6. Kapitel - Gemeinsam

Das Brachland, das den größten Teil der Clanterritorien umgab, hatte für eine Flucht zwei entscheidende Vorteile: Zum einen bestand der bare Boden zu einem großen Teil aus Lehm, der die meisten Gerüche absorbierte, zum anderen war die Landschaft sehr uneben und zerklüftet und bot vielerlei Möglichkeiten, um sich zu ducken und zu verstecken. Wenn man fliehen wollte, dann war dieser Weg der beste, den man nehmen konnte.

Es war eine schöne und helle Nacht, die Krieger des SternenClans funkelten leuchtend vom Firmament herunter und beschienen meinen Weg, am Horizont zeichneten sich die hellen Eichen ab, die den Mondkreis umringten.

Nördlich des LaubClan-Territoriums und somit am äußersten Rand des Clangebiets befand sich eine Erhebung, auf der nur dicke, blasse Eichen mit hellen Stämmen wuchsen, die im Licht der sinkenden Sonne oft so golden schimmerten, dass es fast schon magisch wirkte. 
In der Mitte dieser Bäume lag ein Kreis aus kleinen, runden Steinen, in deren Mitte sich eine unnatürlich runde, flache Senke befand, die zu jeder Zeit flüssiges Wasser beinhaltete. Egal, wie heiß die Blattgrüne oder wie kalt die Blattleere war - diese kleine Pfütze verdunstete genauso wenig, wie sie zufror. 

Wir nannten diesen Ort aufgrund seiner Form den Mondkreis und es war die Stelle, an der wir mit unseren Ahnen, dem SternenClan in Kontakt treten konnten. Heiler reisten an Halbmond dorthin, Anführer, wenn sie ihre neun Leben erhielten.
Früher war es wohl ebenso Tradition gewesen, Schüler am Ende ihrer Ausbildung an den Mondkreis zu führen, damit sie dort eine Nacht verbringen konnten, bevor sie zum Krieger ernannt wurden.

Dieses Ritual war aber schon vor langer Zeit abgeschafft worden, sogar noch bevor es verboten worden war, Jungen für die Vergehen ihrer Eltern zu bestrafen. Man erzählte sich lediglich noch davon. Unter anderem soll ein Grund dafür gewesen sein, dass viele Schüler nach einem Besuch am Mondkreis zu verängstigt gewesen waren. Ich persönlich war nie dort gewesen, demnach konnte ich das auch nicht beurteilen. 

Meine Pfoten führten mich an den Geruchslinien der Clans entlang, die vertrauten Gerüche meiner Clangefährten wichen den für mich beißend unangenehmen Markierungen der LaubClan Grenze. 
Zwar war mir klar, dass sie mich nicht dafür bestrafen konnten, solange ich nur auf der anderen Seite der Geruchslinie blieb, dennoch wich ich ein Stück zur Seite aus und trabte nun etwa eine Fuchslänge von der Grenze entfernt voran. Meine Nase zuckte, als ich versuchte, einen Geruch aufzunehmen, einfach aus Reflex, doch der lehmige Boden hatte alle Spuren verfliegen lassen. Dafür erkannte ich in der weichen Erde mehrere frische Pfotenspuren, die ich nicht zuordnen konnte. Sie erschienen irgendwie vertraut, aber es wollte kein Bild in meinen Kopf kommen - vielleicht hatte der LaubClan ja Probleme mit Streunern und hatte seine Patrouillen ausgeweitet.

Mit dieser nicht wirklich validen Erklärung fand ich mich ab und schlich weiter, mein Blick streifte aufmerksam durch die Gegend.

Und jetzt? Jetzt stand ich vor dem Territorium des LaubClans. Irgendwo hier in der Nähe musste vor vielen Monden ein Streuner namens Eliot angekommen und weitergeschickt worden sein. 

Aber wie, wie um alles in der Welt sollte ich, eine einfache Katze, ihn von hier aus finden? Sollte ich mich einfach nach Osten wenden und ins Unbekannte staksen? 
Was, wenn ich niemals irgendwo ankam? Zurückgehen war keine Option mehr.

