Eingeladen
»Fast einen Mond sitzen wir hier schon fest und haben noch nicht mal den Eingang der Mondkammer gesehen«, murrte Sternenpfote und ging mit peitschendem Schwanz in ihrer gemeinsamen Schlafhöhle im Kreis.
»Wir müssen ja auch erstmal das Vertrauen der Priester gewinnen«, miaute Weises Reh optimistisch. »Das dauert nunmal etwas. Und es hat nicht geholfen, dass ihr versucht habt, alleine durch den Heiligen Felsen zu gehen.« Ihre grünen Augen funkelten vorwurfsvoll.
Sonnenlauf sah leicht beschämt zur Seite. Er und Sternenpfote hatten in der Tat versucht, ohne Begleitung eines Priesters durch die Tunnel zu wandern. Es sollte eigentlich nur ein kurzer Ausflug werden, aber irgendwie hatten sie es geschafft, sich zu verirren. Letztendlich hatte ein Priester namens Wellenflut sie gefunden und zurück in ihre Schlafhöhle geführt. Ihre Ausrede war gewesen, dass sie nur kurz an die frische Luft gewollt hatten, aber auch das war selbstverständlich nicht gut angekommen.
»Wir sehen immer nur die gleichen Priester«, beschwerte Sternenpfote sich. »Das gefällt mir nicht. Müsste es nicht sehr viele von ihnen geben? Alle sechs Monde kommt doch ein neuer dazu, oder nicht?«
»Bestimmt sind es viele, sie zeigen sich nur nicht«, antwortete Weises Reh überzeugt. »Wahrscheinlich sind ihre Schlafhöhlen einfach auf der anderen Seite des Heiligen Felsens.«
Sternenpfote zuckte nur mit den Ohren.
Sonnenlauf verstand die schlechte Laune seines Bruders. Auch er fühlte sich hier nicht wohl und war allmählich frustriert, dass die Priester ihnen gegenüber so abweisend waren. Besonders Austernherz schien es zu genießen, ihnen die unappetitlichsten Fische zu bringen, die teilweise auch schon angebissen worden waren. Er war sich sicher, dass sie es mit Absicht tat.
»Würde es etwas bringen, nach Lichtwasser zu fragen und sie daran zu erinnern, dass sie ja mit der Hohepriesterin reden wollte?«, fragte Sonnenlauf in die Runde. »Vielleicht hat sie es ja einfach vergessen.«
Sternenpfote schnaubte nur, während Weises Reh ernst nickte. »Das ist eine gute Idee. Das machen wir, sobald wir den nächsten Priester sehen.«
Zufrieden, etwas Sinnvolles vorgeschlagen zu haben, setzte er sich hin, stand dann aber wieder auf. Ohne etwas zu sagen verließ er die Höhle und ging den Tunnel entlang bis zu dem Loch im Felsen, das nach draußen zum Schmutzplatz führte. Es tat gut, etwas frische Luft zu schnappen. Drinnen war es häufig stickig, wenn der Wind aus der falschen Richtung kam – was leider die meiste Zeit der Fall war. Von hier aus sah er nur das weite, dunkelblaue Meer. Manchmal tauchten in einiger Entfernung schwarze Punkte zwischen den Wellen auf und verschwanden wieder. Er hatte den anderen davon erzählt und dann Austernherz gefragt, was das war.
»Robben«, war ihre einsilbige Antwort gewesen, die keine wirkliche Hilfe war.
Allgemein waren die Priester bei einigen Sachen erstaunlich wortkarg. Er hatte Tiefenfrost versprochen, seinem Bruder Basaltpfote einen Gruß auszurichten, doch als Sonnenlauf nach ihm gefragt hatte, hatte Austernherz nur den Kopf geschüttelt und war gegangen.
Von dem Loch aus hatte er keinen Blick auf das Ufer, wo seine Clan-Gefährten ihr Lager aufgeschlagen hatten. Er hatte ein Mal überlegt, ob er nicht über das Geröll, das unterhalb des Lochs herumlag, am Felsen entlang so weit klettern konnte, dass er doch noch Sicht auf die Clans hatte, aber letztendlich hatte er es nicht gemacht. Zu groß war das Risiko, ins Wasser zu fallen. Und er hatte keine Ahnung, ob die Strömung ihn zum Ufer oder hinaus ins unendliche Meer treiben würde. Besser, er probierte es nicht aus.
Nachdem er genug frische Luft geatmet hatte, die allerdings trotzdem nach Salz und totem Fisch stank, drehte er sich wieder um und kehrte zur Schlafhöhle zurück. Zu seiner Verwunderung tauchte im selben Augenblick am anderen Ende des Tunnels Lichtwasser auf. Das weiße Fell der Kätzin leuchtete auf, als sie durch einen der Sonnenstrahlen lief, die durch die Löcher in der Decke fielen, welche in den dunklen Tunneln Licht spendeten.
Lichtwasser entdeckte ihn ebenfalls und nickte ihm freundlich zu. Vor dem Eingang zur Schlafhöhle wartete sie auf ihn und ließ ihn zuerst hindurchtreten, bevor sie ihm folgte. Bei ihrem Anblick sprang Weises Reh sofort auf.
