Habichtpfotes Versprechen

Zitternd fiel Habichtpfote in sein Nest im Bau der Schüler. Er konnte es einfach nicht fassen. Sie war fort. Einfach gegangen. Würde er sie je wiedersehen? Als Sasha ihnen gesagt hatte, dass sie gehen sollten, hatte er es anfangs für einen schlechten Witz gehalten. Wieso weggehen? Hier war es doch so wunderbar! Viel besser als in dem kalten, zugigen Bau, in dem sie früher gelebt hatten. Habichtpfote gefiel es beim FlussClan. Schon nach wenigen Tagen hatte er sich an die Nässe gewöhnt, nun genoss er sie sogar. Seiner Schwester Mottenpfote schien es genauso zu gehen. Doch seine Mutter hatte sich nicht wohl gefühlt. Ständig hatte sie sich über die Schulter hinweg umgeschaut, auf der Hut vor etwas, das Habichtpfote bis vor wenigen Tagen nicht klar gewesen war. Sie hatte Angst. Angst davor, dass jemand erfuhr, wer der Vater ihrer Jungen war. Als Mottenpfote und Habichtpfote sie darum baten hier bleiben zu dürfen, hatte sie ihnen das Versprechen abgenommen, niemals einer Katze davon zu erzählen. Niemals durfte jemand erfahren, dass Tigerstern ihr Vater war. Der Grund dafür war dem dunkelbraun getigerten Kater noch nicht ganz klar. Konnte das, was Tigerstern getan hatte wirklich so schrecklich sein? Und wenn es wirklich so war, war es dann nicht seine Pflicht als Schüler des FlussClans Leopardenstern die Wahrheit über seine Herkunft anzuvertrauen? Würde es nicht viel schlimmer sein, wenn seine Clangefährten irgendwann auf andere Weiße davon erfuhren? Sasha hatte gesagt, er würde seinem Vater von Tag zu Tag ähnlicher sehen. Ob das stimmte?

Habichtpfote wusste nur sehr wenig über Tigerstern. Er war böse gewesen, sagten die Katzen. Manche bezeichneten ihn als Tyrannen. Unschuldige HalbClan-Katzen soll er ermordet und den BlutClan in den Wald geführt haben. Er war für den Tod unzähliger Clankatzen verantwortlich, sagten sie. Doch konnte eine Katze, die dieser Beschreibung entsprach, gleichzeitig eine Katze sein, die Sasha geliebt hatte? Habichtpfote und Mottenpfote waren doch selbst HalbClan-Katzen. Ihr Vater hätte sie doch niemals getötet! Eine solche Katze hätte Sasha niemals geliebt. Es konnte also gar nicht wahr sein. Die Clankatzen schoben wohl nur alle Schuld auf Tigerstern um sich selbst zu entlasten. Tigerstern hatte bestimmt nur das Beste für alle Clans gewollt, sonst hätte er doch nicht den TigerClan gegründet. Er wollte, dass die Katzen sich nicht mehr untereinander bekriegten und stattdessen miteinander lebten. Konnte jemand mit solchen Plänen denn so böse und gemein sein? Habichtpfote konnte das einfach nicht glauben.

Unruhig wälzte er sich in seinem sonst so gemütlichen Moosnest hin und her. Mottenpfote, die gleich neben ihm schlief, zuckte im Traum mit den Schnurrhaaren und murmelte wenige unverständliche Wörter. Es war dunkel im Schülerbau. Es musste schon kurz vor Mondhoch sein, trotzdem lag Habichtpfote noch wach. Zu viele Fragen spukten ihm in seinem Kopf herum. Wie gerne er mit seinem Vater gesprochen hätte. Nur ein einziges Mal seine Stimme gehört hätte. Sich davon überzeugt hätte, dass er nicht abgrundtief böse war. Doch das ging nicht. Tigerstern war Tod, ermordet von diesem schrecklichen BlutClan-Kater Geißel, den er als seinen Freund angesehen hatte. Alle neun Leben auf einmal verloren.

Es war unfair. Andere Katzen durften groß werden, während sowohl Mutter als auch Vater jeden Tag nach ihnen sahen, sich nach ihrem Training erkundeten. Doch Habichtpfote durfte das nicht. Seine Mutter hatte den Clan verlassen und sein Vater war Tod. Dabei hätte er ihm doch so viel beibringen können. Leopardenstern hatte einmal gesagt, dass Tigerstern, auch wenn er viele Fehler begangen hatte, ein großartiger Kämpfer gewesen war. Wäre Geißel nicht gewesen, würde sein Vater heute neben ihm stehen. Tigerstern würde sein Training leiten, ihm die tollsten Tricks zeigen. Habichtpfote würde der beste Krieger aller Zeiten werden. Aber das alles war nicht möglich. Es würde niemals möglich sein.