Mit einem tiefen Seufzen wurde mir klar, dass meine Fluch nicht sonderlich strukturiert war und nun an der Kippe zum Scheitern stand. 
Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn alles schief lief, dann würde ich demnächst mein Leben als herrenlose Streunerin führen müssen. 
Sollte ich umdrehen müssen, dann war es nicht selbstverständlich, dass der FeldClan mich wieder aufnehmen würde. Und es bei einem anderen Clan versuchen? Nein, das kam für mich nicht in Frage.

Die Erkenntnisse trafen mich wie der Schlag eines Dachses, auch wenn ich so einen glücklicherweise noch nie abbekommen hatte.
Warum war ich nur so naiv gewesen? Warum hatte ich mich so impulsiv von meinen Gefühlen leiten lassen und nicht auch nur eine Sekunde daran verschwendet, einen genauen Plan zu machen?

Ein gequältes Wimmern verließ meine Kehle, als ich den Kopf schüttelte und die Ohren anlegte. Jetzt war ich nun einmal hier, es ließ sich nicht mehr ändern. 

Ich hatte ein leises Plätschern vernommen, dem ich zu einem winzigen Bach folgte. Dieser schlängelte sich in einer tiefen Furche durch das kahle Land und verschwamm sich in der Ferne hinter zahlreichen Kurven und Windungen. 
Es raschelte verlockend in der schwach bewachsenen Böschung, als ich mich über das Wasser beugte, um etwas zu trinken.

Das kühle Nass fühlte sich gut auf meiner rauen Zunge an und beinahe fühlte ich mich etwas beruhigt. Noch während ich trank, hob ich den Blick und ließ ihn über die kleinen Wellen schweifen. 
Wenn ich mich nicht täuschte, dann floss das Wasser nach Osten - in die Richtung, die mir aktuell am erfolgsversprechenden war. 
Ich verengte die Augen und dachte scharf nach. Natürlich, ich hatte keinerlei Garantie dafür. dass Eliot hier langgekommen war. Das LaubClan-Territorium war groß, die Grenze lang, und wer wusste, wo er vorher noch alles gewesen war. 
Allerdings hatte ich den Bauch auch aus einiger Entfernung gehört, und obwohl das Gelände um ihn herum alles andere als eben und leicht begehbar erschien, so war die Furche doch gut sichtbar, sie bot Wasser und ein wenig Bewuchs, in dem sich so etwas ähnliches wie Beute verstecken könnte. Wenn ich Reisende wäre und obendrein noch ein Junges bei mir hätte, dann hätte ich mich vermutlich dazu entschieden, hier entlang zu gehen.

"Oh SternenClan", schickte ich ein schnelles Stoßgebet hinauf zu den Sternen, "bitte, führe meine Pfoten auf den richtigen Weg. Lass mich meine Eltern finden... das ist alles, was ich will, und ich schwöre, ich werde um nichts weiter bitten! Bitte, SternenClan, steh mir bei..."

"Tränenfall?"
Ich fuhr heftig zusammen, als ich meinen Namen hörte. Obwohl die Stimme mir bekannt vorkam, konnte ich sie in der ersten Sekunde nicht zuordnen. Ein kalter Schauer lief durch meine Glieder, in dieser Sekunde war ich überzeugt, dass mein Aufbruch nun zu Ende war, bevor er wirklich angefangen hatte. 

"Tränenfall, was im Namen all unserer Ahnen treibst du hier?"
Mein Kopf schnellte nach oben, Wassertröpfchen flogen durch die Luft, und ich sah mich hektisch um.

Schließlich entdeckte ich ungefähr zwei Schwanzlängen entfernt von mir eine bekannte Gestalt. Es handelte sich um einen drahtig gebauten, großen Kater mit sichtlich weichem Fell. Es lag glatt an und war von orangefarbenen Streifen geziert - dafür, dass er eine FeldClan-Katze war, wirkten seine Beine nicht lang und sehnig genug, als wäre er eher darauf ausgelegt, zu klettern und in den Bäumen zu jagen.

