XIII - Dorns Rache
"Ich erzähle euch eine Geschichte. Eine Geschichte über einen Kater, der flüchten und große Verluste hinnehmen musste, der fast von seinem Wunsch nach Rache verzehrt wurde, bis er endlich Frieden fand ..."
Dorn erwachte durch ungewohnte Geräusche. Schlaftrunken hob er den Kopf und blinzelte in das grelle, orangefarbene Licht der steinernen Baumstämme, die überall im Zweibeinerort wuchsen. In dem schwachen Schein erkannte er die Wände seines Baus, ein alter Pappkarton, der mit anderem Müll zwischen ein paar Büschen in einem Grünstreifen hinter einer verlassenen Scheune herumlag. Normalerweise teilte sich der Straßenkater das Nest mit seiner Schwester Efeu, aber jetzt war ihr Platz leer.
Er gähnte ausgedehnt und rief leise: "Efeu? Bist du da?"
Vielleicht hatte sie Hunger bekommen oder musste ihr Geschäft erledigen. Kein Grund zur Beunruhigung. Trotzdem konnte Dorn ein nervöses Kribbeln im Bauch nicht unterdrücken.
Noch einmal rief er Efeus Namen und lauschte mit abgehaltenen Atem, aber alles was er hörte, waren der laue Blattgrüne-Wind in den Blättern der Büsche und das ferne Brüllen eines Monsters. Doch das ungute Gefühl wich nicht von ihm. Kurz entschlossen sprang Dorn auf dir Pfoten und schlüpfte aus einem Spalt im Bau.
"Efeu? Hörst du mich? Wo bist du?", rief er noch einmal in die Nacht, diesmal lauter. Wieder erhielt er keine Antwort und im orangen Licht sah er nur die vertrauten Büsche und den Müll.
Also öffnete der Kater das Maul und ließ die Gerüche der warmen Nacht über seine Zunge streichen. Er roch sich selbst, Efeu, Mickie - ein befreundetes Hauskätzchen -, Monster, Zweibeiner und ...
Erschrocken atmete er noch einmal tief ein. Da war er wieder. Ein ebenso vertrauter wie verhasster Geruch, eindeutig Katze, aber durchsetzt mit dem Gestank nach Zweibeinermüll und Krähenfraß.
In diesem Moment hallte ein Schrei durch die Nacht. "Hilfe!"
Alles in Dorn gefror vor Furcht, aber er hatte diesen Tag erwartet. Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass sie zuerst Efeu erwischten.
"Efeu! Ich komme!"
Er raste los, in Richtung des Schreis, setzte über eine niedrige Steinmauer und landete vor der Scheune. Er steuerte das große, dunkle Gebäude an und lauschte kurz vor der nur angelehnten Scheunentür. Er hörte keinen Laut.
Leise schlüpfte er in die Scheune. Seine Augen hatten sich noch nicht an die Finsternis gewöhnt, und so traf ihn der Pfotenhieb völlig unvorbereitet. Überrascht taumelte er zur Seite und versuchte angestrengt, etwas zu erkennen, als ihm zwei Pfoten in die Seite krachten. Mit einem erstickten Keuchen schlitterte Dorn ein Stück über den Steinboden.
Langsam klärte sich seine Sicht und er erkannte zwei Kater, die mit einem hämischen Grinsen im Gesicht auf ihn zutrotteten.
Der eine Kater war drahtig und ziemlich hässlich, sein struppiges, braun getigertes Fell war von Narben übersät und sein rechtes Ohr fehlte zur Hälfte. Um den Hals trug er ein grünes Halsband.
Auch der andere Kater, ein riesiges, gelbbraunes Ungetüm, hatte ein Halsband, das mit Zähnen von Katzen und Hunden bestückt war.
BlutClan-Katzen.
Die Beiden hatten Dorn fast erreicht, der sich, bereit zum Angriff, auf den Boden gekauert hatte und leise fauchte.
Aber der Kampf dauerte nur kurz. Dorn konnte dem Getigerten einen schönen Kratzer auf der Nase verpassen, aber dann traf ihn eine schwere Pfote am Ohr und riss ihn um. Kurz taumelte er, und das reichte. Im nächsten Moment lag er auf der Seite, während ihn scharfe Krallen am Boden festnagelten.
"Jetzt haben wir sie beide.", meinte der Drahtige zufrieden. "Komm, bringen wir ihn zu Knochen."
Dorn fauchte wütend: "Was habt ihr mit Efeu gemacht?"
Er hatte sich also nicht geirrt, der Schrei war sowohl von seiner Schwester als auch von hier gekommen.
"Oh, im Moment noch nichts."
Der Drahtige grinste. "Komm. Und keine Scherze!"
Grummelnd rappelte sich Dorn auf, nachdem ihn das Katzenungetüm freigelassen hatte. Ohne ein Wort lief er zwischen den beiden BlutClan-Katern durch die Scheune. Er wusste, ein jeder Fluchtversuch würde auf Efeus Kosten gehen. Wobei sie wahrscheinlich weder ihn, noch seine Schwester am Leben lassen werden. Sie tappten um eine Holzwand und ein paar Heuballen herum, von denen Dorn schon öfters Nestmaterial geklaut hatte, und dann sah er sie.
Efeu kauerte auf dem Boden, das grau getigerte Fell zerzaust und voller Staub, Blut lief ihr aus einem Kratzer an der Stirn. Ihre angsterfüllten grünen Augen leuchteten hoffnungsvoll auf, als sie Dorn bemerkte. Sie öffnete das Maul, um etwas zu sagen, und versuchte, sich auf die Pfoten zu erheben, aber eine hellbraune Kätzin, die Efeu anscheinend bewachte, schlug sie zurück auf den Boden.
"Efeu!"
Dorn wollte seiner Schwester helfen, aber er hatte noch keinen Schritt gemacht, als ihn der gelbbraune Kater wie ein Junges am Nackenfell packte und zu Boden schleuderte. Er landete vor einem Paar schwarzer Pfoten, an denen lange, gekrümmte Krallen funkelten. Dorn fauchte und wollte danach schlagen, aber der Andere blockte seine Pfote einfach ab.
"Danke, dass du uns mit deiner Abwesenheit beehrst."
Dorn stemmte sich hoch.
"Knochen." Seine Stimme trieft vor Abscheu. "Was willst du? Wir haben mit dem BlutClan nichts mehr zu tun."
