Kapitel 62

"Nimm deine Pfoten von ihr!",fauchte eine entzürnte Stimme. Während Herbstbrise krampfhaft nach Atem rang,

sah sie schildpattfarbenes Fell aufblitzen und erkannte Lavendelsee, die auf sie zuflitzte. Zu ihrer Verzweiflung, trug diese keine Jungen im Maul.

Stattdessen war ihr kompletter Körper mit Kratzern und Bissen verseht, die von Adlerklaue,

Rosenblut und Dämmerfluss stammen mussten. Keuchend machte sie vor Gewitterstern halt und fixierte ihn feindselig.

"Lass Herbstbrise augenblicklich los, oder ich zieh dir den Pelz über die Ohren",wiederholte sie, diesmal drohend.

In ihrem Gesicht war jeglicher Spott verschwunden. Stattdessen wirkte sie gelassen. Falls sie Angst haben sollte, dann sah man ihr das nicht an.

Sie hatte sich zu voller Größe aufgerichtet und starrte Gewitterstern mit peitschenden Schwanz und kalten Augen entgegen.

Sie versucht ihm Furcht einzuflößen, sagte Herbstbrise sich und fasste neue Hoffnung. Vielleicht gelingt es ihr ja.

Also ich zumindest hätte Angst vor ihr, wenn ich wüsste dass sie nicht auf meiner Seite stände.

Doch Gewittersterns Gesicht war mindestens genauso uneingeschüchtert wie das ihrer Schwester. Er nimmt ihre Herausforderung an.

Er und Lavendelsee umkreisten sich noch ein paar Herzschläge lang - und gingen plötzlich kreischend aufeinander los.

Gewitterstern nahm zu allererst Lavendelsees Schnauze ins Visier und zielte mit den Krallen auf sie.

Aber bevor er sich auch nur bewegen konnte, stellte sich seine Gegnerin flink wie eine Schlange auf die Hinterläufe

und schlug ihm hart auf den Kopf. Gewitterstern brüllte vor Schmerz und Frust, dann aber griff er umso gröber an.

Und das tat er mit weit aufgerissenem Rachen, mit dem er nach Lavendelsees Hals schnappte.

Diese wich ihm jedoch mühelos aus und ging zur Verteidigung über. Sie riss genüsslich mehrere Fellbüschel aus seinen Bauch,

während Gewitterstern sich vor Wut aufbäumte. Fauchend warf er sich auf seine Rivalin,

um ihr in den Nacken zu beißen. Lavendelsee zuckte kurz zusammen und verpasste ihm harte Krallenhiebe auf die Wange.

Herbstbrise, die den Krieg zwischen den beiden bisher tatenlos beobachtet hatte, erhob sich mühsam

und eilte ihrer Schwester zur Hilfe. Sie ist zwar eine starke Gegnerin, jedoch kann ihr keine Unterstützung schaden.

Nur als sie sich gerade in den Kampf einmischen wollte, musste sie zu ihrem Entsetzen feststellen,

dass es nun Gewitterstern war, der Lavendelsee mit Freude zerfetzte.

Diese war mittlerweile wohl ganz aus ihrer Verteidigungstaktik gekommen

und wirkte unter dem Dämmerclan Anführer kleiner und verzweifelter denn je.

Hilflos schlug sie wie wild um sich, während Gewitterstern ihr den Hals aufritzte. "Sieht so aus,

als würde heute nicht nur Herbstbrise sterben" ,miaute er mit gespieltem Bedauern. Seufzend zuckte er mit den Schultern.

"Naja, du hast es scheinbar nicht anders gewollt. Also sag deiner heißgeliebten Schwester auf wiedersehen."

Lavendelsee gab nur ein Stöhnen von sich, woraufhin ein Blutschwall aus ihrer Kehle schwappte.

Herbstbrise schloss für einen Moment lang die Augen, bemüht, sich zu beruhigen

und überlegte krampfhaft, wie sie ihrer Wurfgefährtin helfen könnte. Ängstlich scharrte sie den Erdboden locker.

