11. Kapitel

»Also, seid ihr bereit?«, fragte Sturm und sah die Katzen, die sie für die Gruppenjagd ausgewählt hatte, nacheinander an. Das war eine der wenigen Aufgaben, die Drache ihr zutraute. Die Jägerinnen nickten.

Heute hatte sie bewusst nur Katzen ausgewählt, bei denen sie sicher wusste, dass sie bei der Rebellion gegen den Alpha mitmachen würden: Asche, Spinne und auch Ratte, von der Spinne gesagt hatte, dass sie viel über Draches Vergangenheit wusste. Das Alpha-Weibchen war war zwar etwas misstrauisch, aber sie konnte jede Hilfe gebrauchen, also hatte sie entschieden, dieses Risiko einzugehen und Ratte einzuweihen.

»Wollt ihr noch lange hier rumstehen?«, brummte Finsternis, während er an ihnen vorbeilief.

»Wir planen gerade die Jagd, geh weiter«, erwiederte Frost ruhig und stellte sich dazu.

Wir? Ich wüsste nicht, dass sie ebenfalls eingeladen habe. Abweisen will ich sie nicht, aber wir können nicht in Ruhe reden, wenn sie mit dabei ist. Und warum ist sie heute wieder so motiviert? Ihre Trauer und ihre Schüchternheit sind von einem Tag auf den anderen verschwunden.

Am Lagerausgang erschien der gestreifte Kopf von Fluss, im nächsten Augenblick schob sich auch sein schlanker, muskulöser Körper nach draußen. Flamme folge ihm auf den Fersen. Die beiden Kater nickten dem Alpha-Weibchen unauffällig zu und verschwanden dann Seite an Seite aus ihrem Blickfeld. Sturm wusste jedoch ganz genau, wohin sie gingen. Dorthin würde sie gleich mit ihren Begleiterinnen folgen. Die Kätzin wollte nähmlich vermeiden, dass sie mit einer größeren Katzengruppe gesehen wurde, da es zu verdächtig wirken würde. Der Plan durfte auf gar keinen Fall auffliegen.

»Sturm, kann ich mich der Gruppe anschließen?«, fragte Frost.

»Also...«

»Ich weiß, worum es hier wirklich geht und ich bin auf jeden Fall dabei.«

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, erwiederte das Alpha-Weibchen nervös.

»Jetzt tu doch nicht so. Wir sind unter uns.« Sie schielte vorsichtig zu Spinne und Ratte hinüber und senkte dann ihre Stimme. »Ich habe gesehen, wie du verhindert hast, dass Strom und seine Familie auf der Flucht erwischt werden.«

»Du hast was?« Mäusedreck, ich wurde also gesehen. Aber zumindest ist es nur Frost. Hoffentlich hat sie nichts weitererzählt. Macht sie aber vielleicht, wenn ich sie jetzt abweise.

Wohl oder übel musste Sturm die Kätzin nun einweihen. Eigentlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass Frost sie verraten würde, aber ganz vertrauen konnte sie niemanden außer Flamme und Fluss.

»Wer hat noch davon mitbekommen?«, fragte sie und sah sich vorsichtig um.

»Niemand. Also nicht, dass ich wüsste.«

»Und wem alles hast du es erzählt?« Ungewollt klang ihre Stimme etwas grober und die weiße Kätzin riss leicht die Augen auf.

»Nur Asche und Löwe, sonst niemandem.«

»Löwe auch noch?!«

»Ich habe keine Geheimnisse vor meinen Eltern.«

»Genauso wie ich keine Geheimnisse vor meiner Tochter und meinem Gefährten habe«, murmelte Asche leise. »Deshalb habe ich Frost gesagt, dass sie sich uns anschließen kann, nachdem sie mir erzählt hat, dass sie dich in der Nacht gesehen hat. Löwe weiß auch alles, aber er kann uns heute nicht begleiten, weil er einen Auftrag von Kralle bekommen hat.«

Das läuft ja sehr gut mit dem Nicht-Weitererzählen, seufzte Sturm in Gedanken. Es war schwer, etwas zu erreichen, wenn andere sich nicht an Abmachungen halten konnten.

