Gewusst
Sprenkelschweif hätte nicht gedacht, dass man so leise und unbemerkt sterben konnte. Bisher hatte sie nur Katzen gesehen, die in Kämpfen gestorben waren. Oder irgendwie anders, aber jedes Mal hatte es etwas Lautes gegeben, was den Tod angekündigt hatte. Nur nicht bei Bruchsee.
Mit hängendem Kopf trat Dünenläufer zurück, der das Grab des dunkelgrauen Katers zugeschaufelt hatte. Es lag auf der windabgewandten Seite einer Düne und war umgeben von grünem Gras, das sich in jeder Böe leicht hin und her wiegte. Bruchsee war mitten in der Nacht gestorben, als sie alle geschlafen hatten. Zuletzt hatte er nicht mal mehr Kraft zum Husten gehabt. Und die Kräuter, die sie gefunden hatten, hatten kein Bisschen geholfen.
»Möge der SternenClan ihn mit Ehren in seine Reihen aufnehmen«, flüsterte Gischtblüte leise. »Er hat tapfer gekämpft und ist trotzdem diesem Grünen Husten erlegen.«
Sprenkelschweif senkte den Blick und schickte ebenfalls ein stilles Gebet zum SternenClan. Dabei dachte sie auch an Nebeljäger und Lilientau und alle anderen Katzen, die auf der Reise und davor gestorben waren. Sie dachte aber auch an das Leben, das in ihr heranwuchs. Manchmal spürte sie ihre Jungen bereits treten. Gischtblüte hatte gesagt, dass es drei oder vier sein würden und es schon bald soweit wäre.
»Komm, du musst zurück in die warme Höhle«, miaute die ehemalige Priesterin an ihrer Seite nun auch. »Nicht, dass du dich erkältest.«
Sprenkelschweif zögerte. »Was ist mit der Totenwache?«
Gischtblüte sah sie überrascht an. »Totenwache? Wir haben sie eben gehalten.«
»So kurz?«
»Es war lang genug, um ihm die Ehre zu erweisen.«
Etwas unbeholfen wegen ihres schweren Bauches trottete Sprenkelschweif schließlich doch zur Höhle und kletterte hinein. Sie hatte auf der gegenüberliegenden Seite von Bruchsee geschlafen, denn sie hatte Angst gehabt, sich anzustecken. Dort rollte sie sich zusammen. In letzter Zeit hatte sie auch nicht mehr vernünftig jagen gehen können, sodass Gischtblüte und Dünenläufer das übernehmen mussten. Aber sie waren trotz ihrer neu erlernten Jagdtechniken nicht so gut und Sprenkelschweif hatte das Gefühl, dass sie abgenommen hatte.
Ich bin froh, wenn ich wieder beim WindClan bin, fuhr es ihr durch den Kopf und wunderte sich gleichzeitig über diesen Gedanken. Vor einem Mond hätte sie noch alles getan, um weiterhin als Streunerin hier zu leben, doch jetzt... Sie fragte sich, ob Moorkiefer mittlerweile wirklich Fliegenschattens Gefährtin war oder nicht und spürte sogleich einen leichten Stich der Eifersucht.
»Worüber denkst du nach?«, fragte Gischtblüte, die sich in einiger Entfernung zu ihr niedergelassen hatte. Die weiße Kätzin war so freundlich wie eh und je. Sprenkelschweif wusste zwar, dass Eichelpfote sie vor ihr gewarnt hatte, doch sie konnte nicht erkennen, weshalb.
