Kapitel 76

Schweigend streiften Herbstbrise und Düsterfrost durch die stockdunkle Nacht. Beiden Katzen schlotterten die Beine dank der bitteren Kälte.

Außerdem brachte die späte Zeit der Finsternis merkwürdige Geräusche mit sich, somitten im Herz des Zweibeinerorts.

Doch das wunderte Herbstbrise nicht. Sie hatte schon viele düstere Geschichten über die merkwürdigen Erfindungen der Zweibeiner gehört

und ein paar wenige davon auch schon selbst zu Gesicht bekommen. Sie seufzte. Hoffentlich werden sie mir und Düsterfrost keine Schaden zufügen.

Der helle Kater neben ihr schien weniger besorgt, denn er schritt zielstrebig nach vorne,

als hätte er nicht das kleinste bisschen Angst vor dem, was vor ihm lag. Auch hatte er offensichtlich keine Furcht vor dem Ort,

in dem er sich befand, denn er blieb kein einziges mal stehen, um nach Gefahr zu lauschen.

Herbstbrise selbst erwischte sich mehrmals dabei, wie sie instinktiv die Schnauze hob oder die Ohren spitzte,

um ihr Umfeld auszukundschaften. Bislang hatte sie Glück gehabt und kein Anzeichen einer möglichen Bedrohung wahrgenommen,

aber das - was sie nur allzu gut wusste - konnte sich jederzeit ändern. Vor allem bei einem solchen Gebiet,

voller Unheil. "Herbstbrise, komm mal her und sieh dir das an", rief ihr Düsterfrost über die Schulter zu.

Herbstbrise trottete rasch zu ihm und folgte seinem Blick. Er war auf eins der kleineren Zweibeinerhäuser gerichtet.

Die genaue Stelle konnte Herbstbrise nicht ordnen. Verwirrt legte sie den Kopf schräg. "Ja, da ist ein Zweibeinerbau weiter...?"

Düsterfrost schnippte mit den Schwanz auf ein viereckiges Ding, das in dem Nest eingebaut war.

Herbstbrise wurde nur noch verständnisloser. "Großer Sternenclan, was hat das denn zu bedeuten?

Wozu soll dieses Teil gut sein?" Düsterfrost erlaubte sich ein kurzes Grinsen. "Ich kenne mich zwar nicht wirklich mit Zweibeinerkram aus,

aber bei ein paar wenigen ihrer Sachen, weiß ich dann doch, wozu sie gut sein sollen. Dieses Viereck nennt sich 'Katzenklappe'.

Ich weiß, dieser Name ist äußerst merkwürdig aber nun gut... das ist eben ein von den Zweibeinern ausgedachtes Wort.

Jedenfalls können die Haukätzchen durch diese Katzenklappe in ihre Nester und wieder nach draußen gelangen.

Die Klappen sind also eine Art Höhleneingang. Und weißt du was das bedeutet: Dieser Bau muss von mindestens einer Hauskatze bewohnt werden -

wenn nicht sogar von mehreren. Also haben wir hiermit den ersten Abschnitt unserer Mission erfüllt:

Wir haben Hauskätzchen gefunden! Jetzt müssen sie uns nur noch zu freundlichen Zweibeinern bringen

und dann hat sich die Sache erledigt." Herbstbrise nickte anerkennend. "Stimmt. Das klingt logisch.

Nur scheinbar müssen wir erst abwarten bis sich die Katze blicken lässt."Düsterfrost hob den Kopf.

"Beten wir einfach, dass sie's so früh wie möglich tut." Herbstbrise nickte erneut. "Ganz meine Meinung."

Die Nacht zog sich lange dahin. Die Hauskatze entwanderte kein einziges mal ihrer Höhle.

Herbstbrise würde mit jeder Minute ungeduldiger. Vor allem, weil sie wusste, dass sie eigentlich hätte weiter nach ihren Jungen suchen müssen.

Würde sie noch ewig hier verweilen, dann wäre die Chance noch geringer, ihre Töchter je wiederzusehen.

Sie schritt unruhig auf und ab. Mit jeder Sekunde, die verstrich wurde sie um einen Ticken ungeduldiger.

Was mache ich hier eigentlich? ,fragte sie sich bekümmert, ich sollte eigentlich schon längst wieder reisen.

