Gewissenhaft

Es regnete, als die Clans einige Tage später von ihrem letzten provisorischen Lager weiterzogen. Sprenkelpfote plusterte ihr Fell auf, um es wärmer zu haben, aber die Tropfen kamen doch irgendwie auf ihre Haut und ließen sie frieren. Sie wünschte sich, Fliegenschatten würde an ihrer Seite laufen, um sie zu wärmen, aber er war ein Stück weiter vorne und unterhielt sich mit Moorpfote, die ihm mittlerweile fast nicht mehr von der Seite wich. Es wurde immer schwerer, sich zu zweit zu treffen, weil diese goldbraune Kätzin mit den schwarzen Sprenkeln sogar dicht neben ihm schlief.

»Worüber denkst du nach?«, fragte Nebelpfote sie auf einmal. Ihr Bruder hatte sich neben ihr eingereiht. Seit einigen Tagen wirkte er irgendwie bedrückt und gleichzeitig fröhlich, wenn so etwas überhaupt möglich war.

»Nichts Besonderes«, miaute Sprenkelpfote und ignorierte die stechende Eifersucht, die in ihrer Brust rumorte. Schnell fügte sie hinzu: »An unsere bevorstehende Kriegerzeremonie.«

»Die Kriegerzeremonie...« Plötzlich wirkte Nebelpfote noch trauriger als zuvor.

Besorgt sah sie ihn an. »Was ist los? Sag nicht, du fürchtest, dass Efeubein dich durchfallen gelassen hat? Du warst von uns allen doch der beste! Du hast sogar Dunkelherz besiegt!«

Vor einigen Tagen hatten Kräuselsturm, Efeubein und Spritzklang die drei Geschwister zu sich gerufen, um ihnen ihre Kriegerprüfung abzunehmen. Sprenkelpfote hatte ihr Bestes getan, um möglichst viele Mäuse für ihren Clan zu erjagen. Sie war nur von Nebelpfote übertroffen worden. Auch beim Fährtenlesen hatte er besser abgeschnitten als sie und bei der Kampfprüfung ebenfalls. Er hatte Dunkelherz besiegt und war von allen drei Mentoren aufs Höchste gelobt worden.

Ihr Bruder schnurrte, aber es hörte sich sehr gekünstelt an. »Ich frage mich, welche Kriegernamen wir bekommen werden.«

Sprenkelpfote legte den Kopf schief. »Bestimmt ziemlich hübsche. Schließlich sucht Schattenstern sie für uns aus, oder nicht? Sie wird nicht zulassen, dass unsere Namen hässlich sind.« Sie stockte. »Denkst du, Dunkelherz wird seinen Namen behalten?«

»Das musst du ihn schon selber fragen.« Nebelpfote nickte in Richtung des schwarzen Katers, der mit erhobenem Kopf neben der kleineren Laufherz ging und sie so etwas vor dem Regen abschirmte. Gleichzeitig stützte er Seelensplitter, die mit jedem Tag ein weiteres Stück ihres alten Ichs sehen ließ. Anscheinend tat es ihr gut, das Territorium des DonnerClans und somit auch den Zweibeinerort, in dem ihr schreckliche Dinge widerfahren waren, weit hinter sich zu lassen.

»Ist es nicht ungerecht?«, fragte Nebelpfote auf einmal. Sein Tonfall war so traurig, dass Sprenkelpfote alarmiert die Ohren aufstellte.

