weil ich es muss. Es ist ein Auftrag der Mondkatze. Ich habe dir doch erzählt, dass ich mit dem SternenClan unerkannt Kontakt aufnehmen sollte."
Sie pausierte kurz, sammelte sich, bevor sie fortfuhr: "Es waren vier-nein, fünf- sehr wichtige Katzen in der Geschichte aller Clans. Einer von ihnen... hat eine Prophezeiung überbracht."

"Aber... eine Prophezeiung?"

"Ja. Doch er kam nicht dazu, sie den Clans zu überbringen, denn vorher tauchten Katzen auf, Katzen der Finsternis, die die Sternenkrieger wegtrieben.

Wo sie nun sind, weiß keine Katze. Und von der Prophezeiung weiß ebenfalls niemand.
Niemand außer ich."

"Und wie lautet die Prophezeiung?"

Himmelsmond zitterte, fuhr dann mit bebender Stimme fort.
"Das Blut des Falken sickert in den Wüstensand und tropft auf die Felsen aus Flammen.

Das dunkle Feuer, es wandelt bereits auf finsteren Pfaden.

Wo selbst der Boden tödlich ist, dort entspringt das Licht, das Leben ohne Tod.

Nur gemeinsam können sie das Eis brechen lassen.

Und du, Funke, bist ein Teil davon. Das Blut des Falken. Deine Mutter ist Falkenfrost, du bist ihr Blut. Du hast eine große Bestimmung."

Ihr Herz zog sich beim Gedanken an Falkenfrost zusammen. Was sollte sie tun? Sie wusste nichts über die Clans! Warum hatte der SternenClan sich für sie entschieden?

Ein neuer Schwall von Erschöpfung überkam sie. Das alles war eine zu große Last, die Funke auf ihren kleinen Schultern tragen musste.

Das letzte, was sie sah, bevor sie müde die Augen schloss, war eine braun gemusterte Feder, die langsam über den Himmel tanzte, schließlich neben ihr im flachen Fluss landete und von der Strömung weggetrieben wurde, unerreichbar für Funke.

Es war die Feder eines Falken.

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