»Ich habe auch einen Gefährten und einen Sohn, aber das heißt nicht, dass ich ihnen direkt alles erzähle.«

»Das wäre in deinem Fall auch nicht sonderlich sinnvoll«, schnaubte Ratte leicht amüsiert. »Ich hätte gerne die Gesichter von Drache und Kralle gesehen, wenn du ihnen von einem geheimen Aufstand erzählst.«

Ruhig bleiben, ermahnte sich die goldene Kätzin und versuchte, die aufsteigende Wut zu unterdrücken.

»Von mir aus kannst du mitkommen«, entschied sie Rattes Einwand ignorierend. »Lauf zusammen mit Asche erst an der Seite des Heidehügels entlang und von da aus in den Wald. Dort lauft ihr bis zu den Felsenkreis, aber bitte bleibt im Wald! Flamme und Fluss sind auch schon dort. Wir kommen ebenfalls gleich nach. Sollte euch jemand fragen, wohin ihr wollt, sagt, ihr seid jagen. Und wenn ihr dort seit und uns seht, sagt 'Laub', wenn ihr allein seid.«

»Alles klar«, nickte die Asche. Gelassen trottete sie an Knochen vorbei, der sie und Frost grimmig musterte. Sturm gab den übrigen Kätzinnen einen Wink und lief langsam Richtung Felsenkreis.

Ein aggressives Fauchen hinter ihr ließ sie erschrocken zusammenzucken. Gerade noch rechtzeitig schaffte sie es, sich zu ducken, da schoss eine dunkle Gestalt über ihren Kopf hinweg. Doch anstatt Sturm oder die anderen Kätzinnen zu attackieren, warf sie sich auf einen weißen Kater, der plötzlich neben ihnen auftauchte.

Finsternis und Splitter. Um welche Kätzin es heute wohl geht?

Mit Verachtung beobachtete Sturm im Vorbeilaufen, wie die beiden Kater wild kreischend über den Boden rollten. Nach wenigen Augenblicken war die Luft voller Blutgeruch. Die Kätzin erschauderte, als die Erinnerungen an die schlimmen Ereignisse des letzten Mondes hochkamen.

Wie kann man so hasserfüllt sein? Ich weiß gar nicht, ob ich Drache so zerfetzen könnte, auch wenn ich es mir manchmal wünsche.

Obwohl Sturm und ihre Begleiterinnen bereits ein Stück weit gelaufen waren, war das Geschrei immer noch gut zu hören. Normalerweise wäre das Alpha-Weibchen in so einer Situation eingeschritten, auch wenn es von den meisten nicht gerne gesehen wurde. Eigentlich konnte es ihr egal sein, schließlich waren Draches Anhänger nicht gerade ihre Freunde und sie würde niemanden von ihnen vermissen, sollte er bei so einem Kampf ums Leben kommen, aber diese Art von Gewalt gegenüber den eigenen Rudelmitgliedern machte sie einfach nur fassungslos. Außerdem wollte sie nicht, dass junge, unschuldige Jungkatzen sich so etwas ansehen mussten.

Heute durfte sie die Kater jedoch auf gar keinen Fall verärgern oder anderweitig auf sich aufmerksam machen. Es würde nicht viele andere Gelegenheiten geben, wo sie ungestört mit ihren Verbündeten reden könnte. Diese Gelegenheit durfte auf gar keinen Fall durch einen leichtsinnigen Fehler zerstört werden.

Ein leichter, eiskalter Regen setzte ein, was Sturm ganz recht war. So würde man sie nicht auf sehr weite Distanz sehen, hören und riechen können.

Irgendwann erreichten die drei Kätzinnen den Felsenkreis.

»Laub«, rief Sturm den vereinbarten Begriff leise. Sogleich erschienen Flamme und Fluss zwischen den Bäumen.

»Na, alles gut, Schwesterchen?«, schnurrte der flammenfarbene Kater und berührete ihre Wange sanft mit der Schnauze.

»Ja, alles glatt gelaufen«, erwiederte diese ebenfalls schnurrend. Es tat so gut, jemanden zu haben, der sie liebte und immer für sie da war.

