2. Kapitel
»Eisstern, die Maus ist Krähenfraß!«
»Dann fang dir eine neue, erbärmliches Stück Fuchsdung.«
Eissterns Laune war an einem Tiefpunkt angekommen - vor zwei Monden. Und seitdem hatte sie sich nicht wieder gehoben. Es war, als hätte der Kampf den dunkelsten aller Schatten auf den EisClan geworfen, der nicht vorhatte, je wieder zu verschwinden.
Der junge, erstaunlich unselbständige Krieger Schlangenwispern verzog sich beleidigt mit der Maus und schleuderte sie gegen den nächstbesten Felsen, wurde jedoch sofort von Klauenklang angeschnauzt, die sehr viel Wert auf Ordnung legte.
»Wozu gibt es einen Schmutzplatz, wenn du ihn nicht benutzt, du Stück Krähenfraß!«, schleuderte die dürre braune Kätzin dem jungen Kater entgegen.
Die Felsen, die das Lager wie uralte Wächter der Erde umringten, warfen lange, dunkle Schatten auf die struppigen Pelze der Katzen. Ein schauriger Anblick, und Eisstern hätte nicht einmal einen Unterschied zu früher festmachen können, als ihr Clan noch im Zweibeinerort von Schatten zu Schatten geschlichen war und Zweibeiner um Futter angebettelt hatte. Ein erbärmliches Leben wie von Straßenhunden!
Nicht einmal den goldenen Sonnenaufgang konnte man sehen, zu hoch waren die Felsen, die sich vor dem Horizont erhoben. Aber die Katzen hatten deutlich wichtigere Probleme als unsichtbare Sonnenaufgänge.
Mürrisch trottete Eisstern zum Frischbeutehaufen, betrachtete die kläglichen drei Beutestücke misstrauisch und rümpfte die zuckende Nase, als ihr der Geruch von Verwesung in die Nase stieg.
»Gepardenjagd!«, jaulte sie mit feuriger Wut in der Stimme, »Du solltest die Patrouillen einteilen! Oder glaubst du, der Clan kann von drei Stücken Krähenfraß leben?«
Ihr Stellvertreter schälte sich aus den Schatten seines felsigen Baues, die dunklen Tupfen auf seinem Fell verschwommen mit den langen Schatten.
»Ich hab bei Sonnenaufgang Hagelsturm gesagt, er solle Rissmond und Dachsklaue mitnehmen und jagen gehen«, sagte er mit müdem Blick. »Und ich habe die ganze Nacht durchgemacht. Wache. Macht ja sonst keiner, auch Feuerschlag nicht, obwohl sie es sollte.«
Eisstern schüttelte beschämt den Kopf. Dieses Bienenhirn hatte etwa so viel Autorität wie eine... Biene eben. Warum genau habe ich ihn zum Zweiten Anführer ernannt?
Dennoch brodelte Wut unter ihrem Pelz. So schlecht sich ihr Stellvertreter durchsetzen konnte, die Krieger hatten ihm zu gehorchen.
»Hagelsturm! Rissmond, Dachsklaue!«, fauchte sie in Richtung Kriegerbau und steigerte ihr Faichen zu einem wutentbrannten Heulen, als nichts geschah.
Die kleine silberweiße Kätzin stapfte entschlossen und mit feuriger Wut in den dunklen Augen zwischen den Felsen hindurch und zog Hagelsturm die Krallen über die Flanke, als sie sah, dass er noch immer schlief.
Erst jetzt fuhr der dunkelgraue Krieger hoch, Erschrecken spiegelte sich in seinem Blick. Nicht ein Hauch der Arroganz, mit der er sonst durchs Leben ging, und das erfüllte Eissterns Pfoten mit freudigem Kribbeln.
»Weck die anderen Flohpelze und tu, was dein Zweiter Anführer dir sagt, oder denkst du, die Regeln gelten für dich nicht?«, fauchte sie dem Kater ins Gesicht.
Es war ihm anzusehen, dass er das tatsächlich dachte, doch er tat, was jede nicht lebensmüde Katze tun würde, wenn Eisstern ihr wutentbrannt ins Gesicht starrte.
»Nein, Eisstern, das denke ich nicht. Ich wecke die anderen«, knurrte er.
Doch nach dem Wutanfall der Anführerin waren ohnehin die anderen Krieger aufgewacht - oder was davon übriggeblieben war. Der EisClan hatte vor der blutigen Nacht mehr als einhundert Katzen gezählt, wenn man die Streuner und Einzelläufer, die sie angeheuert hatte, zweihundert. Bestenfalls ein Dutzend echter Clankatzen waren geblieben, der Rest hatte sich verzogen - beim Gedanken an diese feigen Katzen gruben sich ihre Krallen tief in die Erde - oder war gestorben.
Sie verließ den Bau wieder und sah etwas besänftigt zu, wie Hagelsturm, gefolgt von zwei anderen Katzen, das Lager zwischen zwei Felsen hindurch verließ.
Einen Moment lang blickte sie sich ihren Clan an - falls man diese Gruppe von faulen, ungehorsamen, halb verhungerten Katzen »Clan« nennen konnte.
Verdammt, wie bekamen die anderen Anführer es hin, ihre Krieger so zu leiten, dass sie sich nicht benahmen wie Jungen?
Wieder hörte sie Klauenklang jemanden anfauchen, der seine Beute nicht richtig entsorgt hatte, und Eisstern entschied, erst einmal abzuhauen.
Mit zwei, drei Sprüngen ihrer kurzen, aber kräftigen Beine hatte sie die Felsen erreicht, die das Lager umgaben. Sie grub ihre spitzen Krallen in die Furchen des Gesteins - ein grässlicher Laut ertönte.
