7. Kapitel - Kein Zurück

Je weiter wir uns von der Grenze des LaubClans entfernten, desto mehr fühlte es sich so an, als wäre eine gewaltige Schicht aus Stein von meinem Körper abgefallen. Meine Beine wirkten so viel leichter, mein Kopf und  meine Sicht klar, und in meiner Brust flatterte ein aufgeregtes Herz frei und munter wie ein junger Vogel.
Was in Streifenblatt vorging, konnte ich nicht beurteilen. Der Kater trabte schräg vor mir über den lehmigen Boden, mit leichten Sprüngen setzte er vorwärts, jeder Satz ließ sein Fell leicht im Wind seiner Bewegung wehen. Den Blick hielt er dabei stets vor sich gerichtet, konzentriert fixierten seine weiten Pupillen den fernen Horizont, über den sich allmählich die ersten Streifen Tageslicht schlichen. Seine Ohren waren angelegt, sein Maul leicht geöffnet, hin und wieder meinte ich, ihn die Luft schmecken zu sehen.

Doch alles, was uns umgab war Stille, herrliche Stille, nur das Rauschen des Baches neben uns, und der Geruch nach Lehm, Wasser und Flussgras. Kein Vogel schrie in der Ferne, kein Gras rauschte im Wind, nur acht Pfoten trommelten im gleichmäßigen Takt über den harten Boden. 

Ich konnte nicht sagen, wie viel Zeit bereits vergangen war, als meine Pfoten anfingen zu schmerzen. Die frische Morgenluft brannte in meiner Kehle und in meinen Flanken stach es leicht. Mit einem schwachen Keuchen verlangsamte ich meinen Schritt, fiel in ein schnelles Trippeln und sah über die Schulter hinweg.

Vor meinen Augen erstreckte sich nichts als hügeliges Brachland. Kein Baum erhob sich am Horizont, die goldenen Eichen des Mondkreises waren schon lange nicht mehr zu sehen.

Wir hatten es geschafft.
Wir waren entkommen - und nun gab es für uns beide kein Zurück mehr.

Für einen Moment lang wurde mein Herz schwer. Mein Bauch fühlte sich an, wie als hätte ich zu viel Wasser getrunken - Druck lag auf meinem Magen, ich spürte bittere Säure in meiner Kehle aufsteigen.
War es wirklich die richtige Entscheidung gewesen?
Was, wenn uns auf dieser Reise wirklich irgendetwas zustieß? Was, wenn einer von uns sterben würde? Was, wenn meine Eltern schon lange tot waren - und was, wenn wir sie gar nicht erst finden würden? Was, wenn sie mich nicht aufnehmen oder mir nicht glauben würden?
Würden wir jemals wieder in unserem Clan aufgenommen werden, dessen Vertrauen wir so gebrochen hatten? Und was, wenn wir den Weg nie finden würden?

Diese und noch tausende weitere Fragen schwirrten durch meinen Kopf und mir wurde schwindelig. Die Welt verschwamm vor meinen Augen.

"Tränenfall? Alles okay?"
Als ich die Stimme von Streifenblatt neben mir vernahm, zuckte ich kurz zusammen und fuhr bereits die Krallen auf, doch schnell kam ich wieder zu mir und schüttelte leicht den Kopf. Ich sah zur Seite, direkt in die grünen Augen meines Freundes. 

"Ja, ja. Alles gut." Ich tippte mit der Vorderpfote auf den Boden. "Ich... war nur ein bisschen erschöpft vom Laufen... und, naja, dann habe ich ein bisschen nachgedacht, aber alles gut."
Aus großen Augen sah ich zu ihm auf und versuchte mich an einem Lächeln.
"Tja, ich habe nun mal nicht die Ausdauer einer FeldClan-Katze", fügte ich dann witzelnd hinzu, um vom Thema abzulenken. 

Offenbar hatte ich Erfolg.