»Über meinen Clan«, gab Sprenkelschweif zu. »Ich glaube, ich würde doch gerne zu ihm zurückkehren, wenn ich meine Jungen bekommen habe.«
Gischtblüte wirkte überrascht. »Warum?«
»Ich vermisse ihn irgendwie.«
Die weiße Kätzin seufzte. »Du kannst einfach so zurück. Und wir nicht. Denkst du, das ist gerecht?«
Sprenkelschweifs Schwanzspitze zuckte unruhig hin und her. Was möchte sie damit sagen? Dass ich nicht zurück darf, weil ich sie sonst alleine hier zurücklassen würde? »Wenn der FlussClan sich den anderen anschließt, werdet ihr ganz sicher wieder aufgenommen«, miaute sie schließlich. »Dann wird es die Regel, dass Katzen mit Narben verbannt werden, nicht mehr geben.«
»Ich weiß, dass das nicht passieren wird«, entgegnete Gischtblüte kühl. »Die Hohepriesterin wird dafür sorgen.«
»Meine... Anführerin ist schlau.« Beinahe hätte sie ›Mutter‹ gesagt. »Sie wird euren Hohewächter überzeugen können.«
Die weiße Kätzin wirkte immer noch nicht überzeugt. »Nein, es gibt nur einen Weg, mit dem ich vom SternenClan begnadigt werde.« Mehr sagte sie nicht, starrte Sprenkelschweif nur so durchdringend an, dass ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken lief.
Warum schaut sie mich so an? Unwillkürlich rollte sie sich enger zusammen und legte schützend den Schweif über ihren Bauch.
»Ruh dich noch etwas aus«, miaute Gischtblüte plötzlich und stand auf. »Du musst ausgeruht sein, wenn deine Jungen kommen. Es dürfte nicht mehr lange dauern.«
»Ihr werdet dann Eichelpfote holen, richtig?«
Die weiße Kätzin nickte nur und verließ die Höhle.
***
Fünf Sonnenaufgänge später wurde Sprenkelschweif von einem so heftigen Schmerz geweckt, dass sie keinen Schrei, sondern nur ein tonloses Keuchen herausbrachte. Ihr ganzer Bauch krampfte sich zusammen. Sie atmete flach und begriff erst nach einigen Herzschlägen, was geschah. Meine Jungen!
»Gischtblüte!« Ihre Stimme war so schrill, dass sie sie kaum wiedererkannte. Ein weiteres Mal krampfte ihr Bauch sich zusammen und sie schrie. Irgendwo in der Dunkelheit der Höhle regten sich zwei Gestalten. Dann tauchte die weiße Kätzin vor ihr auf.
»Dünenläufer!«, rief sie nach hinten. »Hol Eichelpfote!«
Sprenkelschweif wollte erleichtert ausatmen, aber eine neue Schmerzenswelle schoss durch ihren Körper. Sie biss die Zähne zusammen, doch es half nichts. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solche Qualen gespürt. Eine Pfote tastete über ihren Bauch.
»Wirklich vier Jungen«, hörte sie Gischtblüte murmeln. »Halte durch.«
Ein weitere Schrei verließ ihre Kehle. Sie warf sich in ihrem Nest herum, doch es brachte nichts, wurde nur noch schlimmer. Verzweifelt krümmte sie sich zusammen, damit die Krämpfe aufhörten. Aber die Krämpfe hörten nicht auf. Sie wurden nur schlimmer und schlimmer. Ihre ganze Welt schien aus purem Schmerz zu bestehen. Schmerz in seiner reinsten, grausamsten Form.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als eine ihr bekannte Stimme zu ihr hindurch drang. »Leg dich hin«, miaute Eichelpfote. »Alles wird gut. Ich bin jetzt da.«
Sprenkelschweif folgte der Anweisung nur unwillig. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass es etwas half, wenn sie herumkroch, doch jetzt stellte sie fest, dass es keinen Unterschied machte. Erneut krampfte sich ihr ganzer Bauch zusammen, doch dieses Mal spürte sie, dass etwas geschehen war.
»Du machst das gut«, hörte sie Eichelpfotes beruhigende Stimme. »Dein erstes Junges ist schon da.«
Sprenkelschweif verrenkte ihren Kopf, um einen Blick auf das Junge zu erhaschen, aber im selben Moment schoss eine weitere Schmerzenswelle durch ihren Körper. Sie fuhr die Krallen aus und vergrub sie tief in dem Dünengras, aus dem ihr Nest bestand. Bald war ihre Stimme heiser vom ganzen Schreien und sie wimmerte. Sie hörte nichts mehr, sah nur noch schwarze Punkte vor der allmählich heller werdenden Höhle. Ein dumpfes Rauschen war in ihren Ohren.