»Was denn?«

»Dunkelherz hat Laufherz«, miaute ihr Bruder. »Und wir...«

Schnell unterbrach Sprenkelpfote ihn. »Sprich leiser, beim SternenClan! Möchtest du, dass alle es wissen?«

»Von dir und Fliegenschatten wissen sowieso schon alle«, murrte er. »Zwar denken sie, dass ihr nicht mehr zusammen seid, aber ich merke doch, dass du dich trotzdem ab und zu heimlich wegschleichst.« Er sah sie vorwurfsvoll an. »Du solltest wirklich vorsichtiger sein. Vor zwei Nächten hat Dachspfote gefragt, wo du bist, und ich musste ihn anlügen, dass du zum Schmutzplatz gegangen bist.«

»Ich hab mich da nicht mit Fliegenschatten getroffen«, antwortete Sprenkelpfote und war dennoch dankbar für die Hilfe ihres Bruders. »Er ist nicht gekommen. Er verbringt jetzt viel zu viel Zeit mit... mit dieser Moorpfote da!« Sie deutete unauffällig nach vorne, wo die beiden nebeneinander liefen und leise miteinander redeten.

»Habt ihr denn schon eine Entscheidung getroffen?«, fragte Nebelpfote im Flüsterton.

»Was für eine Entscheidung?«

Ihr Bruder verdrehte die Augen. »Was ihr machen werdet natürlich!«

Sprenkelpfote zögerte. Sie hatte eigentlich genug Zeit gehabt, um zu überlegen, ob sie wirklich den WindClan verlassen wollte, um mit Fliegenschatten im DonnerClan zu leben. Sie hätte das auch schon lange mit ihrer Mutter besprechen können oder mit ihren Brüdern. Aber sie hatte es nicht getan.

Weil ich Angst habe, erkannte sie. Ich habe Angst, sie zu verlieren. Gleichzeitig möchte ich aber auch Fliegenschatten nicht verlieren. Warum fällt es mir so schwer?

»Ich sehe, ihr habt auch schon darüber geredet«, bemerkte Nebelpfote und ließ den Kopf hängen. »Wir auch.«

»Und?«, erkundigte sie sich neugierig. »Was werdet ihr tun? Wirst du dich dem DonnerClan anschließen? Wenn du das machst, dann komme ich mit dir!«

»Das habe ich befürchtet«, murmelte ihr Bruder und seufzte. »Deswegen werde ich das nicht tun.«

Warum hat er das befürchtet? Ist es etwa schlecht, wenn wir zu zweit im DonnerClan sind? Dann sind wir doch wenigstens nicht alleine!

»Was wirst du dann tun?«, fragte sie.

Nebelpfote schwieg jedoch und schüttelte den Kopf.

»Ist es ein Geheimnis? Du weißt doch, dass du mir vertrauen kannst! Ich bin deine Schwester! Ich werde es niemandem weitersagen! Ich habe doch auch über dich und Lilien... deine Freundin geschwiegen!«

Ihr Bruder schüttelte erneut den Kopf. »Du weißt eigentlich schon zu viel.« Seine blauen Augen durchbohrten sie plötzlich mit einem strengen Blick. »Versprich mir, dass du nichts weitererzählst! Nichts von ihr und mir und auch nichts von diesem Gespräch. Du weißt nichts!«

Sprenkelpfote nickte wild. »Ich weiß nichts. Gar nichts.«

***

Als die Sonne sich allmählich dem Horizont näherte und den Himmel in Flammen stehen ließ, hielten die Clans an. Die Anführer und Ojiha hatten es sich angewöhnt, noch einige Zeit vor dem Sonnenuntergang ein geeignetes Lager zu finden und aufzuschlagen. So konnten die Krieger noch bei etwas Tageslicht jagen gehen, die Heilerkatzen konnten sich um Katzen kümmern, die sich vielleicht einen Dorn in den Ballen getreten hatten, und die Königinnen mit ihren Jungen sowie ältere Katzen konnten sich endlich ausruhen.

Sprenkelpfote wollte gerade nach Fliegenschatten suchen, als plötzlich Schattensterns Stimme ertönte: »Der WindClan möge sich zu einer Clan-Versammlung am Wassergraben einfinden!«

Die gesprenkelte Kätzin bemerkte sofort, wie die Blicke mehrerer Katzen der anderen Clans zum WindClan schossen. Sie fühlte sich leicht beobachtet, als sie den anderen zu dem Wassergraben folgte. Zum Glück hatte Schattenstern sich einen etwas weiter entfernten ausgesucht. Sie saß mit vorgestreckter Brust auf einem Stück Holz, das sie zwar etwas größer wirken ließ, aber dennoch nicht hoch genug war, um Krieger wie Blendfeuer oder Efeubein zu überragen.