"Oh, ich denke schon." Knochen setzte sich und musterte Dorn mit glühenden Augen. "Wie ich deiner Schwester" - er warf einen kurzen Blick auf Efeu, die mit angstvoll aufgerissenen Augen den Wortwechsel verfolgte - "bereits erklärt habe, haben wir lange nach euch gesucht. Ihr wart wertvolle Mitglieder des BlutClans."
"Na und? Der BlutClan war nie unser Zuhause. Welchen Grund zu bleiben gab es für uns, nachdem Geißel unsere Mutter getötet hat?"
Dorn wurde übel vor Wut. Alte, längst verdrängte Erinnerungen brachen in ihm auf.
Seine Mutter, blutüberströmt am Boden liegend.
Geißel, mit kaltem Blick und blutverschmierten Krallen vor ihr.
Knochen verzog das Maul. "Eure Mutter war schwach. Sie hatte es nicht anders verdient."
"Sie wollte ihre Jungen nicht in dieser Welt aufwachsen lassen! Was ist daran schwach?"
Knochen beachtete Dorns Einwurf nicht. "Aber ihr ... Du solltest der nächste Anführer des BlutClans werden, Dorn! Aber ihr habt uns verraten!" Knochens Gesicht verzerrte sich vor Wut. "Und dafür werdet ihr sterben! Und mit ihr fangen wir an!" Er fuhr zu Efeu herum.
"Nein!" Dorn sprang den schwarz-weißen Kater an. All der Hass, den er die letzten Monde, die sie in Frieden gelebt hatten, genährt hatte, bahnte sich jetzt ungestüm seinen Weg. Er landete auf Knochens Rücken, verbiss sich in seinem Nackenfell und schlug mit ausgefahrenen Krallen nach seiner Kehle.
Knochen kreischte wütend auf und warf sich herum. Im letzten Moment konnte Dorn abspringen, bevor der größere Kater ihn unter sich begrub. Er wollte sofort wieder angreifen, aber jetzt griffen auch die anderen Katzen in den Kampf ein und innerhalb von Herzschlägen lag Dorn zum zweiten Mal in dieser Nacht bewegungsunfähig auf dem Boden.
"Halt sie fest, Fleur.", knurrte Knochen zu der hellbraunen Kätzin, die Efeu wieder zu Boden drückte.
Knochen musterte Dorn von oben herab, dann fuhr er mit einer Pfote durch sein Nackenfell. Blut glitzerte dunkel auf dem schwarzen Fell.
"Guter Versuch."
Ohne mit der Wimper zu zucken schlug er blitzschnell zu. Dorn stöhnte auf. Blut rannte aus einem tiefen Kratzer an seiner Flanke. Knochen wandte sich um und trat zu Efeu, die erschrocken aufgeschrien hatte.
"Lass meinen Bruder in Ruhe!"
Dorn keuchte, der Schmerz pulsierte durch seinen Körper. Trotzdem versuchte er ein letztes Mal, sich aufzurichten, aber die fremden Pfoten hielten ihn zu fest.
"Nein ..."
Hilflos musste er mitansehen, wie Fleur Efeu am Nackenfell packte und herumriss. Knochen schlug ihre Pfoten weg, als sie sich wehrte, und setzte eine Pfote auf ihre Schulter. Er bleckte die Zähne und warf noch einen kurzen Blick zurück zu Dorn, der mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen das Geschehen verfolgte.
Dann schlug Knochen die Zähne in Efeus Hals. Blut schoss aus ihrer zerfetzten Kehle und durchtränkte ihr graues Fell. Knochen und Fleur traten zurück, beide mit einem grausamen Glitzern in den Augen.
Dorn wimmerte leise. Sein Blick fand Efeus und sagte alles aus, was er empfand:
Schuld, weil er ihr nicht helfen konnte.
Trauer, weil er nie wieder neben ihr einschlafen, nie wieder mit ihr jagen, nie wieder mit ihr reden würde.
Und Hass, unendlich großer, glühender Hass auf Geißel, der ihm die beiden wichtigsten Katzen in seinem Leben genommen hatte.
Efeus Augen hingegen waren voller Liebe zu ihrem Bruder, was Dorn nur noch wütender machte. Sie hatte es nicht verdient zu sterben.
Dann brach der Blick der Kätzin und seine Schwester starb ohne einen Laut.
Endlich schaffte Dorn es, sich von dem schrecklichen Anblick loszureißen. Er fühlte sich innerlich ganz leer, als wäre mit seiner Schwester auch etwas in ihm gestorben.
"Dafür werdet ihr bezahlen.", miaute er ganz ruhig.
Knochen sah ihn von oben herab an, wie er noch immer unter den Pfoten der anderen Kater lag.
"Ich denke nicht, dass du in der Lage bist, uns zu drohen. Außerdem wirst du nicht mehr lange genug leben, um auch nur irgendetwas zu tun."
Sein Maul verzog sich wieder zu einem hässlichen Grinsen. Dorn sah Blut an seinen Zähnen kleben und ihm wurde übel. Plötzlich bemerkte er einen undeutlichen Schemen aus dem Augenwinkel. Im letzten Moment konnte er einen Blick zur Seite verhindern. Knochen hätte gewusst, dass etwas nicht stimmte.
Obwohl er den Schatten in dem wenigen Licht, das in die Scheune fiel, nicht richtig hatte sehen können, hatte er ihn sofort erkannt. Es war Mickie, sein einziger Freund, der für für ein Hauskätzchen erstaunlich mutig war. Nicht jeder legte sich mit dem BlutClan an. Außerdem war er schlau. Dorn überlegte angestrengt. Wenn er noch ein paar Herzschläge durchhielt, würde Mickie bestimmt etwas einfallen, um ihm zu helfen. Auch wenn ihm die Vorstellung nicht gefiel, dem freundlichen jungen Kater könnte etwas passieren.
"Und?", miaute Knochen. "Freust du dich schon, deine Schwester wiederzusehen?"
Dorn fauchte, warf sich herum und konnte Knochen einen Tritt verpassen, bevor sich die anderen Katzen wieder auf ihn warfen.
"Mach doch, du Hauskätzchen!", zischte Dorn wütend. "Töte mich! Komm!"
Knochen gab ihm eine Ohrfeige, dass ihm die Ohren klingelten.
"Das werde ich, du Verräter-Abschaum."
Jetzt meldete sich auch der drahtige Kater wieder zu Wort: "Ja, mach ihn fertig, Knochen!"
Der BlutClan-Kater bleckte wieder die Zähne. Dorn sah ihn einfach nur an. Die Furcht erreichte ihn nicht, alles, was er fühlte, waren Leere und brennender Hass.
