Epilog

Unzählige Katzen hatten sich versammelt. Sie saßen am Fuße der mächtigen Bäume oder tummelten sich vor dem umgekippten Stamm herum. Alle wirkten unruhig und angespannt, sogar das Glitzern der Sterne in ihrem Fell leuchtete immer wieder heller auf. Aus einer Richtung ertönte plötzlich ein lauter Ruf. Mehrere Katzen sprangen auf die Pfoten und reckten die Hälse, um zu sehen, wer sich dort aus den Schatten schälte.

Es war ein silbergrauer Kater mit grünen Augen, der alleine nach vorne ging und sich vor dem umgekippten Baumstamm niederließ. Dabei ignorierte er die aufgebrachten Katzen um sich herum. Nur flüchtig warf er einen Blick zu der schildpatt-weißen Kätzin und dem grauen Kater, die in großem Abstand zueinander am Rand der Versammlung standen. Besonders in den goldgelben Augen der Kätzin lag eine tiefe Verzweiflung und Sorge.

»Ist er das wirklich?«, fragte ein langbeiniger, schwarzer Kater fassungslos. »Die Clan-Gründer stellen ihn wirklich vor den Rat? Er gehört doch zu ihnen!«

»Du bist doch nicht blind, Spinnenbein«, zischte eine hellgraue Kätzin mit dunkleren Flecken ihm zu. »Das ist eindeutig Fluss.«

»Und er soll der Verräter sein?«

Die Kätzin neben ihm schaute nachdenklich zu dem silbergrauen Kater vor dem Baumstamm und schwieg.

Im selben Moment erhob sich erneut Gemurmel unter allen Katzen. Mittlerweile waren einige sogar auf die Bäume ringsum geklettert, um eine bessere Sicht zu haben. Ihre Augen leuchteten aus den Schatten der Baumkronen heraus. Der Grund der Unruhe waren mehrere Katzen, die auf den Baumstamm sprangen und auf ihm entlang gingen, bis sie ihren Platz gefunden hatten und sich hinsetzten. Es waren insgesamt sieben.

»Der Rat ist hiermit eröffnet«, krächzte der Kater, der in der Mitte des Baumstamms saß. Sein Körper besaß fast kein Fell mehr und seine großen, runden Augen blickten blind ins Leere. Dennoch haftete seiner Stimme eine gewisse Entschlossenheit an. »Es wird über das Schicksal von Fluss entschieden, der vermutlich der Verräter ist, der den Kriegern der Finsternis gezeigt hat, wie sie zwischen ihren Geburten wechseln können.«

»Er ist einer der Clan-Gründer!«, rief der graue Kater, dem Fluss zuvor einen schnellen Blick zugeworfen hatte.

»Schweig, Aschenhaar!«, fuhr ihn jemand an. »Lass Stein sprechen!«

»Was sind die Gründe für die Anschuldigungen?«, fragte eine graue Kätzin mit einem verkrüppelten Hinterbein, die ganz links auf dem Baumstamm saß. Ihre hellblauen Augen musterten Fluss voller Mitleid.

Auf ihre Frage hin erhob sich die braun getigerte Kätzin rechts von dem fast kahlen Kater namens Stein. »Als es darum ging, die Mächte, die Schwebetropfen damals gestohlen hat, zurückzuholen, wählen wir Fluss aus. Doch er brachte nicht nur die Mächte zurück. Er tötete auch Tigerstern, sodass er jetzt in einem Jungen des WindClans wiedergeboren ist!«

Ein heftiger Tumult erhob sich. Mehrere Katzen fauchten entgeistert. Ein paar kauerten sich sogar hin und vergruben ihre Schnauzen zwischen den Pfoten. »Ich werde ihm nie vergeben«, zischte ein blaugrauer Kater mit massigen Schultern.

»Außerdem«, fuhr die braun getigerte Kätzin fort, »war er viel zu oft nicht bei unseren Treffen dabei! Er weigert sich zu sagen, was er zu dieser Zeit gemacht hat! Hat jemand von euch ihn alleine auf SternenClan-Territorium umherstreifen sehen? Dann soll er sich jetzt melden!«

»Er war ab und zu bei mir, Wind!«, rief die schildpatt-weiße Kätzin aus der Menge.

»Warum sollte ein Gespräch mit dir wichtiger sein als ein Treffen der Clan-Gründer?«, wunderte sich ein rauchgrauer, fast schwarzer Kater, der neben der Kätzin mit dem verkrüppelten Bein auf dem Baumstamm saß. »Ich möchte nicht unhöflich sein, Getupfter Pelz, aber gerade jetzt, wo es um die große Prophezeiung geht, sollte er alles dafür tun, den Clans zu helfen.«

»Richtig gesagt, Krähenfeder.« Ein dunkelorange gestreifter Kater auf dem Baumstamm nickte zustimmend.

»Getupfter Pelz lügt«, miaute Fluss plötzlich so laut, dass alle ihn hören konnten. »Ich weiß nicht, was sie sich dabei denkt. Es ist lange her, dass ich überhaupt mit ihr geredet habe.«

»Aber wo warst du dann?«, fragte Krähenfeder mit einem aggressiven Unterton.

Fluss schwieg.

