Fließend

Eigentlich hätte Sprenkelschweif sich mit allen anderen über Terras und Hechtkralles Junge freuen sollen – besonders, als sie stark genug waren, um mit ihnen weiterzureisen –, aber ihr war überhaupt nicht danach zumute. Nebeljäger war tot. Ihr geliebter Bruder, an dessen Tod sie vielleicht sogar selbst Schuld war. Und jetzt ging Fliegenschatten ihr auch noch beharrlich aus dem Weg.

Seit Nebeljägers Tod hatten sie sich nur ein Mal getroffen und selbst dann hatte er behauptet, er müsse noch etwas Wichtiges erledigen, und war schnell wieder gegangen. Sprenkelschweif hatte bemerkt, dass er immer mehr Zeit mit Moorpfote verbrachte, die mittlerweile ihren Kriegernamen erhalten hatte. Wie der lautete, hatte sie nicht mitbekommen. Sie hatte ihn nicht gerufen.

»Du wirkst wieder so traurig«, ertönte Mohnpfotes Stimme neben ihr. Die hellbraune Kätzin hatte sich von ihrem Mentor Funkenlicht gelöst und trabte nun neben ihr her.

»Es ist nichts«, entgegnete Sprenkelschweif schnell. »Tut mir leid, aber ich möchte gerade nicht reden.« Sie beschleunigte ihren Schritt und ließ die Schülerin bald ein Stück hinter sich. Vielleicht war das aber auch ein Fehler gewesen. Jetzt sah sie direkt vor sich Schattenstern, die laut schnurrte, als Ignis ihr etwas ins Ohr flüsterte.

Warum sind alle so fröhlich?, dachte sie frustriert. Nebeljäger ist gestorben und keinen scheint es gekümmert zu haben! Wie kann Mutter ihn jetzt schon vergessen haben!

Wütend scherte sie nach rechts aus. Ihr Blick wanderte über die grüne Landschaft um sie herum. Alles war fast vollkommen flach. Es gab keine Steine mehr, so wie kurz hinter den Himmelbergen, und auch keine Gräben, wie es kurz vor ihnen der Fall gewesen war. Überall war saftiges Gras und wenn ihre Laune besser gewesen wäre, wäre sie sicher ein Stück gerannt, um den Wind im Fell zu spüren.

»Wir machen hier eine Pause!«, rief Windstern von weiter vorne und allmählich wurden die Katzen langsamer, bis sie ganz stehen blieben.

»Meine Pfoten tun weh«, beschwerte Kleinpfote sich und leckte sich über die wunden Ballen.

»Du wirst mit der Zeit stärker und ausdauernder werden«, beruhigte seine Mentorin Spritzklang ihn und hob ihre eigene Pfote. »Siehst du? Ich habe eine dicke Hornhaut, die mich vor kleinen Steinchen und stacheligen Pflanzen schützt.«

Der kleine, gelbbraune Kater riss vor Staunen die Augen weit auf.

Sprenkelschweif wandte sich von ihnen ab. Es ist, als hätte es Nebeljäger nie gegeben. Wer weiß, vielleicht denken einige ja wirklich, dass er selbst Schuld ist, weil er weggelaufen ist. Und dass das eine Strafe des SternenClans war. Fast hätte sie gereizt gefaucht. Gerade noch rechtzeitig riss sie sich zusammen, als Dunkelherz ihr entgegen kam.

»Vogelschweif hat vorgeschlagen, die Umgebung zu erkunden. Laufherz und ich kommen mit und wenn du möchtest, kannst du dich uns anschließen«, miaute er.

»Was gibt es hier schon zu erkunden?«, platzte es aus ihr heraus. Zwischen ihren Clan-Gefährten hindurch konnte sie sehen, wie Fliegenschatten mit dieser Moorpfote und einem Schüler zusammensaß. Sie besprachen etwas.

»Es könnte hier immer noch Schlangen geben«, entgegnete Dunkelherz, etwas überrascht von ihrem plötzlichen Ausbruch. Seine Augen verengten sich misstrauisch und er folgte ihrem Blick, doch sie schaffte es gerade noch rechtzeitig, wegzuschauen. »Du bist in letzter Zeit so gereizt. Was ist nur los mit dir?«

»Nichts ist los mit mir!«, fuhr sie ihn an. »Was ist los mit euch? Mit euch allen!«

»Was sollte denn deiner Meinung nach mit uns sein?«, zischte ihr Bruder mit einem leicht bedrohlichen Unterton.

»Ihr tut so, als wäre Nebeljäger nie da gewesen!«, blaffte sie. »Als wäre er einfach so gestorben und als würde... als würde...«

»Das Leben weitergehen?« Dunkelherz zuckte unzufrieden mit den Ohren. »Aber das Leben geht weiter, Sprenkelschweif! Es schmerzt mich auch, dass er von uns gegangen ist. Jedem tut das leid. Jeder wünscht sich, er wäre noch bei uns. Genauso wie Lilientau. Niemand hat die beiden vergessen!«

»Und trotzdem sind alle fröhlich«, murmelte Sprenkelschweif. »Das passt doch nicht zusammen!«

»Jeder trauert auf eine andere Art.« Ihr Bruder stupste sie aufmunternd mit der Nase an. »Du brauchst einfach noch etwas Zeit. Komm mit. Das bringt dich auf andere Gedanken.«

Etwas widerwillig folgte Sprenkelschweif ihm nun doch zu Vogelschweif und Laufherz, die bereits auf sie warteten. Zu ihrer Überraschung war auch Seelensplitter da. Die weiße Kätzin saß an der Seite ihrer Tochter und leckte ihr immer wieder mit der Zunge über die Ohren.