»Wo ist Asche?« Fluss sprang auf einen der Felsen und sah sich vorsichtig um. »War sie nicht mit euch?«

»Doch«, seufzte Sturm und ließ sich gähnend auf dem Boden nieder. »Sie hat Frost und Löwe eingeweiht. Erstere schließt sich uns ebenfalls an. Ich habe sie zusammen durch den Wald geschickt.«

»Verstehe.«

»Ist die Luft rein?« Spinne hob den Kopf und atmete die kalte Luft ein.
»Ich habe nähmlich das Gefühl, jemand ist in der Nähe.«

»Das werden wohl Frost und Asche sein«, erwiederte Fluss und sprang wieder vom Felsen hinunter. Im nächsten Augenblick nahm das Alpha-Weibchen eine hohe Stimme aus dem Wald wahr.

»Laub!« Es war Asche, die das vereinbarte Geheimwort, das Sturm ausgesucht hatte, rief. Im nächsten Augenblick erschienen die beiden schlanken Shilouetten zwischen den Bäumen und huschten flink zur Mitte des Felsenkreises.

»Dann können wir ja beginnen«, flüsterte Fluss. Sein Blick wanderte über die versammelten Katzen, bis er zuletzt dem von Sturm begegnete.

Die goldene Kätzin spürte, wie sich ihr Fell sträubte.

Was ist los? Warum schaut Fluss mich so an?

»Du hast Angst.« Es klang mehr nach einer Feststellung als nach einer Frage. »Du brauchst keine Angst zu haben, Sturm. Wir sind auf der Seite des Guten und das Gute wird siegen.«

»Aber wie viele Opfer müssen dafür gebracht werden?«

»Denk jetzt nicht daran. Du musst ruhig und konzentriert bleiben. Versuch, einen klaren Kopf zu bewahren. Hast du schon überlegt, was du sagen wirst?«

Sturm nickte nur. Ihr ganzer Körper zitterte leicht vor Kälte und Aufregung.

Ich schaffe das! Ich kann das! Ich werde diesen Katzen die Freiheit schenken, koste es was es wolle.

»Zunächst einmal sollten wir vielleicht zwei Katzen aussuchen, die Wache halten und die anderen warnen, wenn sich jemand nähert«, schlug Fluss vor.

»Gute Idee«, nickte Sturm und sah den gestreiften Kater erleichtert und dankbar an.

»Am besten wir nehmen zwei Katzen mit weniger auffälligem Fell als Flamme. Ich könnte Wache halten.«

»Und Asche vielleicht?« Das Alpha-Weibchen sah die dunkelgraue Kätzin fragen an.

»Ja, natürlich.«

»Danke.«

Da Sturm immer noch etwas überfordert war, erklärte Fluss den Katzen einen Plan, wie sie sich verhalten sollen, falls sie entdeckt wurden.

Was würde ich nur ohne ihn und Flamme machen, dachte sich die Kätzin. Drache widersprechen konnte sie, aber einen friedlichen Aufstand vorzubereiten und die Verantwortung für das Wohl aller Katzen hier zu tragen war schwer und sie hatte Angst vor dieser Aufgabe.

Sobald die Wachen sich in Hörweite positioniert hatten, eröffnete Sturm die Versammlung.

»Seid gegrüßt!« Eine andere Begrüßung fiel ihr spontan nicht ein.
»Wir haben uns hier versammelt, um gemeinsam einen Weg zu finden, wie wir uns ohne Gewalt von Draches grausamer Herrschaft befreien können.«

Ihr Blick wanderte zu Flamme und dann zu Fluss, die sie ermunternd ansahen. Während der gestreifte Kater tiefe Ruhe und Sicherheit ausstrahlte, brannten die Augen ihres Bruders voller Aufregung und Überzeugung.

»Bevor wir jedoch zur Sache kommen, muss ich euch etwas erzählen. Die meisten von euch wissen es schon, aber ich finde, jeder von euch sollte eingeweiht sein. Versprecht mir bitte, dass ihr es unter keinen Umständen jemandem erzählen werdet. Das könnte für mich lebensgefährlich werden.«

Hoffentlich werde ich diese Entscheidung nicht bereuen...