Streifenblatt schnurrte amüsiert auf und schnickte mit seinem Schweif sanft gegen mein Ohr. In all de Zeit beim Clan war mir nie aufgefallen, wie viel größer als ich er eigentlich war, dabei war es gut ein Kopf mehr. 
"Hey, hey, sag sowas doch nicht", gluckste er, "Du bist trotzdem im Clan ausgebildet und trainiert worden. Du kannst so gut rennen wie jeder andere... naja, außer mir. Mein Blut wurden mit LaubClan-Blut verschmutzt. Spaß beiseite." Er sah sich um. "Ich glaube, es wird bald hell... wenn Taubenstern auf die Idee kommt, Suchpatrouillen loszuschicken, dann wird sie das bald tun. Aber ich denke, dass sie eine Weile brauchen werden, um hier herzukommen... wenn sie überhaupt so weit gehen. Wir können uns also ein bisschen ausruhen und dann heute Mittag weitergehen."

"Klingt gut." Meine Worte unterstrich ich mit einem zustimmenden Nicken, bevor ich den Kopf schieflegte und den drahtigen Heiler intensiv musterte. "Hast du Hunger?"

Schuldbewusst den Kopf senkend knirschte Streifenblatt mit den Zähnen. 
"Höllisch", gab er zu, "Ich habe seit dem letzten Sonnenhoch nichts mehr gegessen, und ich bin auch nicht auf die Idee gekommen, uns Reisekräuter mitzunehmen, die den Hunger unterdrücken... und so leid es mir tut, so grandios meine Heilerkenntnisse auch sein mögen, jagen kann ich nicht." Mein Freund grinste schief zu mir hinüber. 

Froh darüber, dass er mich aus meinen düsteren Gedanken geholt hatte, rollte ich mit den Augen und legte übertrieben viel Theatralik in den Seufzer, den ich ausstieß. 
"Ich verstehe schon. Der feine Heiler hat sich mir nur angeschlossen, damit er für die nächsten Monde durchgefüttert wird." Ich knuffte ihm energisch in die Seite. "Wie wäre es, wenn du nach einem Platz für ein Nickerchen suchst, während ich versuche, uns in diesem Niemandsland hier etwas zu fressen zu besorgen?" Noch während ich sprach, reckte ich bereits den Hals nach oben und schnupperte kräftig. "Ich glaube, hier irgendwo am Fluss sollte es etwas geben... gut, ich hoffe es vielmehr."

"Du machst das schon. Bleibst du immer am Fluss?" Der Heilerschüler sah sich flüchtig um, dann wies er mit seinem Kinn auf einen Stein, der einige Fuchslängen entfernt am Rande des Flussbettes aus dem Boden ragte. "Wir könnten uns da wieder treffen."

"Alles klar." Zum Abschied stupste ich ihm mit der Schnauze gegen das Ohr. "Wenn du nicht wieder da bist, bis die Sonne aufgegangen ist, dann gehe ich nach dir suchen."


Es war noch ein ganzes Stück entfernt von dem Stein, den wir als Treffpunkt ausgemacht hatten, aber nach einiger Zeit stieß ich auf eine Stelle am Flussufer, an der das Flussbett sich vertiefte und winzige Lehmabhänge hinunter zum sprudelnden Wasser führten.
Einige Pfotenschritte weiter war eine Ausbuchtung in der Kuhle, die etwa eine Fuchslänge vom Ufer wegführte und vollständig mit weichem, hellgrünen Gras bewachsen war.

Aufmerksam legte ich die Ohren an und duckte mich an den Abhang, mein Blick schweifte über das im Wind wehende Gras, mit meinem Maul schmeckte ich den Wind.

