1. Kapitel - Tränenfall
Man sagte, es habe an dem Tag meiner Geburt geregnet, wie als habe der Himmel geweint, woher auch mein Name stammte.
Eigentlich, und das war gerade in unserem Clan Gang und Gebe, benannte man seine Jungen nach der Natur. Den Pflanzen, den Tieren, dem Wetter, was einem gerade einfiel - oder eben nach seinen optischen Eigenschaften, Streifen oder Punkte und wusste der SternenClan noch alles.
Nun hieß ich nun einmal Tränenpfote, und man könnte sicherlich darüber streiten, aber für mich passte der Name einfach nicht in das sonst so übliche System.
Es störte mich nicht - aber es war eine Sache, die mir gelegentlich auffiel.
Aber immerhin hatte ich bald die Chance, meinen Namen ändern zu lassen, zumindest war es das, was meine Mentorin Windwolke sagte.
"Sehr gut." Gekonnt landete sie auf ihren Pfoten, obwohl ich ihr gerade einen ordentlichen Hieb verpasst hatte. "Würde ich dich nicht so gut kennen, hätte mich das ausgeknockt. Du bist in jedem Fall bereit dazu, Kriegerin zu werden."
Ich spürte, wie sich ein warmes Gefühl, eine Mischung aus Freude und Stolz, in meiner Brust ausbreitete und ich breit zu grinsen begann, was meine Mentorin mit einem amüsierten Zucken der Schnurrhaare zur Kenntnis nahm.
"Ich werde Taubenstern informieren, sobald wir zurück sind. Wie sieht es bei dir aus?", wandte sie sich dann ohne eine Pause beim Sprechen zu machen an ihren Kriegergefährten Vogelfleck, ein kleiner, weißer Kater, der gerade aus den Gräsern am Rande unseres Trainingsplatzes gesprungen kam, dicht gefolgt von seiner Schülerin Blattpfote. Die junge, hellbraun getigerte Katze trug zwei tote Feldmäuse im Maul und ihre grünen Augen strahlten voller Vorfreude.
"Ich kann nicht klagen." Vogelfleck, der selbst ein Kaninchen getragen hatte, welches er zum Sprechen ablegen musste, nickte anerkennend. "Blattpfote hat das hier alles selbst gefangen. Sie wird eine hervorragende Jägerin sein... lass uns Taubenstern informieren."
Windwolke nickte und bedeutete mir mit einem Blick, dass wir uns nun auf den Rückweg machten, doch das war eigentlich gar nicht notwendig.
Der Gedanke an meine nahende Zeremonie machte mich so nervös, dass ich meine Pfoten kaum stillhalten konnte. Am Liebsten würde ich los stürmen, über die Wiesen und Felder preschen bis ich absolut keine Energie mehr besaß. Einfach nur, weil ich aufgeregt war.
Vogelfleck drehte sich auf der Stelle um und machte sich auf den Weg zum Rand der Lichtung im Hohen Grasland, die wir als Trainingsplatz nutzten. Windwolke gesellte sich an seine Seite und verwickelte den jungen Kater in ein lebhaftes Gespräch über den neusten Klatsch und Tratsch im Clan - ob Wisperwind wieder trächtig war, ob Regenherz einen Konkurrenten in Dämmerkralle sah und ob Erdpfote wirklich etwas von Goldpfote aus dem SumpfClan wollte - und ich schnappte mir das immer noch herumliegende Kaninchen und eilte an die Seite von Blattpfote. Zwar trugen wir nun beide Frischbeute im Maul und konnten uns somit nicht anständig unterhalten, aber der verschwörerische Blick, den wir tauschten, sagte mehr als tausend Worte es je gekonnt hätten. Ich zuckte als Antwort vielsagend mit den Ohren und beeilte mich, meiner Mentorin und ihrem Clangefährten zu folge, genau genommen ihren Schritten und ihren Stimmen. Sie sprachen leise, gedämpft, damit sie sich unterhalten konnten, ohne Feinde anzulocken oder den Überblick zu verlieren. Wenn frisches Grün einem jeden Blick verwehrte, musste man sich alleine auf Ohren und Nase verlassen.