»Da seid ihr ja!«, begrüßte Vogelschweif sie und nickte zu Seelensplitter. »Sie wird wohl auch mit uns kommen.«

»Meine Mutter macht sich nur Sorgen«, erklärte Laufherz und schüttelte sich kurz, um überhaupt aufstehen zu können. Seelensplitter beobachtete sie ausdruckslos und erhob sich dann ebenfalls auf die Pfoten.

»Denkt daran, dass hier überall Schlangen sein könnten«, erinnerte Vogelschweif sie. »Dunkelherz, es wäre gut, wenn du auf Seelensplitter aufpasst. Ich möchte nicht, dass ihr etwas passiert.«

Der schwarze Kater nickte und zusammen brachen sie auf. Nach einer Weile entdeckte Sprenkelschweif ein Stück links von ihnen einen leichten Schimmer zwischen den Grashalmen. Vielleicht ein kleiner Fluss?

»Schaut mal, da!« Sie deutete in die besagte Richtung.

»Gute Beobachtung!«, lobte Vogelschweif sie. »Wenn du möchtest, kannst du mit Dunkelherz und Seelensplitter nachschauen, ob das wirklich ein Fluss ist. Laufherz und ich gehen noch ein Stück weiter. Ruft einfach, wenn ihr Hilfe braucht.«

»Wir schauen nach«, bestimmte Dunkelherz an ihrer Stelle und ging vor.

In einem hat er recht, dachte Sprenkelschweif. Diese Erkundung lenkt mich etwas von Fliegenschatten ab. Doch kaum hatte sie daran gedacht, kehrte ihre schlechte Laune wieder zurück. Warum geht er mir aus dem Weg? Ist sein Clan ihm jetzt doch wichtiger als ich? Hat er mir nicht versprochen, dass er mich nicht verlassen wird? Warum fühlt es sich bloß so an?

»Tatsächlich ein Fluss«, stellte Dunkelherz fest, als sie ankamen. Das Wasser floss schneller als alles, was Sprenkelschweif bisher gesehen hatte. Wahrscheinlich würde selbst Aqua es nicht schaffen, auf die andere Seite zu schwimmen. Sie warf ihrem Bruder einen Blick zu und bemerkte, dass er nachdenklich flussabwärts schaute.

»Was ist los?«, fragte sie.

»Kann es sein, dass der Fluss in dieses Meer führt?«

»Warum sollte er?«

»Ojiha hat erzählt, dass das Meer so viel Wasser ist, dass man das andere Ufer nicht sehen kann.« Er rupfte mit seinen Krallen ein paar Grasbüschel aus und grub dann eine kleine Kuhle. »Das bedeutet, dass es sich in einem großen Loch befindet, das natürlich tiefer liegt als der Boden. Das Wasser muss sich irgendwie darin gesammelt haben. Und das geht nur, wenn das ganze Wasser letztendlich zu diesem Loch fließt. Also führt jeder Fluss irgendwann zum Meer.«

Sprenkelschweif brauchte eine Weile, bis sie verstanden hatte, was er meinte. Dann leuchteten ihre Augen auf. »Du meinst, wir müssen nur dem Fluss folgen und kommen dann direkt zum FlussClan?«

»Das denke ich jedenfalls.«

»Die Berge sind hoch.« Überrascht schaute sie zu Seelensplitter, die mit weit aufgerissenen Augen auf das Loch starrte, das Dunkelherz gegraben hatte. Mit den Vorderpfoten schob sie den Erdhaufen, den er ausgehoben hatte, zusammen, sodass er einen höheren Hügel bildete. Dann hinterließ sie mit den Krallen mehrere Linien, die von der Spitze bis zum Loch führten.

»Die Berge sind hoch«, wiederholte sie nur und blickte dann schweigend zum Fluss.

»Wasser fließt immer nach unten«, flüsterte Dunkelherz auf einmal und sprang dann auf. »Natürlich! Dieser Fluss wird uns wirklich zum FlussClan führen! Komm, wir müssen sofort den anderen Bescheid sagen!«

»Wem?«, fragte Sprenkelschweif verwirrt.

»Allen natürlich!«, rief Dunkelherz und rannte schon voraus.

Sprenkelschweif seufzte und wandte sich Seelensplitter zu. »Wir sollten vielleicht auch zurück gehen.«

»Wie geht es dir?«, fragte die weiße Kätzin auf einmal und rührte sich nicht vom Fleck. Ihre eisblauen Augen schienen sie förmlich zu durchbohren. Als würde sie versuchen, in ihren Gedanken zu lesen. Und als würde ihr das gelingen.

Sprenkelschweif erschauerte. So gruselig war Seelensplitter ihr nie vorgekommen. »Ähm, gut. Und dir?«, stotterte sie.

Erst jetzt setzte Seelensplitter sich in Bewegung und ging einfach an ihr vorbei in Richtung ihrer Clan-Gefährten. Sprenkelschweif erstarrte, als sie ihre geflüsterten Worte hörte.

»Du lügst«, miaute Seelensplitter als wäre es das Normalste der Welt. »So wie dein Bruder.«

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