Kapitel 11
Schreckliche Gedanken rissen Mohnröte wieder aus dieser liebevollen, eigentlich herzerwärmenden Szene. Dort draußen wartete immer noch der Todeswächter auf sie. Sie sollte sich beeilen, nicht, dass er noch falsche Gedanken bekam. Sie blickte zu Fuchsnase. Ihre Schwester würde es doch bestimmt verkraften, alles zu erfahren, nicht wahr? Und dennoch, sie wollte nur mit Donnerstern darüber reden. Aber eigentlich war das doch alles egal.
Sie seufzte und Fleckennase musterte sie besorgt. »Ist alles in Ordnung, Mohnröte?«
Mohnröte hatte gar nicht bemerkt, dass sie starr auf Mohnrötes Junge geblickt hatte und wurde wieder in die jetzige Situation zurückgebracht. Fuchsnase hatte Kiefernjunges nach ihrem verstorbenen Sohn benannt »Äh... danke«, sie wandte sich etwas taktlos an Donnerstern und fragte: »Hast du gemerkt, dass der Himmel sich verändert hat?«
Donnerstern legte verwirrt den Kopf schief. »Nein... um ehrlich zu sein... Ich habe nur auf Fuchsnase geachtet...« Er drehte sich um und spähte aus der Kinderstube »Beim SternenClan, das ist doch nicht die Realität-« er blinzelte, doch als er sah, dass sich nichts geändert hatte, schaute er zu Mohnröte. »Ein Wunder, dass noch niemand aus dem Clan zu mir gekommen ist! Ich sollte schnellstens nach ihnen sehen! und danach will ich mit dir sprechen, Mohnröte und zwar bitte ohne, dass du dich aus dem Staub machst.« Er klang nicht unfreundlich, aber eine gewisse Strenge, lag in seiner Stimme. Er war auch in dem Bau gewesen, als sie sich aus dem Staub gemacht hatte. Und kurz danach waren so viele Ereignisse auf einmal geschehen. Vielleicht hatte er etwas gemerkt...
Der pechschwarze Kater verabschiedete sich schnell von der irritierten Fuchsnase und war im nächsten Moment verschwunden. Fleckennase blickte Mohnröte mit zusammengekniffenen Augen an. »Hast du uns da etwas nicht erzählt, Mohnröte?«
Doch für Mohnröte war keine Zeit, um jeder einzelnen Katze die Geschichte zu erzählen, oder Fragen zu beantworten. »Donnerstern wird euch später bestimmt alles erklären. Aber passt auf euch auf und sorgt dafür, dass ihr euch auf keinen Fall in Gefahr bringt!
Weidennase und Fuchsnase öffneten gleichzeitig den Mund, um etwas zu antworten, doch Mohnröte hörte ihre Worte nicht mehr. Sie warf ihnen nur noch einen besorgten Blick zu, bevor sie durch den Ausgang schlüpfte.
Auf der Lagerlichtung herrschte große Unruhe. Donnerstern stand auf dem großen Felsen und schaute abwechselnd besorgt zu seinem Clan und dann wieder oben in den klaren, aber viel zu dunklen Himmel. Keine einzige Wolke war zu sehen, nur der leuchtend blutrote Mond.
Auf der Lichtung wies Harzkralle gerade Eschenfluch und Krähenpfote an, alle Katzen aus ihren Bauen zu holen, damit sie dem Anführer zuhören konnten und suchte die Lichtung mit seinen warmen haselnussbraunen Augen um, die allerdings nicht die selbe Ruhe wie sonst zeigten. Er fand Mohnröte überraschend schnell und rannte auf sie zu. »Was ist passiert und wo bist du gewesen?!«
Er schaute sie vorwurfsvoll an und Mohnröte überlegte, wo sie anfangen sollte »Der Traum! Es hat alles mit dem Traum angefangen, von dem ich dir erzählt habe! Und dann hat er mich gebeten, dich aufzusuchen und...«
»Mohnröte!«
Donnerstern hatte ihr vom Felsen aus zugerufen und deutete mit einem Schwanzschnippen auf den Stein. »Solltest du etwas Wichtiges zu sagen haben, würde ich dich bitten, es dem ganzen Clan mitzuteilen. Wir müssen wissen, was wir machen sollen und mein Gewissen sagt mir, dass du etwas damit zu tun haben könntest.«
Wieso mussten Anführer bloß immer so schlau sein?
Sie kletterte etwas unbeholfen auf den hohen Stein. Mohnröte war noch nie hier oben gewesen.