"Streifenblatt!", japste ich erleichtert, "Oh SternenClan, hast du mich erschreckt."
"Tut mir leid, das wollte ich nicht." Mein bester Freund zuckte mit den Schnurrhaaren, sah sich nervös über die Schulter und huschte am Bachufer entlang in meine Richtung. "Aber was machst du nun hier?"
"Du meinst, außerhalb des Lagers?" Schlagartig erinnerte ich mich daran, dass jeder im Clan die Aufgabe hatte, mich quasi gefangen zu halten, und meine Erleichterung schwand sofort dahin. Sie wich einer zunächst flauen, dann jedoch ruckartig explosiven Wut. Ich sträubte das Nackenfell, fuhr die Krallen aus und wollte gerade zu einem zynischen Kommentar ansetzten, da fiel mir mein Heiler ins Wort.

"Eigentlich meinte ich im Brachland vor dem LaubClan-Terretorium", murmelte Streifenblatt und legte die Ohren an. Meine heftige Reaktion musste ihn eingeschüchtert haben. "Warum um alles in der Welt solltest du nicht aus dem Lager gehen?" Erneut zuckten seine Pupillen zur Seite und er sah sich nervös um, dann allerdings fing er meinen Blick wieder auf. 

Eine kurze, aber bedeutungsschwere Stille trat ein.

So schnell wie mein Zorn gekommen war, so schnell flachte er auch wieder ab. Meine Muskeln entspannten sich, eine plötzliche Müdigkeit überkam mich, und ich spürte, wie mein Fell sich wieder anlegte.

"D-du...", stammelte ich verwirrt los, mein Kopf dröhnte und ich musste die Augen zusammenkneifen, "Du weißt nicht, dass man mich nicht alleine rauslassen soll? I-ich dachte, Taubenstern habe den Befehl an alle gegeben..."

"Wie bitte?"
Nun war es Streifenblatt, der laut fauchte und den Pelz in seinem Nacken aufstellte. Seine Augen waren geweitet und in ihnen glänzte blankes Entsetzen. 
"Taubenstern hat den Befehl gegeben, dich nicht alleine aus dem Lager zu lassen? Du veräppelst mich!" Keuchend hob und senkte sich seine Kehle. "Warum sollte sie so etwas tun? Das ist ja nicht nur lächerlich, das ist... das ist..." Streifenblatt brach ab, offenbar fiel ihm kein Wort ein, das abschätzig genug war. 

Ich übernahm an dieser Stelle einfach mal.
"Ganz genau", spuckte ich ihm entgegen, diesmal richtete sich mein Hass jedoch nicht gegen ihn, "Und weißt du auch warum? Weil meine Eltern nicht von hier sind! Was ich selbst gerade mal seit einem Mond weiß... und was mir bis dahin egal war!" Meine Welt verschwamm, als sich ein glasiger Schimmer über meine Augen legte. "J-jetzt bin ich hier, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Ich wollte einfach keine Gefangene meines eigenen Clans mehr sein..."

Langsam ging mir die Kraft aus. Ich konnte seinem Starren nicht länger standhalten und so senkte ich den Blick. Aus Angst, meine Knie könnten nachgeben, setzte ich mich freiwillig auf den schrägen Boden und tippte mit einer Vorderpfote immer wieder auf den harten Lehm. 
"A-aber... offenbar weißt du davon nichts... tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe..."

"Kein Problem. Du warst schon immer impulsiv." Ich sah ihn nicht an, aber an der Art, wie er sprach, erkannte ich, dass Streifenblatt die Zähne fest zusammengebissen hatte. Vermutlich kringelte sich auch gerade seine Schweifspitze. "Aber bist du ernsthaft davon ausgegangen, dass irgendwer in diesem Clan mir auch nur irgendwas anvertraut hat?" Seine Stimme zitterte. "Denkst du, auch nur eine von diesen Katzen spricht mit dem räudigen HalbClan-Heiler?" Irgendwie hatte ich das Gefühl, sein Ton würde immer schriller werden. Als ich den Kopf hob, um ihn anzusehen, blickte ich in wässrige, grüne Augen, die mich verzweifelt ansahen.