Warten, ich muss noch warten.
Dorn vertraute Mickie, das Hauskätzchen würde ihm helfen.
Und tatsächlich: Mit einem Mal richtete sich Knochens Konzentration auf etwas Anderes. Er hielt inne, hob den Kopf und öffnete leicht das Maul, um zu wittern. Ein fernes Bellen ertönte. Dorn spürte, wie sich die Krallen, die ihn am Boden festhielten, weiter in ihn bohrten, als sich die Katzen anspannten.
"Hund!", zischte Fleur.
Im nächsten Moment brach die Hölle los. Mit Wucht flog das große Scheunentor auf und knallte gegen die Heuballen, Staub wurde aufgewirbelt. Durch die offenen Tür stürmten zwei dunkle, massige Schatten. Dorn erkannte sie, es waren die Hunde des Zweibeiners, dem auch die Scheune gehörte. Mit wilden Gekläff sprangen sie in das Gebäude und gingen sofort auf die Katzen los.
Mit einem Angriffsschrei riss Knochen seine Gefährten aus ihrer Schockstarre und stürzte dem ersten Hund entgegen. Mit einem Mal verschwand das Gewicht von Dorns Körper und er rappelte sich ächzend auf. Hinter ihm schleuderte ein großer, brauner Hund mit Schlappohren den drahtigen Kater durch die Luft. Der andere wich unter den Pfotenhieben von drei Katzen zurück.
"Dorn! Hierher!", rief eine Stimme aus dem Schatten. Dorn fuhr herum.
"Mickie!" Er warf noch einen letzten Blick auf den Kampf, dann sprang er zu seinem Freund auf einen Heuballen. "Bin ich froh, dass du hier bist. Du hast mir das Leben gerettet, Mickie. Ich danke dir."
Der schwarze Kater schüttelte nur traurig den Kopf. "Ich konnte Efeu nicht retten."
Wut wallte wieder in Dorn hoch und er wollte schon umdrehen. "Sie müssen bezahlen!"
"Halt!" Mickie packte ihn am Nackenfell und hielt ihn zurück. "Bleib hier, du Mäusehirn. Du gehst noch drauf. Wir müssen jetzt hier weg!"
Dorns Zorn verpuffte ins Nichts. Mickie hatte ja Recht. Er ließ den Blick noch einmal durch die Scheune schweifen, sah, wie Knochen und zwei andere Katzen - welche, konnte er nicht genau erkennen - dicht gefolgt von den Hunden nach draußen flohen. Dann fiel sein Blick auf Efeus Leichnam.
"Wir müssen sie begraben."
Ein wütendes Jaulen hob draußen vor der Scheune an. "Ich kriege dich, Verräter!"
In Mickies Augen stand plötzlich Angst. "Du musst hier weg, Dorn. Lauf, lauf um dein Leben! Ich kümmere mich um Efeu."
Dorn riss sich vom Anblick seiner Schwester los und nahm in Gedanken Abschied von ihr. Leb wohl, Efeu. Es tut mir leid. Dann berührte er kurz die Schnauze seines Freundes mit seiner. "Danke."
Mickie nickte nur. Dorn fuhr herum, sprang vom Heuballen und quetschte sich durch das Loch in der Holzwand. Ein Kreischen erklang von rechts. Dorn wandte sich nach links.
Und dann rannte er. Er rannte durch die Nacht, im künstlichen Licht der Steinbäume, immer weiter, bis das Bellen der Hunde hinter ihm verlangt und der Himmel im Osten rosa wurde. Als der Morgen graute, brach Dorn vor Erschöpfung unter einem Busch neben einem kleinen Donnerweg zusammen. Er schlief schlecht, wurde von Alpträumen geplagt und war bereits zu Sonnenhoch wieder unterwegs.
Er zog weiter durch den Zweibeinerort, ständig in der Angst, der BlutClan könnte ihm auf den Fersen sein. Er verspürte keinen Hunger, nur eine allumfassende Erschöpfung. Das einzige, was ihm jetzt noch antrieb, waren Angst und der Wunsch nach Rache.
Sie werden für Efeus und Mutters Tod bezahlen!
An diesem Abend sprang Dorn auf einen Zaun und sah vor sich eine Wiese. Keine Mauern, keine Monster, Zweibeiner oder Donnerwege. Er hatte das Ende des Zweibeinerorts erreicht. Ohne sich nach seinem Geburtsort umzudrehen, sprang der Kater hinab auf das weiche Gras und trottete in die anbrechende Nacht hinaus.
Hierhin werden sich die BlutClan-Katzen nicht trauen, dachte er. Sie bleiben lieber im Zweibeinerort.
Trotzdem fühlte er sich nicht sicher, als er sich zwischen den Wurzeln eines Baums zusammenrollte. Auch dieses Mal träumte er schlecht.
Am nächsten Morgen war Dorn kurz versucht, einfach liegen zu bleiben, so müde war er nach dieser unruhigen Nacht. Aber er riss sich zusammen, noch konnte ihn der BlutClan finden. Also trottete er über das Marschland auf das breite, in der Sonne glitzernde Band eines Flusses zu, den er von einem Hügel aus gesehen hatte. Er fing eine Maus und schlang sie gierig hinunter. Er musste bei Kräften bleiben, das war ihm klar, auch wenn ihm nach dem Fressen übel geworden war. Aber er fühlte sich besser mit etwas im Magen.
Und auf einmal fiel Dorn auf, wie schön es hier eigentlich war. Das Gras stand hoch uns strich über sein Fell, Insekten summten, die Sonne schien vom strahlend blauen Himmel und überall raschelte Beute. Und auch wenn seine Schwester tot und er selbst auf der Flucht war - er lebte! Ohne es zu wollen, schäumte Dorn plötzlich fast über vor Lebensfreude.
Efeu würde nicht wollen, dass ich traurig bin!
Der Kater begann zu laufen. Er streckte sich immer weiter, das Gras flog unter ihm hinweg und der Wind rauschte in seinen Ohren. Kurz meinte er, einen starken Geruch wahrzunehmen, als würden hier täglich Katzen vorbeikommen, aber dann war er schon wieder weiter. So raste er über die Wiese, wo ihn nichts und niemand behinderte und fühlte sich frei.
Bis plötzlich der Boden unter seinen Pfoten fehlte. Überrascht jaulte Dorn auf, stolperte, überschlug sich und rollte in einem Wirbel aus Schwanz und Pfoten eine Böschung hinab und landete mit einem lauten Platschen im seichten Ufer des Flusses.