Entmutigt ließ sie den Kopf sinken. Aber kann ich jetzt einfach so gehen? Ich würde dann Salbeiherz im Stich lassen!

Ein hohes Miauen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Herbstbrise wirbelte zu der Richtung herum, aus der die Stimme kam.

Vor ihr stand eine kleine Kätzin mit gepflegtem hellbraunen Fell, einem schwarzen Gesicht und leuchtend blauen Augen.

Sie trug ein rotes Band mit einem goldenen Ding um den Hals, das bei jeder Bewegung klingelte.

Völlig irritiert wich Herbstbrise ein paar Schritte von ihr zurück. Sie spürte Düsterfrosts heißen Atem an ihrem Ohr,

als er ihr zuraunte: "Hauskätzchen! Erschrick es ja nicht!" Herbstbrise nickte eilig und schnurrte so weich wie möglich:

"Hallo, ich bin Herbstbrise! Ich und mein Begleiter neben mir namens Düsterfrost stecken in Schwierigkeiten

und brauchen dringend Hilfe! Kannst du uns bitte einen Gefallen tun?" Die braune Kätzin kam furchtlos näher.

"Natürlich helfe ich Katzen in Not. Ihr müsst mir nur sagen wie!" Herbstbrise schnurrte dankbar.

"Pass auf, wir haben einen verletzten Freund. Er heißt Salbeiherz und ist von der Schlucht, welche vor dem Zweibeinerort liegt, gestürzt."

Die Hellbraune unterbrach sie mit einem fragenden Blick. "Zweibeinerort? Meinst du die Stadt?"

Herbstbrise überlegte kurz. "Vermutlich reden wir beide von genau demselben Ort. Jedenfalls wurde er von derselben Art deiner Fütterer gebaut."

Die Fremde nickte. "Dann redest du also doch von der Stadt." Herbstbrise schnippte mit dem Ohr.

"Das ist ja schön und gut, hat aber wenig mit dem eigentlichen meiner Erzählung zu tun. Jedenfalls ist Salbeiherz wie schon erwähnt gestürzt.

Er hat sich dabei ein Bein gebrochen und muss dringend verarztet werden. Nur leider kennen meine Gefährten und ich keinen Heiler,

der ihm helfen könnte. Düsterfrost meinte, Zweibeiner - also Fütterer können Katzen ebenso wie jeder Clan-Heiler wieder gesund pflegen.

Ist das wahr und wenn ja, kannst du uns zu solchen Zweibeinern führen?" Die braune Kätzin überlegte eine Weile.

Dann schüttelte sie bedauernd den Kopf. "Tut mir leid, aber ich schätze das wäre unmöglich.

Meine Hausleute versorgen ausschließlich mich. Jede andere Katze verscheuchen sie aus ihrem Revier.

Ich verstehe nicht warum sie das tun, aber es ist nun mal so. Es gibt jedoch eine Person, die euch weiterhelfen könnte:

Der sogenannte 'Tierarzt'. Das ist der Zweibeiner, zu dem mich meine Hausleute bringen, wenn ich krank bin.

Er ist ohne Ausnahme zu allen Tieren freundlich und würde sicherlich auch euren Freund retten.

Allerdings ist der Weg zu ihm sehr weit. Ich werde zum Tierarzt immer mit Monstern transportiert,

die um einiges schneller sind als Katzen. Ihr müsst also ziemlich weit laufen, um ihn zu erreichen

und ob das Salbeiherz' Bein mitmacht... ich fürchte nicht. Ob der Weg also einen Versuch wert ist oder nicht,

bleibt euch überlassen. Bitte fragt mich also nur nach der Wegbeschreibung und nicht um Rat!"

Herbstbrise stieß die Luft aus. "Danke für die Info, aber ich denke dass es bis zum Tierarzt zu weit für uns ist."

Düsterfrost fuhr die Krallen aus. "Das sehe ich nämlich anders. Wenn es eine Möglichkeit gibt, Salbeiherz zu retten,

dann werde ich sie selbstverständlich nutzen!" Missmut kribbelte in Herbstbrises Pelz. Sie spürte deutlich,

dass Düsterfrost von ihr erwartete, ihn zu begleiten. Aber damit hat er sich geschnitten , dachte sie knurrend,

ich werde keine weiteren Tage für ihn opfern! Doch Düsterfrost schien ihre Feindseligkeit nicht zu spüren,

denn er ließ sich unbeirrt von dem Hauskätzchen den Weg beschreiben. Zähnebleckend quetschte sich Herbstbrise zwischen die beiden Katzen.

