Kapitel 66

Schläfrig kroch Herbstbrise aus der Kinderstube. Das aufgeregte Getuschel ihrer Clangefährten hatte sie aus dem Schlaf gerissen

und nun wollte sie sehen, was im Lager vorging. Doch sobald sie ihren kälteschützenden Bau hinter sich gelassen hatte,

spürte sie schon den ersten kalten Windhauch in ihr Fell wehen, der sie zittern ließ. Herbstbrise war bewusst,

dass die Tage nun allmählich kälter wurden und die Blattleere stetig auf sie zurückte.

"Ach was ich nicht alles für ein paar Sonnenstrahlen geben würde",seufzte sie. Nur die würden trotzdem noch viele Monde ausbleiben,

da war sie sich sicher. Der Gedanke an die Wärme verlor sich jedoch, als Herbstbrise auf der Lichtung ankam

und eine von ihren Clan-Genossen umdrängte Katzengruppe erblickte. Darunter erkannte sie Eulenschlag.

Ihr gescheckter Bruder machte auf sie einen überaus erschöpften Eindruck, wie er da mit hängendem Schwanz

und regendurchnässtem Fell dastand. Und erst jetzt bemerkte Herbstbrise die Nässe des  Bodens

unter ihren Pfoten. Es musste in der Nacht geregnet haben. Da Herbstbrise so gebannt auf ihren Bruder starrte,

bekam sie anfangs gar nicht mit, dass er zu sprechen begonnen hatte. Bei dem letzten Teil seiner Erzählung hörte sie dafür umso gebannter zu.

"... wir haben wirklich alles versucht, um sie zu finden",seufzte er, "nur der Regen hat jegliche Geruchsspuren von den Dämmerclan Katzen

weggewaschen. Wir sind blind in jede Richtung gelaufen, in der Hoffnung ihnen durch Zufall doch noch zu begegnen.

Leider hatten wir nicht das nötige Glück dazu. Also blieb uns keine andere Wahl, als umzukehren.

Das hätten wir wirklich nicht getan, wenn wir uns nicht sicher gewesen wären, dass es keinen winzigen Funken Hoffnung gäbe,

Schwalbenjunges und Blaubeerjunges wiederzufinden." Herbstbrise riss entsetzt die Augen auf.

Nein!!! Das darf nicht sein!!!! Wieso sollte mir der Sternenclan die Botschaft gesandt haben, nach meinen Jungen zu suchen,

wenn er mir nicht mal die Chance gibt, sie zu retten? Das ergibt keinen Sinn! Diesem Gedankenzug folgte ein Knurren.

Daraufhin drang ein tiefes, hasserfülltes Fauchen aus ihrer Kehle, dem ein schmerzhafter Schrei wich:

"STERNENCLAN, WAS KOMMT NOCH??? REICHT DIR MEIN LEID NICHT AUS?

WIE VIEL SCHMERZ MUSST DU MIR NOCH ZUFÜGEN, BIS DU ENDLICH MAL ZUFRIEDEN BIST????"

Alle Clankatzen drehten sich zu ihr um. In einigen Gesichtern stand Angst, in manchen Mitleid

aber in anderen wiederum Verachtung. Nur das war Herbstbrise vollkommen egal. Sie nahm die Blicke der Anderen kaum wahr.

Viel zu sehr beschäftigten sie ihre Jungen. Mit rasendem Kopf sah sie noch einmal zu Eulenschlag.

Diesmal mit dem letzten Stück Hoffnung, das ihr Herz noch zusammenhielt, bevor es endgültig zerbrach.

Vielleicht verschwieg er ihr etwas, das ein mögliches Wissen über Schwalbenjunges und Blaubeerjunges Aufenthaltsort sein könnte.

Zu ihrem Entsetzen aber blickte ihr Bruder nur tieftraurig zur Seite. Kälte überkam Herbstbrise. Sie schloss ihre schmerzenden Augenlieder

und kämpfte sich grob durch die Versammlung durch, bis sie vor der freien Lichtung stand.

Langsam kam sie zum Halt, verengte die Augen zu zornerfüllten Schlitzen und schoss wieder los,

diesmal durch die vielen Felswände, die das Himmelclan Lager umschlossen.

Innerhalb kürzester Zeit hatte Herbstbrise die Wiese erreicht. Ihre Pfoten waren zwar wund wegen der vielen,

spitzen Steine, die wie Krallen in sie gestochen hatten, doch diesmal spürte Herbstbrise den Schmerz nicht.