Und dann war es plötzlich vorüber. Der Schmerz war weg und sie fühlte sich... erschöpft. Unendlich erschöpft. Vage nahm sie wahr, dass jemand ihr ein Moosbüschel mit Wasser hinschob. Gierig quetschte sie es aus und trank. Kühl floss es ihre Kehle hinunter und gab ihr neue Kraft. Wenigstens ein bisschen.
Meine Jungen!, schoss es ihr durch den Kopf. Suchend schaute sie sich um und erblickte sie. Vier winzige, nasse Fellbündel, die sich leise quiekend auf dem Boden der Höhle zusammengekauert hatten. Warum sind sie nicht bei mir? Warum...? Und dann fiel ihr wieder ein, was sie mit Eichelpfote abgemacht hatte. Sie wird sie mitnehmen...
»Eichelpfote«, flüsterte sie und verstummte, als sie die Heilerschülerin erblickte. Sie stand mit gesträubtem Fell zwischen den Jungen und Gischtblüte. Die weiße Kätzin schlich an der hinteren Wand der Höhle hin und her. Ihre blauen Augen funkelten irgendwie... unheimlich.
Was passiert hier?, dachte Sprenkelschweif. Ihr Blick wanderte wieder zu ihren Jungen. So hilflos...
»Lass mich durch«, verlangte Gischtblüte auf einmal.
»Nein.« Eichelpfotes Stimme war scharf und duldete keinen Widerspruch.
»Ich möchte sie nur untersuchen, so wie du es getan hast.«
»Ich weiß genau, was du tun möchtest«, entgegnete Eichelpfote mit gebleckten Zähnen. »Und das werde ich nicht zulassen!«
Gischtblütes Ohren zuckten. »Du weißt gar nichts.«
»Ich weiß, dass du diese Jungen töten möchtest.«
Sprenkelschweif riss entsetzt die Augen auf. Was? Warum? Das möchte sie doch nicht wirklich! Warum sollte sie? Mit letzter Kraft versuchte sie aufzustehen, um zu ihren Jungen zu gehen, doch im selben Moment schoss Gischtblüte vor. So plötzlich, dass Sprenkelschweif keine Zeit zum Reagieren hatte. Doch dann wurde die weiße Kätzin mitten im Sprung zur Seite gerissen. Eichelpfote rammte sie und schleuderte sie gegen die Wand.
»Warum?«, fragte Sprenkelschweif. Niemand hörte sie.
Gischtblüte schlug Eichelpfote gegen den Kopf, die daraufhin zurücktaumelte. Scharfe Zähne blitzten auf und verfehlten die Kehle der Heilerschülerin nur um Haaresbreite. Diese hatte jedoch ihre Krallen ausgefahren und kratzte der weißen Kätzin damit über die Seite. Sie zischte verärgert, sprang auf die Pfoten und griff erneut an.
Sprenkelschweif hatte sich mittlerweile zu ihren Jungen vorgearbeitet. Schützend beugte sie sich über sie, während die zwei Kätzinnen einen wilden Kampf ausfochten. Hätte Gischtblüte ihre Krallen noch gehabt, wäre Eichelpfote ihr sicher unterlegen gewesen, aber so drängte die Heilerschülerin die ehemalige Priesterin immer weiter zurück.
»Gischtblüte!«, ertönte auf einmal Dünenläufers Stimme vom Eingang der Höhle. Ungläubig sah er zu den beiden kämpfenden Katzen. »Was geht hier vor?«
Mit Entsetzen bemerkte Sprenkelschweif, dass Eichelpfote dadurch abgelenkt wurde. Gischtblüte sah ihre Chance und sprang nach vorne, ihre Zähne blitzten. Im letzten Moment wich die Heilerschülerin aus. In ihren grünen Augen stand Angst geschrieben. Dann bohrte sie der weißen Kätzin die Krallen ins Fell und riss sie herum. Nun stand Gischtblütes Kehle frei und Eichelpfote bohrte ihre Zähne hinein.
»Nein!« Dünenläufer rannte so schnell, wie es ihm möglich war, zu der weißen Kätzin, deren Fell sich um die Kehle nun leuchtend rot färbte. Ihre blauen Augen starrten ins Leere.
