1. Kapitel
»Fass meine Tochter an und du wirst es bereuen!«
Farnnebels Stimme bebte vor flammender Wut in ihrem Inneren, als sie sich mit ausgestreckten Krallen zwischen den riesigen EisClan-Krieger und ihre Tochter Schimmerpfote warf. Die Zweite Anführerin fetzte dem Angreifer Fell aus, riss wie eine wütende Furie an seiner Haut. Nicht meine Tochter, du erbärmliches Stück Dreck!
Sie kämpfte unermüdlich, angetrieben vom züngelnden Feuer der Liebe zu der kleinen, zierlichen Kätzin, die sich mit weit aufgerissenen, goldenen Augen tief ins Gras kauerte.
Weg war die sanftmütige Kätzin, die kluge Stellvertreterin Leuchtsterns. Was übrig war, war eine wütende Mutter, die alles daran setzen würde, ihre Tochter zu retten.
Den Schmerz, als der Feind die Zähne in ihrer Schulter versenkte, spürte Farnnebel kaum. Heißes, dickes Blut rann ihr Fell hinunter und sickerte ins Gras, direkt neben Schimmerpfote. Wie schrecklich es für sie sein muss, so jung so etwas zu erleben...
Dieser Gedanke trieb sie nur noch mehr an, beflügelte ihren Zorn und ließ ihre Pfoten noch schneller herumwirbeln, ein Hagelsturm aus Krallenhieben ging auf der Schnauze des riesigen Katers nieder.
Dann hörte sie den Schrei. Ein Schrei der blanken Panik, der die Luft zerschnitt wie eine zischende Klaue.
Farnnebel fuhr herum, schneller als jeder Hase es hätte tun können, Furcht wogte in ihr auf, eine gewaltige Flutwelle der Angst um die einzige Katze, die sie liebte.
»Mama!«, winselte die zierliche Schülerin verzweifelt, während sie in den Krallen des zweiten EisClan-Kriegers strampelte und verzweifelt versuchte, freizukommen.
Eine Schockwelle durchflutete Farnnebel, sie wollte losspringen und diesen Krieger in der Luft zerfetzen, doch Krallen bohrten sich in ihr Genick und pressten sie auf den blutbeschmierten Boden. Alles, was sie sah, war, wie sich der fremde Kater zu Schimmerpfote herunterbeugte und die Zähne in ihrem Nacken vergrub.
»Mama!«
Alles, was sie hörte, dieser letzte Schrei, der plötzlich abbrach.
Keuchend schreckte Farnnebel aus dem Schlaf und schüttelte wieder und wieder den Kopf, um diese grausigen Bilder aus ihrem Gedächtnis zu verdrängen, doch noch immer bohrte sich der tiefe Dorn der Trauer in ihr Herz, wenn sie auch nur an Schimmerpfote dachte. Wenn sie an die kleinen Pfoten dachte, die so geschickt mit Kräutern herumwirbelten, an die sanfte Stimme, wenn ihre Tochter eine Katze beruhigte. Und besonders beim Gedanken daran, dass sie ebendiese Stimme nie wieder hören würde. Allein das wirkte so unwirklich und doch so real, dass sie sich fühlte, als müsse sie innerlich zerspringen.
Ein Mond war dieser grauenhafte Tag her. Die blutige Nacht, wie die Clans es nannten. Im Stillen war es für die getigerte Kätzin nur die Nacht, in der sie alles verloren hatte.
Denn was hatte sie schon? Ihre Eltern waren tot, ertrunken. Ihr Bruder eine Totgeburt, ihre Schwester gefallen in der blutigen Nacht. Schimmerpfotes Vater, Stromjäger vielleicht. Doch es war ein offenes Geheimnis, dass sie sich insgeheim hassten. Nur Schimmerpfote gegenüber hatten sie es verheimlicht - die Kleine hatte nicht noch mehr leiden sollen.
Doch jetzt... jetzt war alles umsonst. Ihr Leben fühlte sich leer an, als wäre da nichts mehr, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Der SternenClan gefallen, ihre Tochter tot.
Aber etwas war da noch - ihr Clan. Oder das, was davon übriggeblieben war nach der blutigen Nacht. Und das hielt sie am Leben, oder zumindest fühlte es sich so an.
Um sie herum war es dunkel. Nur mit ihren scharfen Augen konnte sie jeden schwachen Lichtstrahl erkennen, den der Mond oder der letzte Stern auf den Boden warfen.
Sie wusste, dass sie nicht wieder würde einschlafen können, zu tief saß der erneute Schock, der sie jede Nacht einholte. Jede verfluchte Nacht in ihrem verdammten Leben.
