1. Kapitel

W I L D P F O T E

»Wildjunges! Komm schnell, es geht gleich los!«

Bei Seepfotes Miauen schüttelte sich Wildjunges aus dem Halbschlaf und preschte aus der Kinderstube heraus, ihre Schwester Blitzjunges dicht auf den Pfoten.

Sie setzte sich in die Mitte des Lagers, einer von dichtem Heidekraut umgebenen Senke mitten im SturmClan-Territorium, den Schwanz ordentlich um die Pfoten geringelt, den Blick aufmerksam nach vorn gerichtet.

Doch Geduld war nie ihre Stärke gewesen, sie begann mit den Pfoten den Boden zu kneten und unruhig hin und her zu zappeln.

»Wildjunges, konzentrier dich! Denk dran, heute ist der große Tag! Wir werden Schüler!«, miaute Blitzjunges neben ihr, die ruhig dasaß und unverwandt aufblickte. Denn über ihr ragte der Hochstamm auf, ein umgefallener Baumstamm, von dem aus die Anführer Ansprachen hielten- und, wie heute, neue Schüler ernannten.

»Ich werde die beste Kriegerin, die der Clan je gesehen hat!«, prahlte Wildjunges mit leuchtenden Augen.

»Nein, ich werde das!«, widersprach Blitzjunges, das rot-schwarze Fell sauber, aber vor Erregung gesträubt.

Hinter ihnen meldete sich eine ruhige, aber bestimmte Stimme zu Wort: »Wildjunges, wie siehst du denn aus!«

Ahornsprung, ihre Mutter, begann, Wildjunges' schildpattfarbenes Fell zu putzen und ignorierte dabei die lautstarken Proteste ihrer Tochter.

»Ich bin doch sauber. Ich kann mich selbst putzen!«

Seepfote schnurrte amüsiert und richtete seinen grauen Kopf 'gen Himmel, bevor er fröhlich miaute: »Es ist fast Sonnenhoch! Windstern fängt bestimmt gleich mit der Zeremonie an.«

»Oh ja, ich kann es kaum noch erwarten!«, quiekte Blitzjunges und zuckte aufgeregt mit den Ohren.

»Schau mal, Blitzjunges, die Jagdrotte ist zurück! Und sie haben fette Beute mitgebracht«, miaute Wildjunges und tappte den riesigen Kriegern entgegen, die ins Lager strömten, als sie ihren Vater Flussecho erkannte, der einen Falken hinter sich herschleifte.

Wildjunges war beeindruckt. Laut den Erzählungen der älteren Krieger war es sehr schwer, Falken zu fangen.

»Wie geht's, meine kleine Kriegerin?«, schnurrte der drahtige graue Kater stolz und blickte freundlich in Wildjunges' verschiedenfarbige Augen.

Die junge Kätzin rief: »Großartig! Gleich werde ich Schülerin!« Und warf sich quiekend auf ihren Vater.

Flussecho ließ sich mit einem theatralischen Jaulen zu Boden fallen und schnurrte: »Hab Erbarmen! Ich gebe auf!«

Wildjunges hüpfte von ihm herunter und blickte sich aufgeregt unter den anderen Katzen um. Ein dunkelgrauer Kater starrte sie an. Aschenschwinge.

Er sah irritiert aus, so wie immer, wenn er ihr Gesicht sah. Wildjunges verstand nicht, warum. Natürlich, nicht viele Katzen hatten so ein in der Mitte geteiltes Gesicht, aber was machte das schon für einen Unterschied? Sie würde es ihm schon zeigen, indem sie die beste Kriegerin in der Geschichte des SturmClans wurde.

Was ziemlich schwer wird. Schließlich gab es ja Adlerfeder und Sturmfeuer... und Löwenstern war auch ein großer Krieger.

Über all diese Katzen hatte sie nur Geschichten gehört. Über die tapfere, treue Kriegerin Sturmfeuer, die für den Clan praktisch alles geopfert hatte, über den großen, furchtlosen Anführer Löwenstern...

Und natürlich über Eisklang. Ein ehemaliger SturmClan-Krieger, ein Verräter, der seine eigenen Clan-Gefährten ermordet und einige Streuner um sich geschart hatte, die sich jetzt »EisClan« nannten.

Laut Löwenmut, der einer der erfahrensten Krieger und Löwensterns Sohn war, war dies nicht nur der Name ihres Clans, auch ihre Herzen waren kalt wie Eis und finster wie der Zweibeinerort, in dem sie lebten. Schon das war ein Grund, warum sie kein richtiger Clan waren, doch nicht einmal an das Gesetz der Sterne hielten sie sich.

»Alle Katzen, die alt genug sind,ihre eigene Beute zu fangen, fordere ich auf, sich hier unter dem Hochstamm zu einem Clan-Treffen zu versammeln!«

Windsterns Jaulen riss Wildjunges aus ihren Gedanken, und sie schoss, schnell wie ein Falke, unter den Hochstamm, zitternd vor Aufregung, während Blitzjunges neben ihr ruhig zu der graubraunen Anführerin aufblickte.

»Heute haben wir uns zu einer der wichtigsten Zeremonien im Leben eines Clans versammelt: Der Ernennung von neuen Schülern.«

Wildjunges wurde immer unruhiger, ihre Schwanzspitze zuckte ungeduldig.

