Kapitel 84
Herbstbrise wand sich unter den spitzen Krallen, die sie zu durchbohren drohten.
Doch keine Bewegung half ihr, sich loszureißen. Herbstbrise ließ entmutigt den Kopf sinken und stieß einen lauten Klageruf aus.
Keuchend und zitternd lag sie auf dem Bauch, den schweren Körper des fremden Katers über sich.
Erneut streifte diese gespenstisch ruhige Stimme ihr Ohr, die zum wiederholten mal fragte: "Was hast du hier zu suchen?"
Diesmal in einem etwas schärferen Ton. Herbstbrise zischte nur aufgebracht und versuchte, sich mit den Beinen nach hinten zu schieben.
Sie wollte nur weg von diesem fremden Kater. Ein Krallenhieb in den Hals ließ sie erstarren.
"Ich frage dich noch ein letztes mal: Warum bist du hier eingedrungen?" Herbstbrise spürte blanken Zorn in sich aufsteigen.
"DAS GEHT DICH EIN STÜCK MÄUSEDRECK AN!!!", blaffte sie und unternahm den Versuch, dem Fremden die Krallen in den Bauch zu rammen.
Doch da sie nach hinten nicht sehen konnte, verfehlte sie ihr Ziel und musste ein höhnisches Gelächter von dem Dämmerclan Krieger büßen.
Aber Herbstbrises Knurren übertönte seinen Spott. Die orangefarbene Kätzin zitterte mittlerweile vor Wut.
WIE BIN ICH ÜBERHAUPT IN DIESE BESCHEUERTE LAGE GERATEN??? Ein Schlag von hinten setzte ihre Besinnung für einen Moment lang aus.
Wenige Sekunden später packten sie Zähne am Nackenfell und zerrten sie nach vorne. Herbstbrise stolperte hinterher.
Nun konnte sie ihr Gegenüber sehen. Es war Werwolfauge, der Kater mit dem schwarzen Fell und dem weißen Brustfleck, welcher vor kurzem gegen Blitzkralle angetreten war.
Seine Lippen waren zu einem lautlosen Fauchen gekräuselt und sein durchdringend gelborangener Blick war starr nach vorne gerichtet.
Ihm folgten zwei weitere Katzen, einmal Dämmerfluss, und zudem noch eine schwarze Kätzin mit weißen Sprenkeln, die Herbstbrise nicht kannte.
Doch ihre grünen Augen wirkten genauso böse und leer, wie die ihrer Gefährten.
Werwolfauge zerrte Herbstbrise um den riesigen Heuhaufen herum zu einer kleinen Stelle, die von dem Rest der Scheune mit Wänden abgetrennt worden war.
Davor blieb er stehen. Er drehte sich zu seinen Begleiterinnen um und befahl: "Ihr beide haltet sie fest, während ich mit Schwalbenstern rede.
Sie wird dann entscheiden, was mit ihr passiert." Mit diesen Worten ließ er von Herbstbrise ab und verschwand in dem kleinen Raum.
Doch bevor die rotgoldene Kätzin die Flucht ergreifen konnte, stürzte Dämmerfluss vor und hielt sie fest.
Ihre schwarz-weiß gesprenkelte Clangefährtin kam ihr dabei zu Hilfe. Sobald sich beide Kätzinnen versichert hatten,
dass Herbstbrise auch wirklich fluchtsicher war, unterbrach Dämmerfluss das eisige Schweigen,
indem sie ihren Blick auffing und fauchte: "Dich kenne ich! Du bist Herbstbrise, nicht wahr?
Schwalbensterns Mutter und Gewittersterns Gefährtin?" Herbstbrise ließ ein Knurren vernehmen, als sie den Namen ihres verhassten Feindes hörte.
"NICHT MEHR!", fuhr sie die schildpattfarbene Kriegerin an. "Und was Schwalbenjunges betrifft... Moment mal, du sagtest soeben SchwalbenSTERN!!!??"
Dämmerfluss entwich ein hämisches Grinsen und sie wechselte einen arroganten Blick mit ihrer Clan-Genossin.
"Natürlich. Warum denn nicht? Das stimmt doch! Du bist Schwalbensterns Mutter, nicht wahr, Nachtspritzer?"
Herbstbrise keuchte entsetzt auf. Nachtspritzer! Vor mir ist Nachtspritzer! Rabenscheins MUTTER!!!
Sie wollte ein paar Schritte nach hinten taumeln, wurde aber von Dämmerfluss zurückgerissen.
"Na na, nicht so eilig! Wo willst du denn hin wenn ich fragen darf?" WEG! EINFACH NUR WEG VON HIER, antwortete Herbstbrise im Stillen.
Am liebsten hätte sie die Antwort diesen grausamen Katzen ins Gesicht geschleudert. Stattdessen aber schrie sie:
"LASST MICH DOCH EINFACH GEHEN!! ICH WILL WEG HIER!!!" Dämmerfluss stieß einen übertriebenen Seufzer aus.
