Kapitel 49

Verunsichert erwiederte Herbstbrise Lavendelsees leeren Blick. "Ähm... hallo!?" Ihre Begrüßung klang mehr wie eine Frage.

Lavendelsee sah diesen Gruß als eine Einladung, schweigend um sie herum zu streichen. "Du und Eschenblatt scheint euch gut zu verstehen",

bemerkte sie schließlich. "Wie geht es dir?" Sie blieb stehen, um Herbstbrise mit verschleierten Augen anzusehen.

"Wie fühlst du dich, Schwester?" Herbstbrise spürte, wie sich allmählich ihre Fellhaare aufstellten. "Ich... was genau meinst du damit?"

"Nun, ich meine, ob dir dein ach so toller Gefährte hilft, Schattenroses Tod besser zu verkraften."

Herbstbrise schluckte schwer. Mit dieser Frage hätte sie am wenigsten gerechnet. Aber ihre Wurfgefährtin hatte recht:

Seit Eschenblatt sich dem Himmelclan angeschlossen hatte, hatte Herbstbrise so gut wie keinen Gedanken an ihre Mutter verschwendet.

"Bist du mir nun doch dankbar, dass ich Schattenrose...",sie hüstelte kurz. "So was wie tödlich... 'verletzt' habe?" Wie kann sie es wagen???

Knurrend fuhr Herbstbrise die Krallen aus. "Spinnst du?"zischte sie mit vor Schmerz brüchiger Stimme. "Oh, nicht doch",

rief Lavendelsee besorgt aus. "Ich hatte nicht die Absicht, dich zu provozieren." Sie ließ den Blick kurz übers Lager schweifen

und wandte sich dann wieder lächelnd an Herbstbrise. "Komm mit zum Frischbeutehaufen! Ich habe heute morgen

ein saftiges Eichhörnchen erlegt. Eigentlich wollte ich es selbst fressen, aber nun..." Sie zuckte mit den Schultern.

"Sieht es so aus, als würde die Beute meiner heißgeliebten Schwester gehören." Mit dem Schwanz schnippend trabte sie zum Beutehaufen.

Herbstbrise folgte ihr nur zögernd. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, Beute von Lavendelsee zu fressen.

"Ich ähm habe eigentlich keinen so großen Hunger",murmelte sie.
"Ach, das macht doch nichts",schnurrte Lavendelsee.

"Dann nimm das Eichhörnchen eben mit und friss es wann du willst. Es ist ein Geschenk!"

Mit einem gespielten Lächeln nahm Herbstbrise Lavendelsees Fang ins Maul und trottete zu Minzteich zurück.

Sie nahm sich vor, die Beute später nach Todesbeeren abzusuchen. Ich bin es leid, selbst das Futter von meiner eigenen Schwester

zu kontrollieren, damit ich auch ja nicht mit Eibenbeeren tötlich vergiftet werde. Doch ihre Stimmung  wurde heiter,

als sie wieder bei Minzteich ankam, die ein winziges Fellbündel im Maul trug. "Darf ich vorstellen?",miaute sie liebevoll,

"das ist meine Tochter Seidenjunges." Sie ließ sie vorsichtig auf dem Boden nieder. Die kleine Kätzin tappte furchtlos zu Herbstbrise

und musterte sie. Seidenjunges hatte ein cremebraun getigertes Fell mit einem weißen Bauch und leuchtenden,

goldenen Augen. Ihr Körperbau war zierlich und schlank und sie hatte ein hübsches, schmales Gesicht mit weichen Zügen.

"Mutter, wer ist das?",wollte sie mit hoher, zarter Stimme wissen. "Das ist Herbstbrise, mein Schatz",schnurrte Minzteich.

Seidenjunges Augen weiteten sich und sie streckte ihr rosanes Schnäuzchen in die Luft, um Herbstbrise zu beschnuppern.

"Minzteich hat mir schon so viel von dir erzählt",flüsterte sie staunend. Herbstbrises
schmolz das Herz beim Anblick der zuckersüßen Kätzin dahin

und sie konnte nicht widerstehen, ihr kurz übers Ohr zu lecken, was Seidenjunges zu ihrer Freude zuließ. Minzteich schmunzelte.

"Meine Kleine möchte später mal Heilerkatze werden",erzählte sie Herbstbrise. "Den ganzen Tag verbringt sie bei Silberfeder im Heilerbau

und kennt sogar schon ein paar Kräuter mit ihren Namen." Sie machte eine Pause und beugte sich über ihr Junges, um es zu liebkosen.

"Ich bin so stolz auf sie." Entzückt lächelnd, berührte Herbstbrise die Schnauze ihrer Freundin mit der eigenen.

"Ich sollte mal nach meinen Clangefährten sehen. Sie wollen bestimmt bald wieder gehen." Minzteichs Mine wurde trauriger.

"Ich wünschte, du wärst noch in meinem Clan geblieben",seufzte sie. "Ich vermisse dich u-und deinen Bruder natürlich auch."

