Bewiesen

Glücklich und dennoch mit einem Stich Bedauern beobachtete Terra Morgenjunges und Abendjunges dabei, wie sie ihre ersten Schritte taten. Hechtkralle folgte ihnen und achtete darauf, dass sie nicht einfach so aus der Höhle stolperten.

»Wann werde ich mit ihnen spielen können?«, fragte Wolfjunges aufgeregt.

»Wahrscheinlich gar nicht«, antwortetet ihre Mutter Tigerblume. »Sie sind zu jung. Wenn sie alt genug sind, um mit ihnen spielen zu können, wirst du schon Schülerin sein und andere Pflichten haben.«

Terra hatte etwas Mitleid mit der jungen, schwarzen Kätzin. Sie selbst hatte auch keine Geschwister gehabt, mit denen sie hätte spielen können. Dafür hatte es bei den Clanlosen aber genug andere Junge gegeben, mit denen sie etwas hatte machen können. Wolfjunges hingegen war zu alt für Abendjunges, Morgenjunges und auch für Blauwassers Junge.

»Wirst du eine Heilerschülerin werden?«, fragte nun auf einmal die FlussClan-Königin. Sie wirkte ehrlich interessiert.

»Nein!«, rief Wolfjunges sofort. »Ich werde Kriegerin! Und so stark wie Wolfstern!«

»Da bin ich mir sicher«, schnurrte Tigerblume.

»Ich hoffe, dass Nischenjunges oder Höhlenjunges von der Hohepriesterin ausgewählt werden«, miaute Blauwasser verträumt. »Es wäre eine große Ehre, wenn eines meiner Jungen ein Priester wird.« Sie leckte ihnen kurz über den Kopf.

Währenddessen lenkte Hechtkralle Abendjunges und Morgenjunges zurück zu Terra. Ihre beiden Söhne ließen sich sofort in das weiche Nest aus Dünengras fallen und schliefen gleich darauf ein. Sie versuchte sich vorzustellen, dass zwei weitere Junge neben ihnen lagen, doch irgendwie ging das nicht.

Wenigstens habe ich euch beide, dachte sie und rollte sich um sie zusammen.

»Ich muss los und die Sonnenhochpatrouille einteilen«, sagte Hechtkralle und strich ihr zum Abschied über den Rücken.

»Wir sehen uns später!«, rief Terra ihm hinterher.

Sie hatte ihrem Gefährten zwar erzählt, dass sie sich mit Aqua gestritten hatte, den Grund aber verschwiegen. Dann hätte sie auch erklären müssen, dass der SternenClan die zwölf Mächte neu verteilt hatte und genau davon hatten Sternenpfote und die anderen SchattenClan-Katzen abgeraten. Also musste sie stillschweigen bewahren.

Kurze Zeit später tauchten auf einmal die zwei FlussClan-Schüler Otterpfote und Regenpfote vor der Höhle auf. Ersterer streckte neugierig den Kopf herein und sprang aufgeregt auf und ab, als er Wolfjunges erblickte.

»Kommst du raus?«, fragte er fröhlich.

»Wir wollten dir doch heute zeigen, wie man Fische fängt!«, fügte seine Schwester hinzu.

Tigerblume sah ihre Tochter fragend an. Offenbar hatte Wolfjunges ihr nichts von ihren Plänen erzählt. Die junge Kätzin wich dem Blick ihrer Mutter aus, doch diese stupste sie schließlich auffordernd an.

»Worauf wartest du noch? Geh mit ihnen!«

»Danke!« Mit leuchtenden Augen gesellte Wolfjunges sich zu Otterpfote und Regenpfote und die drei schossen in Richtung des Meeres davon. Terra sah ihnen hinterher und konnte sich ein belustigtes Schnurren nicht verkneifen.

»Vor zwei Monden hat die Hohepriesterin ihre Schwester Flüsterpfote ausgewählt«, murmelte Blauwasser vor sich hin. »Eine große Ehre.«

Beinahe hätte Terra die Augen verdreht. Tigerblume bemerkte es und nickte ihr zu. »Es ist in Ordnung, wenn du dir kurz die Beine vertreten gehst. Ich passe solange auf Morgenjunges und Abendjunges auf.« Sie senkte ihre Stimme ein wenig. »Und vielleicht könntest du Wolfjunges ein wenig im Auge behalten.«

Terra nickte. Dankbar, dieser engen Höhle zu entfliehen. Sie verstand nicht, wie Kätzinnen so lange freiwillig in der Kinderstube bleiben konnten. Sechs Monde lang keine Kriegerpflichten... Am schlimmsten fand sie jedoch Blauwasser, die es schaffte, jedes Gesprächsthema auf den SternenClan und den Erlöser umzulenken. Sie fragte sich, warum Klippensprung sie überhaupt als Gefährtin ausgewählt hatte. Vermutlich galt so eine Verehrung des SternenClans im FlussClan als besonders bewundernswert.

