Stur

Den ersten Tag ging es nur langsam voran. Die Anführer teilten immer wieder Gruppen ein, die entweder jagen gingen oder Äste sammelten, um den Schnee über der Höhle fest zu machen, so wie die Stellvertreterin des DonnerClans es vorgeschlagen hatte. Die schwerste Arbeit war aber die, den Schnee selbst wegzuschaffen. Zwar half die Berglöwin Aer ihnen, wo es ging, aber auch sie musste ab und zu Pausen einlegen.

Am dritten Tag hatte Sonnenpfote das Gefühl, keine Ballen mehr zu haben. Er war sich ziemlich sicher, dass sie alle abgefroren waren, aber aus irgendeinem Grund waren sie immer noch da, als er nachschaute.

»Ihr werdet abgelöst!«, rief Luftfell kurz bevor er glaubte, er hätte keine Beine mehr. Die Heilerin stand unten, wo der aufgeschüttete Schneewall vor der Höhle in eine flachere Fläche überging. Sonnenpfote hörte seine Clan-Gefährten um sich herum erleichtert aufatmen.

»Soll der WindClan doch das letzte Stück machen«, murmelte Harzjäger im Weggehen.

»Fast fertig!«, ertönte nun die viel fröhlichere Stimme von Wasserpfote neben ihm. »Bestimmt werden Funkenlicht und die anderen heute Abend schon wieder im Freien sein!«

»Hoffentlich!« Sonnenpfote schickte ein kurzes Stoßgebet zum SternenClan.

»Wie geht es euch?«, wurden sie unten sogleich von Luftfell begrüßt. »Habt ihr euch irgendwie verletzt oder habt ihr Schmerzen?«

»Ich glaube nicht, dass ich eine Verletzung überhaupt spüren würde«, miaute Sonnenpfote und ließ zu, dass die Heilerin kurz seine Ballen untersuchte. Gleich am zweiten Abend hatte ein DonnerClan-Krieger sich beim Wegschaufeln des Schnees einen spitzen Stein in die Ballen gestoßen. Seine Pfoten waren jedoch so kalt gewesen, dass er es nicht bemerkt hatte und es erst am nächsten Morgen aufgefallen war. Deswegen hatten die Heiler nun die Aufgabe, alle Katzen auf Verletzungen zu untersuchen, sobald ihre Schicht zu Ende war.

»Sieht alles gut aus«, meinte Luftfell, nachdem sie sich auch Wasserpfotes Ballen angeschaut hatte. »Nehmt euch etwas Frischbeute. Ich glaube, Aer hat wieder einen großen Vogel gefangen.«

»Danke!«, schnurrte Wasserpfote und hüpfte voraus.

Sie hat immer so viel Energie, dachte Sonnenpfote, teils belustigt und teils bewundernd. Woher nimmt sie die nur? Ich könnte gleich hier und jetzt einschlafen.

Eigentlich hatte er das auch vor, aber im nächsten Moment tauchte Kräuselpfote neben ihnen auf. »Ihr müsst mitkommen!«, raunte sie ihnen zu. »Sternenpfote hat vor, mit Aer zu reden!«

»Muss das unbedingt jetzt sein?«

»Wenn wir morgen weiterziehen, ist heute wahrscheinlich die letzte Gelegenheit, überhaupt mit ihr zu reden«, entgegnete Kräuselpfote, leicht verunsichert wegen seines Tonfalls. »Wir müssen sie davon überzeugen, mit uns zu kommen! Immerhin besitzt sie eine der Mächte! Die Macht der Luft!«

»Da wäre ich mir nicht so sicher.« Sonnenpfote blieb stehen und warf einen Blick zu der riesigen Berglöwin, die sich gerade einigen WindClan-Kriegern angeschlossen hatte, um das letzte Stück des Tunnels frei zu räumen. »Sie ist keine Katze.«

»Na und?«, wandte Wasserpfote nun ein. »Düsterer Mond war auch keine Katze. Trotzdem hat er dir deine Macht gestohlen und konnte sie benutzen.«

Sonnenpfote seufzte. Sie hat wieder mal recht. »Und was ist mit Ignis?«

»Ignis sieht nicht so aus, als würde er uns bald verlassen wollen.« Kräuselpfote deutete in Richtung des orange getigerten Katers, der sich mit vor Begeisterung leuchtenden Augen mit Schattenstern unterhielt.