»Er ist nicht dazu verpflichtet, uns all seine Geheimnisse zu verraten«, meinte nun der große, hellbraun gestreifte Kater ganz rechts auf dem Baumstamm. Sein Kiefer war schrecklich verdreht und sah aus, als wäre er einst gebrochen und dann falsch zusammengewachsen. »Abgesehen davon reicht das nicht, um ihn als Verräter zu verurteilen. Es könnte auch jede beliebige andere Katze gewesen sein. Es gibt genug SternenClan-Krieger, die gerne alleine unterwegs sind. Jeder von ihnen hätte den Wald der Finsternis besuchen können.«

»Aber nicht jeder von ihnen weiß, wie man dorthin kommt«, hielt Wind dagegen. »Es gibt nur zwei Wege. Einer befindet sich in der Höhle, in der wir Clan-Gründer unsere Treffen abhalten. Nur wir und einige Eingeweihte kennen ihn. Der andere kann nur von Ihm und Ihr benutzt werden, ist also ausgeschlossen.«

»Demnach muss es einer der Clan-Gründer oder einer ihrer Eingeweihten gewesen sein«, folgerte die rostrote Kätzin auf dem Baumstamm, die als einzige bisher geschwiegen hatte. Ihre dunklen, grünen Augen richteten sich auf Wind. »Wer sagt, dass es nicht auch Donner oder Wolken gewesen sein können? Oder du, Wind?«

Die Angesprochene sträubte ihr Fell und wollte verärgert etwas erwidern, wurde jedoch von Stein unterbrochen.

»Wir haben nun die Gründe für die Anschuldigungen gehört«, krächzte er mit rauer Stimme. »Fluss, was hast du dazu zu sagen?«

Der silbergraue Kater schaute hinauf zu den sieben Katzen auf dem Baumstamm und senkte dann den Kopf. »Ich habe nichts zu sagen.«

»Siehst du dich als schuldig?«, hakte die Kätzin mit dem verkrüppelten Hinterbein ungläubig nach.

Fluss schwieg.

»Dann will der Rat nun sein Urteil verkünden«, sagte Stein. »Ich sage, er ist unschuldig. Rußpelz?«

»Unschuldig«, miaute die graue Kätzin entschlossen.

»Krähenfeder?«

»Schuldig«, verkündete der rauchgraue Kater. »Es ist offensichtlich, das er etwas verbirgt.«

»Rostfell?«

Die rostrote Kätzin antwortete nicht sofort. »Ich muss noch darüber nachdenken, Stein.«

»Dann Wind?«

»Schuldig.«

»Scharfkralle?«

»Wenn Fluss der Verräter ist und wir ihn nicht verurteilen, steht dem SternenClan eine dunkle Zeit bevor«, miaute der dunkelorange gestreifte Kater. »Deswegen muss ich sagen, dass er schuldig ist.«

»Streifenstern?«

Der Kater mit dem schiefen Kiefer schüttelte fassungslos den Kopf. »Ihr vergesst, wen ihr vor euch stehen habt. Dieser Kater hat den FlussClan gegründet. Er ist schon so lange hier. Warum sollte er sich plötzlich dazu entscheiden, auf der Seite der Krieger der Finsternis zu stehen? Ich glaube daran, dass er unschuldig ist.«

Stein nickte ihm respektvoll zu und richtete seine blinden Augen nun auf Rostfell, die immer noch nachzudenken schien. »Also, was ist dein Urteil?«

»Scharfkralle hat recht«, sagte sie schließlich. »Wir dürfen kein Risiko eingehen. Fluss ist schuldig.«

Ein Raunen ging durch die Katzenmenge. Getupftes Pelz hatte die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen und die Muskeln angespannt, bewegte sich jedoch nicht von der Stelle. Einer nach dem anderen sprangen die sieben Katzen des Rates vom Baumstamm. Stein ging leicht humpelnd zu Fluss hinüber und blieb vor ihm stehen.

»Du weißt, was auf dich zukommt«, krächzte er. »Ich verstehe das nicht. Bist du wirklich der Verräter? Warum hast du dich nicht mal verteidigt?«

»Es muss sein«, flüsterte Fluss.

»Weißt du nicht, was auf dich zukommt? Du bist jetzt ein Verbannter. Dein Zuhause ist jetzt der Wald der Finsternis.«

Fluss schwieg. Seine grünen Augen richteten sich auf Wind und drei weitere Katzen, die sich langsam auf sie zubewegten. »Es muss sein, damit ihr den wahren Verräter finden könnt«, flüsterte er Stein schnell zu. »Er ist noch unter euch, aber er wird sich jetzt sicher fühlen und unvorsichtiger werden.«

Der uralte Kater regte sich nicht. »Aber wer? Wen hast du im Verdacht?«

Fluss flüsterte etwas, doch im selben Moment kamen Wind und die drei anderen Katzen bei ihnen an.

»Du musst mitkommen«, miaute der hellgraue Kater unter ihnen. »Wir bringen dich zum See in der Höhle.«

Widerstandslos ging Fluss mit und ließ Stein allein zurück. Der blinde Kater fuhr unruhig die Krallen ein und aus. Die Worte, die Fluss ihm noch zugeflüstert hatte, hallten in seinen Ohren nach und machten ihm Angst:

»Jene, die nicht da waren.«

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Und so endet dieser fünfte und vorletzte Band O.o Ich hoffe, er hat euch gefallen!

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