Verpflichtet
Sprenkelpfote war etwas eingeschüchtert, als Wolfstern sich mit angelegten Ohren und gesträubtem Fell vor Rindenschatten und Rosendorn aufbaute.
»Wenn ihr mir etwas sagen wollt, dann sagt es hier und jetzt«, miaute sie mit einem unterdrückten Fauchen. »Ich habe keine Geheimnisse vor meinem Clan.«
Was haben sie vor?, fragte Sprenkelpfote sich. Sie hatte heute noch keine Zeit gehabt, um sich mit Fliegenschatten zu treffen, weil er zusammen mit den anderen die Totenwache für Wiesenjunges gehalten hatte. Gleich zwei junge Katzen hintereinander zu verlieren muss mehr als schwer für den DonnerClan gewesen sein. Selbst jetzt noch wirkte Moorpfote, die Schwester von Hirschpfote, unglaublich traurig. Es ärgerte sie nur, dass die Schülerin sich ausgerechnet Fliegenschatten ausgesucht hatte, um von ihm getröstet zu werden. Sie war die letzten Tage kaum von ihm wegzubekommen gewesen.
»Dann sagen wir es geradeheraus«, entgegnete Rosendorn scharf. »Wir finden, dass der DonnerClan nicht weiterziehen sollte, um nach dem FlussClan zu suchen. Wir sind nicht mal einen Mond unterwegs und es sind schon zwei Katzen gestorben. Junge Katzen, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten. Die Reise ist zu gefährlich.«
»In unserem alten Territorium ist es vielleicht nicht sicher wegen der Ungeheuer«, fügte Rindenschatten hinzu, »aber ein Stück von hier gibt es eine weite Wiese, die unserer Heimat ähnelt. Wir könnten uns dort niederlassen und müssten nicht über dieses Gebirge, das bestimmt noch viel gefährlicher ist als dieser Donnerweg und das vergiftete Wasser.«
»Seid ihr die einzigen, die das so sehen?«, fragte Wolfstern.
Rosendorn und Rindenschatten sahen sich an, bis letzterer sich wieder an die Anführerin wandte: »Ich bin mir sicher, dass Elsterschnabel das genauso sieht. Und Waldschleicher und Moorpfote auch.«
Die rote DonnerClan-Kriegerin neben ihm kniff die Augen zusammen. »Wirst du uns anhören, Wolfstern? Oder wirst du unsere Einwände ignorieren? Sag schon! Alle hören dir zu!«
Sprenkelpfote sah, wie Wolfstern unwillig mit den Ohren zuckte, und erwartete schon eine scharfe Bemerkung, aber die Anführerin nickte nur zustimmend. Auch wenn es sie scheinbar einige Mühe kostete, sich zusammenzureißen.
»Ich verstehe, dass diese Reise sehr beängstigend und gefährlich ist«, hob sie an. »Aber wären die Tode von Hirschpfote und Wiesenjunges nicht bedeutungslos, wenn wir uns hier einfach wieder niederlassen würden?«
Ein leises Murmeln ging durch die Katzen. Einige nickten, andere wirkten nicht sehr überzeugt. Sprenkelpfote beobachtete genau, wie Waldschleichers Blick in die Richtung zuckte, wo Hirschpfotes Grab lag. Er würde nicht zulassen, dass der Tod seines Sohnes bedeutungslos war, da war sie sich sicher.
»Wir sind nicht losgezogen, um bei der ersten Schwierigkeit gleich aufzugeben wie ein verängstigtes Kaninchen.« Wolfstern funkelte Rosendorn und Rindenschatten mit unterdrückter Wut an. »Es ist unser Zusammenhalt, der uns stark macht. Und unser Glaube daran, dass der SternenClan uns an einen Ort führen wird, an dem wir nicht nur wenige Monde, sondern bis ans Ende aller Zeit sicher werden leben können. Mit genug Beute für alle, mit genug Territorium für alle und ohne giftiges Wasser, Donnerwege oder Zweibeiner in der Nähe.