Sie entdeckte die drei jungen Katzen fast sofort. Otterpfote war ein Stück ins Wasser gegangen, den Blick nach unten gerichtet. Regenpfote folgte ihm ohne zu zögern. Nur Wolfjunges ging am Ufer unschlüssig hin und her, bis sie ihren Mut fand und ebenfalls ins Meer watete. Die Wellen waren heute etwas höher und stärker als normalerweise, was wohl an dem Wind lag. Zum Glück behielt außer ihr anscheinend auch Klippensprung ein Auge auf den drei jungen Katzen. Er saß nicht weit entfernt im Sand und putzte sich.

»Es ist schön, die eigenen Jungen aufwachsen zu sehen«, ertönte auf einmal eine Stimme direkt neben Terra. Sie drehte sich um und erkannte die FlussClan-Wächterin Braunlicht, die sich nun neben sie setzte.

»Otterpfote und Regenpfote sind deine Jungen?«, fragte Terra. Es sah aus, als könnte man mit Braunlicht wenigstens besser reden als mit Blauwasser.

»Ja, sie sind vor drei Monden zu Schülern ernannt worden.« Braunlichts gelbe Augen strahlten, als sie in Richtung des Heiligen Felsens deutete. »Meine andere Tochter ist jetzt eine Priesterin. Ist das zu glauben?«

»Und du hast sie nicht wiedergesehen, nachdem die Hohepriesterin sie mitgenommen hat?«

»Nein, aber sie ist dort gut aufgehoben. Da bin ich mir sicher.« Sie seufzte und schien tief in Gedanken versunken zu sein, während sie Otterpfote und Regenpfote beim Fischen zusah. »Ich wünschte nur, ihr Vater hätte sie nochmal sehen können.«

»Mein Beileid«, miaute Terra. Doch zu ihrer Überraschung zuckte Braunlicht heftig zusammen und starrte sie ungläubig an. Habe ich sie beleidigt? Sagt man so etwas beim FlussClan nicht? Hätte ich sagen sollen, dass der SternenClan ihn sicher in seine Reihen aufgenommen hat?

Bevor sie jedoch noch etwas hinzufügen konnte, stand Braunlicht auf und ging einfach weg, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Verwirrt sah Terra der gestreiften Kätzin nach, bis diese außerhalb ihrer Sichtweite war. Habe ich etwas falsch gemacht? Warum hat sie so seltsam reagiert?

Gerade wollte sie sich wieder den Schülern und Wolfjunges zuwenden, als ihr Blick plötzlich auf eine Gestalt fiel, die scheinbar aus dem Nichts im Schatten einer Düne auftauchte. Sie hätte schwören können, dass die Katze vorher noch nicht da gewesen war. Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen. Ist das Tiefenfrost?

Und dann, so plötzlich wie er aufgetaucht war, verschwand er wieder. Als hätte er sich in Luft aufgelöst. Einfach so. Unwillkürlich begann ihr Herz schneller zu schlagen. Sie hatte sich ganz sicher nicht getäuscht. Auf keinen Fall! Suchend ließ sie ihren Blick über die Schatten der Dünen wandern in der Hoffnung, den schwarzen Kater erneut zu sehen. Und da war er. Tauchte nun am Rand eines Schattens auf und trat ins Licht als wäre nichts gewesen. Gut gelaunt trottete er zum Frischbeutehaufen.

Ich muss mit ihm reden, schoss es ihr durch den Kopf. Wie von selbst führten ihre Pfoten sie ebenfalls zum Frischbeutehaufen, wo Tiefenfrost sich bereits einen Fisch ausgesucht hatte. Bevor er ihn jedoch aufheben und davontragen konnte, stellte Terra ihre Pfote auf das glitschige Tier. Verwundert sah der FlussClan-Wächter sie an.

»Was soll das?« In seiner Stimme lag keine Feindseligkeit, nur ehrliche Verwunderung.

»Du kennst ein interessantes Spiel, das ich gerne lernen würde«, miaute sie. »Das Spiel, das du eben im Schatten dieser Düne gespielt hast.«

Tiefenfrost riss erschrocken die Augen auf, hatte sich im nächsten Moment jedoch wieder im Griff. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Ich habe mich nur ausgeruht.«

Terra bemerkte, dass mittlerweile Federfall, Tiefenfrosts Schwester, auf sie aufmerksam geworden war. Die hellgraue Kätzin musterte sie feindselig. Mit ihr war nicht zu spaßen. Trotz der Abmachung der Anführer und Graustern, ging sie allen Katzen mit Narben aus dem Weg und verhielt sich ihnen gegenüber feindselig. Offensichtlich gefiel es ihr nicht, dass eine solche Katze gerade etwas von ihrem Bruder wollte.