Verdutzt setzte er sich auf und spuckte Wasser. Sein grau getigertes Fell war tropfnass, aber es würde in der warmen Sonne schnell trocknen. Trotzdem hüpfte Dorn ans Ufer und schüttelte sich kräftig, bevor er sich wieder zum Fluss beugte, um zu trinken.
Als Rufe erklangen, riss er erschrocken den Kopf hoch. Ein Stück den Fluss hinab kamen Katzen auf ihn zugerannt, drei ausgewachsene und eine jüngere. Sie jaulte etwas, das Dorn nicht verstand, aber ihr Gesichtsausdruck war unmissverständlich: Diese Katzen, wer auch immer sie waren, waren wütend auf ihn.
Dorn warf sich herum und floh. Vielleicht gehören sie gar nicht zum BlutClan, überlegte er, während er am Fluss entlanghetzte, dass der Kies unter seinen Pfoten aufspritzte. Aber er wollte kein Risiko eingehen, und die wütenden Schreie und trommelnden Pfoten hinter ihm weckten ungute Erinnerungen an seine zweimalige Flucht vor dem BlutClan. Also flüchtete er weiter am Ufer entlang, aber seine Verfolger gaben nicht auf. Mittlerweile ging Dorns Atem stoßweiße, lange konnte er dieses Tempo nicht mehr halten. Ein schneller Blick zurück zeigte ihm, dass auch die Anderen langsamer wurden, die junge Katze war bereits weit zurückgefallen.
Dorn setzte alles auf eine Karte und schlug nach einer Biegung im Flussbett einen Haken nach links, sprang die Uferböschung hinauf und flitzte durch das Gras. Wenn seine Verfolger jetzt sofort abbogen, würden sie ihm den Weg abschneiden. Aber als ein paar Herzschläge später immer noch niemand über ihn hergefallen war, begann Dorn zu hoffen. Vielleicht hatten sie ihn verloren!
In diesen Moment erklang hinter ihm ein wütender Schrei.
Nein!
Dorn biss die Zähne zusammen und lief weiter, alle seine Muskeln brannten. Er sah nocheinmal zurück und wäre fast gestolpert. Er fing sich, lief aber langsamer. Auch seine Verfolger hatten das Tempo verringert und sich aufgefächert, als würden sie ihn irgendwohin jagen wollten.
Plötzlich überquerte er wieder eine dieser seltsamen Duftlinien, sie roch nach Katze und ein wenig nach Fisch und Schilf. Die Pfotenschritte hinter ihm verstummten. Keuchend blieb Dorn stehen und sah zurück, bereit, jederzeit wieder loszulaufen. Aber die anderen Katzen standen an der Geruchsmarke, wachsam, aber nicht mehr feindlich.
"Bleib weg aus unserem Territorium!", jaulte ein magerer Kater.
Dorn wich zurück, drehte sich um und trottete über die Wiese davon, auf ein Wäldchen zu. Diese seltsamen Katzen hatten nur ihr Gebiet verteidigt, in das er eingedrungen war. Sie hatten ihn nicht gejagt, weil sie zum BlutClan gehörten.
Dorn kam sich dumm vor. Nicht jede Katze, die mich nicht mag, will mich gleich ermorden!
Die Verfolgung hatte ihn ausgelaugt. Müde tappte er durch das kleine Wäldchen. Sein Magen knurrte, aber er konnte sich nicht zum Jagen aufraffen. Hoffnungslosigkeit machte sich in ihm breit. Seine Familie war tot und sein Zuhause nicht mehr sicher. Wo sollte er jetzt hin? Er musste sich dringend ausruhen, bevor er entschied, was er tun wollte. Eigentlich wollte er ja immer noch seine Schwester rächen!
Ganz in Gedanken hatte Dorn nicht bemerkt, dass sich die Bäume vor ihm gelichtet hatte. In einer Senke lag eine kleine Ansammlung Zweibeinernester und eine Scheune. Erleichtert sprang Dorn den Hang hinab. Hier würde er jagen und schlafen können! Hunde oder andere Katzen waren nicht zu sehen, und nie im Leben würde er hier auf BlutClan-Katzen treffen. Trotzdem lauschte er mit gespitzten Ohren nach möglichen Feinden, während er vorsichtig über den Stein vor der Scheune schlich. Das große Tor war geschlossen, also versuchte er es um die Ecke und fand ein dunkles Loch in der Wand. Haare hingen an den gezackten Rändern und es roch stark nach Katze. Aber Dorn wollte jetzt nicht mehr weitergehen, er war zu müde. Die fremde Katze, falls sie denn wirklich hier lebte und nicht wie er zufällig vorbeigekommen war, würde ihn schon nicht im Schlaf umbringen.
Also schlüpfte Dorn in die Scheune und sah sich um. Heuballen stapelten sich an der Rückwand, im vorderen Bereich standen alle möglichen Zweibeinerdinge herum, deren Funktion Dorn nicht erkennen konnte. In der hinteren Hälfte war in einer Höhe von mehreren Schwanzlängen ein Holzboden unter dem Dach eingebaut. Eine Leiter führte hinauf, Heu lag in unordentlichen Haufen herum. Mehr konnte er im Halbdunkel nicht erkennen.
Dorn tappte zu der Leiter und erklomm sie. Er war im Zweibeinerort schon auf manchen Leitern herumgeklettert, es war nicht so schwer. Oben angekommen sprang er über ein paar Haufen und rollte sich schließlich in einer dunklen Ecke im weichen Heu zusammen, durch einen hohen Heuberg vor fremden Blicken geschützt.
Ein Stups mit einer Pfote weckte Dorn aus seinem tiefen, traumlosen Schlaf. Schlaftrunken blinzelte er hoch und sah in zwei Katzengesichter, die nicht unbedingt freundlich auf ihn herunterblickten.
"Wer bist du?", knurrte der schwarz-weiße Kater.
Dorn rappelte sich hoch und schüttelte sich das Heu aus dem Fell.
"Ich bin Dorn. Ist das eure Scheune?", stellte sich der Straßenkater vor. Nicken antwortete ihm. "Tut mir leid, dass ich hier einfach eingedrungen bin, aber ich bin nur auf der Durchreise."
Auch wenn ich nicht weiß, wohin., fügte er in Gedanken hinzu. Er musterte die beiden Kater vor sich.