»Blitzjunges! Du bist nun vier Monde alt und bereit, deine Ausbildung zu beginnen. Von nun an wird man dich Blitzpfote nennen.«

Blitzpfotes Augen leuchteten scheinbar, als Windstern fortfuhr: »Falkenfeder! Du hast bewiesen, dass du ein loyaler Krieger und bereit für deine erste Schülerin bist. Ich vertraue darauf, dass du deinen Mut und deine Kampffertigkeiten an Blitzpfote weitergibst.«

Falkenfeder, ein gutaussehender braun getigerter Kater mir bernsteinfarbenen Augen, trabte mit hoch erhobenem Kopf auf Blitzpfote zu, beugte sich zu ihr herunter und berührte die Nase der jungen rot-schwarzen Kätzin mit der Seinen.

»Wildjunges! Von diesem Augenblick an, bis zu deiner Ernennung zur Kriegerin, wird man dich Wildpfote nennen.

Löwenmut! Seit vielen Blattwechseln dienst du unermüdlich dem Clan, du bist ein treuer Krieger und ich bitte dich, deine Treue und Erfahrung an Wildpfote, deine letzte Schülerin, weiterzugeben.

Ich bitte den SternenClan, über diese beiden Schülerinnen zu wachen, bis sie in ihren Pfoten die Kraft und den Mut eines Kriegers finden.«

Löwenmut! Er war ein großer Krieger und wäre schon längst zweiter Anführer geworden, wenn er nicht abgelehnt und Wolkennacht, der um einiges ehrgeiziger war, den Posten überlassen hätte. Aber etwas irritierte Wildpfote. Warum hatte Windstern gesagt, sie würde seine letzte Schülerin sein?

Sie verbannte diesen Gedanken möglichst weit weg und hüpfte glücklich auf den riesigen goldenen Krieger zu, der sich herunterbeugte, um ihre Nase zu berühren. Sie reckte den Kopf, blickte ihm in die Augen.

»Soll ich dir das Territorium zeigen?«, erkundigte sich Löwenmut.

»Au ja! Bitte, zeig mir alles!«, rief die kleine schildpattfarbene Kätzin.

»Na dann, folge mir!«, forderte Löwenmut sie auf und führte sie aus dem Lager, durch einen schmalen Pfad zwischen dichtem hohen Gras und Heide, bis sich vor ihnen eine kahle Stelle auftat und ein dunkler Baum vor ihr aufragte, an der Spitze gesplittert und verbrannt.

»Was ist denn mit dem passiert?«, wollte Wildpfote wissen und trabte um den Baum herum.

»Das ist die Blitzeiche. Einige Monde bevor ich geboren wurde schlug hier ein Blitz ein und steckte gut die Hälfte des SturmClan-Territoriums in Brand«, erklärte Löwenmut geduldig, bevor er sie weiterführte, durch das SturmClan-Territorium.

Er konnte problemlos über das Gras und die Heide hinwegschauen, doch Wildpfote war nur halb so groß wie der goldene Krieger.

Die schildpattfarbene Kätzin sog die kühle Luft des Blattfalls ein, während vor ihr nun ein Hügel lag, noch viel dichter und höher mit Heide bewachsen als der Rest des Territoriums.

»Der Heidehügel«, miaute Wildpfotes Mentor.
Die Heide sah so einladend aus, so weich. Sie konnte sich nicht zurückhalten und sprang hinein in das Pflanzengewirr, hüpfte aufgeregt darin herum.

»Wildpfote! Löwenmut!«, erklang plötzlich ein Miauen. Wildpfote fuhr herum und erblickte ihre Schwester, die neben Falkenfeder am Rand des Hügels wartete und fröhlich zu ihrer Schwester schaute.

»Blitzpfote!«, freute sich Wildpfote und sprang schnurrend an die Seite der schwarz-rot getigerten Kätzin.

Ein Stein rollte unter ihrer Pfote weg, jedenfalls fühlte es sich so an, doch der Boden begann plötzlich, zu zittern, dann immer heftiger zu beben.

»Was ist das?«, wollte Wildpfote panisch wissen, doch auch Falkenfeder und Löwenmut standen wie erstarrt da, bis Löwenmut sich einen Ruck gab und knurrte: »Ich weiß es nicht. Aber wir müssen hier weg!«

Blitzpfote wirkte immer noch wie erstarrt, Wildpfote sprang panisch herum, als der Boden erneut bebte. Die Erde unter ihren Pfoten riss, gespalten wie die Blitzeiche, und ein tiefer Riss tat sich auf.

Wildpfote rutschte ab, begann zu fallen, bis sich kräftige Zähne um ihr Genick schlossen, sie Krallenlänge für Krallenlänge nach oben zerrten. Goldenes Fell blitzte auf. Löwenmut!

Mit einem letzten Keuchen hievte er die zitternde Schülerin nach oben, doch unter seiner Pranke rutschte das Geröll, der Kater konnte sich nicht mehr festhalten, stürzte in den klaffenden Spalt im Erdboden.

Entsetzt starrte Wildpfote ihm hinterher, doch das Einzige, was sie wahrnahm, war ein gellender Schrei, der plötzlich abbrach.

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