Auch Sprenkelschweif konnte ihr Entsetzen nicht verbergen. Was ist eben passiert?
»Gischtblüte hätte Sprenkelschweifs Junge getötet«, erklärte Eichelpfote erstaunlich gefasst. Ihre Schnauze war blutverschmiert.
»Warum hätte sie das tun sollen?«, jaulte Dünenläufer.
»Sie dachte, der SternenClan würde ihr vergeben, wenn sie die Jungen einer unheiligen Kätzin tötet«, miaute Eichelpfote und wandte sich an Sprenkelschweif. »Das war der einzige Weg, um vom FlussClan wieder aufgenommen zu werden. Ich habe es gesehen. Eine Zukunft, in der sie dich und deine Jungen tötet und mit euren Leichen vor Graustern tritt. Es hätte einen Krieg ausgelöst.«
»Hat der SternenClan dir das gezeigt?«, hauchte Dünenläufer ehrfurchtsvoll.
Eichelpfote nickte und ging hinüber zu Sprenkelschweif, die sich dazu zwang, kein Stück zurückzuweichen. Die Jungen unter ihr quiekten leise.
»Ich werde sie mitnehmen und dem SchattenClan übergeben«, sagte die Heilerschülerin. »Du erinnerst dich an unsere Abmachung?«
»Warum dem SchattenClan?«, fragte Sprenkelschweif mit zitternder Stimme.
»Es wird so sein«, war ihre einzige Antwort.
Sprenkelschweif zögerte, wich dann aber zurück und gab somit ihre Jungen frei. Sie waren so klein und hilflos. Ihr Herz zog sich zusammen bei dem Gedanken, dass sie weit entfernt von ihr aufwachsen würden. Und doch so nah. Sie würden nie erfahren, wer ihre echten Eltern waren. Langsam beugte sie sich hinunter und stupste jedes ihrer Jungen zum Abschied mit der Nase an. Sie quiekten unter ihrer Berührung und reckten sich ihr entgegen. Keines von ihnen hatte ihr rotes Fell geerbt. Vielleicht ist das auch besser so. Ein letztes Mal sog sie den Duft ihrer vier Jungen ein und schwor sich, diesen einen Moment, in dem sie ihre echte Mutter gewesen war, nicht zu vergessen. Es ist besser, es schnell hinter sich zu bringen. Nachdem sie das getan hatte, wandte sie ihren Blick sofort ab.
»Dünenläufer, du wirst mir helfen, sie zu tragen«, bestimmte Eichelpfote.
»Aber Gischtblüte! Jemand muss sie begraben!«
»Das wirst du auch nachher tun können. Diese Jungen brauchen Milch.«
Sprenkelschweif sah nicht hin, als der gelbbraune Kater zu ihnen trat und zwei der winzigen Jungen auf einmal aufnahm.
»Eines noch«, miaute Eichelpfote, bevor sie das ebenfalls tat. »In drei Sonnenaufgängen werdet ihr zu euren Clans zurückkehren können. Am Morgen nach dem Neumond. Du, Dünenläufer, zum FlussClan und du, Sprenkelschweif, zum WindClan. Ihr werdet beide wieder aufgenommen werden.«
»Auch ich?«, fragte Dünenläufer überrascht. »Aber meine Verbannung...«
»Es werden andere Gesetze gelten«, sagte Eichelpfote nur. »Sprenkelschweif, du solltest wissen, dass Weises Reh tot ist.«
Sprenkelschweif spürte, wie ihre Kehle eng wurde. Nicht auch noch sie...
»Die anderen werden dir erzählen, was passiert ist. Aber ich heiße jetzt Eicheltraum.«
Sprenkelschweif nickte nur und hörte, wie die zwei Katzen die Höhle verließen. Zusammen mit ihren vier Jungen.
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Jaaaaa, Gischtblüte ist nicht ganz ohne O.o
Sprenkelschweifs Jungen haben zwar schon Namen, aber wie würdet ihr sie nennen? Ein Kater und drei Kätzinnen. Ob ihr recht habt, werdet ihr leider erst im sechsten (und letzten) Band erfahren.
Lied zum Kapitel: Cézame Trailers – The Sound of Victory
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