Ihr beide habt mir gerade nur gezeigt, dass euch dieser Glaube fehlt und dass ihr Angst vor noch größeren Gefahren habt. Ein richtiger Krieger hat auch Angst, aber er stellt sich ihr und besiegt sie. Er ist eine starke Katze. Ihr hingegen seid schwach. Und ich möchte keine Katzen in meinem Clan haben, die ihn mit ihrer Angst lähmen. Also gebe ich euch die Wahl: Wollt ihr weiterhin Krieger des DonnerClans sein und als starke, mutige Katzen mit uns ziehen oder wollt ihr wie Feiglinge hier nahe des Donnerwegs leben und sterben, ohne dass ein Clan eure Totenwache hält?«
Darauf folgte ein langes Schweigen. Sprenkelpfote spürte, wie ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. Wolfsterns Worte stimmten sie nachdenklich und machten sie zugleich stolz. Ich werde nie so denken wie Rosendorn oder Rindenschatten! Ich werde dem WindClan treu sein! Bis zu meinem Tod! Doch ihre gute Laune wurde gedämpft von dem Gedanken an Fliegenschatten. Und den Warnungen, die Schattenstern ausgesprochen hatte. Wenn wir beide unserem Clan treu sind, können wir dann überhaupt zusammen sein?
»Ich bleibe«, durchbrach schließlich Rindenschattens Stimme das Schweigen. Auch Rosendorn nickte. »Meine Treue gehört dem DonnerClan.«
»Dann werden wir morgen weiterziehen«, meinte Wolfstern. Es schien nicht so, als hätte sie das mit Schattenstern und Windstern abgesprochen, denn diese wechselten einen schnellen Blick, aber keiner widersprach.
Allmählich zerstreuten sich die Katzen wieder und Sprenkelpfote versuchte, Fliegenschattens Blick einzufangen, doch der schwarze Kater sah gar nicht in ihre Richtung. Etwas enttäuscht gab sie es auf. Wenn wir morgen weiterziehen, werde ich noch genug Zeit haben, um mit ihm zu reden.
***
Erst, als die Clans bei dem Fluss angekommen waren, den sie überqueren mussten, hatte Sprenkelpfote die Gelegenheit, endlich in Fliegenschattens Nähe zu sein ohne dass jemand etwas dagegen hatte. Die Katzen waren so dicht am Ufer gedrängt und diskutierten, welche Stelle die schmalste und ungefährlichste war, dass es niemandem auffiel.
»Ich habe dich vermisst«, flüsterte Sprenkelpfote dem schwarzen Kater zu. »Mein Beileid zu Hirschpfote und Wiesenjunges.«
Fliegenschatten nickte etwas bedrückt. »Moorpfote war wirklich kaum zu trösten.«
Sprenkelpfote spürte einen leichten Stich in ihrer Brust. War das Eifersucht? Dabei wusste sie doch, dass der normalerweise fröhliche Kater an ihrer Seite sie liebte. »Ich finde es nett, dass du dich um sie gekümmert hast«, presste sie irgendwie heraus. Sie erinnerte sich an die Zeit zurück, während der sie nicht gewusst hatte, wo Dunkelherz war und ob er überhaupt noch lebte.