Für ein paar Herzschläge passierte rein gar nichts, dann nahm ich auf einmal einen vertrauten Geruch war.
Maus. 
Als ich mit geweiteten Lidern umhersah, entdeckte ich das kleine, braune Tierchen schließlich am Flussufer, wo sie mit ihren winzigen Pfötchen über ihre Ohren putzte. 
Vorsichtig hüpfte ich hinab in die Grassenke, duckte mich in die flachen Halme hinein und schlängelte mich hindurch, so wie ich es damals von Windwolke gelernt hatte. Ganz sanft. So, dass das Rascheln, das mein Pelz erzeugte, wenn er durch das Gras strich, auch einfach der Wind sein könnte.
Sobald ich nah genug an meiner Beute war, spannte ich die Muskeln an, sprang nach vorne und tötete die Maus mit einem gezielten Biss in den Nacken.

Für einen Moment, für einen kurzen Moment lief ein kalter Schauer durch meinen Körper, als ich ihren kleinen Körper unter meinen Zähnen erschlaffen fühlte.
Es wirkte so merkwürdig, wie eine plötzliche Stille das Tier einhüllte. 
Was war los? In meinen Training war ich oft jagen gewesen, ich hatte viele Mäuse gefangen, auch größere Tiere, Vögel und Kaninchen. Es hatte mich nie gestört.
Eine Maus war nur eine Maus. Ich hatte sie fangen müssen, um mich und Streifenblatt zu ernähren, und es war ja nicht so, als hätte ich eine Katze getötet.
Mit einem Kopfschütteln verwarf ich alles, was mir durch den Kopf schoss. Ich legte das Mäuschen ab, scharrte notdürftig etwas Lehm darüber und sah mich nach weiterer Beute um. 


Die Sonne hatte sich schon fast ganz über den Horizont erhoben als ich mit zwei kleinen Mäusen im Maul zum Felsen zurückkehrte. Die Grassenke war kein Paradies für Jäger, aber immerhin bot sie etwas Nahrung in einer derartig kahlen Gegend wie dieser. 

Streifenblatt kauerte auf dem Felsen, den Kopf in den Nacken gelegt und die Nase ins erste Sonnenlicht gestreckt. Sein buschiger Schweif war elegant um seine samtigen Pfoten geringelt. 
Als er mich kommen hörte, stellten sich zuerst seine Ohren auf, dann schlug er die Augen auf und schielte zu mir hinunter. Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht. 

"Ich sehe, du hast mich nicht enttäuscht", gluckste er fröhlich und machte einen eleganten Satz von dem Stein herunter, "Gleich zwei? Wow. Hast du nicht immer am lautesten rumgeheult, dass du nicht jagen kannst?"

"Ach, halt die Klappe. Damals war ich noch jung und dumm", knurrte ich nuschelnd durch meine Beute zurück. "Hast du denn deine Arbeit auch so gut gemacht?"

"Entschuldige, wann habe ich jemals etwas nicht gut gemacht?" 
Frohlockend schlenderte er zu mir hinüber. 
"Wenn man von hier ein gutes Stück nach Südwestern geht, dann findet man so eine kleine Höhle. Gut, es ist mehr eine Kuhle, aber man ist dort geschützt."

Sein fragender Blick suchte meine Augen, und als ich nickte, wurde sein Grinsen noch breiter. 
"Gut. Dann komm mit."

Er schnickte mit dem Schweif gegen meine Ohren und setzte sich in Bewegung, in einem leichten, federnden Gang. Seine Pfoten tapsten anmutig über den harten Boden, ich fühlte mich fast unbeholfen, als ich ihm folgte.

Die Strecke stellte sich als nicht ganz so weit heraus, wie ich es mir bei der Formulierung "ein gutes Stück" vorgestellt hatte. 
Tatsächlich waren es nur wenige Fuchslängen, aber besagter Ort lag hinter einer Erhebung im brachen Boden und war somit aus unserer Richtung kaum zu sehen. 

Es handelte sich in der Tat mehr um eine kleine Senke, doch sie schnitt ein Stück weit in den Lehmhügel hinein und war somit an einer Stelle minimal überdacht. Vermutlich hatte Streifenblatt diesen Bereich gemeint. 