Unser Weg führte uns durch das Hohe Grasland, das nach einem mittellangem Lauf schnell und ohne großen Übergang ins Niedere Grasland abflachte. Froh darüber, nun endlich wieder etwas sehen zu können, warf ich den Kopf in den Nacken und blickte in den Himmel. Einzelne Wolkenfetzen jagten über das zarte Blau, das am Horizont bereits in ein sanftes Orangerot überging und somit die Abenddämmerung einleitete. Wieder zuckte es in meinen Pfoten, doch dieses Mal hielt ich mich nicht zurück. Überwältigt von der Energie, die auf einmal durch mich schoss, beschleunigte ich meinen Schritt, nicht ohne vorher noch einmal bedeutsam zu Blattpfote zu zwinkern. Das Kaninchen schlug gegen meine Vorderbeine, aber es störte mich nicht im Geringsten. Im schnellen Trab überholte ich erst meine Freundin, die mir daraufhin mit einem amüsierten Schnurren nachsetzte, und dann Windwolke und Vogelfleck, die mittlerweile heftig darüber debattierten, ob Spinnenschweif und Lichterfeuer wirklich ein so gutes Paar abgaben oder ob der Kater sich lieber für Windwolke hätte entscheiden sollen. Leider war meine Mentorin in dieser Diskussion nicht ganz unparteiisch und konnte nur bedingt auf die Argumente der Gegenseite eingehen.
Nach ein paar Minuten schnellen Trabes spürte ich ein leichtes Ziehen in meinen Beinen, auf der Jagd wäre dies ein eindeutiges Symbol dafür, nun wirklich los zu sprinten, aber wir waren schon fast da: Der Boden stieg an, bis man sich auf einer Art Hügel befand, welcher in der Höhe einem der Bäume im entfernten Wald in nichts nachstehen musste. Dieser Hügel brach an einer Seite rapide in einen steilen und kargen Abhang ab, der wiederum in einer Senke endete. Dort, am Rande des Hanges, waren immer ein paar Wachen platziert – ich konnte sie schon am Fuß der Erhebung am Geruch erkennen, es mussten Mohnkralle und Rabenruf sein – denn in genau der beschriebenen Senke, da lag es. Mein Zuhause. Das Lager des FeldClans.
„Ich, Taubenstern, Anführerin des FeldClans, fordere alle Katzen, die alt genug sind, selbst Beute zu machen, auf, sich vor dem Erdhügel zu einem Clan-Treffen zu versammeln!"
Ein warmes Gefühl von Stolz strömte durch meinen Körper, als ich den Ruf meiner Anführerin vernahm. Die grauweiße Kätzin hatte den Haufen aus festgetretener Erde erklommen, den unsere Vorfahren vor langer Zeit einmal direkt unter dem steilen Abhang aufgeschüttet hatten. Mittlerweile hatten einzelne Gräser und kleine Kräuter sich auf der Erde angesiedelt, aufgrund der regelmäßigen Nutzung wurde der Bewuchs aber recht klein gehalten. Ein schmaler Trampelpfad führte von der Spitze des winzigen Hügels zu dem direkt daneben liegenden Eingang im Abhang, er führte zur Schlafhöhle von Taubenstern. Bussardherz, der Bruder unserer Anführerin, lag träge davor und hob nur den Kopf, als er seine Schwester rufen hörte. Der Rest das Lagers allerdings geriet umgehend in Bewegung. Blattpfote und ich mussten sich nicht mehr versammeln, wir hockten bereits erwartungsvoll am Fuße des Erdhügels. Auch unsere Mentoren hatten schon neben uns Platz genommen, aber die restlichen Clanmitglieder versammelten sich auch nach und nach. Fetzenstreif, Dämmerkralle und Erdpfote, die gerade augenscheinlich von einer Patrouille zurückkehrten, kamen vom Lagereingang direkt zum Versammlungsort geeilt. Dunstblut kam in Begleitung von ihrem Schüler Streifenblatt aus dem Heilerbau geschlüpft und nahm davor Platz, kurz darauf setzte sich auch Nebelglanz zu ihrer Freundin und begann, wild mit ihr zu tuscheln. Das komplette Versammeln lief leise ab, Fell raschelte, Katzen unterhielten sich gedämpft, es wurde erst laut, als Bachblüte aus der Kinderstube schritt und Wolkenjunges und Tropfenjunges, sowie die drei Kleinen von Birkenschweif vor sich herscheuchte. Die Jungen quietschten aufgeregt. Beinahe direkt nach der Königin trat auch Lichterfeuer in die Senke, deren angeschwollener Bauch deutlich davon zeugte, dass sie der Meinung war, Spinnenschweif und sie gäben ein wirklich gutes Paar ab. Ihr Gefährte folgte ihr auf den Fuß.
„Katzen des FeldClans", hob Taubenstern wieder an, kaum war etwas Ruhe eingekehrt, „Ich bin überaus erfreut darüber, euch mitteilen zu dürfen, dass heute ein besonderer Tag im Leben von zwei jungen Schülerinnen ist. Zwei jungen, aber reifen Schülerinnen, die bewiesen haben, dass sie bereit sind, ihrem Clan von nun an als Kriegerinnen zu dienen. Blattpfote und Tränenpfote, treten vor!"
