Kapitel 59

Die Bäume warfen düstere Schatten auf die nebelumhüllte Lichtung. Auf ihr war es ungewöhnlich frisch,

wenn man bedenkte, dass es mitten in der Blattgrüne war. Herbstbrise saß zitternd vor einer dicht belaubten Buche und presste das Fell an ihren Stamm.

Die Kälte machte ihr mehr denn je zu schaffen. Und wieder hörte die gold gestreifte Kätzin ein Rascheln. 

Diesmal kam es aus einem kargen Dickicht, direkt vor ihr. Pfotenschritte erklangen und näherten sich ihr stetig.

Auf einmal blitzten giftgrüne Augen hinter einem Gestrüpp auf und ein beißender Geruch überflutete Herbstbrises Geschmacksknospen.

Eine schlanke, weiße Gestalt schlängelte sich elegant wie eine Gazelle an zwei Felsblöcken vorbei,

um sich mit einem höhnischen Grinsen vor Herbstbrise aufzubauen. Ihr Gesicht kam der roten Tigerkätzin nur allzu bekannt vor.

Am liebsten wäre sie ein paar Schritte zurückgetaumelt, um anschließend die Flucht zu ergreifen, aber hinter ihr war kein Platz zum Fliehen - Nein.

Dort befand sich nur der Baum, der ihr den Weg versperrte. Ängstlich drückte sich Herbstbrise flach zu Boden,

als sie Weißrose weiter auf sich zukommen sah. "Lass mich in Ruhe! Geh weg!",

konnte sie nur keuchen. Mehr brachte sie vor Schreck nicht heraus.

Doch sie hätte wissen sollen, dass Weißrose am liebsten genau das Gegenteil tat, als das, was sie von ihr verlangte.

Sie blieb nämlich erst stehen, als sie sich nur noch eine Schnurrhaarlänge vor Herbstbrise befand. "Hallo Schätzchen",

schnurrte sie mit vor Belustigung funkelnden Augen. "Soll ich dir nicht ein wenig Gesellschaft leisten? Du siehst so einsam aus."

Ihr Blick wurde hungrig, als er auf Herbstbrises Pelz fiel. Man könnte meinen, sie hätte soeben ein saftiges Stück Beute entdeckt.

Und plötzlich stürzte sie vor. Flink wie eine Schlange zerkratzte sie den Hals ihrer Feindin und stemmte ihren Körper gleichzeitig zu Boden.

Herbstbrise kreischte sich die Seele aus dem Leib vor Schmerz. Würgend sah sie auf das schäumende Blut, das aus ihrem Maul floss

und starrte Weißrose mit glasigen Augen vor Hass an. Doch als sie an ihre Familie dachte, schöpfte eine wilde Entschlossenheit in ihr neue Kraft.

"Ich werde mich nicht von diesem Fuchsherz töten lassen!",zischte sie mehr zu sich selbst. "Nein, ich werde überleben!

Für Eschenblatt! Für Eulenschlag und für MEINE JUNGEN!!!" Fauchend fuhr sie herum, um Weißrose ihre Krallen in die Augen zu schlagen.

Soll dieser widerliche Haufen Fuchsdung doch erblinden! Wäre mir ganz recht!

Bloß da war keine Katze mehr. Herbstbrise schlug einfach nur in die Luft. Verwirrt sah sie sich um.

Weißrose war sicherlich keine Einbildung gewesen. Das bewies die Wunde an ihrer Kehle.

Sie war vor ein paar Herzschlägen noch  vor ihr gestanden. Aber wo ist Weißrose nun hin? Sie kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!?

Eine Pfote stieß ihr in die Rippen. Herbstbrise riss panisch die Augen auf. Zunächst war sie erleichtert, als sie sah dass sie sich im Lager befand.

Dann habe ich also nur schlecht geträumt, sagte sie sich. Doch damit lag sie falsch. Der Druck an ihrem Hals ließ nämlich nicht nach.

Er war so schmerzhaft wie im Traum. Schwach sah sich Herbstbrise um. Über ihr türmte sich ein riesiger Dornenbusch auf.

Ein paar seiner Ranken waren fest um ihren Hals gewickelt. Endlich verstand Herbstbrise warum sie wirklich blutete.