»Seid gegrüßt«, miaute die Priesterin. »Ich habe gute Neuigkeiten für euch. Oder eher gesagt für dich, Weises Reh.« Sie warf der DonnerClan-Heilerin einen warmen Blick zu. »Die Hohepriesterin hat dir erlaubt, morgen die Mondkammer zu betreten!«
»Wirklich?« Weises Reh wirkte überglücklich.
»Ja«, bestätigte Lichtwasser. »Sie selbst wird auch da sein. Denk daran, sie nicht direkt anzuschauen. Sonst werden ihre Diener dich töten müssen.«
Die Priesterin sagte es so, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sonnenlauf lief ein Schauer über den Rücken.
»Du darf sie nur durch die Spiegelung im Wasser betrachten«, fuhr Lichtwasser fort. »Und das auch nur, wenn sie dich dazu auffordert. Ihr Name ist Seidenstern, aber das weißt du sicher schon. Sie ist sehr weise. Achte darauf, ihr gegenüber immer respektvoll zu sein.«
Weises Reh nickte wild.
»Und was ist mit uns?«, ertönte Sternenpfotes Stimme aus der Ecke. »Wann werden wir die Mondkammer betreten können?«
»Tut mir leid. Darüber hat Seidenstern nicht gesprochen«, miaute Lichtwasser bedauernd. »Die Zeit ist einfach noch nicht gekommen.«
Sicher liegt es an seinen Verbrennungen, dachte Sonnenlauf düster. Dennoch verabschiedete er sich höflich von der Priesterin, die eine überglückliche Weises Reh in der Schlafhöhle zurückließ. Aber wie soll ich dann je Sonnenherz loswerden? Das hier ist der einzige heilige Ort in der Nähe.
***
Das Ufer des Flusses war in tiefen Nebel getaucht, als der silbergraue Kater an ihm entlang schritt. Alles glitzerte und funkelte als wäre es mit Sternenstaub bedeckt. Irgendwann tauchten vor ihm zwei Gestalten auf, nur vage Umrisse in den Nebelschwaden. Nach einer Weile wurden sie schärfer und gaben den Blick frei auf zwei Katzen. Die Kätzin hatte schildpatt-weißes Fell, während das des Katers ein stumpfes Grau war. Als sie den herankommenden Kater sahen, sprang der Graue auf und wollte fliehen.
»Warte, Wolflauf«, hielt der silbergraue Kater ihn auf.
»Fluss?«, miaute die schildpatt-weiße Kätzin überrascht und winkte den anderen, Wolflauf, wieder zu sich. »Was tust du hier?«
»Darf ich mich dem Familientreffen nicht anschließen, Getupfter Pelz?«, fragte Fluss ruhig. Nun war er nah genug, um die zwei Katzen scharf zu sehen. Sein Blick blieb an Wolflauf hängen. »Warum bist du wieder in Aschenhaars Gestalt?«
»Als Wolflauf wäre ich nur ein fünf Monde altes Junges«, erwiderte dieser. »So ist es besser.« Er hielt kurz inne. »Mutter hat mir erzählt, dass Leuchtflügel wiedergeboren wurde. Wer ist sie?«
»Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann.«
»Was tust du hier?«, wiederholte nun Getupfter Pelz ihre Frage. »Wenn du so viel weißt, solltest du auch wissen, dass es gefährlich ist, sich zu treffen. Uns könnte jemand sehen und dann würden Fragen aufkommen.«
»Wie gut, dass es zurzeit so nebelig ist«, antwortete Fluss nur.
»Also?«, hakte Getupfter Pelz erneut nach.
Der silbergraue Kater setzte sich und schwieg eine Weile. Es schien, als würde er seine Gedanken sammeln. »Die anderen Clan-Gründer haben angekündigt, mich vor den Rat zu holen. Damit über mich gerichtet wird.«
»Was?« Getupfter Pelz riss entsetzt die Augen auf. »Aber warum?«
»Sie vermuten, dass ich der Verräter bin, der den Kriegern aus dem Wald der Finsternis gezeigt hat, wie man zwischen den Geburten wechselt«, erklärte Fluss.
»Aber du bist es nicht?« Wolflauf sah zwischen seinen Eltern hin und her.
»Natürlich nicht.« Fluss war vollkommen ruhig. »Aber sie haben Gründe, es zu glauben. Immerhin war ich oft nicht da, als es dir, Wolflauf, schlecht ging. Danach habe ich dich und deine Mutter immer wieder besucht und war nicht bei den Treffen dabei. Und letztendlich war ich derjenige, der Tigerstern im Wald der Finsternis getötet und es ihm somit ermöglicht hat, wiedergeboren zu werden.«
Getupfter Pelz senkte niedergeschlagen den Kopf, während Wolflauf sein Fell sträubte.
»Wie kannst du so ruhig sein?«, rief er aufgebracht. »Weißt du nicht, was dich erwartet, wenn du für schuldig befunden wirst? Und was ist dann mit dem echten Verräter?«
»Ich weiß sehr wohl, was das bedeutet«, miaute Fluss. »Aber einige Opfer müssen gebracht werden. Wenn ich verurteilt werde, wird der echte Verräter sich sicher fühlen. Er wird unvorsichtiger werden. Dann ist es leichter, ihn zu überführen.« Er richtete seine hellgrünen Augen direkt auf seinen Sohn und dann seine Gefährtin. »Beobachtet gut und ihr werdet ihn finden.«
»Aber du kannst dich doch nicht einfach so opfern!«
»Ich kann«, sagte Fluss ruhig, »und ich muss.«
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