»Jedenfalls habe ich ihr gesagt, dass sie sich vielleicht etwas ablenken sollte«, miaute Fliegenschatten und erhob sich auf die Beine, als die Clan-Katzen unter der Führung von Windstern und Ojiha ein Stück flussabwärts gingen. Anscheinend hatte jemand dort eine geeignete Stelle für die Überquerung entdeckt. Sprenkelpfote blieb an seiner Seite und hörte ihm aufmerksam zu, während er fortfuhr:
»Ich wollte sowieso nochmal mit dir reden. Wegen uns.« Seine Ohren zuckten irgendwie sorgenvoll oder verunsichert. »Unsere Eltern haben schon recht, was die Treue zum Clan angeht. Du bist noch eine Schülerin und verstehst das vielleicht nicht, aber...«
»Ich werde aber schon bald Kriegerin!«, fiel Sprenkelpfote ihm ins Wort. »Kräuselsturm meint, ich wäre schon so weit und Efeubein und Spritzklang haben Nebelpfote und Dunkelherz auch schon an Schattenstern weiterempfohlen!«
»Wirklich?« Fliegenschattens Augen leuchteten auf. »Das ist wunderbar! Ich freue mich wirklich für dich! Und das macht das Ganze vielleicht etwas leichter. Oder auch schwieriger. Ich weiß nicht...«
Die Katzen um sie herum blieben eine nach der anderen stehen. Weiter vorne teilten die Anführer und ihre Stellvertreter kleine Gruppen ein, die zusammen den Fluss überqueren sollten. Noch hatten sie aber etwas Zeit.
»Was macht es denn leichter?«, fragte Sprenkelpfote etwas neugierig. »Dass wir uns heimlich treffen? Bestimmt! Schließlich habe ich dann keinen Mentor mehr, der mich immer im Auge behält.«
Doch Fliegenschatten schüttelte den Kopf. »Ich finde es nicht gut, wenn wir uns weiterhin im Geheimen treffen. Ich fühle mich dann irgendwie wie ein Verräter. Es ist nicht gut, wenn man Geheimnisse vor seinen eigenen Clan-Gefährten hat. Und wir werden sowieso irgendwann auffliegen. Ich habe das Gefühl, dass Eichelpfote mittlerweile schon etwas vermutet. Sie hat bisher nur nichts gesagt, weil ich Moorpfote getröstet habe.«
Wieder dieser schmerzhafte Stich. Und dann noch einer. Sprenkelpfotes Herz schlug wie verrückt und sie spürte eine betäubende Angst in sich aufsteigen. »Was...?« Ihre Stimme war leicht krächzend, also versuchte sie es nochmal: »Was meinst du damit?«
»Ich möchte vorschlagen, dass du dich dem DonnerClan anschließt.«
Sprenkelpfote sah ihn überrascht und fassungslos zugleich an. Und ich habe schon gedacht... Ich habe gedacht, er würde... Sie brachte den Gedanken nicht zu Ende.
»Ich soll mich dem DonnerClan anschließen?« Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Ja, ich verstehe mich nicht so gut mit Schattenstern, aber was ist mit Nebelpfote und Dunkelherz? Sie werden im WindClan bleiben und ich werde sie nur noch selten sehen. Und was, wenn Nachtrabe recht hatte? Wenn es zu einem Kampf zwischen unseren Clans kommt, werde ich dann gegen meine Brüder kämpfen können? Auf keinen Fall!
»Sprenkelpfote?« Sie zuckte zusammen, als Fliegenschatten sie ansprach. »Alles in Ordnung?«
»Ja, ich habe nur überlegt, ob ich das wirklich tun kann.«
Der schwarze Kater schnurrte, aber es hörte sich eher traurig als amüsiert an. »Jetzt denkst du wie eine richtige Kriegerin. Wahrscheinlich haben wir sogar dasselbe gedacht. Ich weiß nämlich auch nicht, ob ich meinen Clan verlassen kann, um mit dir im WindClan zu leben.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist alles so viel komplizierter, wenn man älter ist. Warum ist das so?«
Sprenkelpfote schmiegte sich tröstend an ihn. »Uns wird schon etwas einfallen. Zusammen schaffen wir das! Ganz bestimmt!« Sie leckte ihm noch schnell über die Flanke, bevor sie sich von ihm entfernte. Die ersten Katzen hatten bereits auf die andere Seite übergesetzt und sie beide würden bald dran sein. Es war besser, wenn man sie nicht zusammen sah.
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