"Mir vertraut hier doch niemand", hauchte Streifenblatt heiser, "weil sie denken, dass ich so etwas nicht für mich behalten kann. Die meisten halten mich immer noch für einen Spion des LaubClans... nur, weil Silbertropfen sich in diesen dämlichen Kater verlieben musste!" 
Er schnaubte, sein Kopf schnellte herum. Mit einem Schlag schossen die Krallen aus seinen Vorderpfoten hervor und bohrten sich in die harte Erde. "Warum?", zischte er, ohne mich direkt anzusprechen, "Warum Eichenfuß? Warum... warum war ihr denn kein FeldClan-Kater gut genug?" Die Schnurrhaare des Tigerkaters zitterten vor Verzweiflung. "Warum mussten Wolfsherz und Rauchfell dann auch noch den Clan wechseln? Und warum im Namen des SternenClans denken alle, dass ich genauso bin?"

Seine Stimme brach ab, er kniff die Augen zusammen und ein Schauer lief durch seinen Körper. Immer wieder zuckten die samtigen Füße des Heilers. 

Es war, wie als hätte mich ein heftiger Krallenhieb mitten ins Herz getroffen. Ein dumpfer Druck schien auf meiner Brust zu liegen und schnürte mir die Kehle zu. Schlucken wurde auf einmal sehr schwer, die Nacht schien spontan unglaublich still und kalt. Nur das Blut rauschte in meinen Ohren, als ich langsam nach vorne trat und meine Schnauze gegen das Ohr meines besten Freundes stupste. 

"Streifenblatt...", murmelte ich leise. Nichts weiter, nur seinen Namen. 

Nicht, dass ich nicht gewusst hätte, dass viele meiner Clankameraden nicht wirklich angetan davon waren, dass unser Heiler zur Hälfte aus dem LaubClan stammte - aber ich hatte nie bemerkt, dass es dem jungen Kater wirklich so nahe ging. Diese Erkenntnis ließ meine Knie zittern und meine Augen brennen - wir kannten uns doch schon, seit wir Junge waren, wie hatte mir das entgehen können?

Die Stille, die auf meine Worte folgte, war nicht lang, aber intensiv. 

Schließlich trat ich langsam zurück, setzte mich wieder hin und legte den Kopf leicht schief.
"Streifenblatt", wiederholte ich noch einmal, den Kopf leicht schief gelegt, "Warum bist du hier?"
Wenn ich ehrlich war, dann hatte ich Angst vor seiner Antwort.

Der Tigerkater presste die Schnauze fest zu und senkte den Kopf. Sein Schweif hatte sich fast bis zur Hälfte aufgerollt und seine Krallen scharrten über den Boden. Kurze, breite Rillen blieben im hellen Lehm zurück. 

"Heute Morgen", fing er schließlich gedehnt an, "Kam Spinnenschweif zu uns in den Heilerbau. Er hatte sich einen Dornen in den Fuß getreten, als er Wasser für Lichterfeuer geholt hat, und weil Dunstblut gerade nach seiner Gefährtin geschaut hat, wollte ich ihn behandeln." Streifenblatt hielt inne und blinzelte ein paar Mal schwer. "Aber er hat abgelehnt. Er ist vor mir zurückgewichen und hat darauf bestanden, auf meine Mentorin zu warten. Keine Ahnung, was er von mir gedacht hat... dass ich ihn zusammenschlage und in den LaubClan entführe?" Ruckartig wandte er den Kopf herum und sah mich direkt an.