Der eine war schlank, hatte glattes, schwarzes Fell und einen strahlend weißen Fleck auf der Brust, auch seine Schwanzspitze war weiß. Seine bernsteinfarbenen Augen blitzten misstrauisch.
Der andere Kater war massiger, mit einem dichten, schwarz-weißen Pelz. Er sah Dorn nicht ganz so unfreundlich an und nickte schließlich.
"Ich bin Mikusch, das ist Rabenpfote. Du kannst gerne bleiben, so lange du willst."
"Wirklich?" Erleichterung durchströmte Dorn. "Ich würde mich gerne ein paar Tage ausruhen."
"Nur zu. Hast du Hunger?" Rabenpfote nickte zu einem kleinen Haufen Beute hinter ihm, den Dorn noch nicht bemerkt hatte. "Du kannst gerne mit uns essen."
Dorns Magen knurrte und die anderen beiden Katzen begannen amüsiert zu schnurren. Dorn stimmte mit ein. Nie hätte er erwartet, hier so freundliche Katzen zu treffen. Die meisten Einzelläufer und Streuner, die er kannte, wollten bloß in Ruhe gelassen werden.
Aber so setzte sich Dorn zu seinen neuen Bekannten ins Stroh, fraß eine Maus und erzählte, woher er kam. Als er den BlutClan erwähnte, verfinsterte sich Mikusch Blick und er knurrte leise. Rabenpfote sagte nichts, er wusste offenbar Bescheid, aber Dorn fragte den Schwarzweißen neugierig: "Du kennst den BlutClan?"
Grimmig nickte Mikusch. "Ich war selbst ein Mitglied. Meine Brüder sind es noch immer." Er schüttelte den Kopf. "Der BlutClan ist ein Haufen brutaler, verlogener Streuner und ich bin froh, keiner von ihnen mehr zu sein."
Stumm nickte Dorn und fragte nicht weiter nach. Es war deutlich zu sehen, dass der Einzelläufer nicht weiter darüber reden wollte, also erzählte er weiter.
Die folgenden Tage verbrachte Dorn bei Rabenpfote und Mikusch, jagte mit ihnen, erkundete den Hof und freundete sich mit den Einzelläufern an. Immer mehr rückten seine Flucht und Efeus gewaltsamer Tod in den Hintergrund, auch wenn er immer noch ab und zu aus Alpträumen erwachte. Aber die Ruhe auf der Farm und die Gesellschaft der beiden Kater taten ihm gut, und Dorn fragte sich, ob er hier ein neues Zuhause gefunden hatte.
Es war schon Abend, Dorn räkelte sich nach einem Nickerchen gerade in seinem Nest im Heu und hatte gerade bemerkt, dass Mikusch und Rabenpfote schon nicht mehr in ihren Nestern waren. Er wollte gerade anfangen, nach ihnen zu suchen, als dir Einzelläufer plötzlich in die Scheune hetzten, als wäre Geißel persönlich hinter ihnen her. Erschrocken sprang Dorn auf und kletterte den Heuboden hinab zu den Katern, die heftig keuchend inne gehalten hatten. Ein prüfendes Schnuppern verriet ihm aber, dass kein Angstgeruch in der Luft lag. Nur Wut.
"Was ist los?" Dorn trabte zu seinen Freunden.
"Dorn!" Rabenpfote schnappte nach Luft. "Du wirst es nicht glauben! Wir haben gerade eine WindClan-Patrouille getroffen und sie haben uns erzählt, dass Geißel mit dem BlutClan den Wald übernehmen will. Die Clans werden in drei Tagen gegen ihn kämpfen!"
Alles in Dorn erstarrte zu Eis. Er hätte wissen müssen, dass er nirgendwo vor seiner Vergangenheit in Sicherheit war. Geißel holte ihn überall ein.
Auch wenn er zugeben musste - so arrogant war Dorn nicht -, dass der BlutClan nicht seinetwegen gekommen war. Rabenpfote hatte Dorn alles über die Clans und seinen eigenen Geburtsort erzählt und Dorn hatte das Zusammenleben dieser Katzen, das auf Regeln, Ehrgefühl und Zusammenhalt baute, schätzen gelernt. Es war so anders als das chaotische, brutale System des BlutClans!
Mikusch, der mittlerweile wieder zu Atem gekommen war, trat vor. "Die Clan-Katzen sind unsere Freunde. Wir werden nicht in Ruhe leben können, wenn Geißel den Wald regiert." Er sah Dorn fest in die Augen. "Wir werden an der Seite der Clans gegen den BlutClan kämpfen. Schließt du dich uns an?"
Dorn zögerte nicht. Das ist die Gelegenheit, Efeu zu rächen! Er senkte die Stimme zu einem Knurren, sein Blick wurde dunkel. "Geißel wird bezahlen!"
***
Dorns Pfoten trommelten über den Waldboden, er setzte über Äste und tauchte durch das dichte Unterholz, das das DonnerClan-Territorium bedeckte. Direkt vor ihm blitzten das schwarze und weiße Fell von Mikusch und Rabenpfote durch das Gebüsch.
Nach einer beutereichen Jagd hatte sich die drei Kater gestern früh schlafen gelegt und früh am Morgen aufgebrochen. Rabenpfote, der das Gelände am besten kannte, hatte seine Gefährten über die WindClan-Grenze geführt, an einem Fluss entlang und schließlich in den Wald hinein.
Die heiße Wut und Rachelust, die Dorn gestern gepackt hatten, hatten sich während der Nacht und der Reise mehr und mehr in Aufregung und in eine kalte, grimmige Entschlossenheit gewandelt.
Jetzt wurde Rabenpfote langsamer und sie näherten sich einer Schlucht. Vorsichtig spähte Dorn über den Rand. Felsbrocken und Geröllfelder fielen steil in die Tiefe ab und er wich schnell zurück. Wachsam folgte er Rabenpfote einen versteckten Pfad hinab, der direkt in einem Ginstergebüsch zu enden schien. Im Näherkommen sah Dorn aber, dass sich im dichten Ginster ein Tunnel auftat. Es roch stark nach Katze und Fellbüschel in allen Farben hatten sich in den Äste verfangen. Dorn ließ ein paar eigene graue Strähnen zurück, als er sich durch den Eingang zwängte. Er legte die Ohren an, um sie sich nicht zu zerkratzen und schlich gespannt auf das Licht am Ende des Ginstertunnels zu.