"Und?"
Erwartend drehte der Kater mir den Kopf zu und blinzelte groß zu mir herüber. Seine Schnauze zitterte leicht.

Ich nickte leicht und versuchte mich am Schnurren, was mit vollem Mund ein wenig seltsam klang. 
"Sieht gut aus", murmelte ich durch das Fell der Mäuse hindurch, "Lass uns hier bleiben."

Ein erleichtertes Zucken ließ die Ohren meines Freundes kurz wackeln.
"Erfreulich", schnurrte er, "Können wir dann endlich essen?" 


Nachdem wir unsere Mäuse verspeist hatten, gaben wir uns noch eine Weile die Zunge, ehe wir uns unter dem Vorsprung zusammenrollten und Ruhe einkehrte. In der Ferne hörte ich noch den Bach vor sich hinsingen. 
Der Boden war hart und roch nach Lehm. Zwar hatte ich, bevor ich mich zusammengerollt hatte, ein wenig Erde aufgescharrt, aber auf brachem Boden zu schlafen, war immer noch unglaublich schwer. Bis mir endlich die Augen zufielen, war eine Menge Zeit vergangen. Sonnenstrahlen brannten auf meinen Pfoten. 

"Tränenfall..."
Ein leichter Pfotenhieb in die Seite riss mich aus meinen unruhigen Träumen.
Stöhnend schlug ich die Lider nach oben, blinzelte in grelles Sonnenlicht und gähnte schließlich herzhaft.
"Ist es denn schon Mittag?", zwängte ich schwach hervor.

"Ja." Für einen kurzen Moment hatte Streifenblatt einen schnurrenden Unterton, dann wurde seine Stimme wieder ernst. "Und wirf mal einen unauffälligen Blick nach Norden."

Ich streckte die Vorderpfoten, dehnte noch mal die Zehen und drehte dann beiläufig den Kopf zur Seite, während ich mich aufrichtete und am Ohr kratzte. 
Sofort erkannte ich, was mein Freund meinte: Mir nun direkt gegenüber, am Rande der Senke, kauerte eine fremde Kätzin und leckte sich ganz beiläufig die Pfoten. Unverhohlen starrte sie zu uns hinüber, ihre Ohren nach oben gestellt und ihren Schweif ordentlich auf den Boden geringelt.

Ein unangenehmes Kribbeln lief durch mein Fell und ließ mir die Haare zu Berge stehend. Eilig wandte ich mich zu Streifenblatt herum.
"Wie lange hockt die schon da?", erkundigte ich mich gedämpft, doch der Heiler schüttelte nur den Kopf. 
"Keine Ahnung", erwiderte er mit eingekringeltem Schweif, "Ich bin aufgewacht und sie saß da. Also habe ich dich schnell geweckt." Er machte eine kurze Pause, seine Pupillen huschten flüchtig zur Seite, dann fixierte er mich wieder. "Sie scheint aber nicht feindselig zu sein, sonst hätte sie uns schon lange angegriffen."

"Dann sprechen wir sie doch einfach mal an!"
Entschlossen stellte ich die Ohren auf, machte einen Schritt nach vorne und fixierte meinen Blick fest auf die fremde Katze.
"Hey!", rief ich ihr zu, "Wer bist du und was machst du hier?"

Die stämmige Kätzin hob den Kopf, unsere Augen trafen sich.
"Ach, ihr seid wach", murmelte sie gedehnt, rollte sich den Abhang hinunter auf die Pfoten und trottete federnd zu uns hinüber.
"Die gleichen Fragen könnte ich euch übrigens auch stellen", gähnte sie, "Aber ich bin ja mal nicht so. Also, ich bin Scarlett und ich lebe hier. Demnach steht es mir frei zu gehen und zu bleiben, wo ich will." Sie legte den Kopf leicht in den Nacken. "Jetzt ihr beiden... ich hab keinen von euch hier schon einmal gesehen. Also?"