Dabei stieß ihre Pfote gegen etwas Hartes und vor allem Scharfes. Herbstbrise knurrte vor Schmerz

und sah an sich runter, bis ihr Blick auf einen spitz zulaufenden Stein fiel. Eine Weile lang musterte sie ihn aussichtslos,

dann aber kroch eine Idee in ihr hoch. Ich könnte ihn als Waffe gegen Gewitterstein einsetzen, überlegte sie

und hob den Stein mit den Zähnen auf. Zögernd trat sie einen Schritt vor. Wie sollte sie mit einem einfachen Stein auf jemanden losgehen?

Doch bevor sie groß überlegen konnte, schallte ein gequälter Schrei von Lavendelsee zu ihr rüber.

Die schildpattfarbene Kriegerin lag schwach wie ein Blatt im Wind auf der Seite,

Blut strömte in Massen aus ihrem Maul. Und auf einmal schien sich all die Wut in Herbstbrise zu sammeln.

Gewittersterns Verrat, die vielen Morde, die Entführung meiner Jungen... das alles  bin ich wegen ihm leid!

Mit einem wutentbrannten Schrei stürzte sie sich auf den getigerten Kater, den Stein auf seinen Rücken gerichtet.

Und plötzlich hatte Herbstbrise das Gefühl, alles was danach geschah,

würde in Zeitlupe vergehen. Gewitterstern musste sie gehört haben,

denn er wirbelte noch während sie sprang zu ihr herum, die Krallen angriffslustig ausgefahren.

Doch zu einem Kampf kam es nicht. Denn als Herbstbrise in ihn hineinkrachte, stieß er auf einmal einen markerschütternden Schrei aus

und fiel schlaff zu Boden. Herbstbrise schnappte nach Luft. Sie zwang ihre Augen,

sich auf das Bild ihres bewegungslosen Feindes zu richten.

Zu erst verstand sie nicht, was ihn so niedergerissen hatte - bis sie den spitzen Stein sah.

Er steckte an einer Stelle in Gewittersterns Körper, wo sich bei jeder Katze das Herz befand.

Aus dem Dämmerclan Anführer floss so viel Blut, dass Herbstbrise wegsehen musste.

Sie befürchtete schon dass Gewitterstern nie wieder aufhören würde aus dem Herzen zu bluten -

dass sie selbst nicht mehr aufhören könnte von Innen zu bluten -
"Ich habe ihn getötet", brachte sie fassungslos hervor.

"Ich habe ESCHENBLATT GETÖTET!!!???" Dann aber brachte sie ein neuer Gedanke um den Verstand.

"MEINE JUNGEN!!!",heulte Herbstbrise leise auf. "Sie sind WEG!!?? Lavendelsee bitte sag, dass das nicht wahr ist!!!!"

Ihre Schwester sah jedoch nur betreten zur Seite. Glühender Zorn erwachte in Herbstbrise.

Fauchend und mit lodernden Augen stapfte sie zur Wiese zurück. Sie wirkte zwar auf der ewigen Weite der Felder

klein und harmlos, trotzdem richtete sie ihren brennenden Blick furchtlos in die Höhe.

Das flammenfarbene Fell der vor Zorn zitternden Kätzin hatte sich bedrohlich gesträubt.

Sie schien sich gegen ihre gesamten Vorfahren zu stellen, als sie hasserfüllt in den Himmel kreischte:

"Sternenclan, was tust du mir an? Ist es dein Ziel, mich so leiden zu sehen? Ist dieses Grauen etwa mein Schicksal?"

Auch wenn sie inständig auf eine Antwort gehofft hatte, wusste sie, dass keine Sternenclan Katze der Welt vom Himmel steigen würde,

um sich mit ihr über ihre Probleme zu unterhalten. Und dabei behielt sie Recht: Nichts rührte sich.

Gebrochen ließ sich Herbstbrise fallen. Sie spürte den Aufprall auf dem Grasboden kaum

und glitt zitternd und blutend in den Schlaf.


Eschenblatt/ Gewitterstern

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