Vor ihm öffnete sich eine große Lichtung, umgeben von einem Wall aus Farn und Dornengestrüpp. Katzen liefen geschäftig hin und her, verschwanden in Büschen - vermutlich Baue - und tauchten wieder daraus auf. Direkt in der Mitte des Lagers tropfte ein gewaltiger Felsbrocken, fast drei Schwanzlängen hoch. Dahinter tauchte gerade ein Kater mit flammenfarbenem Fell auf und eilte zu einem breitschultrigen, weißen Kater, der mit zwei Jungkatzen beim Wall stand.
Mit vor Staunen offenem Maul sah sich Dorn um. Nie zuvor hatte er so viele Katzen gesehen, die auf so engem Raum friedlich miteinander lebten. Im BlutClan, der nicht einmal ein festes Lager hatte, gab es immer irgendwelche Streitereien und Kämpfe, meist um Beute. Hier lag diese aber einfach für alle zugänglich auf einem Haufen.
"Rabenpfote! Mikusch! Was macht ihr denn hier?" Dorn wandte den Kopf und erblickte eine weiße Kätzin, die sie überrascht anstarrte. Dann fiel ihr Blick auf Dorn und ihr Nackenfell sträubte sich. "Wer ist das?"
"Sei gegrüßt!", miaute Dorn förmlich und neigte den Kopf, bevor einer seiner Kameraden etwas erwidern konnte. "Ich bin Dorn, ein Freund von Mikusch und Rabenpfote. Ich will helfen."
Zweifelnd sah die Kätzin zu Rabenpfote, der bekräftigend nickte, bevor er sich einfach an ihr vorbeischob und auf den roten Kater zusprang, der Dorn vorher schon aufgefallen war.
"Wir müssen mit dir reden!"
Erstaunt drehte sich der Flammenfarbene um, er schien erfreut über Rabenpfotes Anblick.
"Gestern Abend sind wir Kurzbart an der Grenze zu seinem Territorium begegnet und er hat uns von Geißel und dem BlutClan erzählt." Das schwarze Fell des Katers sträubte sich. "Wir wollen helfen, aber was viel wichtiger ist: Mikusch und Dorn hier" Rabenpfote schnippte mit der Schwanzspitze zu dem grauen Kater. "haben Informationen für euch."
Der fremde Kater neigte höflich den Kopf zur Begrüßung, warf aber einen neugierigen Blick auf Dorn. "Schön, dass ihr gekommen seid. Und wir sind für jede Hilfe dankbar." Er drehte sich im und trottete zu del Felsbrocken. "Vielleicht kommt ihr besser mit in meinen Bau."
Neugierig folgten die Neuankömmlinge dem roten Kater - Feuerstern, Anführer des DonnerClans und ehemaliger Baugefährte von Rabenpfote, wie Mikusch Dorn schnell zuflüsterte -, der sich durch einen Flechtenvorhang in einen Spalt im Stein schob und sich mit untergeschlagenen Pfoten in seinem Nest niederließ. Seine grünen Augen leuchteten wachsam im Dämmerlicht.
"Was gibt es?"
Dorn begann zögerlich zu erzählen. Am Anfang war seine Stimme leise und unsicher - schließlich kannte er diesen Feuerstern nicht und verriet ihm trotzdem alles über sich. Doch alle Katzen schienen interessiert zu lauschen und Dorn meinte immer wieder, Mitgefühl in den Augen des roten Katers aufblitzen zu sehen.
Dorn ließ nichts aus. Er begann bei seiner Mutter, die mit ihren Jungen floh, um sie vor einer blutigen, brutalen Zukunft im BlutClan zu bewahren, aber von Geißel als Strafe für ihren Verrat getötet wurde. Er beschrieb die Flucht mit seiner Schwester Efeu, ihr Leben in ständiger Angst vor dem BlutClan und schließlich berichtete er von jener schicksalsträchtigen Nacht, in der Efeu durch Knochens Krallen starb und Dorn aus dem Zweibeinerort floh. Er schloss seinen Bericht mit seiner Ankunft auf der Farm.
Als Dorn geendet hatte, herrschte betretene Stille.
Feuerstern miaute leise: "Es tut mir leid, was Geißel und der BlutClan dir und deiner Familie angetan haben." Er blickte auf und Dorn sah ein entschlossenes Feuer in seinen Augen leuchten. "Ich schwöre, den BlutClan zu besiegen, um alle Katzen, die bereits durch Geißels Grausamkeit gestorben sind, zu rächen und alle anderen in Zukunft vor ihm zu beschützen."
Dorn neigte den Kopf. "Ich danke dir."
Er mochte diesen Kater. Er besaß ein erstaunliches Ehrgefühl. Diese Clan-Katzen waren so anders wie der BlutClan!
Dann räusperte sich Mikusch und erzählte seine Geschichte, Dorn hörte interessiert zu.
Wir haben viele Gemeinsamkeiten, erkannte er.
Am Ende verstand Dorn Mikuschs Rede aber nicht mehr. Er sprach von Geißel, von Glauben und von etwas, das sich "SternenClan" nannte. Dorn wusste zwar nicht, was das heißen sollte, aber als der rote Kater nickte, wusste er eines: In diesen Katzen - im DonnerClan - hatte er mutige, starke Kämpfer gefunden, die ihm helfen würden, seine Schwester zu rächen. Und er selbst würde alles geben, um Efeu nicht zu enttäuschen.
"Vielen Dank, Mikusch.", miaute Feuerstern. "Ich werde über das nachdenken, was du mir gesagt hast. Und auch dir vielen Dank, Dorn." Respektvoll neigte er den Kopf. "Und ich werde auch nicht vergessen, dass ihr versucht habt, uns zu helfen."
"Wir werden noch mehr tun!" Rabenpfote erhob sich. "Kurzbart hat uns berichtet, dass ihr Geißel zum Kampf herausfordern wollt. Wenn ihr das tut, werden wir drei mitmachen."
Feuerstern widersprach erstaunt: "Aber ihr seid Einzelläufer! Das ist nicht euer Kampf ..."
"Moment mal, Feuerstern.", miaute Mikusch. "Wenn Geißel mit seiner Band den Wald übernimmt, was glaubst du, wie lange wir das durchhalten? Es würde keinen Viertelmond dauern, bis sie unsere Scheune mit all den trägen Mäusen finden. Wir könnten uns aussuchen, ob wir verschwinden oder uns umbringen lassen."
"Lieber kämpfen wir für unsere Freunde.", bekräftigte Rabenpfote.
Dorn neigte den Kopf vor Feuerstern. "Ich weiß, du kennst mich nicht gut, aber du kannst dir sicher sein, dass ich an der Seite deiner Krieger kämpfen werde."
