Sorgenlos
Terra beobachtete schnurrend, wie Hechtkralle seinen Schüler Dachspfote abholte und sich mit ihm zusammen der Patrouille anschloss, die die Umgebung erkunden sollte. Die Clans hatten es endlich geschafft, die Himmelberge zu überqueren. Nun ragten die riesigen Felsnadeln direkt hinter ihnen in die Höhe, während sich vor ihnen zunächst eine harte, steinige und kahle Fläche ausbreitete und dahinter dann eine grüne Wiese.
»Sieht alles gut aus«, miaute Sprungflügel, die nun einen Schritt zurück trat. »Noch einen halben Mond, dann sollten deine Jungen kommen.«
»Danke!« Terra nickte der Heilerin dankbar zu. Ihr Blick fiel auf Glanzpfote, die sich bei ihrer Schülerzeremonie wirklich dazu entschieden hatte eine Heilerkatze zu werden. So, wie Vogelschweif es schon vermutet hatte. Die schneeweiße Kätzin hielt einige Kräuter im Maul, die sie jetzt vor ihr fallen ließ.
»Borretsch für Milchbildung«, sagte Glanzpfote und sah zu ihrer Mentorin auf.
»Richtig«, bestätigte Sprungflügel. »Gut gemacht, Glanzpfote.«
Die junge Kätzin strahlte bei dem Lob förmlich.
Terra verkniff sich ein belustigtes Schnurren und leckte die Kräuter auf. Sie schmeckten leicht bitter, waren aber aushaltbar. Dann stand sie auf, verabschiedete sich mit einem Nicken von den beiden Kätzinnen und sah sich um, bis sie Aqua fand. Ihre beste Freundin saß auf einem der hier herumstehenden Felsen und schaute nachdenklich in die Ferne.
»Worüber denkst du nach?«, rief Terra zu ihr hoch, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Zu ihrer Überraschung zuckte Aqua erschrocken zusammen. »Habe ich dich bei irgendwas gestört?«
»Nein, alles gut«, miaute die gestreifte Kätzin mit ihrer tiefen Stimme und sprang zu ihr hinunter. Dafür war Terra ihr dankbar. Ich wäre nie im Leben da hoch gekommen. Nicht mit meinem dicken Bauch.
»Ich habe mich nur gefragt, wie der FlussClan uns aufnehmen wird«, sagte sie und setzte sich. Jetzt schauten sie zusammen in die Ferne. Dort bewegten sich drei Patrouillen, eine von jedem Clan, zwischen den Steinen hindurch auf die grüne Wiese zu. Hechtkralle schimpfte kurz mit Dachspfote, als dieser auf einen Felsen kletterte, um von dort auf den Rücken seines Mentors zu springen.
»Wie sollte er uns aufnehmen?« Terra erinnerte sich nur allzu gut an die Begegnung mit dem DonnerClan. Die mit ihrer Verbannung geendet hatte, weil Funkenstern ihr den Mord an Regenmond angehängt hatte. »Wahrscheinlich feindselig.«
»Aber dieses Mal haben wir Ojiha«, erinnerte Aqua sie und deutete zu dem großen Kater, der zwischen den Katzen des SchattenClans umher ging und vermutlich sicherging, dass alles in Ordnung war. Begleitet wurde er von Sternenpfote, der hartnäckig auf ihn einredete, bis der Schamane ihn wegschickte. »Er kommt von dort. Er hätte uns schon lange sagen können, wie der FlussClan lebt und worauf wir uns vorbereiten müssen, aber er hat es nicht getan.«
»Vielleicht hat er es schon erzählt, nur nicht uns«, schlug Terra vor. »Immerhin ist er mit dem SchattenClan gekommen. Wahrscheinlich hat er es nur Windstern berichtet.«
»Und warum hat Windstern es dann nicht an uns weitergegeben? Der FlussClan geht nicht nur den SchattenClan etwas an, sondern uns alle.«
Terra zuckte mit den Ohren. »Was ist denn so schlimm daran? Er führt uns hin und danach sehen wir weiter.«
»Erinnerst du dich noch an die Prophezeiung, die alle Heiler bekommen haben, bevor wir aufgebrochen sind?«, fragte Aqua plötzlich. »Der Erlöser ist eine Illusion. Er wird sich offenbaren, wenn die Nacht am dunkelsten ist.«
»Was ist damit?«
Aqua schwieg eine Weile. »Keine Ahnung. Ich denke nur nach.«
Terra hatte das Gefühl, dass ihre Freundin ihr etwas verheimlichte, aber sie kannte sie gut genug, um zu wissen, dass es nichts brachte, näher nachzuhaken. Oder hat sie vielleicht entdeckt, dass sie eine der Mächte hat? So wie ich, als ich auf der Jagd die Mäusetunnel aufgerissen habe. Wobei... Sie müsste die Macht des Wassers haben. Die Fähigkeit, Erinnerungen auszulöschen. Hat sie es versehentlich bei jemandem gemacht und es ist ihr aufgefallen? Sie erschauerte. Und irgendwie machte ihr das Angst.
Sie könnte mich dazu bringen, zu vergessen, dass Hechtkralle der Vater meiner Jungen und mein Gefährte ist. Oder dass ich meine Eltern bei den Clanlosen zurückgelassen habe, um Schattenstern zu begleiten. Oder dass ich eine treue Kriegerin des WindClans bin. Sie könnte mich sogar dazu bringen, meinen Namen zu vergessen.