Ich muss mich während dem Schlafen versehentlich in den Dornenstrauch gewälzt

und mir dadurch den Hals zugeschnürt haben. Ein kleinwenig hilflos nahm sie eine Pfote, um ihren Hals zu befreien.

Doch das war schwerer als erhofft, denn alle ihre Viere waren vor Schmerz und Schock taub.

"Lass dir helfen",schnaubte die spitze Stimme einer Kätzin. Aus den Augenwinkeln erhaschte Herbstbrise

einen Blick auf Rubinflecks rostrotes Fell. Die Kriegerin war gerade dabei, die Dornenranken vorsichtig von ihrem Hals zu wickeln,

wobei sie mehrmals vor sich hin fluchte, weil bei diesem Geschäft Dornen in ihren Pfoten stecken blieben.

"Hattest wohl ziemlich wilde Träume" ,bemerkte sie trocken. "Oder warum hast du deinen Hals sonst so lange in die Ranken verwickelt?"

Herbstbrise antwortete nicht. Denn hätte sie das Maul geöffnet, dann hätte sich die Masche nur noch fester um ihre Kehle zugezogen.

Zum Glück wurde diese nach der Zeit lockerer und letztendlich befreite Rubinfleck Herbstbrises Hals vollends von ihr.

Schwer atmend rappelte sich Herbstbrise auf und ließ den Blick über das Lager schweifen. Erst jetzt fiel ihr auf,

dass der gesamte Clan wach war und sich um die Kinderstube drängte. Herbstbrise war zwar nicht in ihr aufgewacht,

sondern direkt dahinter, in einer Gegend voller Felsen und Büschen, in die sie während dem Schlafen gerollt sein musste,

merkte aber schnell, dass ihre Gefährten nach ihr sehen wollten. Verdattert blinzelte Herbstbrise Rubinfleck an.

"Wo sind meine Jungen?" Die Schnurrhaare der rot gefleckten Kätzin zuckten belustigt. "Sie liegen in deinem Nest, stell dir vor!"

Herbstbrise nickte langsam und seufzte erleichtert. Wenigstens geht es ihnen gut. Dann aber kroch eine neue Frage in ihr hoch.

"Warum haben sich alle unsere Clan Kameraden um die Kinderstube versammelt?" "Hör mal zu, Kleine"

,schnaubte Rubinfleck unwirsch.
" Deine Fragerei geht mir sowas von auf die Nerven! Das ist die letzte Frage, die ich beantworte:

Du hast unsere Clangefährten mit deinem Geschrei aufgeweckt und jetzt wollen sie natürlich sehen, was mit dir los ist.

Konntest du dir das nicht denken?" Dann hätte ich dich nicht gefragt, erwiderte Herbstbrise in Gedanken.

Sie war ganz und gar nicht auf einen Streit aus. Erst recht nicht mit der Katze, die ihr soeben den Hals gerettet hatte.

Also sah sie sich seufzend nach Eschenblatt um. Der getigerte Kater stand mitten im Gedrängel

und versuchte sich zu seiner Gefährtin vorzukämpfen. Nur das machte wenig Sinn, denn die anderen Katzen

drückten ihn dadurch nur weiter im die hinteren Reihen. Fauchend verschaffte Eschenblatt sich nun mit Zähnen und Krallen einen Weg

und bahnte sich eilig zu Herbstbrise vor. Besorgt schleckte er ihr über die Wunden. "Alles okay?"

Herbstbrise ließ die Schultern hängen. "Denke schon.",murmelte sie. Eschenblatt lächelte leicht

und führte sie sorgsam zu ihrem Nest zurück. "Lavendelsee hat mir vor kurzem erzählt, dass sie sich auch mal

in einer Brombeerhecke verfangen hat. Sie hat sich bei dem Versuch, ihren Pelz wieder freizubekommen

nur noch mehr eingewickelt und Brombeerstich musste ihr am Ende jeden einzelnen Dorn aus dem Fell ziehen."

Herbstbrise nickte skeptisch. Sie wollte gar nicht erst wissen, wie viele, nette Gespräche Eschenblatt schon mit ihrer Schwester gehalten hatte.

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