»Dunkelherz, Nebelpfote, Sprenkelpfote, kommt nach vorne«, befahl sie und deutete einladend auf die freie Fläche vor sich.

Das ist sie also!, dachte Sprenkelpfote aufgeregt. Meine Kriegerzeremonie! Was wird Fliegenschatten zu meinem neuen Namen sagen?

Mit vor Aufregung kribbelndem Pelz trat sie nach vorne und stellte sich neben Nebelpfote, der jetzt noch unglücklicher wirkte als bei ihrem Gespräch. Aber er tat sein Bestes, um diese Traurigkeit zu verbergen. Mit entschlossenen Augen sah er zu seiner Mutter hoch.

»Eure Mentoren haben mir berichtet, dass ihr eure Kriegerprüfung erfolgreich bestanden habt«, miaute die schwarze Kätzin. Ihr sehendes Auge leuchtete vor Stolz und Sprenkelpfote fühlte eine angenehme Wärme in sich aufsteigen. »Daher ist es nun an der Zeit, euch als vollwertige Krieger des WindClans anzuerkennen!«

Sprenkelpfote fühlte ihr Herz immer schneller schlagen. Es passierte wirklich. Der Moment, auf den sie so lange gewartet hatte!

»Dunkelherz, versprichst du, das Gesetz der Krieger zu einzuhalten und deinen Clan zu beschützen, selbst wenn es dein Leben kostet?«

»Ich verspreche es!«, antwortete der schwarze Kater fest und wich nicht ein Stück zurück, als Schattenstern zu ihm hinuntersprang.

»Du hast deinen Schülernamen abgelegt, als du den WindClan zusammen mit dem Verräter Funkenstern verlassen hast«, miaute sie und musterte ihren Sohn streng. »Ist es dein Wille, deinen gewählten Kriegernamen zu behalten?«

»Mein Name ist Dunkelherz und daran wird sich nichts ändern.«

Sprenkelpfote hielt die Luft an. Sie wusste nicht, ob es erlaubt war, sich selbst einen Kriegernamen auszusuchen. Und ihn dann auch noch zu behalten, obwohl er an seine früheren Vergehen erinnerte. Hinzu kam, dass der Name Dunkelherz für einen Krieger, der eigentlich ein gütiges und hilfsbereites Herz haben sollte, irgendwie nicht passte. Doch Schattenstern nickte nur.

»Dann gebe ich dir den Segen des SternenClans, Dunkelherz. Deine Stärke und deine Entschlossenheit werden auch den WindClan stärker und entschlossener machen. Du weißt jetzt, wo deine Treue liegt, was deine Loyalität umso wertvoller macht. Wir alle wissen, dass du ohne zu zögern dein Leben geben würdest, um deinem Clan zu helfen. Auch dein Sinn für Gerechtigkeit ist unbeirrbar. Damit heißen wir dich als vollwertigen Krieger willkommen!«

Sie legte ihm die Schnauze auf den Kopf und wandte sich dann an Nebelpfote neben ihm.

»Nebelpfote«, hob sie an. »Versprichst auch du, das Gesetz der Krieger einzuhalten und den Clan mit deinem Leben zu beschützen?«

»Das tue ich«, sagte der dunkelgraue, fast schwarze Kater und senkte ehrfürchtig den Kopf. Allerdings hatte Sprenkelpfote den Verdacht, dass er eher versuchte, dem Blick seiner Mutter auszuweichen.

»Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen!«, verkündete Schattenstern. »Von nun an heißt du Nebeljäger. Der SternenClan ehrt deine ausgezeichneten Jagdkünste und deine Fähigkeit, selbst in schwierigen Situationen eine Lösung zu finden. Du hilfst deinen Clan-Gefährten so gut du kannst und scheust nicht davor zurück, auch schwere Aufgaben auf dich zu nehmen. Wir heißen dich als vollwertigen Krieger des WindClans willkommen!«

Auch ihm legte sie die Schnauze auf den Kopf, aber Sprenkelpfote hatte das Gefühl, dass er unter ihrer Berührung zusammenzuckte. Jedoch könnte sie sich auch getäuscht haben, denn im selben Moment vergaß sie alles um sich herum. Schattenstern schritt an Nebelpfote vorbei zu ihr rüber.

»Sprenkelpfote«, sprach sie sie an. »Wirst auch du versprechen, dich an das Gesetz der Krieger zu halten und deinen Clan zu beschützen, selbst wenn es dein Leben kostet?«

»Ich verspreche es!«, sagte sie fest ohne ihren Gedanken Zeit zu geben, ein schlechtes Gewissen zu verspüren.

»Dann gebe ich dir mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen!«, miaute Schattenstern. »Von diesem Augenblick an wirst du Sprenkelschweif heißen! Der SternenClan ehrt deine Entschlossenheit, Gutes nicht nur für deinen Clan, sondern für alle Katzen zu tun. Du hast verstanden, dass Konflikte nicht immer mit Kämpfen gelöst werden müssen, und gibst deinen Clan-Gefährten auf diese Art Hoffnung, wo sie keine mehr sehen. Wir heißen dich als vollwertige Kriegerin des WindClans willkommen!«

Schattenstern hatte Sprenkelschweifs Kopf kaum berührt, als die ersten Katzen sie auch schon mit ihren neuen Namen begrüßten.

»Dunkelherz!«, hörte sie Laufherz' Stimme heraus.

»Nebeljäger!«, rief Funkenlicht am lautesten.

»Sprenkelschweif!«, meinte sie Kräuselsturm herauszuhören.

Sie drehte sich um und war überwältigt von der Anzahl der Katzen, die ihren neuen Namen riefen. Sprenkelschweif, dachte sie und peitschte mit ihrem Schweif durch die Luft. Sie war so aufgeregt, dass sie sich nicht mal hinsetzen konnte. Und da hörte sie die Stimme, die sie so sehr vermisst hatte.

»Sprenkelschweif!«, jubelte Fliegenschatten.

Sie sah den schwarzen Kater fröhlich am Rand der versammelten WindClan-Katzen hin und her tigern. Als er sie sah, sprang er einmal hoch und rief nochmal ihren Namen, bevor er von einer wütenden Nachtrabe zurückbeordert wurde. Aber jetzt riefen auch die Katzen der anderen Clans ihre Namen.

»Dunkelherz! Nebeljäger! Sprenkelschweif!«

Sie hatte das Gefühl, vor Freude gleich zerplatzen zu müssen. Nur im Hinterkopf meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Ich weiß gar nicht, ob ich bei der Zeremonie gelogen habe. Das Gesetz der Krieger sagt, dass man keinen Gefährten in einem anderen Clan haben darf. Aber was sind Fliegenschatten und ich dann? Und wenn ich den WindClan wirklich verlasse, werde ich dann nicht mein Versprechen brechen? Habe ich eben möglicherweise den SternenClan selbst angelogen?

............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

Vielleicht wundern sich einige, warum die Kriegerprüfung der drei Geschwister nur nebenbei erwähnt wird und ich kein eigenes Kapitel darüber geschrieben habe. Ich habe ziemlich lange überlegt, ob ich das machen soll, mich letztendlich jedoch dagegen entschieden, weil eigentlich nur der Fakt, dass sie bestanden haben, wichtig ist und nicht wie genau das jetzt alles abgelaufen ist. Es hätte alles nur unnötigerweise in die Länge gezogen. Es sind ohnehin schon ziemlich viele Kapitel in diesem Band, in denen ich auch extrem viele Sachen abdecken muss, damit für den nächsten (und letzten) Band alles gut »vorbereitet« ist :)

Lied zum Kapitel: Trailer Rebel – Hidden Lies

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top