"A-aber..."
Meine Kinnlade herunter, der Wille, ihm zu widersprechen schwand schnell. Auch, wenn das gar nicht nach dem Spinnenschweif, den ich kannte, klang, so wurde ich mit einem Schlag von einer tiefen Wut auf ihn erfüllt.
"Was für ein Schneckenfresser!", fauchte ich hitzig, "Wenn ich ihn jemals wiedersehe, dann ziehe ich ihm meine Krallen über die Schnauze, da kannst du Gift drauf nehmen!"

"Beruhig dich, bitte." 
Mittlerweile wirkte mein bester Freund nicht mehr aggressiv. Seine Schultern waren eingesackt und seine Ohren hingen wie sein Schweif schlaff herunter. 
"Er ist bei weitem nicht der einzige unserer Gefährten, den du wohl falsch eingeschätzt hast. Ich musste so etwas beinahe täglich miterleben. Aber...", kurz hielt er inne, seinen linken Vorderfuß unschlüssig in der Luft, "Heute Morgen, das... das war einfach ein Mal zu viel, weißt du? Ich wollte abhauen. Weggehen. Nicht den Clan verlassen, sondern einfach für ein paar Tage verschwinden..."
Der junge Heiler hielt inne und schüttelte den Kopf.
"Ich gebe zu, das klingt jetzt lächerlich. Mir ist bewusst, dass es das nicht besser, sondern eher viel schlimmer gemacht hätte. Wäre ich wiedergekommen, hätte mir niemand mehr getraut - wenn sie mich überhaupt noch aufgenommen hätten. Aber... ich konnte einfach nicht mehr." Seine Ohren lagen an. "Deswegen... habe ich mich vom Heilertreffen weggeschlichen..." Man konnte anhand seines Tonfalls schon erahnen, dass er sich durchaus bewusst war, das es ein Fehler gewesen war. Er hatte etwas falsch gemacht.
Wenn man es faktisch betrachtete, dann konnte man mit aller Berechtigung sagen, dass er seinen Clan verraten hatte.
Und dennoch, irgendwie verspürte ich bei diesem Gedanken keinerlei Wut oder Hass, nicht einmal Enttäuschung oder Überraschung.

Eine laue Brise wehte über unsere Ohren hinweg, als wir uns stumm in die Augen sahen. Ich spürte mein pochendes Herz, das Blut durch meine Adern pumpte. Und ich wusste, dass es bei Streifenblatt genau so war, so wie bei jeder Katze des FeldClans, des LaubClans, bei jedem Streuner, bei jeder Hauskatze.

"Ich... ich denke, ich verstehe dich", murmelte ich schließlich gedämpft, "Also... nicht komplett. Ich weiß nicht genau, was du gedacht und gefühlt hast... aber irgendwie geht es uns beiden doch gleich, oder?" Ich senkte den Kopf und blinzelte ihn von unten an. "Wir beide haben uns immer wie Katzen des FeldClans gefühlt, so lange, bis unsere Clangefährten angefangen haben, uns auszuschließen... wir wollten niemals den Clan verlassen oder verraten. Erst, als man uns solche Ideen angehängt hat, haben wir angefangen, darüber nachzudenken. Hätte man uns nicht darauf gebracht, wären wir nicht geflohen. Und dennoch stehen wir nun hier..."

Es war, wie als liege ein schwerer, kalter Stein in meiner Brust, während eine dicke Ranke mit um den Hals geschnürt war. 
Ein Gedanke hatte sich in meinem Kopf festgesetzt, doch so wie die Samen, die sich im Fell eines Tieres verfingen, war er noch nicht aufgegangen und trieb noch nicht aus.

"Das ist wohl war." Langsam und gediegen nickte Streifenblatt. Er starrte einen Moment lang auf den Boden, dann auf einmal hob er den Kopf, warf ihn in den Nacken und lachte kurz auf. Es war nicht amüsiert, eher kalt und hart, wie Felsen, die aus dem gefrorenen Fluss hervor stachen. "Eigentlich ziemlich lächerlich, oder?", flüsterte er dann rau und sah von oben auf mich herab, "Die wollen uns hierbehalten, und das ist genau die Art, mit der sie uns vertreiben. Weil wir nicht stark genug sind, um ihnen unsere Treue zu beweisen. Vielleicht sind wir auch einfach nicht loyal genug? Ich weiß es nicht. Komm, Tränenfall." Der Heiler straffte die Schultern, richtete sich auf und tapste auf mich zu. "Wenn wir treue Katzen sind, dann gehen wir beide jetzt zurück. Gemeinsam."