Wieso konnten die anderen Katzen eigentlich wissen, dass etwas Schlimmes bevorstand. Erst jetzt merkte sie, dass Weidennase auch neben Donnerstern saß. Ihr Blick war beschämt auf ihre Pfoten gerichtet. Neben dem riesigen Anführer wirkte sie merkwürdig winzig. Und mit ihrer bedrückten Ausstrahlung erst recht. Wusste sie etwas, das Mohnröte nicht wusste?
Es war, als hätte sich ein Schleier aus Bedrückung über das Lager gelegt, aber als Harzkralle zu ihr aufsah, hatte sie gemerkt, dass es das erste Mal war, dass sie so weit auf ihn hinabblickte. In schöneren Zeiten hätte sie darüber gelacht, doch Lachen war nun bestimmt nicht angemessen, Inzwischen hatte sich der ganze Clan vor den drei Katzen auf dem großen Felsen versammelt. Fleckennase hatte sich neben dem Eingang der Kinderstube niedergelassen und knetete unruhig mit den Pfoten den Boden. Vermutlich würde sie nachher Fuchsnase Bescheid sagen, was ihr Gefährte, ihre Freundin und ihre Schwester zu verkünden hatten. Merkwürdige Kombination...
Alle Blicke waren auf sie gerichtet. Harzkralle ganz vorne. Dämmerwelle hatte sich neben Fuchsnases gesetzt und ihre Jungen in die Kinderstube geschickt. Sie war eine strenge Mutter, aber gute Mutter, allerdings bildete sich Mohnröte ein, einen Moment lang Pflaumenjunges zu erkennen, der neugierig hinausspähte, während Disteljunges jetzt wahrscheinlich beinahe vor Schreck in Ohnmacht viel.
Und da waren Zirbenpfote und Blütenpfote, die sich beängstigt aneinander gepresst hatten und zu ihrer Mutter hinaufstarrten. Heißkralle umkreiste ungeduldig seine Gefährtin Frostglanz, als wolle er sie von Gefahr von außen schützen. Sie alle spürten die negative Aura, die sich über die Welt gelegt hatte.
Donnerstern erhob sich und schaute auf sie hinunter. »Dies ist keine normale Clanversammlung, weswegen ich die fröhliche Rede am Anfang einmal auslasse. Wir alle haben gemerkt, dass sich unsere Welt verdunkelt hat. Längst hätte der tag schon wieder einkehren müssen. Und gerade eben habe ich von Weidennase eine Prophezeiung erhalten.«
Staunen breitete sich unter Mohnrötes Clangefährten aus. Und auch Mohnröte selbst war erstaunt. Es hatte seit Ewigkeiten keine Prophezeiung mehr gegeben. Hatte Weidennase schon länger davon gewusst? Gewiss würde sie doch nicht so plötzlich eine Prophezeiung vom SternenClan bekommen haben.
»Ruhe! Ich denke, dass ihr alle das Recht dazu habt, sie zu erfahren!« Er wandte seinen Blick an Weidennase, die ihren Kopf hob und in einer seltsam abwesenden Stimme zu sprechen begann.
»Unter dem Blutenden Mond werden Lichter schwinden und dunkle Kräfte neue Macht finden. Herzen werden schmerzen, werden nicht bald die Steine des Urteils zerbersten.«
»Aber was sollen denn bitte die Steine des Urteils sein! Um den Blutenden Mond nicht zu erkennen, muss man schon farbenblind sein, aber Steine des Urteils? Das ist doch Mäusedreck, wie sollen wir denn so zu einer Lösung kommen-«
Donnersterns durchdringende Stimme brachte ihn zum Schweigen »Das ist den meisten von uns bestimmt bewusst, Eschenkralle, aber wir haben nicht umsonst eine dritte Katze hier auf den großen Felsen stehen.« Er senkte den Kopf und seine Schnurrhaare kitzelten ihre Wange, als er flüsterte »Bitte erzähle ihnen alles, was helfen könnte und passiert ist.«
Mohnröte nickte langsam und räusperte sich, um etwas mehr Mut zu sammeln. Räuspern hatte ihr aus was für einem Grund auch immer bisher in jeder Situation geholfen, neuen Mut zu fassen. Dann begann sie zu sprechen, wie sie es noch nie vor so vielen Katzen getan hatte. Sie wusste, dass es alles ihre Clangefährten waren und sie wusste, dass sie vielleicht gehasst, verbannt oder noch viel Schlimmeres wurde, wenn sie jetzt die Wahrheit sagte. Doch manchmal musste eben die Wahrheit gesagt werden. Manchmal zählte nicht die Tatsache, dass jeder geliebt werden will, sondern dass jeder überlebt.