Mein Herz pochte heftig gegen meine Rippen, als ich mit weichen Knien nach vorne schritt, den Kopf in den Nacken legte und direkt zu meiner Anführerin nach oben sah. Sie erwiderte meinen Blick nicht, sie musste ihren Clan ansehen, aber immerhin zeigte mit ein stolzes Schnurren aus der Katzenmenge hinter mir, dass meine Pflegemutter Wisperwind mittlerweile auch auf der Versammlung angekommen war. Ihr Gefährte Fleckenkralle, seines Zeichens meine Vaterfigur, hockte ganz vorne und sah mich und seine leibliche Tochter mit einem Blick an, der vor Stolz zu glühen schien.
„Vogelfleck", leitete Taubenstern schließlich feierlich die Zeremonie ein, „Bist du davon überzeugt, dass deine Schülerin dazu bereit ist, eine Kriegerin zu werden?"
„Das bin ich." Die Stimme des jungen Katers zitterte ein wenig. Seine eigene Ernennung lag noch nicht allzu lange zurück, man konnte deutlich hören, dass er nervös war. Allerdings konnte man aus seinen Worten auch mehr als deutlich heraushören, dass er kurz davor war, vor Freude zu platzen. „Blattpfote wird ihrem Clan hervorragende Dienste erweisen."
Ein würdevolles Nicken folgte auf seine Worte. Obwohl sie ihr leicht amüsiertes Grinsen kaum verbergen konnte, bewahrte Taubenstern den Anstand. Sie wartete noch eine Sekunde, dann schloss sie die Augen und zuckte mit den Ohren. Die Spitze ihres buschigen Schweifes kringelte sich leicht.
„Windwolke", fuhr sie fort, „Bist auch du der Überzeugung, dass deine Schülerin bereit ist, Kriegerin zu werden?"
„Das bin ich", hörte ich meine Mentorin antworten. Wie immer klang sie neutral, aber als ich einen schnellen Blick in ihre Richtung warf, sah ich, dass sie lächelte. Ein Funkeln lag in ihren blauen Augen.
„Nun gut." Die langhaarige Kätzin auf dem Erdhügel legte den Kopf in den Nacken. Ein leichter Windstoß ging durch ihr graues Fell. „Ich, Taubenstern, Anführerin des FeldClans, rufe meine Kriegerahnen an und bitte sie, auf diese Schülerinnen hinabzublicken. Sie haben hart trainiert, um eure edlen Gesetze zu erlernen, und ich empfehle sie euch nun als Kriegerinnen." Mit einem Mal schlug Taubenstern die dunklen, fast schwarzen Augen wieder auf, doch sie ließ sie starr auf den Himmel fixiert.
„Tränenpfote." Ich fuhr fast zusammen, als ich meinen Namen vernahm. Ein dicker Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet, und ich schickte ein schnelles Stoßgebet zum SternenClan, damit ich überhaupt Worte hervorbringen würde. „Versprichst du, das Gesetz der Krieger einzuhalten und deinen Clan zu beschützen, selbst wenn es dir dein Leben kostet?"
Ich musste ein paar Mal schlucken, bevor ich antworten konnte. „Ich verspreche es", miaute ich zurück, erstaunlich fest und mit einer Entschlossenheit, die mich selbst beeindruckte.
„Dann gebe ich dir nun mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen." Ein Schauder lief durch meinen Körper, mein Fell stellte sich auf. Jedes Haar einzeln, es war ein elektrisierendes Gefühl.
„Tränenpfote, von diesem Augenblick an wirst du Tränenfall heißen. Der SternenClan ehrt deine Entschlossenheit und deinen Mut und wir heißen dich als vollwertige Kriegerin im FeldClan willkommen."
Tränenfall. Der Name hallte wie ein Echo in meinen Ohren wieder. Tränenfall, Tränenfall. Und das, obwohl mir der Clan noch nicht zujubelte. Sie warteten, bis die Zeremonie beendet war. Aber dennoch – irgendwie schien auch mein Kriegername das Schicksal meiner Mutter widerzuspiegeln, das Schicksal der Kätzin, die ich nie kennengelernt hatte, der ich aber trotzdem mein Leben verdankte, und alleine dieser Gedanke machte mich gleichzeitig glücklich und stolz, diesen Namen tragen zu dürfen.
„Blattpfote", fuhr Taubenstern derweil so unbeeindruckt wie unbewegt fort, „Versprichst auch du, das Gesetz der Krieger zu befolgen und deinen Clan zu beschützen, selbst wenn dich das dein Leben kosten sollte?"