Denk sowas nicht!, schalt sie sich selbst. Doch insgeheim wusste sie, dass sie in ein Loch gefallen war, aus dem nichts und niemand sie je wieder herausholen konnte.
Selbst der SternenClan schien ihr nicht wohlgesonnen gewesen zu sein - er hatte aus jedem Clan eine Katze auserwählt, die Clans zu retten, außer aus ihrem eigenen, dem LichtClan.
Vielleicht, weil diese Katzen sich von den anderen Clans fernhielten und sie so ihre Prophezeiung gefährdet hätten?
Sie hatte keine Ahnung und es interessierte sie auch herzlich wenig. Allein das schockte sie. Früher war Farnnebel eine freundliche und offene, an der Welt interessierte Kätzin gewesen.
Was ist aus mir geworden? Oder besser - was hat der Krieg aus mir gemacht? Aus uns allen?
Sie tappte gedankenverloren schweigend aus ihrem Bau heraus. Am Horizont zeichneten sich endlich erste goldene Wolkenfetzen vom Dunkel der Nacht ab, ein Vogelschwarm schoss pfeilschnell über den Himmel. Endlich zeigte sich das Leben und die Schatten in ihrem Geist schienen zu verblassen.
Auch ihre Clan-Gefährtin Zanderwispern reckte den Kopf aus dem Kriegerbau, die einzige Katze im Clan, die freiwillig vor Sonnenaufgang aufstand.
»Auch schon wach?«, schnurrte die silbergraue Kriegerin und klang so wach und fröhlich, als wäre schon Sonnenhoch.
»Ja«, sagte sie nur ausdruckslos ins Leere starrend. Doch gleich darauf kam sie sich schrecklich ignorant und unhöflich vor, einfach nur stumpf ein Wort zu sagen.
»Ein schöner Morgen.«
»Ja, das kann man wohl sagen!«, maunzte Zanderwispern und setzte sich neben sie, doch plötzlich huschte ein Schatten über ihre Gesichtszüge.
»Weißt du, tagsüber kommt es mir so seltsam vor, dass sich seit... naja, du weißt schon... nichts verändert hat, weißt du?«
»Wie meinst du das?«, krächzte Farnnebel und spürte sofort einen Stich im Herzen beim Gedanken an die blutige Nacht. »Alles hat sich verändert. Leuchtstern ist tot, der SternenClan gefallen und Schimmerpfote...« Ihre Stimme brach.
»Aber tagsüber sieht man die Sterne nicht, weißt du? Tagsüber singen die Vögel wie eh und je, die Sonne läuft über den Himmel wie schon immer und dieser Sonnenaufgang hier hätte genauso gut vor der Schlacht sein können, weißt du?«
Für einen kurzen Moment schwiegen beide Kätzinnen, bis Zanderwispern das Schweigen mit einem belustigten Schnurren brach. »Und ich hänge immer noch an jeden Satz ein »weißt du?«... weißt du?«
Farnnebel zwang sich zu einem Schnurren, das hoffentlich fröhlicher klang, als sie sich fühlte.
Langsam erwachte der Clan, immer mehr Katzen streckten ihre Köpfe aus den Bauen und auch die Sonne erhob sich als glühender Feuerball vom Horizont gen Himmel. Zanderwisperns Schwester Elritzenmorgen und ihr winziges Junges tappten aus der Kinderstube. Lachsdunst, die einzige Katze im LichtClan, die den Hauch von Heilererfahrung hatte, seit Wolkenflamme seinen Verletzungen erlegen war, zog etwas ungelenk einen Dorn aus Stromjägers Pfote.
Allein beim Blickkontakt mit den blassgelben Augen des Kriegers spürte sie, wie der Hass in ihr hochkroch. Dieser verdammte Drecksack war schuld an Flimmerjunges' Tod! Er hatte die kleine Kätzin aus dem Lager gelockt und seinetwegen war die Tochter der beiden ertrunken.
Beruhige dich, sagte sie sich selbst stumm, denn sie spürte schon ihr aufgestelltes Nackenfell. Stromjäger dagegen sah sie ruhig, fast gelangweilt an, was sie noch wütender machte. So ruhig sie eigentlich war, bei ihren Jungen hörte der Spaß auf!
»Alles in Ordnung. Beruhige dich. Alles wird gut, weißt du?« Zanderwispern hatte ihr den Schweif auf den Rücken gelegt.
Alles wird gut, wiederholte sie im Geist die Worte der silbernen Kätzin.
Alles wird gut. Alles wird gut.
Ganz schön naiv von ihr.
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