Ein kaltes Schweigen lag in der Luft. Keiner wollte etwas sagen. Weder Morgenhimmel, noch Seerose. Die blaugraue Kätzin starrte ihre Schwester erwartungsvoll an. Hoffte, dass diese etwas sagen würde. Doch sie war still.
“Seerose?”, krächzte Morgenhimmel dann und versuchte, die Aufmerksamkeit der Zweiten Anführerin auf sich zu lenken. “Danke, dass du mich gerettet hast.” Seerose senkte den Kopf und sah zu Boden.
Einen Moment lang schien sie nicht zu wissen, was sie sagen sollte. “Ich...”, hob sie an, doch ihre Stimme brach ab, “ich habe dich nur gerettet, weil du in meinem Clan bist.”
Sie setzte sich eine kalte Miene auf und funkelte ihre Schwester an. Doch ihre blauen Augen verrieten, dass sie log. Es war klar, dass sie nicht die Wahrheit sagte.
Aber sie hatte Angst. Sie wollte nicht, dass Morgenhimmel wieder irgendetwas Gemeines sagte. Sie wollte nicht erneut verletzt werden. Und Morgenhimmel wollte auch nicht verletzt werden. “Du lügst”, miaute sie schwach.
Sie war mir gut darin gewesen, die Emotionen anderer zu lesen. Doch selbst ihre Kenntnisse reichten, um zu erkennen, dass ihre Schwester nicht die Wahrheit sagte.
“Woher willst du das wissen?”, fragte Seerose und musterte die blaugraue Kätzin immer noch abweisend. Doch in ihren Augen blitzte nun Sorge auf. Wieso war sie besorgt? Hatte sie Angst, abgelehnt zu werden?
Ein warme Pfote berührte Morgenhimmels Herz. Sie wusste, dass sie sich jetzt endlich mit ihrer Schwester aussprechen musste. Sie musste ihr sagen, dass es ihr leidtat. Dass sie es nicht so gemeint hatte.
“Ich spüre es, Seerose”, murmelte Morgenhimmel. Der dunkle Nachthimmel öffnete sich und Regentropfen glitten mit lauten Geräuschen zu Boden. Durchnässten den blaugrauen Pelz der Kätzin.
Doch es störte sie nicht. Sie spürte, dass dies ihre letzten Momente waren. Sie verlor zu viel Blut. Sie würde sterben. Aber das störte sie nicht mehr. Sie konnte sich mit ihrer Schwester aussprechen und würde ihre Geliebten wiedersehen.
Das war genug. “Es geht dir genauso wie mir”, fuhr Morgenhimmel fort, “ich glaube, wir fühlen beide ziemlich ähnlich. Wir haben Angst.”
Seerose zuckte fragend mit den Ohren. “Wovor soll ich denn Angst haben? Was redest du da?”, knurrte sie leise und bearbeitete mit den Krallen den Boden. “Ich habe keine Angst.”
“Doch, hast du”, erwiderte Morgenhimmel sanft. Schwach hob sie den Kopf, um sich aufzurichten, doch es misslang ihr und sie glitt zurück in den schlammigen Boden, während das Blut aus ihrer Flanke quoll.
“Ich habe dich früher verletzt, das weiß ich”, murmelte sie, “du hast mich auch verletzt. Nur dass du es nicht wusstest. Und du hast es nicht mit Absicht getan.
Du warst immer so perfekt. Und ich stand permanent in deinem Schatten. Das hat mich verletzt. Ich war eifersüchtig. Ich habe dich dafür gehasst, dass du mir, wie ich dachte, alles genommen hast.
Ich wusste nicht, dass du nichts dafür konntest. Dass es eigentlich meine Schuld war. Du warst einfach besser als ich, und das hätte ich als deine Schwester akzeptieren sollen.
Aber ich habe es nicht. Und dann habe ich dich verletzt. Heute tut es mir unglaublich leid. Ich weiß, dass du es schwer hattest.
Ich hätte lieber für dich da sein sollen. Doch das war ich nicht. Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht, ich weiß. Ich habe dich verraten. Ich habe dich unnötig verletzt.
Und das tut mir leid. Es war nicht mein Ziel, dass du traurig bist. Dass du mich hasst. Ich habe mich einfach nur so unverstanden gefühlt. Und jetzt, jetzt bereue ich alles.
Dass ich keine Zeit mit Sturmrose verbracht habe. Dass ich dich von mir gestoßen habe. Seerose, verstehst du denn nicht? Du hast Angst verletzt zu werden, genau wie ich.
Es tut mir so unglaublich leid. Es ist meine Schuld, dass all das passiert ist. Und ich hätte viel früher mit dir reden sollen. Doch ich hatte Angst. Und die habe ich auch jetzt.”
Seerose riss erschrocken die Augen auf und schwieg. Sie schwieg lange. Solange, dass die Stille in Morgenhimmels Ohren wehtat. Den unerträglichen Schmerz der Wunde hatte sie vergessen.
Sie spürte nur noch einen Stich in ihrem Herzen, der sie verletzte. Würde Seerose sie ablehnen? Oder würde sie ihr verzeihen? Was würde sie sagen? Sie wollte doch nur, dass dieser Streit ein Ende hatte.
“Wieso sagst du mir das jetzt?”, fragte Seerose und legte die Ohren an. “Wieso sollte ich dir glauben, dass du mich jetzt plötzlich doch magst?”
Morgenhimmel seufzte. “Weil ich die Wahrheit sage”, flüsterte sie, “ich weiß, ich habe viele Fehler gemacht. Aber ich möchte nicht mit dem Wissen sterben, dass du mich hasst.
Du bist meine Schwester. Ich liebe dich auch als solche. Nur dass ich als die Monde zu stolz war, um es zuzugeben. Ich weiß, ich hätte es viel früher sagen müssen.”
Seerose seufzte. “Vermutlich”, hob sie an und machte eine Pause, die sich wie eine Ewigkeit für die blaugraue Kätzin anfühlte, “hast du recht. Ich möchte dich auch nicht hassen.
Aber du hast mich verletzt.” Morgenhimmel ließ ihren grünen Blick auf den schlammigen Boden gleiten. “Ich weiß, Seerose”, murmelte sie, “ich erwarte auch nicht, dass du mir das verzeihst. Nur sag mir, dass du es irgendwann tun wirst.”
Sie spürte, dass ihre Zeit knapp wurde. Das Atmen wurde schwieriger. Sie bekam kaum noch Luft. Jeder Atemzug war eine Qual. Ein stechender Schmerz setzte in ihrer Brust ein.
Seerose beugte sich vor. Ihr heißer Atem streifte das blaugraue Fell der Kätzin, als ihre Schwester ihre Stirn an ihre legte. “Ich habe dir vergeben”, flüsterte sie.
Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch, doch Morgenhimmel reichte das. Das war alles, was sie seit zweieinhalb Monden hören wollte. Sie sah ihrer Schwester noch einmal in ihre eisblauen Augen.
“Danke”, keuchte sie schwach. Dann schlossen sich ihre Augen langsam. Ihr Aten wurde noch schwerer. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihren ganzen Körper. Sie nahm das traurige Wimmern Seeroses wahr, doch auch nur aus der Ferne.
Alles war mit einem Mal unglaublich weit entfernt. Sie fühlte sich, als würde sie fliegen, aber sie konnte nichts sehen. Die Dunkelheit umhüllte sie. Und sie wusste, es war für immer.
Aber es war in Ordnung. Denn sie hatte endlich Seerose die Wahrheit gesagt.
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