»Wann wollte Sternenpfote mit Aer reden?«

»Jetzt gleich.« Die Heilerschülerin sah hinüber zu den arbeitenden Katzen. Die Berglöwin war verschwunden. »Kommt mit!«

Mit kribbelnden Pfoten, in die langsam das Leben zurückkam, folgte Sonnenpfote ihr, Wasserpfote dicht bei sich. Kräuselpfote führte sie an der Stelle vorbei, wo der SchattenClan die letzten Nächte verbracht hatte. Dann sprang sie einen kleinen Abhang hinab. Viele Pfotenspuren zogen sich durch den Schnee, denn hier gingen die Jagd-Patrouillen immer entlang. Doch dann hüpfte Kräuselpfote auf einen Felsen und auf der anderen Seite hinunter, verwischte so ihre Spuren. Ein Stück dahinter, vor einer steilen Felswand, warteten bereits Sternenpfote und Aer.

»Wir sind da!«, verkündete Kräuselpfote das Offensichtliche.

»Ihr habt euch so lange Zeit gelassen, dass ich ihr schon alleine alles erklärt habe«, brummte Sternenpfote.

»Und?«, fragte Wasserpfote aufgeregt.

Sternenpfote nickte zu der großen Berglöwin, die die Katzen aus ihren großen, bernsteinfarbenen Augen ruhig musterte. Dann schüttelte sie den Kopf.

»Nein?« Kräuselpfote starrte Aer ungläubig an. »Du möchtest nicht mit uns kommen?«

»Bin hier Zuhause«, antwortete die Berglöwin. »Kann Zuhause nicht verlassen. Habe vielleicht Macht, habe vielleicht keine Macht. Weiß nicht. Ist eure Sache, nicht meine.« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Wurde hier geboren und werde hier leben bis zum Tod.«

»Aber wir brauchen dich!« Kräuselpfote sah hilflos von einem Schüler zum anderen, in der Hoffnung, Unterstützung zu bekommen. »Der SternenClan braucht dich! Du bist ein Teil der großen Prophezeiung! Wahrscheinlich müssen wir etwas sehr Gefährliches verhindern oder aufhalten und das geht nur mit allen zwölf Mächten! Du musst...«

Die Augen der Berglöwin verengten sich. »Muss gar nichts. Habe keine Verpflichtungen wie ihr Clan-Katzen. Lebe alleine. Kämpfe alleine. Bin anders als ihr.«

»Aber...«

»Es hat keinen Zweck«, unterbrach Sternenpfote sie. »Sie hat sich entschieden. Und sie scheint ziemlich stur zu sein.«

Aer nickte bestätigend und Sonnenpfote konnte einen kleinen Funken von Stolz darin aufblitzen sehen.

»Wir respektieren deine Entscheidung«, miaute Sonnenpfote schließlich. Es hat keinen Sinn, weiter mit ihr zu diskutieren. Besser, wir trennen uns als Freunde. Vielleicht kommt sie mit der Hilfe des SternenClans ja doch noch zu uns, wenn wir in größter Not sind. Er muss sich ja etwas dabei gedacht haben, ihr die Macht der Luft zu geben.

»Du gibst einfach so auf?« Der Vorwurf in Kräuselpfotes Stimme war kaum zu überhören. Und in sich drin hörte er nun auch jene verhasste Stimme.

Gibst du auf, Feigling? Bist du wirklich so schwach? Musst du dich schon auf die Hilfe toter Katzen verlassen, um etwas auf die Reihe zu bekommen?

Halt die Klappe!, zischte Sonnenpfote innerlich und musste sich zusammenreißen, um das Fell nicht zu sträuben und die Krallen nicht auszufahren. Zum Glück spürte er gleich darauf Wasserpfotes weiches Fell neben sich. Sie strich ihm liebevoll über die Wange.

»Wir respektieren ihre Entscheidung«, bestätigte Sternenpfote den Beschluss seines Bruders und stand auf. Es war bemerkenswert, dass er trotz seiner Blindheit genau zu wissen schien, wo Aer sich befand. Er nickte ihr knapp zu. »Du bist trotzdem jederzeit bei uns willkommen«, fügte er hinzu. »Wir sind auf dem Weg zum salzigen Wasser. Dort wirst du uns finden.«

»Geht zum Meer«, sagte die Berglöwin verstehend.

»Wir werden aber doch nicht ewig dort bleiben!«, warf Kräuselpfote ein. »Was ist mit dem WolkenClan? Erinnere dich, was Schattenstern, Ojiha und Luftfell uns erzählt haben!«

Sternenpfote starrte sie mit seinen leeren Augenhöhlen eindringlich an, bis sie eingeschüchtert zurückwich und den Kopf senkte. »Du wirst wissen, wo wir sind«, wandte er sich erneut an Aer.