Der getigerte Schüler fragte sich, ob Tigerstern überhaupt wusste, dass er Junge hatte. Eine Tochter und zwei Söhne. Auch wenn Kaulquappe… es schmerzte noch immer. Habichtpfotes Bruder. Sein bester Freund. Er war ertrunken, als er versucht hatte seine Geschwister zu retten. Ob er nun bei Tigerstern war? Habichtpfote hoffte es für ihn. Sollte wenigstens einer von ihnen das Glück haben ihn kennen zu lernen.

Ob der ehemalige SchattenClan-Anführer wohl über Mottenpfote und ihn wachte? Vielleicht schaute er ja gerade eben vom Silberflies auf sie herunter und wünschte ihnen schöne Träume.

Langsam glitt Habichtpfote in den Schlaf hinüber. Es war ein aufwühlender Tag gewesen und nichts erleichterte ihn nun mehr als der sehnlichst erhoffte Schlaf. Er war so müde, dass er einen ganzen Mond durchschlafen könnte. Hin und wieder würde er wohl aufwachen um zu fressen, aber ansonsten…

Als Habichtpfote die eisblauen Augen öffnete, stand er auf einer Lichtung. Um ihn herum war es dunkel und kein einziger Stern zierte den nackten, dunkeln Himmel. Es war kalt, ein Windzug rauschte durch die nackten Äste der schwarzen Bäume, die ihn umgaben. Der dunkle Kater konnte aus der Ferne flüsternde Stimmen hören, die aber nicht miteinander zu sprechen schienen. Ansonsten war es fast unnatürlich still. Nirgends flatterte ein Vogel oder nagte eine Maus. Auch kein Fluss befand sich in der Nähe, dass hätte Habichtpfote sofort gehört – oder gerochen. Er hob seine Schnauze und schnupperte. Sofort zuckte er angewidert zusammen. Es fehlte nicht nur sämtlicher Beutegeruch in diesem Wald, sondern es roch seltsam, nach einer Mischung aus Fuchsdung, altem, verbranntem Holz und noch etwas, dass der junge Schüler nicht einordnen konnte. Waren das Blut und Verwesung? Nein, da musste er sich täuschen.

Am liebsten wäre der dunkelbraun getigerte Kater sofort von hier verschwinden. Er war noch nie in diesem Wald gewesen und es gefiel ihm ganz und gar nicht. Doch irgendetwas in seinem Bauchgefühl sagte ihm, dass er hier sowieso nicht weg kommen würde. Die Bäume standen sehr dicht, also war er tief in diesem finsteren Wald gefangen. Doch wie war er überhaupt hier her gelangt? Hatte er sich nicht in seinem Nest im Bau der Schüler schlafen gelegt? Schlafwandelte er neuerdings? Oder war das etwa… nein, das konnte doch gar nicht sein! War das ein Traum? Er hatte gelernt, dass man in Träumen nie wusste, dass man träumte, also konnte es kein Traum sein. Außer… nie im Leben! Wieso sollte der SternenClan ihm einen Traum schicken? Er war doch nur ein Schüler und noch dazu zur Hälfte Streuner!

„Willkommen, mein Sohn!“, erschallte eine feste, tiefe Stimme aus dem Schatten zweier Bäume. Als Habichtpfote das Miauen hörte, zuckte er überrascht zusammen. Eine große, breitschultrig muskulöse Gestalt löste sich aus der Dunkelheit und kam auf ihn zu. Bernsteinfarbene Augen, in denen eine unerwartete feurige Intensität lag, blitzten ihm entgegen. Der dunkle Kater scheitete erhobenen Hauptes über die Lichtung, der Schüler hatte das ungewohnte Gefühl sich respektvoll niederzukauern. Kurz vor ihm blieb er stehen. Tigerstern. Mit jeder Faser seines Körpers wusste Habichtpfote, dass sein Vater vor ihm stand. Sasha hatte recht gehabt, sie sahen sich wirklich ähnlich. Das dunkelbraun getigerte Fell glich sich fast, schon jetzt waren Anzeichen zu sehen, dass Habichtpfote auch einmal so groß und muskulös sein würde und auch die Form ihrer Köpfe wies eine gewisse Ähnlichkeit auf.

„Tigerstern“, flüsterte Habichtpfote mit zittriger Stimme. Nie hätte er geglaubt ihn auch nur einmal sehen zu dürfen. „Habichtpfote“, miaute Tigerstern, doch bei ihm klang es mehr nach einer kühlen Feststellung als nach freudigem Erstaunen.

Unsicher tat der junge Kater einen Schritt auf seinen Vater zu. „Bist…bist du es wirklich? Ist dies ein Traum vom SternenClan?“, raunte er.