Sie hielt inne und strich sanft mit dem Schwanz über Herbstbrises Schulter. "Trotzdem möchte ich dir das nicht vorwerfen",

murmelte sie,"die Entscheidung, den Laubclan zu verlassen, ist dir bestimmt nicht leicht gefallen. Also geh, meine Freundin

und sieh zu, dass du mich bald wieder besuchen kommst." Herbstbrise entfuhr ein amüsiertes Lachen. Mit einem letzten,

freundschaftlichen Knuff in Minzteichs Seite, drehte sie sich um und flitzte zum Heilerbau.

Vor ihm warteten bereits Adlerstern und die restliche Patrouille auf sie. Alle Katzen waren zum Aufbruch bereit.

Nur Nebelpfote blieb bei Silberfeder, die ihn geduldig durch das Lager führte. Herbstbrises war sich sicher, dass er in guten Pfoten gelandet war.

Minzteich, Brombeerstich und Silberfeder werden bestimmt auf ihn aufpassen. Nun blieb nur noch eine Frage offen:

War das Eichhörnchen, das Lavendelsee ihr gereicht hatte vergiftet?

***

Sobald sie mit Adlerstern, Eschenblatt, Schilfherz und Rubinfleck beim der Himmelclan Grenze ankam, nutzte Herbstbrise  den Moment,

an dem alle außer ihr in den Fluss wateten und ihn zu überqueren versuchten.


Schnell versteckte sie sich hinter einem Felsbrocken und schlitzte die Beute auf. Es war mehr als nur widerlich,

das Innere des Eichhörnchens zu sehen, aber Herbstbrise musste unbedingt wissen, ob sie Lavendelsee trauen konnte oder nicht.

Deshalb durchwühlte sie das Eichhörnchen förmlich, doch nirgendswo war auch nur die kleinste Eibenbeere zu sehen.

Herbstbrise fand auch keine zermatschten Giftbeeren in dem Eichhörnchen - nein, in ihm war nichts versteckt.

Befriedigt, dass Lavendelsee doch nicht ganz so böse war, wie gedacht, trabte Herbstbrise zu ihren Gefährten zurück.

Die meisten von ihnen hatten bereits das Himmelclan Territorium erreicht. Nur Adlerstern und Eschenblatt warteten noch auf Herbstbrise.

Diese hatte nun ihren leuchtend grünen Blick auf das schäumende Flusswasser geheftet und näherte sich ihm langsam.

Eschenblatt überholte sie rasch und führte sie in den Fluss, wobei er sie nicht aus den Augen ließ. Sobald der Boden unter ihr fehlte,

ruderte Herbstbrise kraftvoll mit den Pfoten und bewegte sich dadurch langsam aber stetig auf das gegenüberliegende Ufer zu.

Eschenblatt schwamm zügig neben ihr her. Doch plötzlich riss er entsetzt die Augen auf und erstarrte.

Dann paddelte er so stürmisch weiter, dass eine Fontene Wasser in Herbstbrises Gesicht spritzte. Mit der Zeit verlor Eschenblatt den Rhythmus

und tauchte mehrmals mit dem Kopf unter Wasser. Hustend und keuchend, schnappte er nach Luft,

schluckte dabei aber nur noch mehr Flusswasser. Eilig strampelte Herbstbrise auf ihn zu, um ihm zu helfen.

Aber als sie ihren Gefährten erreicht hatte, wurde sie dank der Wellen, die Eschenblatt durch seine hektischen Bewegungen verursachte

mit dem Gesicht in die Tiefe gedrückt und befand sich zu allem Übel auch noch direkt unter seinen zappelnden Beinen,

die sie nur noch weiter in den Fluss hinein stießen. Herbstbrise wurde plötzlich eiskalt. Eschenblatt tunkt mich, ohne es wahrzunehmen!

Aber eine Frage war noch unheimlicher als diese schockierende Erkenntnis: Was hat er gesehen,

das so schrecklich ist, dass er seine Gefährtin ahnungslos ertränkt? Mit der Zeit, löste sich sein Gewicht von Herbstbrise.

Nur das half ihr lange nicht mehr weiter. Die rot getigerte Kätzin verlor nämlich so langsam die Kraft und sank allmählich.

Auch Eschenblatts Umriss verschwand aus ihrem Blickfeld. Stattdessen aber näherte sich ihr eine andere Katze.

Adlerstern tauchte mit gleichmäßigen Schwimmbewegungen zu Herbstbrise herab

und nahm ihr Nackenfell sanft zwischen die Zähne, um sie nach oben ziehen zu können. Dankbar, gab sich Herbstbrise ihm hin. Schon nach kurzer Zeit sah sie fahles Licht über sich flackern.

Als sie endlich wieder Land unter sich spürte, öffnete sie ihre zitternden Augen und rang keuchend nach Luft.

Doch das, was sie vorsah, war mehr als nur beängstigend. Vor ihr kauerten Schilfherz, Eschenblatt und Rubinfleck vor einem leblosen,

grauen Körper. Wasser und Blut umspülten ihn und an seinem Hals war eine lange Schnittwunde zu erkennen.

Und auf einmal verstand Herbstbrise Eschenblatts helle Panik. Aschenherz wurde ermordet!

Aschenherz

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top