"Düsterfrost, wir gehen!" ,befahl sie und stapfte ohne ein weiteres Wort davon. Sofort holte sie Düsterfrost ein und hielt sie mit den Krallen auf.

"Herbstbrise, was soll das?" ,fragte er verunsichert ,"warum bist du so dagegen?"

Zweifelnde Angst stand in seinen Augen. Herbstbrise schnaubte. War die Antwort denn nicht sonnenklar?

"Weil ich dringend zu meinen Jungen muss!" ,platzte sie heraus, "wenn ich nicht schleunigst zu ihnen gehe,

dann werde ich sie vielleicht für immer verlieren! Ich darf keinen weiteren Tag ohne eine Reise zu ihnen vergehen lassen

und mich schon gar nicht von ihnen entfernen." Düsterfrost kräuselte die Lippen. "Das heißt, du willst Salbeiherz seinem Schicksal überlassen!?",

knurrte er verächtlich. "Obwohl er, Finkenblatt und ich dir und deiner Freundin schon so oft das Leben gerettet haben.

Herbstbrise ehrlich: Ich hatte mehr Dankbarkeit von dir erwartet." Herbstbrise stöhnte gequält auf.

"Ich bin euch wirklich dankbar, aber meine Kinder sind mein ein und alles. Wenn es nur um mein eigenes Leben ginge,

dann würde ich euch liebend gerne unterstützen, aber die Zukunft meiner zwei Töchter ist eben von mir abhängig."

Sie leckte ihm rasch übers Ohr und wandte sich zum Gehen. "Es tut mir unbeschreiblich leid, dass ich euch nicht helfen kann!

Leb wohl!" Mit diesen Worten, wirbelte sie herum und raste davon. Düsterfrost stieß ein zorniges Brüllen aus, verfolgte sie dennoch nicht.

Herbstbrise rannte um ihr Leben. Sie wusste nicht, ob sie vor Düsterfrost davonlief, oder vor ihrer einen Seite,

die sie dazu drängte, bei ihm zu bleiben. Nach einer Weile lang rennen, erreichte sie endlich das Nachtlager,

welches Finkenblatt aufgesucht hatte. In ihm regte sich im nächsten Moment nichts, bis Herbstbrise hineintrampelte.

Finkenblatt schreckte zuerst auf. Sie musste scheinbar bei ihrer Nachtwache eingeschlummert sein.

Verwirrt blinzelnd hob die graue Kätzin den Kopf. "Herbstbrise, was ist los?" ,murmelte sie verschlafen, "ich kann Düsterfrost nicht sehen.

Ist er nicht bei dir?"Herbstbrise schüttelte zögernd den Kopf. "Nein... ist er nicht. Das spielt aber überhaupt keine Rolle.

Mondstrahl und ich müssen jetzt gehen." Finkenblatt legte verwundert den Kopf schief.

Sie hatte wohl genauso wie Düsterfrost das eigentliche Ziel ihrer Reise vergessen.

"Und wohin wenn ich fragen darf?" ,gähnte sie. Herbstbrise zuckte gereizt mit der Schwanzspitze.

"Zum Dämmerclan - diesmal ohne euch." Sofort war Finkenblatt hellwach. "Ihr wollt gehen?!" ,keuchte sie.

"jetzt wo Salbeiherz auf euch angewiesen ist? Das könnt ihr nicht tun! Was um Sternenclans Willen ist denn beim Zweibeinerort vorgefallen,

dass du dich so entscheidest?" Herbstbrise holte tief Luft und erzählte ihr von dem Gespräch mit dem Hauskätzchen

und ihrer Auseinandersetzung mit Düsterfrost. Finkenblatt hörte ihr schweigend zu, dann neigte sie traurig den Kopf.

"Ich bin ein wenig enttäuscht von dir, Herbstbrise. Düsterfrost, Salbeiherz und ich haben dich und Mondstrahl schon oft gerettet und das ist euer Dank?!

Trotzdem kann ich die Entscheidung verstehen. Hätte ich Junge, dann würden sie mir wahrscheinlich auch alles bedeuten.