»Wünsche euch Glück«, entgegnete die Berglöwin nur und erhob sich auf die Beine. Mit großen Sprüngen bewegte sie sich über den Schnee, kletterte den nächsten Felsen hinauf und verschwand.

***

»Warum hast du sie nochmal ausgewählt, Wolken?« Eine braun getigerte Kätzin saß in einer Höhle vor einem kleinen Teich und blickte auf seine Oberfläche, wo die schneebedeckte Felsenlandschaft nun in einem schwarzen Nebel verschwand. Nur noch die dunkle Decke der Höhle spiegelte sich in dem Wasser.

»Sie hatte den richtigen Namen«, antwortete ein hellgrauer Kater, dem die Gereiztheit der Kätzin offensichtlich nicht gefiel.

»Sicher gibt es Tausende Katzen, die diesen Namen haben!«, fauchte die getigerte Kätzin.

»Am Anfang warst du noch recht beeindruckt davon, dass er sie gefunden hat, Wind«, warf ein roter Kater ein. Seine bernsteinfarbenen Augen glühten in der Dunkelheit.

»Äußerlich vielleicht«, meinte Wind. »Innerlich fand ich es schon damals seltsam, dass sie keine Katze war, sondern eine Berglöwin. Und jetzt weigert sie sich, ein Teil der großen Prophezeiung zu sein!«

»Vielleicht sollten wir anfangen, nach einer Lösung zu suchen statt uns die ganze Zeit zu beschweren«, meinte eine schwarze Kätzin, die sich langsam auf die Beine erhob. Sie war fast unsichtbar in der Finsternis der Höhle.

»Was schlägst du vor, Schatten?«, fragte der rote Kater. »Sie glaubt nicht an den SternenClan.«

»Und ich habe nicht vor, nochmal etwas ohne die Erlaubnis von Titikala zu machen.« Wolken erschauerte. »Er hat mich nur davonkommen lassen, weil ich Aer nicht geschadet habe. Aber er wird nicht zulassen, dass ich mich erneut in die Angelegenheiten der Pumas einmische.«

»Was dann?« Schatten sah in die Runde. Ihr Blick blieb an dem silbergrauen Kater hängen, der bisher noch nichts gesagt hatte. »Was ist mit dir, Fluss? Es geht hier schließlich auch um deinen Clan!«

»Wir können nur hoffen.« Seine Stimme war tief und durchdrang die Höhle wie ein ferner Donner. »Wir sollten Aer zu nichts zwingen. Das wird es nur noch schlimmer machen.«

»Es ist schon schlimm genug!«, brauste Wind auf. »Verstehst du es denn nicht? Wenn Aer nicht mit den Clans kommt, wird die große Prophezeiung sich nicht erfüllen!«

Doch Fluss schwieg. Nach einer Weile stand er auf. »Ich muss nachdenken«, miaute er und verließ die Höhle.

»Geh ruhig!«, rief Wind ihm hinterher. »Lass uns die ganze Arbeit machen! Es sieht fast so aus, als wäre der FlussClan dir egal!« Sie hielt kurz inne. »Vielleicht ist er es dir ja auch!«

»Das war jetzt aber etwas fies«, wandte Schatten sich an die braun getigerte Kätzin. »Immerhin war er es, der in den Wald der Finsternis gegangen ist, um die Mächte, die Schwebetropfen gestohlen hat, wieder in den SternenClan zu bringen.«

»Und er hat Tigerstern getötet, sodass er wiedergeboren werden kann«, fauchte Wind.

»Er hatte keine andere Wahl. Das war die Bedingung der finsteren Krieger dort.«

»Ja, das behauptet er«, murmelte Wind und starrte stur in den Teich, dessen Wasser sich leicht kräuselte.

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Was Aers Entscheidung wohl für Folgen haben wird? 

Nebenbei gesagt: Bisher gab es in jedem Band ja irgendein »Special« wie z.B. der Zeichenwettbewerb im dritten Band oder die Q&A-Session im vierten Band. Auch für diesen Band habe ich mir etwas Cooles ausgedacht ;) Dass Wattpad genau jetzt die Privatnachrichten entfernt hat, hat mir einen kleinen Strich durch die Rechnung gemacht, aber egal. Es wird auch so klappen. Genauere Informationen folgen dazu noch :) Seid gespannt!

Lied zum Kapitel: Maddox Raburn - Determination

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