Tigerstern schüttelte nichtssagend den Kopf, wandte sich ab und sprang auf einen Felsen, der sich am Rand der Lichtung befand. Dort oben ließ er sich nieder, gähnte ausgiebig und betrachtete dann grübelnd seine Pfoten. „Dies hier ist mit Sicherheit nicht der SternenClan, Junge. Du befindest dich gerade in den tiefsten Tiefen des Waldes der Finsternis. Hier her werden all die bösen Katzen verbannt, die sich in den Geschichten der Ältesten tummeln“, erklärte er und hob seinen Blick gen Himmel. Wenn man dieses sternenlose Nichts als Himmel bezeichnen konnte. Habichtpfote musterte seinen Vater interessiert. Das was er gesagt hatte, verwirrte ihn etwas. „Dann bist du böse?“, miaute der dunkelpelzige Schüler mit schiefgelegtem Kopf. Der frühere Anführer warf seinem Sohn einen prüfenden Blick zu. „Böse ist solch ein gemeines Wort. Aber vielleicht bin ich das. Böse. Vielleicht aber auch nicht. Das liegt ganz im Auge des Betrachters.“

Habichtpfote nickte vorsichtig. Er stand noch immer etwas unbehaglich auf der Lichtung. Seine Krallen bohrten sich tief in die unangenehm feuchte, kalte Erde unter seinen Pfoten, damit seine Beine nicht zitterten. „Hältst du mich denn für böse?“ Die Frage traf Habichtpfote unvorbereitet. Er hatte sich seit Sasha ihm von Tigerstern erzählt hatte immer wieder Gedanken darüber gemacht, war aber nie zu einem Entschluss gekommen. „Nein“, miaute er trotzdem mit so viel Nachdruck wie er gerade aufbringen konnte. Tigerstern nickte wissend. „Dann bist es wohl du, der mein Erbe fortführen wird, kleiner Krieger.“ Der tote Kater wirkte erfreut, doch irgendetwas hinderte Habichtpfote daran, diese Freude zu teilen. Wollte er überhaupt das Erbe Tigersterns fortführen? Und was hieß das überhaupt?

„Ich sehe schon, wir werden sehr viel Spaß miteinander haben“, miaute Tigerstern. Es klang schon fast wie ein Schnurren. Spaß miteinander haben? Habichtpfotes Herz schlug schneller, als er sich vorstellte mit seinem Vater irgendetwas zu machen wie andere junge Katzen. War es nicht egal, wer Tigerstern zu Lebzeiten gewesen war, wenn er jetzt etwas mit seinem Sohn machen wollte?

Habichtpfote schnurrte zustimmend. „Bringst du mir ein paar Kampfzüge bei?“, miaute er etwas ehrfürchtig. Tigerstern sprang schwungvoll von seinem Felsen herab und landete elegant ein paar Schnurrhaarbreit von dem Schüler entfernt. „Ich werde dir alles beibringen was ich weiß, mein Sohn. Und das ist eine ganze Menge, also lass uns loslegen!“

Der ehemalige Anführer dehnte seine Beine und gähnte ein weiteres Mal ausgiebig, dann murmelte er: „Geh du dort rüber zu dem Nesselfleck und greif mich an. Ich will sehen was du so drauf hast.“ Habichtpfote rannte sofort los, drehte sich auf dem Nesselfleck zu seinem Vater um und duckte sich kampfbereit. Seine Nervosität war verflogen. Er würde mit seinem Vater trainieren! Es war einfach unfassbar!

Gerade wollte er auf Tigerstern zu schnellen, als dieser mit dem Schweif ein Zeichen zum Warten gab. „Bevor wir trainieren musst du mir eines versprechen, Junge“, miaute der dunkelbraune Tigerkater eindringlich. Habichtpfote nickte. „Versprich mir, dass du niemals zögern wirst das anzuwenden was du bei mir gelernt hast und dass du dir von niemandem anderem vorschreiben lässt was du zu tun und zu lassen hast.“ Kurz runzelte der junge Kater die Stirn. War das nicht mehr als eine Sache die er da versprechen sollte? Aber wieso eigentlich nicht? Er würde doch auch so nicht zögern Kampftechniken anzuwenden. Außerdem war ja nichts dabei, wenn er das was Leopardenstern und Nebelfuß sagten nur dann machen würde, wenn er es für richtig hielt, oder? War nicht sogar das ein wichtiger Punkt für den Feuerstern und Graustreif aus dem DonnerClan immer so gelobt wurden? Dafür das sie aus Moral handelten? Wieso sollte Habichtpfote nicht auch so handeln?

„Ich verspreche es!“, verkündete er.

Wisst ihr schon, dass Ampferschweif, Eiswolke, Fuchssprung, Unkenfuß, Haselschweif und auch Aschenfuß (ja die WindClan-Stellvertreterin) in Bramblestar's Storm Tod sind? Mich hat das total getroffen, auch wenn ja vorhersebar war, dass jetzt einige sterben müssen, wo es jetzt so viele DonnerClan-Krieger gibt... Wie findet ihr das? Habt ihr es schon gewusst oder kommt das jetzt überraschend?

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