Streifenblatt und ich tauschten einen kurzen Blick, der Kater nickte mir ermutigend zu.
"Das hier ist Streifenblatt", stellte ich zunächst den jungen Heiler vor, "Und ich bin Tränenfall. Wir sind eigentlich Mitglieder der Clans, die jenseits dieses Brachlands leben. Wir wollen zum Zweibeinerort. Und wir werden uns nicht von dir aufhalten lassen." Ich fletschte die Zähne und fuhr die Krallen aus.

Scarlett jedoch musterte mich nur mit einem gelangweilten Blick, dann drehte sie den Kopf weg und dehnte ihre Zehen. Bei dieser Geste spürte ich kurz ein Kribbeln in den Pfoten, am liebsten wäre ich nach vorne gesprungen und hätte ihr mit einem gewaltigen Schlag auf die Ohren verdeutlicht, wie ich mit so respektlosen Katzen umging. Meine Krallen zuckten, nur der Blick von Streifenblatt, der auf meinen Schultern brannte, hielt mich auf. 

"Ach, ihr seid Katzen aus dem Wald?", meinte Scarlett schließlich nach einer kurzen Denkpause, "Da bin ich selten. Das sind komische Käuze, die da herumstreunen, komische Käuze mit komischen Namen..."
Ein tiefes Seufzen entwich ihrer Kehle und sie schüttelte den breiten Kopf. 
"Wie auch immer. Wo wollt ihr hin? Zweibeinerort?" Ihre Blick wanderte nach rechts oben. "Das ist euer Wort für eine Stadt, nicht wahr?"

"Woher soll ich das wissen", murrte ich zurück, "Ich habe keine Ahnung, was eine Stadt sein soll."

"Naja, ein Ort mit Häusern und Straßen und Autos und Menschen und so."

"Wieso gehst du davon aus, das wir wissen, was das ist?"

"Weil das Allgemeinwissen ist?", Scarlett weitete spottend die Augen und kicherte leise, "Was weiß ich was ihr Clankatzen alles wisst und was nicht?"

Ein Knurren rumpelte aus meinem Hals hervor und reflexartig peitschte mein Schweif auf den Boden. Ich trat nach vorne und rammte meine Ballen gegen den Boden. 

"Lebt da ein gewisser Eliot?", fauchte ich und ließ meinen Kiefer zusammenschnappen. Scarlett sah mir einmal tief in die Augen und gluckste.

"Ich glaube, ja", offenbarte sie dann schließlich flötend, "Eine Freundin von mir ist ganz hin und weg von dem alten Sack." Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter. "Also, wenn ihr wirklich in die Stadt wollt, dann seid ihr schon ganz schön weit gekommen. Es ist nicht einmal mehr ein halber Tagesmarsch bis dahin, ihr solltet noch vor Sonnenuntergang ankommen. Wenn ihr da seid, dann sucht nach einem Park." Sie giggelte kurz. "Das ist eine freie Fläche mit Wiese, Bäumen und Büschen, falls ihr damit nichts anfangen könnt. Außerdem ist da ein kleiner Teich, und sofern die Sonne noch nicht untergegangen ist, solltet ihr da eine Katze namens Pearl finden. Die kann euch dann sicherlich weiterhelfen."

"Verstehe." Ich zuckte zusammen, als auf einmal Streifenblatt neben mich trat und das Antworten übernahm. Ein freundliches Lächeln zierte sein hübsches Gesicht, und bevor ich etwas erwidern konnte, um der dunkelroten Streunerin ihr arrogantes Grinsen aus dem Gesicht zu fegen, berührte mein Freund mich sanft mit dem Schweif an der Flanke, sah mich warnend an und schüttelte den Kopf. 
"Vielen Dank", miaute er dann höflich zu Scarlett, "Du hast uns wirklich sehr geholfen. Denkst du, wir kommen an, wenn wir dem Bach da drüben folgen?"

