Kapitel 5

Die Nacht war über dem Lager eingebrochen. Alle schliefen. Es war komplett still. Ab und zu war eine Eule oder ein anderes Tier zu hören, das vorbeiflog oder lief. Doch sonst war keiner mehr wach.

Nur Morgenhimmel war noch wach. Ihre Gedanken kreisten wieder um sie. Trieben sie in den Wahnsinn. Machten sie wahnsinnig. Sie hielt es nicht mehr aus.

Sie wollte diesem Teufelskreis einfach nur noch entkommen, doch es gab keinen Fluchtweg. Sie wusste, sie würde weiterkämpfen müssen, weil der WunderClan sie dazu zwang. Aber sie wollte nicht mehr.

Sie hatte doch bereits aufgegeben. Wieso akzeptierte das keiner? Etliche Gedanken kamen in ihr hoch. An den Tag. Wie oft hatte sie heute die Möglichkeit gehabt, mit anderen darüber zu sprechen, was geschehen war?

Mit Lachsschweif, Blumenfeder, Schattenpfote, Lichtpfote, Rehbach, ja selbst mit Sturmstern... Aber sie hatte keine der Möglichkeiten ergriffen. Sie hatte geschwiegen, gelogen, dass es ihr gut ging.

Doch das war nichts als Leugnung gewesen. Ihr ging es nicht gut. Sie war am Ende. Und das wusste sie selber sehr gut. Es war alles andere als gut. Und zu gerne hätte sie mit jemandem gesprochen.

Es war fast schon ironisch. Wenn sie die Möglichkeit bekam, mit jemandem zu reden, ergriff sie sie nicht. Und wenn sie es wollte, gab es keine Möglichkeit.

Natürlich hätte sie auch einfach aufstehen und jemanden wecken können. Doch sie wollte niemanden mit ihrem Problemen belästigen. Diese Katzen kämpften, im Gegensatz zu ihr, jeden Tag hart für ihren Clan.

Da würden sie bestimmt nicht noch von einer alten Kriegerin belästigt werden wollen, die nur jammern wollte. Einige hätten ihr vielleicht zugehört, Mitgefühl gezeigt. Ihr verziehen.

Aber wer? Wer waren diese Katzen, die das tun würden? Morgenhimmel hatte keine Ahnung. Sie wusste nicht, wem sie vertrauen konnte und wem nicht. Sie wusste gar nichts. Gar nichts über ihre Clan-Gefährten.

Die blaugraue Kriegerin seufzte und erhob sich auf die Pfoten. Ihr ganzer Körper schmerzte immer noch. Sie war erschöpft. Sie hatte schlecht gelegen. Unbequem. Sodass der Schmerz vom Rücken sich durch ihren ganzen Körper ausbreitete.

Morgenhimmel gähnte. Sie war so müde. So müde, dass sie auf der Stelle hätte einschlafen können. Zumindest, wenn ihre Gedanken es zugelassen hätten.

Doch sie ließen es nicht zu. Sie hielten sie einfach am Wachsein. Und sie konnte nichts dagegen tun. Es gab kein Entkommen aus diesem Teufelskreis. Sie war gefangen.

"Ich werde eh nicht mehr einschlafen", murmelte sie und schob sich aus dem Kriegerbau. Immer wieder traf sie andere Katzen mit ihren Pfoten, doch diese murrten nur und schliefen weiter.

Wie sehr Morgenhimmel sie doch beneidete. Wie sehr sie sich wünschte, einer von ihnen zu sein. Sie wollte einfach nur ihr normales Leben zurück haben. Habichtfeder. Doch sie wusste, dass sie das nicht verdiente.

Sie hatte etliche Fehler gemacht, die das Leben ihrer Clan-Gefährten so verschlechtert hatten. Nun war es neben so, dass sie dafür leiden musste. Es war ihre Schuld.

Sie nahm einen tiefen Atemzug, als sie den Kriegerbau verließ. Die frische Luft hat ihr gut. Aber auch nicht lange. Denn schon viel zu gewöhnte sie sich daran.

Die Sache mit dem Gewöhnen. Das war auch etwas, das sie nicht verstand. Sie hatte es. Viel zu schnell hatte sie sich an Habichtfeder und die sonstige Einsamkeit gewöhnt.

Doch daran, dass sie nun komplett alleine war und keinen mehr hatte - daran konnte sie sich nicht gewöhnen. Es schmerzte jeden Tag aufs Neue. Es war, als würde man eine Wunde aufreißen.

Jeden Tag. Und so war jeder Tag, den sie in ihrem tristen Leben verbrachte, einfach nur eine Qual, die sie zu gerne beenden wollte. Doch sich zu töten, wäre feige gewesen.

Und das war der einzige Grund, wieso sie weitermachte. Und weil der WunderClan sie mehr oder weniger zwang. Doch hätte man ihr die Entscheidung gegeben, ob sie aufgeben wollte - sie hätte es ohne zu zögern getan.

Denn dann wäre alles so viel einfacher. Sie würde einfach im WunderClan aufwachen, wenn dieser sie haben wollte, und könnte alles wieder gutmachen.

Doch so was das unmöglich. Sie war gefangen. Einerseits war sie den Geistern ihrer Freunde und Familie so nah, und doch waren sie unerreichbar. Egal, was sie tat.

Jede Nacht hoffte sie, dass sie von ihnen träumen würde. Dass sie sie in ihren Träumen besuchen würden. Vom WunderClan aus. Doch nie geschah etwas davon. Und inzwischen hatte sie sich damit abgefunden, dass sie Leiden musste.

Was nicht bedeutete, dass ihr das gefiel. Sie wollte einfach nur noch weg. Diesem schrecklichen Tag entkommen. Diesen schrecklichen Tagen, die immer eine Qual waren.

Niedergeschlagen ließ sie sich am Flussufer nieder. Das Wasser floss so sachte, langsam. So sanft. Viel zu ruhig. Die Welt war so still - und ihr war Krieger. Ein schrecklicher Krieg.

Sie konnte nichts tun. Es war, als wäre der Schmerz ein Clan, der sie angriff. Traurig grub sie ihre Krallen in die Erde, um dem unsichtbaren Druck besser standhalten zu können.

Erinnerungen kamen in ihr hoch. Erinnerungen an die alten Tage. Als alles noch so wunderbar gewesen war. So einfach. Als sie noch nicht so ein schreckliches Leben gehabt hatte.

Jetzt war alles nur noch dunkel. Die Sonne konnte heller scheinen als je zuvor. In ihr würde es die tiefste Nacht sein. Und diese Nacht gab es nun seit zwei Monden.

Wie oft hatte sie sich jetzt aus dem Lager geschlichen? War zum Fluss gegangen? Um in Erinnerungen zu schwelgen? Und eingeschlafen? Am nächsten Morgen aufgewacht, da eine Patrouille vorbei kam?

Sie wusste es nicht mehr. Sie hatte aufgehört zu zählen. Denn das brachte eh nichts mehr. Es war definitiv zu oft gewesen. Sie sollte schlafen. In ihrem Nest liegen.

Und die Gerüchte machten es auch nicht besser. Dass sie einen HimmelClan-Krieger treffen und von ihm Jungen erwarten würde. Daher wäre sie auch so deprimiert. Und sie würde nichts essen, da sie nicht zu viel zunehmen wollte.

Doch diese Gerüchte interessierte sie nicht einmal wirklich. Denn sie würde niemals jemand anderen lieben als ihn. Als Habichtfeder. Er war ihre große Liebe gewesen. Er war der Einzige, der sie akzeptiert hatte.

Habichtfeder.

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