Gerochen

Sonnenlauf war furchtbar nervös. Anscheinend hatte die Hohepriesterin zugestimmt, dass Sternenpfote und Weises Reh den Heiligen Felsen betreten durften – weil sie Heilerkatzen waren –, aber über ihn war nicht die Rede gewesen. Trotzdem stand er mit den beiden Heilern und Klippensprung vor dem Steinsteg und wartete darauf, dass einer der Priester sie abholte.

»Hör auf, von einer Pfote auf die andere zu treten«, zischte Sternenpfote ihm zu. »Das geht mir etwas auf die Nerven.«

»Tut mir leid.« Sofort hörte er damit auf. Im selben Moment erschien eine Gestalt in der Öffnung des großen Felsens mitten im Wasser. Es war eine schildpatt-weiße Kätzin, die geschickt über die Steine auf sie zu eilte. Vor ihnen blieb sie stehen, woraufhin Klippensprung respektvoll den Kopf neigte. Die anderen taten es ihm nach.

»Das ist Austernherz«, stellte der getigerte Wächter die Priesterin vor. »Sie ist diejenige, die abends auch die Beute abholt.«

»Es war die Rede von zwei Heilerkatzen«, miaute Austernherz und musterte sie misstrauisch. »Nicht von drei.«

»Ich entschuldige mich vielmals für dieses Missverständnis«, wandte Sternenpfote sich an sie. Sonnenlauf war beeindruckt, dass die Priesterin bei seinem Anblick nicht zusammenzuckte. »Wie du siehst, bin ich einst fast in ein paar Flammen umgekommen und habe darin auch mein Augenlicht verloren. Mein Bruder Sonnenlauf stand mir immer zur Seite, um mich sicher zu führen. Es wäre nett, wenn mein Helfer ebenfalls mit auf den Heiligen Felsen darf.«

»Ein Krieger?« Austernherz klang nicht begeistert. »Er wird mit seinen düsteren Gedanken und blutbefleckten Pfoten den Heiligen Felsen beschmutzen.«

»Ich versichere dir, dass er sehr friedliebend ist«, erwiderte Sternenpfote.

Friedliebend? Sonnenlauf erinnerte sich an damals, als die Lawine heruntergekommen war und Sonnenherz die Kontrolle übernommen hatte. Er hatte einen wehrlosen Krieger getötet. Einen mit schwarzem Fell. Und wie oft hatte er versucht, noch jemanden zu töten?

»Wir verbürgen uns für ihn«, kam ihnen überraschend Weises Reh zur Hilfe. »Ich habe gehört, dass der eigentliche Heilige Felsen sich in einer großen Höhle befindet, die von einigen Tunneln umgeben ist. Es ist doch sicher in Ordnung, wenn er mitkommt und sich dann nur in den Tunneln außerhalb der Höhle aufhält.«

»Außerhalb der Mondkammer?« Austernherz wirkte immer noch nicht ganz überzeugt. Dann nickte sie jedoch. »In Ordnung. Er darf mitkommen. Folgt mir.«

Mit kribbelndem Pelz beobachtete Sonnenlauf, wie die Priesterin sich umdrehte und ein Stück den Steinsteg entlang ging, damit die anderen ihr folgen konnten. Er warf noch einen letzten Blick hinter sich, wo Wasserflüstern und Kräuselpfote in einiger Entfernung saßen. Als sie sahen, dass er auch mit durfte, jubelten sie ihm stumm zu. Auch Käferblume beobachtete sie vom Rand einer Düne aus.

Ich frage mich nur, wie Sternenpfote mich in diese Mondkammer schmuggeln möchte, dachte er, während er vor seinem Bruder den Steinsteg betrat. Noch waren seine Pfoten halbwegs trocken, aber das würde sich bestimmt bald ändern. Wie viele Priester es wohl gibt? Die Hohepriesterin holt alle sechs Monde einen der Schüler hierher. Müssten es dann nicht ziemlich viele sein? Er war erstaunt gewesen, dass niemand ihm hatte sagen können, wie viele Priester es genau gab. Nicht einmal Tiefenfrost wusste es. Er hatte ihnen nur erzählen können, dass letztes Mal eine gewisse Flüsterpfote geholt worden war und davor sein eigener Bruder Basaltpfote.

»Richtet ihm schöne Grüße von mir und Federfall aus«, hatte der schwarze Wächter sie gebeten, als er von ihrem Vorhaben erfahren hatte.