"Gar kein Problem Liebling." Die stämmige Kätzin starrte gelangweilt auf ihre Pfoten hinab. "Man hilft ja wo man kann, nicht wahr? Und klar, dem Bächlein zu folgen ist eine gute Idee. Der führt euch direkt zum See im Park, das ist eine wirklich gute Idee."

"Alles klar." Streifenblatt nickte ihr zu und schnickte dann mit dem Ohr in meine Richtung. "Komm, Tränenfall. Lass uns gehen."

Als er sich in Bewegung setzte, folgte ich ihm, nicht ohne Scarlett noch einmal anzuknurren. Die Spannung in meinen Gliedern war noch da, in mir tobte immer noch das Verlangen, mich auf sich zu stürzen und jede einzelne Kampftechnik, die ich von Windwolke gelernt hatte, an ihr auszuprobieren.
Noch eine ganze Weile lang spürte ich, wie der Blick der Streunerin auf uns lag.


"Du bist ein Idiot!"
Es musste eine ganze Menge an Zeit vergangen sein, bis ich mein Fauchen nicht mehr zurückhalten konnte, ich und Streifenblatt hatten zuvor noch einen Zwischenstopp in der Grassenke gemacht, um uns ein Mittagessen zu fangen.

Der Kater stellte nun die Ohren auf und schielte mich von der Seite an, nebeneinander trotteten wir am Ufer des kleinen Baches entlang. Sprudelnd folgte das Wasser unseren Schritten.
"Entschuldigung?", harkte er vorsichtig nach, "Warum das?"

"Weil du nichts gemacht hast!", frustriert peitschte ich meinen Schweif in den Lehm, "Dieses Streunerpack hat sich über mich... ach was, über uns beide lustig gemacht, und du hast dich dafür auch noch bei ihr bedankt!"

"Ja und?" Der Kater schnurrte amüsiert, knuffte mich in die Seite und sah mich eindringlich an, obwohl mir im Moment nicht nach Scherzen zumute war. "Was hätte ich sonst tun sollen?"

"Warten, bis sie alles ausgespuckt hat und ihr dann mit mir das Fell über die Ohren ziehen?" Grummelnd verengte ich die Augen und stierte ihn auffordernd an, erhielt aber keinerlei Zustimmung.
"So ein respektloses Stück hat eine Lektion doch mal mehr als verdient!"

"Und was hätte das gebracht?" Nun war auch Streifenblatts heiterer Ton verschwunden, seine Stimme glich mehr einem langgezogenen Seufzen. "Erstens hätte sie sich vermutlich wehren können, was zumindest zu kleinen Wunden geführt hätte, die an dem Punkt einfach unnötig gewesen wären.
Zweitens hätten wir dann ja sie verletzt, und wer weiß, zu was das geführt hätte. Wäre sie dazu in der Lage gewesen, sich selbst zu verarzten? Selbst ein kleiner Kratzer könnte sich entzünden und das könnte ihr das Leben kosten. Das wäre ein unnötiger Tod gewesen, mit dem wir hätten leben müssen.
Drittens hätten wir, selbst wenn es nicht so weit gekommen wäre, nur die Aggressivität der Streuner gegenüber Clankatzen gestärkt.
Viertens werden wir sie eh nie wiedersehen, also was bringt es dann, wenn sie Respekt vor uns hätte?
Und fünftens wäre es unnötige Gewalt gewesen, und wir Heiler verabscheuen so etwas."

Dagegen fiel mir nichts mehr ein, und das sanfte Lächeln, das er mir daraufhin schenkte, ließ auch meine Wut schnell wieder verpuffen. 

"Komm schon, Tränenfall", schnurrte Streifenblatt mir zu, "Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir ausgerechnet diese Kätzin irgendwann wiedersehen?"

