Kapitel 6
Eine warme Zunge strich über Herbstjunges Fell. Die kleine Kätzin seufzte zufrieden und murmelte:
"Guten Morgen, Schattenrose.
Soll ich dir und Bernsteinfeuer etwas vom Frischbeutehaufen holen?"
Ihre Mutter zuckte zusammen, leckte dann aber eilig weiter. Langsam öffnete Herbstjunges die Augen, sah zu ihr hoch und erschrak.
Ihr kompletter Pelz war voller Blut und über ihr stand nicht Schattenrose sondern Schleierpfote.
Die goldenen Augen der Kätzin glänzten liebevoll. "Beruhige dich. Alles ist in Ordnung.
Du hattest heute Nacht wahrscheinlich Dornen in deinem Nest. Keine Sorge, deine Wunden heilen gut."
Verdutzt ließ Herbstjunges den Blick über den Heiler-Bau schweifen. "Wo ist Schattenrose? Macht sie sich keine Sorgen um mich?"
"Natürlich macht sie sich Sorgen",schnurrte die Schülerin. "Sie hat eben etwas gefressen aber kommt bestimmt nachher."
Herbstjunges nickte und entspannte sich ein wenig.
Als sie gerade drauf und dran war einzuschlafen, schreckte sie ein Wimmern auf.
Die Kätzin sah sich um und entdeckte Eulenjunges in ihrer Nähe. Auch er blutete und wurde von Ginsterstreif versorgt.
"Schleierpfote",fauchte Herbstjunges. "Erzähl mir die Wahrheit! Was ist passiert?"
Die weiße Heiler-Schülerin drehte sich langsam um. "Ein Dachs... das ist passiert" ,miaute sie vorsichtig.
Und da begriff Herbstjunges. All die Erinnerungen schienen sie zu überwältigen. Der verbotene Ausflug...der Dachs... Bernsteinfeuer!
Sie sprang schwankend auf die Pfoten. "Wo ist Bernsteinfeuer? Ich möchte zu ihm! Er hätte niemals sterben dürfen.
Ich...", sie schluchzte, "...ich bin an seinem Tod schuld..." und das werde ich mir nie verzeihen...
Schleierpfote drückte sich an das trauernde Junge. "Nein,nein",flüsterte sie, "dafür kannst du nichts.
Das mit dem Dachs war einfach Pech. Der Leichnam deines Vaters liegt vor dem Clanfelsen. Du kannst zu ihm gehen, sobald du fit genug bist."
Entschlossen, schleppte sich Herbstjunges aus dem Nest. "Du irrst dich",knurrte sie, "ich kann und ich werde jetzt zu ihm gehen."
Doch Schleierpfote schob sie sanft ins Nest zurück. Fauchend zwängte sich Herbstjunges an ihr vorbei und humpelte zu ihrem toten Vater.
Über ihm lag Schattenrose und hatte ihre Schnauze in seinem Fell vergraben. Schweigend schmiegte sich Herbstjunges an Bernsteinfeuers andere Seite.
Oh Bernsteinfeuer, oh Schattenrose...es tut mir so leid...
***
Eisiger Wind durchfegte Herbstjunges' Fell und ließ die kleine Kätzin erzittern. Benommen schlug diese die Augen auf und musterte mit verschleiertem Blick die Umgebung.
Ein rabenschwarzer Pelz versperrte ihr die Sicht. Verwirrt nahm Herbstjunges Witterung auf.
Die Luft war umhüllt mit dem vertrauten Duft ihrer Mutter. Beruhigt legte sich Herbstjunges wieder hin.
Der Gedanke, dass Schattenrose bei ihr war, tröstete sie. Doch wo trug sie sie bloß hin? Die schützenden Steinwände des Lagers waren fort.
Langsam öffnete Herbstjunges das winzige Mäulchen und miaute zaghaft Schattenroses Namen. Doch als Antwort bekam sie nur ein Knurren zu hören.
Verwirrt und verängstigt zugleich kuschelte sich Herbstjunges wieder an das flauschige Fell unter ihr und tastete nach ihren Geschwistern.
Ihre Pfote traf einen kleinen Körper. Gleich darauf erklang ein Fauchen von Eulenjunges. Erleichtert stupste Herbstjunges ihm in die Seite.
"Hey, weißt du, ob Lavendeljunges bei uns ist?" Endlich drehte sich Eulenjunges im Kreis, versucht, Lavendeljunges Pelz auszumachen.
Doch die nächtliche Schwärze verbarg fast alles um sie herum. "Schattenrose, ist Lavendeljunges bei uns?" ,versuchte es Herbstjunges erneut.
"Ich bin hier!" ,erklang eine Stimme von oben. Herbstjunges erhob sich auf wackeligen Beinen und schritt vorsichtig nach vorne.
Und was wenn ich falle? Schattenrose wird das garantiert bemerken und mir wieder auf...