»Eisstern, wo gehst du hin?«, fragte Gepardenjagd, er klang jetzt schon überfordert und das Fell an seinem Nacken stellte sich ängstlich auf.
Entnervt schnaubte sie.
»Das hat dich einen feuchten Dreck zu interessieren. Du bist der Zweite Anführer und wirst es wohl schaffen, ein paar faule Katzen für ein paar verdammte Herzschläge in Schach zu halten!«, fauchte sie in seine Richtung und bleckte die Zähne. Dieser Clan ist voller unselbstständiger Stück Fuchsdreck!
»Ja, Eisstern. Du hast recht.«
Gepardenjagd zog beschämt den Kopf ein und tappte zurück in die Mitte des Lagers zu seinem besten Freund Dachsklaue. Dachsklaue, der eigentlich mit Hagelmond auf Patrouille sein sollte!
Wütend grub sie die Krallen tiefer ins Gestein, sagte jedoch nichts. Warum? Was machte sie immer falsch? Unter Froststern haben sie sich benommen wie Krieger, nicht wie dieser verweichlichte Haufen Junge!
Froststern. Ihr ermordeter Bruder. Sofort grub sich ein tiefer Dorn in ihr Herz, einer, der seit Monden darin steckte und sich immer tiefer hineinbohrte. Denk nicht dran. Denk nicht dran. Nicht hier, nicht vor dem Clan, redete sie sich immer wieder ein, während sie den Felsen erklomm. Oben angekommen riss sofort ein heißer Wind an ihrem Fell, Vorbote eines Sturmes, der sich bereits am Horizont als düstere Wolke zusammenbraute.
Eisstern setzte über die Felsen hinweg und spürte, wie ihre Pfoten automatisch einen Pfad einschlugen, den sie schon zahllose Male entlanggelaufen war. Einen, der ihr jedes Mal Stiche ins Herz versetzte.
Zielsicher trippelte sie über die Felsen, sprang um spitze Steine herum und hielt auf das ferne Dröhnen zu, das immer lauter wurde.
Ein verhasstes Geräusch, das sie schmerzlich an die alten Zeiten erinnerte. Das Heulen von Monstern.
Ja, es gab wahrlich schönere Orte für so etwas und doch fühlte sie sich wie zuhause, als sich die kleine Kätzin unter der Eiche niederließ. Wie ein sanftes Dach raschelten die Blätter im Wind, das Gras kitzelte ihre Schnurrhaare und einen Moment lang fühlte sie sich wieder wie ein Junges, umhüllt von der Wärme ihrer Mutter...
Das Heulen eines vorbeifahrenden Monsters riss sie aus ihren Gedanken und schleuderte sie abrupt in die Wirklichkeit zurück.
Die Wirklichkeit, in der heißer Wind an ihrem Pelz riss und sie auf den Erdhaufen starrte, auf dem ein winziger Haselspross seine Knospen entfaltete.
Wehmütig starrte sie den Erdhaufen an. Niemand, der es nicht wusste, hätte erahnen können, dass dort unten die Knochen eines Helden lagen. Die Knochen ihres Bruders. Froststern.
Froststern, der den EisClan wieder groß gemacht hatte, der in einer Schlacht unter der ehemaligen SturmClan-Anführerin Windstern gefallen war. Allein beim Gedanken an Windstern kochte glühende Wut in ihrem Herzen auf, und sie musste einen hasserfüllten Schrei unterdrücken. Noch immer fühlte Eisstern sich, als müsse sie ihren Bruder rächen - dabei hatte sie das mit Windsterns Tod schon getan - oder etwa nicht?
Ein zweites Heulen wollte ihrer Kehle entrinnen, ein Klageschrei, den sie nur mit Mühe unterdrücken konnte. Sie fühlte sich, als müsse sie innerlich zerspringen, und ihre Klauen gruben sich auf der Suche nach irgendeinem Halt für ihre Seele in die Erde.
»Ich brauche dich, du verdammter Idiot«, flüsterte die Anführerin und blickte wehmütig auf den Haselstrauch, der dort wuchs. Warum auch immer, es war seit der Zeit des ersten EisClan-Anführers Tradition gewesen, eine Haselnuss mit dem Leichnam im Grab eines Kriegers zu vergraben. Und auf seltsame Weise tröstete Eisstern das. Es gab ihr das Gefühl, dass trotz dem Verlust ihres Bruders noch etwas da war, obwohl der Ort ohne Sterne mit dem SternenClan untergegangen war.
Sie hoffte inständig, dass nie einer ihrer Clan-Gefährten sie am Grab sah - wenn sie so dasaß, Froststern hinterhertrauerte und sich wünschte, noch einmal mit ihm sprechen zu können, fühlte sie sich schrecklich schwach und angreifbar. Und genau das durfte sie, gerade in diesen Zeiten, nicht zeigen, oder der EisClan würde unter ihr niemals ein vernünftiger Clan werden.
»Wie konnte es so weit kommen?«
Wie hatte es sein können, dass allein ihr Rachedurst hunderte, nein, tausende Leben beendet hatte?
Schrecklicher Schmerz quoll in ihr hoch, Schukdgefühle übermannten sie und mit einem Mal fühlte sie sich wieder so verloren wie an dem Tag, an dem Froststern gefallen war.
Nein, verdammt, du denkst wie ein Junges!, fauchte sie sich innerlich an, drehte sich vom Grab weg und tappte über die spitzen Felsen, die sich in ihre Ballen gruben, zurück zum Lager -
oder versuchte es zumindest. Das Beben unter ihren Pfoten spürte sie zunächst kaum, dann wurde es immer stärker, bis die Welt unter ihr zu zittern schien.
Bis vor ihr mit einem grässlichen Reißen die Erde aufbrach und einen tiefen Schlund bis ins Herz dieser Tiefe entblößte.
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