»Wie ihr alle wisst, sind Strom und seine Familie spurlos verschwunden.« Die Katzen nickten.
»Das stimmt so nicht ganz. Sie sind vor ein paar Sonnenaufgängen in der Nacht geflohen und ich habe ihnen dabei geholfen, indem ich die Nachtwache abgelenkt habe.«

»Und wohin sind sie gegangen?«, wollte Frost wissen.

»Das weiß ich nicht. Und vielleicht ist es auch besser so.« Die Jägerin mit dem schneeweißen Fell nickte zustimmend.

»Wir werden sie vermissen«, murmelte Spinne.

»Zum Glück sind sie jetzt in Sicherheit.« Rattes einziges Auge blickte nachdenklich in die Ferne.

»Wie bereits erwähnt, haben wir uns versammelt, um Draches Tyrannei ein Ende zu setzen. Dafür würde es nicht schaden zu wissen, warum Drache so ist, wie er ist. Ratte«, Sturm sah die ältere Kätzin an, »Spinne meinte, du würdest ihn seit seiner Geburt kennen. War er schon immer so ein herzloser Mörder?«

»Nein«, seufzte diese und legte sich etwas bequemer auf den kalten Boden. »Drache war schon immer sehr forsch, kühn und eigenwillig, aber er wurde nicht böse geboren. Er war eine Jungkatze wie jede andere auch. Erst durch sein trauriges Schicksal wurde er so wie er heute ist.«

»Wie meinst du das?«, fragte Sturm interessiert. Kommt jetzt eine Geschichte, bei der ich Mitleid mit ihm haben soll?

»Das ist eine lange Geschichte.«

»Bitte erzähl sie uns.« Frosts blaue Augen waren so riesig und flehend wie die einer Jungkatze, die ihre Mutter um Erlaubnis bittet, länger aufbleiben zu dürfen.

»Soll ich?« Ratte blickte Sturm fragend an. Diese kämpfte mit sich selber.

Wir haben eigentlich nur wenig Zeit und das Risiko, erwischt zu werden, ist hoch, aber andererseits ist es nicht falsch, wenn wir wissen, warum Drache seine Katzen so behandelt.

»Ja, ich bitte drum, Ratte«, miaute sie schließlich und legte den Schweuf um ihre Pfoten.

Jetzt bin ich gespannt. Was ist diesem ach so armen Kater nur passiert, dass er glaubt, uns wie Dreck behandeln zu dürfen?

»Draches Mutter war das Alpha-Weibchen dieses Rudels«, begann die rostfarbene Jägerin. »Sie war eine liebevolle und kluge Kätzin. Wie sie hieß, weiß ich nicht mehr. Zum Zeitpunkt der Geburt von Drache und seinen Wurfgefährten war ich gerade einmal zehn Monde alt. Das Rudel war damals ungefähr so groß wie heute. Draches Großvater war der Gründer und somit ist Drache der dritte Alpha. Kurz nach der Geburt starb Draches Mutter und Dachs - so hieß sein Vater nähmlich - ernannte Kobra zum neuen Alpha-Weibchen. Und ja, Kobra war im wahrsten Sinne des Wortes eine listige Schlange.« Bei diesen Worten funkelte Rattes einziges Auge wütend auf.

»Dachs beauftragte Kobra damit, Drache und seine Wurfgefährten aufzuziehen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ihr euch keine schlimmere Mutter für eine Jungkatze vorstellen könnt als Kobra.«

»Schlimmer als Schatten?«, fragte Spinne dazwischen.

»Schatten ist vielleicht ein schlechter Einfluss für Finsternis und verdirbt alles Gute an ihm-«

»Vorausgesetzt es war überhaupt mal was Gutes an ihm, was ich sehr bezweifle«, unterbrach Flamme die alte Kätzin in einem verächtlichen Ton. Sturm warf ihm einen warnenden Blick zu.

»Vielleicht ist Schatten ein schlechter Einfluss für ihnen Sohn«, wiederholte Ratte, »aber zumindest liebt sie Finsternis über alles und würde sogar sterben, um ihm das Leben zu retten. Kobra war da das komplette Gegenteil. Sie hasste Drache und seine Geschwister aus tiefstem Herzen und das versuchte sie gar nicht zu verbergen. Sie schrie die Kleinen an, schlug und kratzte sie und bestrafte sie für jede noch so harmlose Kleinigkeit.«

»Hat Dachs sie dafür nicht bestraft?«, fragte Frost. Genau dasselbe hatte sie Sturm auch gefragt, aber sie hatte die rostfarbene Kätzin nicht unterbrechen wollen.