Sonnenlauf musste sich darauf konzentrieren, nicht auszurutschen. Die Steine des Stegs waren nicht die ganze Zeit von Wasser bedeckt, aber doch oft genug, dass sich glitschige Algen an ihnen festgesetzt hatten. Das Gefühl unter seinen Pfoten war einfach nur ekelerregend. Bald schwappte auch schon eine Welle über den Steinsteg und durchnässte sein Fell bis fast zur Hälfte seiner Beine.

»Und ich dachte, Fische zu fressen wäre das schlimmste gewesen«, hörte er Sternenpfote hinter sich fluchen.

Langsam aber stetig kamen sie voran und bald hüpfte Weises Reh vor ihm schon auf den festen Stein des Heiligen Felsens. Fasziniert betrachtete sie die große Öffnung und den dunklen Tunnel, der vor ihnen lag. Sonnenlauf konnte nichts Besonderes daran entdecken, aber er war ja auch kein Heiler.

»Spürt ihr schon die Anwesenheit des SternenClans?«, fragte Austernherz mit leicht bebender Stimme. »Ich erinnere mich noch an das erste Mal, als ich diesen Tunnel betreten habe. Es war wundervoll.«

»Wahrlich ein heiliger Ort«, hauchte nun auch Weises Reh.

Ich spüre gar nichts, dachte Sonnenlauf enttäuscht. Nur die Kälte an meinen Beinen. Schnell machte er Platz für Sternenpfote, der hinter ihm in den Heiligen Felsen kletterte.

»Ich werde euch nun zu euren Schlafhöhlen bringen«, miaute Austernherz und ging voran.

»Wann werden wir die Mondkammer besuchen?«, fragte Weises Reh aufgeregt. »Wann dürfen wir mit der Hohepriesterin sprechen? Sicher kann sie uns vieles über den SternenClan erzählen.«

»Ihr seid im Heiligen Felsen. Das sollte eigentlich genügen.« Austernherz' Stimme klang scharf. »Nicht jeder darf mit der Hohepriesterin reden.«

»Ich hatte nicht vor, euch zu beleidigen«, miaute Weises Reh hastig. »Ich dachte nur, dass es vielleicht interessant wäre, sich auszutauschen.«

»Worüber? Die Hohepriesterin weiß schon alles, was es zu wissen gibt.« Sie unterbrach sich, als vor ihnen im Tunnel eine schlanke, weiße Kätzin auftauchte, und nickte dieser respektvoll zu. »Das ist Lichtwasser. Die Schülerin der Hohepriesterin.«

Etwas alt für eine Schülerin, dachte Sonnenlauf, begrüßte sie aber ebenfalls mit einem Nicken.

»Diese Katzen sind die angekündigten Heiler?«, erkundigte sich Lichtwasser.

»Ja«, bestätigte Austernherz, deutete dann aber auf Sonnenlauf. »Außer er. Er begleitet seinen Bruder, um ihm zu helfen. Er ist ein Krieger.« Sie sprach das letzte Wort aus als wäre es eine Beleidigung.

»Im Namen der Hohepriesterin heiße ich euch im Heiligen Felsen willkommen.« Lichtwasser trat beiseite, sodass sie an ihr vorbeigehen konnten. »Ich hoffe, ihr werdet euch hier wohl fühlen. Austernherz wird euch eure Schlafhöhle zeigen.«

Sonnenlauf machte einen Schritt nach vorne und wäre fast mit Weises Reh zusammengestoßen, die vor Lichtwasser stehen geblieben war.

»Ich entschuldige mich vielmals, aber gibt es eine Möglichkeit, mit der Hohepriesterin zu sprechen?«, fragte sie höflich. »Sicher hat sie Interesse daran, sich mit einer anderen Heilerkatze über ihre Erfahrungen auszutauschen. Und über den SternenClan zu reden.«

Sie möchte der Hohepriesterin von unserer Mission erzählen!, begriff Sonnenlauf. Damit wir nicht so lange warten müssen! Insgeheim bewunderte er die DonnerClan-Heilerin für ihren Mut und ihren Scharfsinn. Bestimmt hatte Wolfstern ihr das aufgetragen.

»Ich kann sie fragen«, miaute Lichtwasser ebenso höflich. »Aber sie redet nur selten mit anderen.«

»Danke!« Gut gelaunt setzte Weises Reh sich endlich in Bewegung.