"Du willst weg? Wie schade, wo wir doch nur so selten Besuch bekommen! Vor allem freiwilligen.
Vielleicht willst du es dir ja noch anders überlegen!? Vielleicht kannst du das aber auch gar nicht.
Ich meine: Wenn du schon kommst um uns Gesellschaft zu leisten, warum sollten wir dich dann schon so früh wieder entlassen?"
Herbstbrise fauchte zu ihrer Antwort nur frustriert. Am liebsten hätte sie laut losgeheult, doch das hätte ihr auch nicht aus der misslichen Lage geholfen.
Also blieb ihr nichts übrig, als an Ort und Stelle zu verharren, auf Werwolfauges Rückkehr zu warten und zu hoffen, dass Schwalbenstern mit ihr gnädig war.
Immerhin ist sie meine Tochter. Sie liebt mich und ich liebe sie! Rabenschein kann sich einfach nur geirrt haben, was sie betrifft!
Schwalbenstern hätte niemals einem Jungen etwas angetan! Dafür kenne ich sie zu gut.
Trotzdem kribbelte Zweifel in ihrem Pelz. Wenn Schwalbenstern wirklich so gutherzig war, warum hatte sie dann Katzen gegeneinander aufhetzen lassen?
Zu viel sprach dafür, dass sie böse war. Und ich kann so oft ich will leugnen, dass Mondstrahl recht hatte.
Es bringt nichts. Was sie gesagt hat stimmt nämlich, ob es mir gefällt oder nicht: In den Adern meiner Töchter fließt das Blut einer brutalen Katze, die von dem Töten Anderer besessen ist.
Demzufolge war es durchaus möglich, dass der Dämmerclan Schwalbenstern mit üblen Methoden die ganze Liebe aus dem Herzen entrissen hatte.
Herbstbrise biss die Zähne zusammen, um einen bekümmerten Schrei zu vermeiden. Sie wollte lieber erst gar nicht wissen,
was Dämmerfluss und Nachtspritzer mit ihr anstellten, wäre er ihr entschlüpft. Während sie also mit dröhnendem Kopf vor sich hinstarrte,
merkte sie kaum, wie sich ihr Schritte näherten. Erst als der Neuankömmling zu sprechen begann, erkannte Herbstbrise Werwolfauge, an seiner Stimme.
"Schwalbenstern meint, ich soll die Fremde vorerst in einen der Ställe einsperren und diese bewachen lassen.
Sie befürchtet nämlich, dass sich weitere Katzen in dieser Umgebung befinden könnten, da sie vermutet, dass diese Kätzin hier,
wie auch immer man sie nennt vielleicht zum Himmelclan gehört. Falls sie mit weiteren Kriegern hier hergeschickt wurde, um zu spionieren,
dann könnten wir ihre Begleiter am ehesten aufschnappen, indem wir sie als Geißel nehmen.
Der Rest ihrer Truppe wird sich nämlich erst blicken lassen, nachdem sie eine Weile bei uns bleibt.
Sie werden vermutlich nach ihr suchen und uns dabei direkt in die Krallen laufen."
In Dämmerfluss' Gesicht breitete sich ein gehässiges Grinsen aus. "Ich habe das Gefühl, dass die gute alte Schwalbenstern mit jedem Tag schlauer wird.
Sie hat sich zu einer prächtigen Kätzin entwickelt." Nachtspritzer neigte zögernd den Kopf. "So ist es", knurrte sie und zog Herbstbrise jäh nach links.
Völlig perplex von der plötzlichen Bewegung taumelte diese hinter ihr her. Doch sobald sie Nachtspritzer in ein riesiges Gehege zerren wollte,
leistete Herbstbrise Widerstand. Sie bekam so langsam Panik. "ICH KANN DORT NICHT REIN!", schrie sie auf,
"ICH MUSS ZU MEINEN JUNGEN, ZU MEINEM CLAN!!!" Nachtspritzer zuckte zusammen, doch Dämmerfluss verpasste ihr von hinten einen Tritt.
"Nun, daraus wird wohl leider nicht!", bemerkte sie mit drohend leiser Stimme, "reicht das oder bin ich gezwungen, dir zu beweisen, dass du dich lieber nicht mit mir anlegen solltest?"
Herbstbrise öffnete das Maul zu einem lautlosen Jaulen, gab sich dann aber geschlagen. Sie wusste, dass das ganze nur in einer Katastrophe enden würde,
wenn sie sich dem Dämmerclan widersetzte. Sie hatte keine Chance gegen ihn. Er bestand nämlich aus dutzenden von Kriegern und sie war jämmerlicherweise alleine.
Also ließ sie sich mit Tränen in den Augen in ihr zukünftiges Gefängnis führen. Klein, kalt, stinkend und verlassen.
Herbstbrise konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, aber eins wusste sie: Ich muss hier weg!
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