"Ja, ja, ist ja schon gut", brummte ich zurück.
Er hatte ja Recht. Mit jedem Wort, dass er gesagt hatte, hatte der junge Heiler Recht gehabt, aber behagen tat mir der Ausgang trotzdem nicht. 


Die Sonne brannte warm vom Himmelszelt herab, die Tatsache, dass es hier in diesem offenen Gelände nahezu nichts gab, was hätte Schatten liefern können, machte das Laufen nicht gerade angenehm. Auch, wenn man das Leben auf offenen Felder gewöhnt war: Zur Höchstzeit der Blattgrüne wäre diese Reise eine reine Tortur gewesen. 

Doch auch so war ich sehr dankbar, dass Streifenblatt und ich stets an dem kleinen Bach entlangliefen, denn so umwehte immer eine frische Brise meinen getigerten Pelz.

Irgendwann wurde die Senke, die das Wasser in den Lehm gefressen hatte, schmaler, der Strom verengte sich zu einem schmalen Rinnsal. 
Am Horizont erhoben sich langsam Konturen, nicht die sanften, natürlichen Formen des Waldes, sondern harte, kantige, starre Gestalten, die leblos in den Himmel ragte. 

Ich erkannte aber auch die Silhouetten von Bäumen, allerdings umringt von einem seltsamen, festen Rand umschlossen, etwa so hoch wie ein großer Haselstrauch. Viereckige, dunkelrote Steine stapelten sich zu dem Wall herauf, er erinnerte mich an die Art und Weise, wie manche Clans ihre Lager schützten.
Clans, die es sich nicht leisen konnten, jederzeit die komplette Umgebung zu Überwachen, so wie es der FeldClan tat. 

Der Geruch nach Stein, Rauch und Zweibeiner lag in der Luft, gemischt mit einem widerlichen Gestank. Irgendwie verbrannt, aber doch nicht so, als stünde etwas in Flammen - irgendetwas lag in der Luft, eine Duftnote, die mich trat wie ein Schlag auf den Kopf und mir kurz schwindelig werden ließ. 

"Beim SternenClan", keuchte ich, "Was ist das?"

"Ich habe keine Ahnung", erwiderte Streifenblatt und rümpfte die Nase. Sein Schritt war fest, seine Beine zitterten nicht, aber seine Ohren lagen an und verrieten seiner Nervosität. "Aber das vor uns muss der Zweibeinerort sein, von dem Scarlett gesprochen hat."

"Wie kannst du dir da so sicher sein?" Ich knurrte und knirschte mit den Zähnen aufeinander. Bei dem Gedanken, irgendwie in dieses Wirrwarr aus kantigen Formen, Zacken und Steinen eintauchen zu müssen, brannte es in meiner Kehle, mein Herz schlug wie wild und mein Bauch rumorte auf eine sehr seltsame Art und Weise.

"Silbertropfen hat uns damals immer Legenden davon erzählt", hörte ich meinen Freund von der Seite antworten. Einen Herzschlag später spürte ich, wie er an mich herantrat und sein Fell an mich schmiegte. Das Beben seiner Flanke war deutlich zu spüren. "Zweibeinerorte sind wohl schreckliche, schmutzige, verwirrende Gebiete, in denen alles aus Stein ist. Angeblich rasend darin brennende Monster herum, die Katzen einfach töten, wenn man ihnen nicht rechtzeitig ausweicht. Außerdem muss man sich vor Zweibeinern in Acht nehmen, weil sie einen sonst einfach einfangen und in ihre Baue verschleppen, aus denen man nie wieder rauskommt."

"Oh, sprich weiter. Jedes Wort motiviert mich mehr, da reinzugehen." Fauchend stellten sich meine Nackenhaare auf. "Kurz: Alles dadrinnen will uns umbringen?"

"...vermutlich nicht alles." Streifenblatt ließ die Ohren hängen. Sein Blick traf mich von der Seite. "Immerhin scheint es ja auch Katzen da drinnen zu geben. Vielleicht sind sie ja auch gar nicht mal so aggressiv."