"Nein!"
Wie aus einem inneren Reflex heraus stellte sich mein Fell auf und ich peitschte mit dem Schweif auf den Boden. Da ich kurz die Luft angehalten hatte, kamen meine Worte nun keuchend und stoßartig.
"Ich gehe nicht zurück in dieses Rattennest, wo mich alle ja ach so lieb haben und trotzdem keinen Schritt alleine tun lassen. Streifenblatt..." Ich legte den Kopf schief. "Ich möchte die Wahrheit erfahren. Das ist mein größter Wunsch. Meine Eltern finden und erfahren, warum Taubenstern um jeden Preis verhindern möchte, dass ich nach ihnen suchen. Das... das ist..."
Ich tippte mit einer Vorderpfote auf den Boden, schon wieder.
"... das ist meine einzige Hoffnung."

Wir sahen uns tief an, und kurz fragte ich mich, ob in seinem Kopf wohl gerade der gleiche Gedanke keimte wie in meinem.
"Und... das willst du ganz alleine tun?", mauzte er schließlich zweifelnd und zuckte mit der Nase, "Du möchtest ganz alleine durch die Gegend streifen, bist du irgendwo da draußen vielleicht mal deine Erzeuger findest? Wie gedenkst du, dass zu tun?"

"Ich suche den Kater, der mich hergebracht hat!" Ich spürte ein Funkeln in meinen Augen. "Eliot. Er lebt vermutlich in einem Zweibeinerort, den man erreicht, wenn man dieses Brachland durchquert hat. Ich suche ihn und dann frage ich ihn, wer meine Eltern sind und wo er sie getroffen hat. Er muss es wissen! Und wenn er keine Ahnung hat, dann kennt er zumindest die Katzen, die mich an ihn weitergegeben haben. Dann kann ich die suchen und weiterfragen!"

"Das klingt... unglaublich naiv und gefährlich." Streifenblatt schüttelte den Kopf. "Das lasse ich dich auf keinen Fall alleine machen. Tränenfall... du bist meine einzige Freundin!" Er senkte die Stimme.
"Ich will dich nicht verlieren", wisperte er schwer. 

Und das war der Herzschlag, in dem der Gedanke in meinem Kopf austrieb, Wurzeln schlug und sich fest verankerte.
Der Moment, in dem aus einem Impuls eine Entschlossenheit wurde.

"Dann komm mit mir!", hauchte ich ihm zu, drückte meinen Körper nach oben und sah ihm tief in die Augen, als könnte ich dadurch direkt in seine Seele schauen. "Begleite mich, dann bin ich nicht alleine, du musst dir die Ablehnung deiner Clangefährten nicht mehr anhören... und du hättest immer die Garantie, dass es mir gut geht und ich noch lebe."

"Du... du fragst mich, ob ich dich begleiten will?", wiederholte Streifenblatt ungläubig, als hätte er nicht genau verstanden, worum ich ihn gebeten hatte.
"Ja!" Ich nickte mit glasigen Augen. "Bitte."

Der Heilerschüler drehte den Kopf weg, schlug die Lider nach unten und sagte nichts. Seine Pfoten zitterten leicht, ich konnte sehen, dass es mit sich rang.

Stunden schienen zu vergehen. Über uns spannte sich der unendlich Nachthimmel, eine leichte Brise streifte unsere Ohren, in der Ferne, vermutlich im LaubClan-Territorium, hob eine Nachtigall zum Singen an. 

"... du... falls du auf der Reise verletzt wirst, dann brauchst du einen Heiler", murmelte Streifenblatt irgendwann leise. Er hatte seinen Kopf wieder gedreht, die Augen geöffnet und sah mich nun direkt an. "Sonst wirst du früher oder später aufgeben müssen."