"Ich danke euch." Feuersterns Augen leuchteten vor Dankbarkeit. "Alle Clans werden euch dafür ehren."
Mikusch schnaubte. "Das interessiert mich nicht. Ich will bloß ein ruhiges Leben führen - und das kann ich erst, wenn der BlutClan erledigt ist."
Und Efeu gerächt, fügte Dorn im Stillen hinzu.
"Das geht uns allen so." Feuerstern zuckte mit den Ohren. "Es gibt für uns alle keine Hoffnung, solange sich Geißel im Wald aufhält."
***
Die folgenden drei Tage verbrachten die Einzelläufer beim Clan und trainierten. Dorn lernte viel über das Leben im Clan und über Kampfzüge und er erkannte, um wie viel die Clan-Katzen den Streunern des BlutClans durch ihre Treue und ihre Techniken überlegen waren.
Und die ganze Zeit über wurde Dorn einen Gedanken nicht mehr los: Wenn das hier vorbei ist und Efeu in Frieden ruhen kann - werde ich dann beim DonnerClan bleiben? Oder bei Mikusch und Rabenpfote? Oder werde ich einfach alleine weiterziehen? Noch nie war sich Dorn so unsicher über seine Zukunft gewesen. Aber eines wusste er mit absoluter Sicherheit: Alles war null und nichtig, wenn Geißel den Kampf gewann.
Am Tag der Schlacht herrschte im Lager eine bedrückte, angespannte Stimmung. Dorn erwachte in seinem Nest im Kriegerbau, das ihm der DonnerClan zur Verfügung gestellt hatte. Schaudernd trat er auf die Lichtung, sie von den ersten Sonnenstrahlen in dämmriges Licht getaucht wurde. Während sich Dorn noch gähnend streckte, erschienen immer mehr Katzen. Feuerstern lief durch die Reihen und sprach ihnen Mut zu. Dorn verschlang noch eine Spitzmaus am Frischbeutehaufen, dann stellte er sich zu den anderen Katzen, die sich um ihren Anführer versammelt hatten.
"Katzen und Freunde des DonnerClans!" Er warf einen Blick auf die drei Einzelläufer. "Wir brechen nun auf, um gegen den BlutClan zu kämpfen. Aber wir sind nicht alleine. Denkt daran, dass es vier Clans im Wald gibt und immer geben wird. Und die anderen drei werden heute an unserer Seite kämpfen. Wir werden diese übel gesinnten Katzen vertreiben!"
Zusammen mit den Anderen heulte Dorn entschlossen auf. Energie durchflutete seinen Körper und er freute sich fast auf den Kampf. Warte nur, Efeu. Ich zeige es ihnen!
Als sich Dorn aber neben Rabenpfote und Mikusch hinkauerte und auf das Baumgeviert - eine graubraune Kätzin hatte ihm auf dem Weg den Namen gesagt - hinabsah und den Aufmarsch des BlutClans verfolgte, verflog seine Euphorie. Eine Mischung aus Angst und Wut wirbelte in ihm und das Blut rauschte so laut in seinen Ohren, dass er kaum verstand, was Feuerstern sagte, als er die Clans auf die Lichtung führte. Er bemühte sich auch nur halb, zuzuhören, sondern suchte lieber die Reihe der Streuner nach bekannten Gesichtern ab. Geißel und Knochen waren da, natürlich, und er konnte auch die riesige gelbe Katze und die hellbraune Kätzin ausmachen, die an dem Überfall auf Efeu teilgenommen hatten. Leise knurrte Dorn. Diese Katzen hatten zum Tod seiner Schwester beigetragen.
Plötzlich schob sich die Reihe der BlutClan-Krieger vor. Geißels schrilles Heulen erhob sich über das Schlachtfeld: "Attacke!"
Feuerstern fauchte zurück: "LöwenClan, greift an!"
Und auf einmal war rund um Dorn Bewegung, Katzen fielen übereinander her, kratzen und bissen, kämpften um ihr Leben.
Überfordert blickte sich Dorn um und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er noch nie in einer richtigen Schlacht gekämpft hatte, bisher war er nur als BlutClan-Mitglied an kleineren Scharmützeln beteiligt gewesen.
Dann fiel sein Blick auf Rabenpfote, der sich verzweifelt gegen den riesigen, gelbbraunen Kater wehrte. Mit einem Heulen stürzte sich Dorn auf die BlutClan-Katze und riss seine Krallen über ihre Flanke. Fauchend fuhr das Monstrum herum und richtete die funkelnden Augen auf Dorn.
"Du! Du bist doch der, dessen Schwester wir getötet haben!" Sein Maul verzog sich zu einem mörderischen Grinsen. "Mal sehen, ob du auch so jämmerlich sterben wirst."
Dorn fauchte, vor Wut fehlten ihm die Worte. Der Gelbe sprang los, aber Dorn wich zur Seite aus. Blitzschnell zog er die Krallen über die Flanke des anderen und war bereits wieder in seinem Rücken, als sich dieser herumgeworfen hatte. Das Clan-Training machte sich bezahlt. Brodelnd vor Wut klammerte sich Dorn an den Rücken seines Feindes und grub die Zähne in sein Nackenfell. Der Kater bäumte sich auf und riss den Kopf herum, seine Kiefer schnappten nur eine Schnurrhaarbreite vor Dorns Augen zusammen. Erschrocken keuchte er auf, verlor den Halt und landete auf dem Boden. Mit gebleckten Zähnen fiel der BlutClan-Kater über ihn her und plötzlich musste sich Dorn verteidigen. Notgedrungen wich er zurück, steckte ein paar harte Treffer ein, konnte aber selbst keinen richtigen Schlag mehr landen. Doch plötzlich rollte ein kreischendes, ineinander verkeiltes Katzenpaar zwischen ihnen hindurch und der Gelbe schreckte zurück. Dorn zögerte nicht und erwischte den Kater direkt an der Kehle. Fest biss er zu, ließ sich nicht abschütteln und ignorierte die brennenden Kratzer, die ihm der Gelbe im Todeskampf zufügte. Dann wurde der riesige Kater schlaff in Dorns Maul.
Keuchend taumelte Dorn einen Schritt zurück. Er schmeckte noch das salzige Blut des Toten auf seiner Zunge. Angewidert leckte er sich das Maul, dann würdigte er die Leiche keines Blickes mehr, sondern hielt Ausschau nach neuen Gegnern. Das reicht noch nicht!