»Damals, als Kiefernjunges gestorben ist, wurde er, wie ihr alle wisst, von einem Marder getötet und ich schwer verlässt. Damals habe ich eine einzigartige Nahtoderfahrung gemacht. Nur, dass ich nicht in die Augen einer SternenClan Katze geblickt habe, sondern in die des Todes. Und er wollte, dass ich etwas für ihn erledige. Er hat mich wieder in meinen Träumen gesucht und mich gebeten, eine Höhle aufzusuchen. Ich habe es zuerst nicht ernst genommen, doch er muss eine Möglichkeit gefunden haben, mich zu verletzen. Er hat mir die schlimmsten Schmerzen zugefügt, die man sich nur vorstellen kann. Es war grausam.« Mohnröte schloss einen Moment die Augen und öffnete sie dann wieder. Sie atmete einmal tief aus, bevor sie weitersprach. Das alles war so schnell geschehen »Damals wusste ich nicht, wie ich wehren sollte. Meine Sinne und mein Verstand, sie waren benebelt. Ich bin sofort aus dem Lager gelaufen und habe mich auf den Weg gemacht. Das alles ist in der letzten Nacht geschehen. Ich habe die Höhle aufgesucht und erst als ich dort war, wurde mir bewusst, dass das nicht gut ausgehen könnte. Er... er hat Besitz von meinem Körper ergriffen, um zu tun, was nötig war, um ihn aus der Welt der Toten zu befreien. Man muss nicht wissen, was er ist, um zu verstehen, was er anrichten kann, aber er ist grauenhaft, das kann ich euch sagen. Ich habe mich mit List aus seinen Fängen befreien können und die Erlaubnis bekommen, euch bescheid zu sagen. Und die Steine des Urteils... ich denke ich weiß, was sie sind und ich bin diejenige, die das alles wieder rückgängig machen muss...«
Mohnröte blickte erwartungsvoll auf ihre Clangefährten hinunter. Stille hatte sich unter ihnen ausgebreitet. Einige starrten sie verächtlich an, anderen stand der Mund offen, während der Rest sie ungläubig und verwirrt anstarrte. Niemand reagierte. Donnerstern peitschte mit seinem langen Schweif und schien nachzudenken. Das machte er immer, wenn er gerade nicht wusste, wie er handeln sollte. Mohnröte stolperte einen Schritt vor ihm zurück. Sein eisblauer Blick richtete sich auf die Schwester seiner Gefährtin. An seinem Blick erkannte sie, dass er ihr folgen konnte, aber er sich bei dem, was er nun sagte schwer tat. »Nun... ich schicke ungerne Clangefährten einfach so heraus, aber ich denke, dass du die Einzige bist, die weiß, was zu tun ist... wenn du es für Nötig hältst, darfst du diese Steine zerstören, aber wir, oder zumindest ich stehen hinter dir. Ich schlage vor, dass du noch mehr über ihn herausfindest, aber sei vorsichtig... ich kann leider nicht mitkommen. Der Clan braucht mich.« Er warf einen flüchtigen Blick zur Kinderstube »Aber wenn wir kämpfen müssen, werden wir alle kämpfen. Wir werden kämpfen, wie wir noch nie gekämpft haben.« Er hob das Kinn »Wir werden uns diesem Ungeheuer mit Stolz entgegenstellen. Wir haben nicht umsonst unsere Krieger ausgebildet.«
Mohnröte wusste nicht, ob sie mit Freude, oder Besorgnis reagieren sollte. Gewiss haben schon immer fast alle Krieger den Befehlen des Anführers Folge geleistet, allerdings sollten sie sich nicht in Lebensgefahr bringen. Mohnröte wendete endgültig den Blick von ihren Clangefährten ab. »Danke Donnerstern. Aber sie müssen sich nicht wegen meinen Fehlern in Gefahr bringen. Nur ich kann ihn aufhalten, das weiß ich« Eigentlich wusste sie nicht, ob das stimmt, aber so würde sie ihn vielleicht überzeugen können.
Er zuckte mit den Schnurrhaaren »Dann kämpfe. Kämpfe für deine Freunde, deine Familie und dein Leben.« Er senkte den Kopf und berührte mit seiner Nase die ihre. »Möge der SternenClan deinen Weg erleuchten.«
Sie neigte vor ihm respektvoll und dankbar den Kopf. Niemand hätte in dieser Zeit einen besseren Anführer abgeben können. Sie warf einen Blick zu Harzkralle, der sie mit ungläubig offenem Mund anstarrte, als wären ihr Flügel gewachsen. Vielleicht würde sie noch einmal zurückkommen. Aber sie musste jetzt zurückkehren. Der Todeswächter wartete auf sie.
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