»Ist alles in Ordnung?«
Jetzt war es an Terra, bei der Stimme ihrer Freundin erschrocken zusammenzuzucken. »Ja, alles gut. Ich habe nur... nachgedacht.«
Aqua nickte verständnisvoll. »Ich denke, wir alle denken zurzeit viel über Sachen nach.« Sie machte eine Pause. »Wie traurig, dass Lilientau keine Familie mehr im DonnerClan hatte, als sie gestorben ist. Zwar haben alle Totenwache gehalten, aber es ist kaum jemand zu ihrem Grab gekommen. Also hab ich es getan.«
Terras Herz wurde schwer. »Es muss ein schrecklicher Tod gewesen sein. Begraben unter Schnee und zu wissen, dass man nicht mehr rauskommt.« Allein beim Gedanken daran wurde ihr furchtbar kalt.
»Sie sind nun beim SternenClan«, miaute Aqua. »Und Schattenstern wird bald ihre Trauer überwunden haben.«
Terra nickte zustimmend. Zwar hatte die WindClan-Anführerin ihre Pflichten vorerst Hechtkralle übertragen, doch heute war sie es gewesen, die die Patrouillen für die Erkundung eingeteilt hatte. Nicht zu übersehen war auch Ignis, der nun ständig an ihrer Seite war, die Beute mit ihr teilte und auch ansonsten nicht von ihr wich. Vielleicht hatte der Kater ein schlechtes Gewissen, weil er Nebeljäger und Lilientau nicht aufgehalten hatte, als er sie gesehen hatte. Vielleicht spielten aber auch andere Gefühle eine Rolle. So genau konnte sie das noch nicht sagen. Jedenfalls war der vorlaute Kater, der sich scheinbar liebend gerne in Gefahr brachte, ihr trotzdem irgendwie suspekt.
»Was hältst du von Ignis?«, fragte sie spontan ihre beste Freundin.
»Er ist etwas seltsam«, antwortete Aqua. »Aber er scheut nicht davor zurück, sich selbst in Gefahr zu bringen, um anderen zu helfen. Weißt du noch, wie er Spritzklang und dich vor der Schlange gerettet hat?«
»Ja, schon«, gab Terra zu. »Es kommt mir trotzdem komisch vor, dass er sich uns einfach so angeschlossen hat.« Immerhin hat niemand ihm von den Mächten erzählt.
»Hast du nicht bemerkt, dass Schattenstern ihm gefallen hat?« Aqua stieß sie spielerisch an.
»Wirklich?«
»Ja. Er hat mich sogar über sie ausgefragt. Ob sie einen Gefährten hat, was für Beute sie gerne isst, was sie außerhalb ihrer Pflichten gerne tut.«
Warum ausgerechnet dich?, wäre es ihr fast herausgerutscht, doch sie hielt sich zurück. »So? Und du hast ihm das alles erzählt?«, fragte Terra verschmitzt, um ihre beste Freundin damit aufzuziehen. »Bist du etwa die professionelle Verkupplerin des WindClans?«
Aqua sprang auf die Pfoten und schnurrte belustigt. »Und wenn ich es wäre?«
»Dann hast du meine absolute Unterstützung!« Gut gelaunt rannte sie an Aqua vorbei und hinaus in die kahle Landschaft. Etwas Bewegung würde ihr sicher nicht schaden.
Etwas langsamer als früher liefen die zwei Kätzinnen umher, kletterten oder sprangen auf niedrigere Felsen und spielten, wie Terra es früher oft im Lager der Clanlosen getan hatte. So viel Zeit war seitdem vergangen. Und so viel war passiert.
»Ich wette, du bekommst mich nicht!«, rief Terra und hüpfte von einem der Steine runter. Im selben Moment gab der Boden unter ihr nach. Schreiend und kreischend stürzte sie in ein dunkles Loch, während von oben Steine und Erdbrocken auf sie herunter prasselten. Mit den Pfoten rudernd versuchte sie, ihren Fall irgendwie aufzuhalten, was ihr auch gelang. Aber zu dem Zeitpunkt war sie schon vollständig in der Erde gefangen. Alles war dunkel. Sie konnte kaum atmen.
»Terra!«, hörte sie dumpf Aquas panische Stimme über sich. Ein Kratzen, als würde ihre beste Freundin versuchen, sich einen Weg zu ihr zu graben. »Terra! Hörst du mich? Halte durch!«
Ich kriege keine Luft, dachte Terra. Der Schock saß ihr tief in den Adern. Werde ich sterben? Nein, ich darf nicht sterben! Mit aller Kraft versuchte sie, ihre Pfoten zu bewegen, doch es ging nicht. Die Erde um sie herum hielt sie fest in ihrem Griff. Und dann spürte sie einen heftigen Schmerz in ihrem Bauch. Sie stöhnte leise auf. Etwas Warmes floss ihre Hinterbeine hinunter. Es ist zu früh, dachte sie. Sprungflügel hat gesagt, in einem halben Mond! Oh SternenClan, bitte nicht!
Dann übernahm ihr Instinkt. Sie wurde vollkommen ruhig, ignorierte den Schmerz. Eine angenehme Wärme floss durch ihren Körper. Und plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte. Die Erde beugt sich meinem Willen! Ich muss stark sein! Ich werde hier rauskommen! Meine Macht wird mir helfen. Mir und meinen Jungen.
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Lied zum Kapitel: Ivan Torrent – Facing Fears
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