Obwohl seine Wunden schmerzhaft pochten und er bereits die Anstrengung des Kampfes in den Gliedern spürte, fühlte sich Dorn so gut wie lang nicht mehr. Hier konnte er endlich seine ganze Wut auf den BlutClan auslassen und er konnte den Tod der zwei wichtigsten Katzen in seinem Leben rächen.
Er kreuzte den Blick einer hellbraunen Kätzin. Fleur! Die BlutClan-Kätzin hatte auch ihn erkannt und rannte durch die kämpfenden Katzen auf ihn zu. Dorn kauerte sich auf das blutige Gras erwartete sie mit angelegten Ohren.
Mit einem großen Sprung setzte Fleur zum Angriff an, aber anstatt zur Seite oder nach hinten auszuweichen, wendete Dorn einen Clan-Kampftrick an: Er schoss nach vorne, unter dem hellen Bauch der Kätzin durch, wirbelte herum, packte sie bei den Schultern und bohrte seine Krallen in ihr Fell.
Aber er hatte die Kätzin unterschätzt. Ein kräftiger Tritt mit den Hinterbeinen ließ ihn einige Schwanzlängen nach hinten fliegen. Mit einem harten Schlag krachte Dorn auf den Boden und blieb um Luft ringend liegen. Fleur jagte ihm nach und stürzte sich auf ihn. Sie landete auf seinem Rücken und begann, ihn mit den hinteren Krallen ganze Fellbüschel auszureißen, während sie mit den Vorderpfoten nach seinem Kopf schlug. Dorn kreischte vor Schmerz und Wut, aber er konnte Fleur nicht abschütteln. Ein harter Schlag traf seinen Schädel und Dorn wurde schwindelig, sein Kopf fühlte sich wie benebelt an und schwarze Schatten schlichen sich in sein Sichtfeld. Fleurs erschrockenes Heulen hörte er nur noch wie von Ferne, dann verschwand ihr Gewicht von ihm.
Ein warmes Fell drückte sich gegen ihn und half ihm auf.
"Ruhig, du bist verletzt." Dorn erkannte Rabenpfotes Stimme. Langsam klärte sich sein Blick wieder und er schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Blut spritzte von seinen Ohren.
"Geht's?" Rabenpfote warf einen nervösen Blick zur Seite. Erst jetzt bemerkte Dorn, dass Mikusch gegen Fleur kämpfte. Die beiden Einzelläufer hatten ihn gerettet!
"Danke, Rabenpfote. Ihr habt mir das Leben gerettet."
Rabenpfote neigte den Kopf. "Du hilfst mir, ich helfe dir. Und jetzt" Seine Augen funkelten gefährlich. "lass sie uns fertig machen!"
Nebeneinander sprangen der schwarze und der graue Kater zu Mikusch der sich auf die Hinterbeine aufgerichtet hatte. Dorn bäumte sich links von Mikusch auf, Rabenpfote rechts. Zu dritt ließen sie nun Schlag auf Schlag mit den Vorderpfoten auf Fleur herabregnen.
Dorn fühlte, wie neue Stärke seine wütenden Hiebe verstärkte und die letzte Benommenheit aus seinem Kopf vetrieb. Verbissen trieben die drei Einzelläufer die BlutClan-Kätzin, die sich kaum noch wehren konnte und aus zahlreichen Wunden blutete, zurück.
Aus dem Augenwinkel sah Dorn, wie Mikusch mit den Ohren ein Zeichen gab. Dorn wusste, was jetzt kam, er hatte diesen Zug in den letzten Tagen oft genug geübt. Zeitgleich mit Rabenpfote an Mikuschs anderer Seite ließ sich Dorn auf alle Viere fallen und schnappte nach Fleur. Die Kätzin zuckte zurück und entblößte kurz ihren verwundbaren Hals. Darauf hatte Mikusch nur gewartet: Er sprang vor, schlug zu und riss der Kätzin die Kehle auf.
Mit einem gurgelndem Geräusch taumelte Fleur zurück, ihre Augen waren entsetzt aufgerissen. Dorn trat zurück und sah ihr beim Sterben zu. Alles, was er fühlte, war eine gewisse Befriedigung. Er wandte die Augen zum Himmel. Wo auch immer du bist, Efeu, jetzt kannst du in Frieden ruhen.
Dorn wollte sich gerade mit Mikusch und Rabenpfote auf die Suche nach dem nächsten Gefecht machen, als sich ein durchdringender Schrei über die Lichtung erhob: "Geißel! Geißel ist tot!"
Überrascht riss Dorn den Kopf herum. Überall um ihn herum zögerten BlutClan-Katzen, lösten sich von ihren Gegner und wandten sich zur Flucht. Durch die freiwerdenden Lücken sah Dorn Feuerstern, der neben einem kleinen, schwarzen Körper kauerte. Es ist wahr! Geißel ist tot! Erleichterung machte sich in Dorn breit. Jetzt erst waren seine Mutter und seine Schwester endgültig gerächt und Geißel würde nie wieder einer Katze schaden.
Zusammen mit den Clan-Katzen jaulte Dorn seinen Triumph zum Himmel hinauf.
***
Am nächsten Tag erwachte Dorn ausgeruht in seinem Heunest auf dem Heuboden der Farm. Vorsichtig streckte er sich, um seine Wunden nicht wieder aufbrechen zu lassen.
Gestern nach der Schlacht waren die drei Einzelläufer noch von Rußpelz, der Heilerin des DonnerClans, behandelt worden und dann nach Hause zur Scheune zurückgekehrt. Dorn war Feuerstern natürlich dankbar, dass er alle Katzen von Geißel befreit hatte, aber er wusste, dass er nicht in einen Clan gehörte - auch wenn er durchaus überlegt hatte, dem DonnerClan beizutreten. Doch obwohl ihm der Zusammenhalt im Clan gefallen hatte, fühlte Dorn sich in kleinen Gruppen wohler, mit wenigen Katzen um sich, denen er bedingslos vertrauen konnte. Und diese Katzen hatte er in Rabenpfote und Mikusch gefunden.
6.679 Wörter
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Gewidmet an alle, die je unter Geißels brutaler Herrschaft leiden mussten.
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Ich weiß, dass Mikusch und Rabenpfote in den drei Tagen zwischen ihrem Hilfsangebot und dem Kampf eigentlich zur Farm zurückgekehrt sind. Ich habe das aber geändert, weil ich wollte, dass Dorn schon vor dem Kampf einen Einblick in die Welt der Clans erhält.
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