Kurzerhand nahm Terra den Fisch auf, den sie zuvor blockiert hatte, und deutete in Richtung des Schattens einer Düne. Tiefenfrost zögerte kurz, ging dann aber voraus. Für alle anderen musste es so aussehen, als würden sie sich nur ein Stück Beute teilen wollen.

»Also«, hob Terra an, nachdem sie den Fisch in den Sand fallen gelassen hatte, »habe ich eben richtig gesehen, was ich gesehen habe?«

»Was meinst du denn gesehen zu haben?«, entgegnete Tiefenfrost herausfordernd.

»Du kannst mit den Schatten verschmelzen, habe ich recht?«

Der schwarze Kater starrte sie ausdruckslos an und schwieg.

»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich tu dir nichts.«

»Das könnte jeder behaupten«, antwortete er. »Es kommt mir etwas seltsam vor, dass irgendeine Jungenmutter vom WindClan auftaucht und mich auf einmal verhört. Was willst du von mir?«

Terra seufzte. Ich habe ihn eingeschüchtert. Er hat recht. Ich würde in so einer Situation auch schweigen.

»Was weißt du von den Mächten?«, fragte sie deshalb.

»Welche Mächte?«

Terra zögerte. Aber ich habe mich nicht geirrt, oder? Er ist eindeutig mit den Schatten verschmolzen und dann wieder aufgetaucht. Wahrscheinlich hat er geübt und dachte, niemand würde ihn beobachten. Was bestimmt auch so gewesen wäre, wenn ich bei Morgenjunges und Abendjunges geblieben wäre. Die meisten Katzen sind Jagen oder Wasser holen. Aber Ojiha hat alle Mächte erwähnt und darunter war auch eine Macht der Schatten, oder? Würde das nicht passen?

»Ich möchte dir etwas zeigen«, miaute sie schließlich. »Dafür brauche ich aber ein Stück Erde, keinen Sand.«

»Warum?«

»Wirst du schon sehen.«

Tiefenfrost wirkte nicht ganz überzeugt, deutete dann aber auf die Düne hinter sich. »Wenn wir ein Stück gehen und dann ein Loch graben, wird da bestimmt Erde sein.«

»Wir brauchen kein Loch zu graben. Das geht auch so«, sagte Terra überzeugt. Sie trabte näher zu der Düne und ging etwas an ihr entlang, bis sie außer Sichtweite aller anderen Katzen am Strand war. Dann wandte sie sich dem Sandhang vor ihr zu. Irgendwo darunter war Erde. Sie musste sie nur hervorholen.

Um sich besser zu konzentrieren, schloss sie die Augen und stemmte ihre Pfoten in den Boden. Es dauerte einige Herzschläge, aber dann spürte sie sie. Die Erde. Feucht und umgeben von Dunkelheit, vergraben unter einer Schicht aus Sand. Sie biss die Zähne zusammen und befahl der Erde, sich zu bewegen. Ihr wurde warm. Erst nur leicht, dann schien ihr Pelz plötzlich zu brennen, aber sie konzentrierte sich weiter.

»Was machst du da?«, hörte sie Tiefenfrost verunsichert fragen. Und dann kam der Ausruf: »Beim SternenClan!«

Zufrieden öffnete Terra die Augen und sah vor sich in der Düne einen Haufen Erde, der aus dem Sand gequollen war. Kleine Brocken lösten sich und fielen ihr vor die Pfoten. Als sie sich zu Tiefenfrost umwandte, hatte dieser den Mund aufgeklappt.

»Ich dachte, ich wäre der einzige«, hauchte er ungläubig. »Ich dachte... Ich dachte...«

»Vertraust du mir jetzt?«, fragte Terra ihn.

Tiefenfrost nickte langsam und schaffte es, seinen Blick von dem Erdhaufen wegzureißen. »Erzähl mir alles... darüber. Alles, was du weißt.«

»Das werde ich«, versicherte sie ihm, etwas amüsiert von seiner Reaktion. »Allerdings wird es etwas dauern. Und danach werde ich dich vier weiteren Katzen vorstellen müssen.«

»Vier weiteren?« Tiefenfrost sah sie ungläubig an. »Es gibt noch vier weitere?«

»Es soll insgesamt zwölf von uns geben. Aber alles der Reihe nach.«

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