Ein tiefes Seufzen entwich seiner Kehle. Der Glanz in seinen Augen wurde intensiver, glasiger, als er dabei zusah, wie ich die Krallen ausfuhr und damit über den Boden schabte. 

"Tränenfall", murmelte er, sein Atem kitzelte an meinem Ohr, "Wenn du deine Eltern treffen willst, dann müssen wir da rein... wenn du umdrehen willst, dann sollten wir es jetzt tun. Aber wenn du weitergehst, dann bin ich an deiner Seite, ohne zu zögern."

"Nein." Ohne eine Sekunde darüber nachzudenken schüttelte ich den Kopf. "Nein, nein, nein, Streifenblatt, wir gehen nicht zurück."

Mit einem entschiedenen Schütteln glättete ich mein Fell, atmete tief durch und sah meinen Begleiter dann entschlossen an. 
"Streifenblatt", knurrte ich mit fest angespannten Schultern, "Wir gehen jetzt da rein."

Mein Blick streifte nach vorne, aufmerksam musterte ich den Wall, der sich nun kurz vor uns erhob.

"... wie kommen wir da rein?"

"Keine Ahnung." Der Tigerkater schüttelte den Kopf. Seine Flanke löste sich von meiner, als er einen Schritt nach vorne trat, und sofort streifte ein leichter Wind mein Fell. "Wie wäre es, wenn wir einfach an diesem Wall entlanggehen und schauen, ob wir irgendwo eine Öffnung oder so finden, durch die wir reinkommen?"

Ehrlich gesagt war das der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich ohne Streifenblatt endgültig verloren wäre.
"Das wäre zum Beispiel eine Option."


Eine Möglichkeit, jenseits des Walls zu gelangen, offenbarte sich uns schneller, als ich es vermutet hätte. 

Dort, wo der schmal gewordene Bach auf die kalten, harten Steine traf, befand sich eine kreisrunde Öffnung, die in einen seltsam gefärbten Tunnel führte. Augenscheinlich fiel er leicht ab.
In einem schmalen Rinnsal plätscherte der Fluss hinein, als der Dunkelheit, die nichts weiter verriet, hörte ich das Rauschen nachhallen. Kniff man die Augen zusammen, so konnte man in einigem Abstand wieder Licht sehen - doch dazwischen lag diese kalte, nasse Finsternis. 

Vorsichtig streckte ich eine Pfote aus und berührte das Gestein, aus dem der Tunnel gefertigt war. Doch keine Sekunde später zuckte ich zurück. Der seltsame Fels war kalt und viel zu glatt, alleine der Gedanke, darauf zu treten, fühlte sich falsch an.

"So schlimm?" Streifenblatt legte die Ohren an, als ich nickte.
"Das ist eklig", kommentierte ich und rümpfte die Nase, "Müssen wir da wirklich durch?"
"Ich fürchte, wenn wir Eliot finden wollen, dann haben wir keine Wahl." Mein Freund reckte den Hals und sah sich aufmerksam in der näheren Umgebung. "Es sei denn, du willst noch länger hungernd durch dieses Brachland laufen und auf etwas hoffen, dass vielleicht nie kommt.

"Um ganz ehrlich zu sein klingt in meinen Ohren alles besser als das, was du mir von diesem Zweibeinerort erzählt hast." Schnaubend wandte ich den Blick ab. "Aber gut. Ziehen wir's durch."

Und mit diesen Worten zog ich die Schultern nach oben, atmete einmal tief durch, und dann, ohne noch einen Gedanken daran zu verschwenden, was eventuell würde passieren können, huschte ich in den Tunnel hinein. 

Meine Pfoten trafen auf Wasser, dass in mein Fell sickerte. Kälte kroch unter meinem Pelz nach oben und stelltes jedes Haar einzeln auf, und bereits nach wenigen Sekunden hatte die Dunkelheit mich komplett eingeschlossen.

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