»Nein, er interessierte sich nicht sonderlich für sie. Er war ein strenger, kaltherziger und respektloser Kater. Vor allem Kätzinnen, Fremden sowie alten und verletzten Katzen gegenüber zeigte er sich sehr kalt und rücksichtslos. Junge erziehen war für ihn eine Angelegenheit der Mütter. Er selbst erkundigte sich nur selten nach seinem Nachwuchs und da log ihm Kobra alles mögliche vor, um ihr herzloser Verhalten zu rechtfertigen.«

»Du meinst, Drache ist so wie er ist, weil er selbst so behandelt und erzogen wurde und sein Hass gegen Kätzinnen richtet sich eigentlich gegen seine Stiefmutter?«, ertönte Fluss' Stimme von oben. Der silbergrau-schwarze Kater hockte halb versteckt auf dem Felsen. Seine blauen Augen waren nachdenklich in die Ferne gerichtet.

»Ja, ich vermute, dass es daran liegt«, miaute Ratte langsam, »aber es war noch längst nicht alles.« Ihr Blick wurde düster.
»Irgendwann wurde Kobra trächtig und brachte ihren eigenen Wurf zur Welt. Einen Sohn und eine Tochter. Von diesem Zeitpunkt an waren ihr Drache und seine Geschwister vollkommen egal. Und nicht nur das. Sie hatte sogar erreicht, dass Dachs ihr versprach, ihren Sohn Viper zum nächsten Alpha zu machen, obwohl die Regel besagte, dass der erstgeborene Sohn des Alphas sein Nachfolger war. In diesem Fall war es Draches Bruder Wolf.«

»Drache ist also gar nicht der Älteste?«, miaute Sturm überrascht. Das hatte sie bis jetzt nicht gewusst.

Eigentlich erschreckend, dass ich so wenig über meinen Gefährten und den Vater meiner Jungen weiß, dachte sie erschaudernd. Und noch erschreckender ist, dass das, was ich weiß, ist nichts Gutes ist.

»Nein, Drache ist der Jünste aus dem Wurf gewesen. Er hatte noch eine Schwester und zwei Brüder. Kobras Junge beleidigten und provozierten sie immer wieder, wurden aber nie dafür bestraft. Das kränkte Drache und seine Wurfgefährten sehr. Sobald sie älter geworden waren, verschworen sie sich gegen ihre Halbgeschwister. Sie wollten Wolf zum rechtmäßigen Alpha machen, aber es kam nicht so, wie sie es anfangs gedacht haben.«

»Was ist denn passiert?« Die Neugierde in Frost Stimme war wirklich nicht zu überhören und Sturm musste amüsiert schnurren.

»Drache hatte Katzen angeworben, die Kobra und ihre Jungen ebenfalls nicht leiden konnten. Er trainierte sie heimlich und stellte sie seinen Geschwistern als treue Unterstützer vor.« Die alte Kätzin schloss ihr Auge und schwieg. Es sah aus, als wäre sie eingeschlafen. Nur ihre unregelmäßige, schneller Atmung zeugte, davon, dass sie wach war. Irgendwann öffnete sie erneut das Auge und Sturm sah mit Entsetzen, wie viel Furcht und Schrecken sich darin spiegelte.

»Eines nachts war es dann so weit. Kurz nach Vollmond ertönte plötzlich kriegerisches Jaulen und im nächsten Moment stürmten die Katzen aus den Bauen und warfen sich auf einander. Drache und seine Anhänger brachten zuerst Kobra und ihre Jungen um, dann auch Dachs.«
Ein Schaudern ging über den Körper der alten Katze.

»Auch viele unschuldige Katzen, die gar nicht wussten, worum es da ging, wurden verletzt oder getötet. Ich weiß noch, wie mich zunächst einer von Draches Katzen und anschließend Viper attakierten. Wegen ihm habe ich noch am Anfang der Schlacht mein Auge verloren.«

»Du musst das nicht erzählen«, flüsterte Asche betroffen und Sturm nickte zustimmend. Sie wollte nicht, dass die Kätzin durch ihre Erzählung alte Wunden aufriss.