Ein Fauchen riss sie aus ihren Gedanken. Zähne packten Herbstjunges am Nackenfell und zerrten sie von Schattenroses Rücken.
Mit einem erschrockenen Aufschrei plumpste das rote Junge zu Boden und warf panische Blicke um sich.
Wo sind Schattenrose, Lavendeljunges und Eulenjunges?Doch diese Frage beantwortete sich von selbst,
als zwei weitere kreischende Fellbündel neben ihr zu Boden fielen. Ihrem Geruch folgend rannte Herbstjunges auf sie zu und schmiegte sich an sie.
Beide Körper zitterten vor Angst und Kälte. "Schattenrose, wo bist du?" ,wimmerten die drei Jungen.
Krallen stachen Herbstjunges in die Seite. Vor Schmerz auffauchend wirbelte diese herum und sah sich zwei flammenfarben Augen vor.
Sie brannten wie Feuer auf sie herab. Ein Knurren, laut wie das eines Dachses brach die Stille.
"Mörder!" Die Krallen ließen von Herbstjunges ab und trafen diesmal Eulenjunges. Auch der braune Kater gab dies durch einen Schmerzschrei bekannt.
Lavendeljunges heulte zu letzt auf. Wie versteinert starrte Herbstjunges auf die Katze, die sich nun vor ihr und ihren Geschwistern aufgebaut hatte.
Sie konnte einfach nicht ihren Augen trauen. Fassungslos und verwirrt zu gleich keuchte sie: "Schattenrose, lass das sein!?
Ihre schwarze Mutter wirbelte zu ihr herum und funkelte sie aus kalten Augen an. "Ihr seid nichts als Mörder!" ,blaffte sie erneut.
Nein, das meint sie nicht so! ,dachte Herbstjunges verzweifelt. "Mutter wieso?" ,wimmerte Lavendeljunges und presste sich noch fester an ihre beiden Wurfgefährten.
"Eure Dummheit hat Bernsteinfeuer das Leben genommen!" ,zischte Schattenrose. Ihre Stimme bebte vor Schmerz und Wut.
Herbstjunges meinte an der Kälte in ihrem Blick schier zu erfrieren. Sie wollte ihr zu gerne widersprechen, aber sie wusste, dass sie recht hatte:
Wir sind an Bernsteinfeuers Tod schuld ,sagte sie sich fröstelnd. Sie duckte sich. Presste sich auf das nasse Gras und schluchzte:
"Bitte verzeih uns, bitte!" Schattenrose schnaubte nur. "Bi-"
"SCHWEIG!!!" ,brüllte die schwarze Katze nun auf und zeigte ihre Krallen.
Herbstjunges fuhr zusammen, merkte kaum die ängstlichen Blicke ihrer Geschwister. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.
Schattenrose schüttelte langsam den Kopf. Eine einzelne Träne floss aus ihrem Auge. Sie bohrte die Krallen tief in den Boden. "Geht!" ,
knurrte sie leise. "Geht und kommt nie wieder!" Lavendeljunges öffnete das Maul zu einem Widerspruch, doch ein Fauchen von Schattenrose brachte sie zum Schweigen.
"Adlerstern hat euch verbannt! Ihr Mörder!" Herbstjunges zuckte vor ihr zurück. "Das würde er nie tun!" ,protestierte sie mit weinerlicher Stimme.
Schattenrose schloss für einen moment die Augen. "Woher willst du das wissen?" ,knurrte sie.
Herbstjunges legte die Ohren flach und zog sich ein paar Schritte vor ihr zurück. Sie wusste darauf keine Antwort.
"Verschwindet!" ,schnaufte Schattenrose erneut. Herbstjunges trat zögernd ein paar Schritte vor und sah ihr schon beinahe flehend in die Augen.
"BITTE Schattenrose, lass das sein! Das kannst du nich-" "Und ob ich das kann!" ,fauchte die schwarze Kätzin zurück und richtete sich zu aller Größe auf.
"VERSCHWINDET!!" ,brüllte sie so laut sie konnte und ging mit den Krallen auf ihre Jungen los. Schluchzend stolperte Herbstjunges vor,
als sie ein Schlag am Rücken traf. Erneut hieb Schattenrose auf sie ein. Mit üblen Attacken scheuchte sie ihre Jungen vorwärts.
Herbstjunges rannte um ihr Leben, Lavendeljunges und Eulenjunges dicht neben sich. Sobald sie das Himmelclan-Territorium verlassen hatten ließ Schattenrose endlich von ihnen ab
und wartete schweigend, bis sie in der Ferne verschwunden waren. Schreiend vor Trauer und Schmerz floh Herbstjunges, bis sie sie nicht mehr sehen konnte.
Schattenrose hatte gewonnen. Niemals würde Herbstjunges mehr zum Himmelclan zurückkehren wollen.
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