Meine Ohren schnellten nach oben und ich spürte mein Herz einen Schlag aussetzten. Eine sanfte Anspannung huschte durch all meine Glieder und ließ meinen Körper kribbeln. 
"Heißt das, du kommst mit?", fragte ich hoffnungsvoll. 

Wie in Zeitlupe nickte der Kater mit trüben Augen.
"Wenn man mal so darüber nachdenkt", murmelte er, "Dann gibt es nichts, was mich hier hält. Meine Position im Clan? Darüber haben wir gerade geredet. Der Clan braucht einen Heiler, ja. Aber sie wollen Dunstblut, nicht mich. Meine Familie? Meiner Familie scheine ich relativ egal zu sein, wenn es ihnen so einfach fällt, den Clan zu wechseln. Und meine Mutter? Meine Mutter ist eine so gut wie blinde Älteste, die den lieben langen Tag meinem Vater hinterherweint. Meine Freunde?" Er machte eine Pause, sein Blick glitt nach unten. "Meine einzige Freundin bist du", gab er dann zu, "Ich begleite dich, Tränenfall. Schon alleine, um auf dich aufzupassen."

Bei diesen Worten zuckte meine Nase reflexartig und ich stieß ein leises Schnauben aus.
"Um einen Wächter habe ich nicht gebeten. Ich kann mich selbst verteidigen", stellte ich klar, konnte dann aber doch nicht verhindern, dass ein breites Grinsen meine Mundwinkel nach oben zog. "Aber einen Freund an meiner Seite, das brauche ich."
Ein wildes Klopfen in meiner Brust jagte Adrenalin durch meine Adern, mein Fell kribbelte und ich spürte meine Schnurrhaare vor Glück vibrieren. Streifenblatt legte den Kopf schräg, sah mich warm an und schnurrte leise.
"Das bin ich gerne", sagte er, "Dann lass uns aber auch aufbrechen, bevor ich es mir anders überlege. Oder, bevor man dein Verschwinden bemerkt und Suchtrupps losgeschickt werden."
"Oh. Klar, verstehe." Eilig wandte ich mich herum und deutete mit dem Kinn auf den kleinen Bach, den ich als meinen Wegweiser auserkoren hatte.
"Ich dachte, dass ich... dass wir zuerst dieser Kuhle hier folgen und hoffen, dass sie uns zum Zweibeinerort führt. Der Bach führt Wasser und in der Uferböschung könnte es Beute geben, deswegen..."
"Du musst dich nicht rechtfertigen", fiel mein Freund mir ins Wort, "Lass uns einfach gehen. Und uns nach Möglichkeit beeilen." Er grinste mich breit an, als ich nickte.

Ich bemühte mich, ein Tempo auszuwählen, dass zwar flott war und uns schnell voran brachte, aber uns auch nicht zu schnell ermüden würde. Zuerst trabte ich los, setze eine Pfote schnell vor die andere, entschied mich dann aber doch dazu, zu rennen. Also fuhr ich die Krallen aus, bohrte sie in den Boden, stieß mich ab und eilte los. Streifenblatt folgte mir, ich hörte seine Pfoten über den Boden donnern. Obwohl er kein ausgebildeter Krieger und somit Läufer war, schien er keine Probleme zu haben, mit mir mithalten zu können, im Gegenteil. 
Schon nach wenigen Sekunden drängte sich eine weiß-rote Gestalt neben mich und ich spürte jedes Mal, wenn seine Pfoten den Boden trafen, ein schwaches Beben unter meinen Ballen.
Eine geborene FeldClan-Katze eben, wenn auch nicht ganz.

Mit diesem Gedanken im Kopf schweifte mein Blick auf den fernen Horizont. 
Wie wohl meine Familie so war? Ob es auch etwas gab, was sie besonders gut konnte?

Wir hatten uns auf den Weg begeben, es herauszufinden.
Gemeinsam.

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