»Schon gut«, murmelte diese. Man sah ihr an, dass sie immer noch mit Schrecken an diese Nacht zurückdachte und dass es ihr schwer fiel, darüber zu sprechen.

»Ich lag also schwer verwundet in einer Ecke und wartete auf den sicheren Tod. Die meisten Katzen waren tot, verletzt, hatten sich Drache und Wolf ergeben oder waren geflohen. Da ich viel Blut verloren hatte, versank ich immer mehr in einem finsteren, lautlosen Nebel. Das letzte, woran ich mich erinnere, ist ein Drache mit mordlustig funkelnden Augen, der den ahnungslosen Wolf, der zu seiner sterbenden Schwester eilt, zu Boden wirft und ihm die Kehle durchbeißt.«

»Wie?«, quietschte Frost panisch.
»Seinen eigenen Bruder? Aber warum? Bist du dir sicher?«

»Ziemlich sicher«, erwiederte Ratte düster. »Ich bin nicht die Einzige, die das gesehen hat. Andere Katzen haben mir später erzählt, dass Drache alle seine Geschwister ermordet hatte. Ihm hat es wohl nicht gereicht, seinen Bruder zum Alpha zu machen. Er wollte selbst der Nachfolger von Dachs sein. Seine Anhänger wussten es alle, nur seine Geschwister nicht.«

»Schrecklich«, flüsterte Sturm. Sie hatte Drache noch nie ausstehen können, aber das, was sie gerade gehört hatte, übertraf alles.
So ein widerlicher Kater.

»Warum bist du hier geblieben, nachdem du gesehen hast, was für eine Katze Drache ist?«, fragte Flamme. Sturm glaubte in seiner Stimme einen leisen Vorwurf zu hören.

»Wohin hätte ich denn gehen sollen?«, erwiederte diese leise. Ihr dumpfer, trüber Blick rief beim Alpha-Weibchen tiefes Mitleid hervor. Niemand hatte es verdient, so zu leiden.

»Ich hatte überlegt zu gehen, aber dafür musste ich erstmal wieder zu Kräften kommen und das hat nun mal gedauert. Als ich wieder vollständig gesund war, brach die Zeit der Blattleere herein und ich wusste, dass ich mit nur einem Auge keinen Jagderfolg haben würde und verhungern müsste, also bin ich geblieben, auch wenn ich Angst vor Drache hatte.«

»Gut, also...« Es war schwer, die richtigen Worte zu finden. »Wir danken dir, Ratte, dass du uns das alles erzählt hast. Wir wissen jetzte auf jeden Fall, dass Drache noch viel grausamer und listiger ist, als wir ihn bis jetzt erlebt haben. Deshalb-«
Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment ertönte ein leiser, aber deutlicher Warnruf von einem der Felsen.

»Habicht!«, jaulte Fluss das Geheimwort für nahende Gefahr. Sofort sprangen die Katzen auf und verstreuten sich in verschiedene Richtungen.

»Folgt mir!«, zischte Sturm Spinne und Ratte zu und hastete in den Wald hinein. Asche und Frost folgten ihnen ebenfalls, trennten sich aber nach wenigen Kaninchensprüngen von ihnen und eilten in die andere Richtung davon.

Hoffentlich schöpft niemand einen Verdacht, dass wir uns versammelt haben. Aber was ist, wenn Flamme und Fluss es nicht schaffen, die Kämpfer - oder wer auch immer da gerade jetzt aufauchen musste - unauffällig davon abzuhalten, zum Felsenkreis zu gehen und sie dort unseren Geruch wahrnehmen? Allein kommen die beiden nicht gegen eine ganze Katzengruppe an. Fuchsdung, wenn ihnen etwas passiert, werde ich mir das nie im Leben verzeihen.

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3178 Wörter

Was sagt ihr nach diesem Kapitel zu Drache?
Wer ist eurer Meinung nach schuld daran, dass er zu so einer bösen Katze wurde?

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