Sie nahm auch nicht mehr den Wind wahr, der ihr Fell immer so angenehm umweht hatte. Nein.

Sie starrte nur ausdruckslos in die Ferne, hatte ein Ziel vor Augen, dem sie sich verblüffend schnell näherte.

Dem Fluss. Für ihre Jungen gab es nämlich keine Hoffnung mehr, wie Eulenschlag es so schön gesagt hatte.

Also konnte Herbstbrise sich bedenkenlos das Leben nehmen. Das würde ja sowieso keinen mehr stören.

Die einzige Katze, bei der sie gedacht hatte, dass sie ihr etwas bedeutete, war Gewitterstern gewesen

und der hatte ihr ja erst kürzlich gezeigt, wie "wichtig" sie für ihn war. Trotzig hob Herbstbrise das Kinn.

Soll er doch haben was er will. Meinen Tod. Als sie allerdings den Fluss erreichte und sich gerade in ihn stürzen wollte,

leuchtete vor ihr ein heller Pelz auf. Schlitternd blieb Herbstbrise vor der blassen Katze stehen und musterte sie mit schiefgelegtem Kopf.

Freundliche, goldbraune Augen funkelten ihr entgegen und sie erkannte das zarte Gesicht von Schleiermond.

Das Erste was Herbstbrise überkam, war Verdutzung. Was machte die Sternenclan Katze denn hier?

Diese insgeheime Frage sprach sie auch laut aus. "Was machst du auf Clanterritorium?" Schleiermonds ruheausstrahlende Augen

wurden härter. "Ich bin gekommen um dich von deinem Vorhaben abzuhalten",erklärte sie

und stolzierte um Herbstbrise herum. "Denkst du, es bringt irgendwem etwas, wenn du dich umbringst?

Denkst du, Blaubeerjunges und Schwalbenjunges würde das aus ihrer misslichen Lage helfen? Ich schätze nicht.

Also nutz dein Hamsterhirn für einen Plan, der sie rettet!" Sie sagte das so, als würde es selbstverständlich noch eine Möglichkeit geben,

die Jungen zu finden. Ein wenig verwirrt schüttelte Herbstbrise den Kopf. "Ich habe einfach keinen blassen Schimmer,

wo ich überhaupt anfangen soll, nach ihnen zu suchen. Sie können nämlich überall sein!" Schleiermond blinzelte nur.

"Ich habe das Gefühl, dass dir deine Töchter nicht so wichtig sind, wie du es vorgibst. Wenn doch,

dann würdest du sie nicht so schnell aufgeben." Herbstbrise spürte wie sich Tränen in ihren Augen sammelten.

"Ach ja?",fauchte sie, "du meinst, sie sind mir so unwichtig, dass ich mir sogar das Leben vor Verzweiflung wegen ihnen nehme?"

Schleiermond seufzte kurz. "Wenn du nicht selbst dazu fähig bist, deine Jungen ausfindig zu machen,

dann verrate ich dir eben den Weg, der dich zu ihnen fürt: Laufe immer auf die mondabgewandte Seite des Himmels zu,

bis du bei einem riesigen Zweibeinerort ankommst. Von dort aus solltest du immer nach Osten laufen

und wirst wenn du Glück hast beim Dämmerlclan Lager ankommen. Es kann aber auch gut sein,

dass du dich verirrst oder von den Zweibeinern eingefangen und verschleppt wirst.

Dann hast du wohl ziemlich wenige Chancen, deine Töchter je wieder zu sehen. Also pass auf!

Sobald du dich beim Zweibeinerort befindest, muss dir bewusst sein, dass in jeder Ecke Gefahren lauern."

Diese Warnung machte Herbstbrise Angst, trotzdem nickte sie entschlossen. "Danke Schleiermond. Ich werde meine Jungen suchen."

Die weiße Kätzin neigte anerkennend den Kopf. "Du bist mutiger, als ich gedacht habe. Hab viel Glück bei deiner Reise!"

Mit diesen Worten löste sie sich allmählich in Luft auf. Eine Welle der Entschlossenheit packte Herbstbrise.

Mit neuer Kraft in den Muskeln richtete sie sich auf und blickte weit in die Ferne. Schwalbenjunges, Blaubeerjunges ich komme!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top