Distelkralle hat übrigends genau wie du gehandelt, als er Ginsterstreif umgebracht hat:

Er hat das alles nur für seine Familie getan, nämlich damit sie überlebt. Hätte er anders gehandelt,

dann wäre Mutter tot und meine Brüder und ich nie geboren." Herbstbrise neigte den Kopf.

"So ist es", flüsterte sie und drehte sich zu Mondstrahl um, die sich unruhig in ihrem Nest wälzte.

Sie rüttelte sie wach und erzählte rasch von ihrem Vorhaben. Als sie fertig war,

starrte sie Mondstrahl mit großen blauen Augen entgeistert an. "Aber das geht nicht!" ,jaulte sie verzweifelt,

"Salbeiherz hat sein Bein für meinen Kopf geopfert... Dann kann ich ihn doch nicht einfach im Stich lassen!

Nein, Herbstbrise! Das werde ich NIEMALS tun!!! So ungerecht bin ich nicht!" Sie hielt inne, als sie eine feuchte Schnauze von hinten anstupste.

Sie gehörte Salbeiherz. Der langhaarige Kater schüttelte traurig den Kopf. "Geh und hilf deiner Freundin die Jungen zu retten" ,

murmelte er, "ich komme schon ohne euch zurecht." Doch Mondstrahl sträubte nur das Fell. "Niemals!" ,wiederholte sie energisch.

Salbeiherz seufzte nur. Er suchte Finkenblatts Blick und murmelte: "Ich denke, das muss ich ohne euch mit ihr klären.

Von dem her wäre es da Beste, wenn du und Herbstbrise uns kurz alleine lasst." Finkenblatt zögerte, doch Herbstbrise war sofort einverstanden

und zog die graue Tigerkätzin mit sich nach draußen. Außerhalb des Baus kroch der eisige Wind wieder tief in ihren Pelz

und ließ ihre Knie schlottern. Trotz der Kälte machte sie sich aber keine Mühe, an Wärme zu gewinnen.

Sie stand einfach nur wie ein starres Stück Stein da und ließ die Kälte über sich ergehen.

Finkenblatt hinterließ aber auch nicht den Eindruck, ihr würde es besser ergehen.

Man könnte meinen, ihr Körper würde festgefrieren, so stocksteif stand sie da. Herbstbrise sah ihr lange in die Augen

und konnte verborgen in den grünen Tiefen ihres Blicks Angst ausmachen. Angst um ihren Bruder.

Sie stellte sich sicherlich die Frage, was das Schicksal ihm so bringen würde. Vielleicht würde sein Bein von alleine verheilen,

vielleicht würden sie die Reise aber auch zu dem Zweibeinerheiler schaffen, dennoch konnte es sein,

dass Salbeiherz nicht mehr zu heilen wäre, dass er nie mehr laufen oder dank seiner Schwäche auf der Reise sterben würde.

Herbstbrise erschauderte bei diesem Gedanken. Er wird nicht sterben ,sagte sie sich, fest entschlossen, auch daran zu glauben.

Er ist so stark, mutig und hat ein so großes Herz... das würde der Sternenclan niemals zulassen!

Ihre Anspannung ließ nach, als sie eine flauschige Pfote von hinten antippte - Mondstrahls Pfote.

Anstatt Anspannung verspürte Herbstbrise nun pure Neugier. Wie war ihr Gespräch mit Salbeiherz ausgefallen?

Würde sie nun doch mit ihr kommen oder nicht? Mondstrahls Blick klebte am Boden. "Herbstbrise, ich werde dich begleiten" ,

flüsterte sie ,"Salbeiherz meinte, wenn ich das nicht mache, dann werden zwei unschuldige Jungen sterben.

Außerdem sagte er noch, dass er durch mich nicht weniger erkranken würde, dafür könnte ich aber deine Töchter

und den gesamten Himmelclan retten, wenn ich dich begleite. Ich vertraue seinen Worten und werde mich ihnen nicht widersetzen."

Herbstbrise atmete erleichtert auf. "Dann lasst uns nun gehen." Sie verabschiedete sich von Finkenblatt und Salbeiherz mit einem Schnäuzeln,

bevor sie sich zusammen mit Mondstrahl auf den Weg ins Unbekannte machte. Die Zweibeinerwege wirkten zwar kalt und abweisend,

aber waren die einzigen Wege, die Herbstbrise zu ihren Töchtern brachten. Sie sind meine einzige Hoffnung auf sie.

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