„Ich verspreche es." Im Gegensatz zu mir kam die Antwort meiner Freundin sofort, schnell wie der Blitz. Auch sie klang entschlossen, wahrscheinlich hatte aber auch sie nicht damit gerechnet.
„Dann gebe ich dir nun mit der Kraft des SternenClans deinen Kriegernamen. Blattpfote, von diesem Augenblick an wirst du Blattfeder heißen. Der SternenClan ehrte deine Loyalität und deinen Eifer und wir heißen dich als vollwertige Kriegerin im FeldClan willkommen."
Mit einem lässigen Schütteln befreite Taubenstern sich aus ihrer rituellen Starre, erhob sich auf die Füße und grinste fröhlich zu uns herab.
„Herzlichen Glückwunsch, ihr beiden."
Diese Worten wirkten wie ein ultimatives Startsignal, denn in genau dieser Sekunde brach der Clan in lautes Jubelgeschrei aus. Immer wieder hörte ich Katzen unsere Namen rufen - „Tränenfall! Blattfeder! Tränenfall! Blattfeder!" - und applaudierendes Getrampel von Pfoten auf dem harten Erdboden. Stolz darüber, dass diese Katzen gerade für meine beste Freundin und mich jubelten, drehte ich mich herum und reckte stolz den Kopf nach oben, aber weil ich mir sehr sicher war, dass ich das Glänzen in meinen Augen nicht verbergen konnte, deswegen versuchte ich es erst gar nicht.
„Nach den Traditionen unserer Vorfahren", Taubenstern hatte ihrem Clan einen Moment gegeben, um uns neu ernannte Krieger zu begrüßen, jetzt allerdings erhob sie wieder ihre Stimme, „müssen Tränenfall und Blattfeder heute Nacht schweigend Wache halten, um über ihre Verantwortung als Kriegerinnen nachzudenken. Ich bin mir aber sicher", sie schnurrte bei diesen Worten amüsiert, „dass es ganz im Interesse unserer Vorfahren ist, wenn wir uns vorher noch ein wenig Zeit nehmen werden. Ich habe gesehen, dass ihr", dabei fixierte ihr Blick sich auf Blattfeder und mich, „Frischbeute mitgebracht habt. Warum verteilt ihr sie nicht im Clan, damit wir gemeinsam feiern können?"
„Meine beiden kleinen Kriegerinnen, ich bin so stolz auf euch!"
Ich war gerade dabei, mir mit Blattfeder ein Eichhörnchen zu teilen und über die Jungen von Birkenschweif und Vogelfleck zu tratschen, als Wisperwind laut schnurrend zu uns getreten kam, Fleckenkralle folgte ihr auf den Fuß.
„Mama!" Meine beste Freundin und Ziehschwester sprang sofort auf die Füße und eilte ihrer Mutter entgegen. „Ich hab's geschafft! Und Tränenfall auch."
„Das ist ganz toll, mein Liebling." Zärtlich schleckte Wisperwind ihrer Tochter einmal über die Wange. „Ich bin wahnsinnig, wahnsinnig stolz auf euch. Nur..." Ihr Blick wanderte nach unten, auf ihre Pfoten, die unsicher über den Boden scharren. „Ich... müsste mal mit deiner Schwester reden. Es geht um... du weißt schon."
„Oh." Wie auf ein geheimes Zeichen hin zuckte Blattfeder mit den Ohren und trat zur Seite. Kurz sah sie in meine Richtung, doch als sie bemerkte, dass ich zurücksah, senkte sie eilig den Blick und starrte an mir vorbei. Sie wirkte verlegen.
Wisperwind ringelte ihren Schweif kurz liebevoll um die Schultern ihrer Tochter, dann schritt sie nach vorne zu mir und senkte den Kopf und die Stimme.
„Hallo, meine Liebe", brummend schnurrend fuhr sie mit ihrer rauen Zunge über mein Ohr, „Deine Kriegerzeremonie war so schön... mein Mutterherz konnte das kaum verkraften." Wohl wissend machte sie eine kurze Pause, vermutlich hatte sie dabei nicht bedacht, dass ich gehört hatte, was sie eben zu Blattfeder gesagt hatte. „Ich... also, Tränenfall..." Als sie meinen Kriegernamen aussprach, verließ ein Schnurren ihre Kehle, „... es gibt da etwas, da haben ich und dein Vater beschlossen, es dir erst zu sagen, wenn du Kriegerin wirst, deswegen... deswegen komme ich erst jetzt damit zu dir." Ihre Augen schimmerten wie kleine Bernsteine, als sie mich ansah. „In diesem Sinne: Ich muss mit dir reden."
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