Austernherz führte sie in eine Abzweigung hinein, bis sie bei dem Eingang zu einer weiteren Höhle stehen blieb. »Hier ist sie«, miaute sie. »Der Schmutzplatz ist am Ende dieses Tunnels. Nur dorthin dürft ihr ohne Begleitung gehen. Wenn ihr den Heiligen Felsen erkunden wollt, muss ein Priester euch begleiten.«

»Und... wie finden wir einen?«, fragte Weises Reh. Die Enttäuschung war ihr anzusehen.

»Wir gehen oft den Haupttunnel entlang, den wir eben auch genommen haben. Ihr könnt einfach nach uns rufen.« Sie kniff die Augen zusammen und sah sie scharf an. »Wehe, wenn ihr alleine im Heiligen Felsen erwischt werdet. Ihr versteht so wenig vom SternenClan. Ihr könntet ihn allein mit eurer Anwesenheit in bestimmten Tunneln oder Höhlen schwer beleidigen.«

»Ja, danke«, sagte Sternenpfote kurz angebunden.

Austernherz verabschiedete sich mit einem Nicken und verschwand dann in Richtung des Haupttunnels.

»Schade«, murmelte Weises Reh. »Ich hätte gedacht, dass wir wenigstens diese Mondkammer zu sehen bekommen. Oder dass die Priester uns mehr über ihren Glauben und den SternenClan erzählen.« Sie steckte den Kopf aus der Höhle auf den Gang und schaute nach links. »Ich geh mal kurz zum Schmutzplatz. Bin gleich wieder da.«

Sonnenlauf seufzte, sobald die DonnerClan-Heilerin weg war. »Und? Was ist jetzt der Plan? Austernherz hat zwar nicht gesagt, was genau mit uns passiert, wenn wir alleine irgendwo erwischt werden, aber wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, dass der FlussClan nichts mehr von uns wissen möchte.«

»Uns wird schon etwas einfallen«, miaute Sternenpfote. Seine vernarbten Ohren zuckten unruhig. »Mich beunruhigt eher etwas anderes.«

»Was denn?«

»Ich dachte erst, ich hätte mich getäuscht, aber dann hatte Lichtwasser ihn auch.«

Sonnenlauf sah ihn fragend an, bis ihm einfiel, dass sein Bruder ihn ja gar nicht sehen konnte. »Was hatte sie?«

»Austernherz und Lichtwasser hatten den Geruch von Blut an sich.« Sternenpfote fuhr langsam seine Krallen aus und wieder ein. »Sehr schal, als hätten sie versucht, ihn abzuwaschen, aber ich habe ihn trotzdem gerochen.«

Sonnenlauf erschauerte. »Und was heißt das jetzt?«

»Das weiß ich noch nicht. Auf jeden Fall nichts Gutes.«

Sonnenlauf öffnete das Maul, um etwas zu erwidern, aber da tauchte Weises Reh wieder auf.

»Diese Insel ist wirklich faszinierend«, miaute sie fröhlich. »Ein großer Felsen, umgeben von kleineren Steinen. Bestimmt kann man ihn darauf ganz umrunden!« Sie hielt inne und schaute verwirrt zwischen den Brüdern hin und her. »Ist alles in Ordnung?«

Sonnenlauf wartete, dass Sternenpfote etwas sagte, aber als er es nicht tat, nahm er das als Erlaubnis, es der Heilerin zu sagen. »Sternenpfote meint, Austernherz und Lichtwasser hätten nach Blut gerochen.«

»Nach Blut?« Weises Reh riss erschrocken die Augen auf. »Bist du dir sicher? Vielleicht haben sie erst vor Kurzem etwas gegessen.«

»Vielleicht«, meinte Sternenpfote. »Vielleicht auch nicht.«

»Ich glaube nicht, dass das irgendwas zu bedeuten hat«, wandte Weises Reh ein und setzte sich. »Wir sind hier sogar sicherer als am Ufer. Immerhin werden allen Priestern die Krallen ausgerissen, sobald sie hierher kommen.«

»Kann sein«, sagte Sternenpfote, aber Sonnenlauf sah ihm an, dass er nicht überzeugt war.

Was befürchtet er? Er vertraute dem Geruchssinn seines Bruders, der besser war, als der von anderen Katzen, weil er blind war. Warum riechen Austernherz und Lichtwasser nach Blut?

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Hmmmmmmm, warum riechen sie wohl nach Blut? O.o Im nächsten Kapitel findet ihr die lange erwartete Hierarchie des FlussClans.

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