X - Kalesis neues Leben

"Ich erzähle euch eine Geschichte. Eine Geschichte über ein Hauskätzchen, das die Welt der Clans entdeckte ..."

Kalesi strich durch das hohe Gras. Die Sonne schien warm auf ihr goldenes Fell und Insekten summten auf der Wiese. Mit gespitzten Ohren und leicht geöffnetem Maul schlich die Kätzin den nun leicht ansteigenden Pfad entlang. Vor sich konnte sie starken Katzengeruch wahrnehmen, eine Grenze.

Kalesi wusste von den Gruppen wilder Katzen, die hier ihr Territorium hatten, auch wenn sie erst seit drei Monden mit ihren Hausleuten hier lebte. Von anderen Hauskätzchen und vorbeiziehenden Streunern hatte sie die ersten Gerüchte gehört und als Unsinn abgetan. Warum sollten Katzen die raue Wildnis gegen ein behagliches Nest eintauschen?
Wobei auch Kalesi gerne draußen war. Und auf einem ihrer ausgedehnten Streifzüge durch Wiesen und Felder, knapp einen Mond nach ihrem Einzug in dem neuen Zweibeinerort, traf sie das erste mal auf eine Geruchsspur.
Der Geruch war eindeutig Katze, aber anders, als Kalesi es gewöhnt war. Diese Katze roch nach süßen Heideblüten, nach dem frischen Wind auf dem Moor und nach Fleisch, nach der Beute, die sie jagte.

Seither war die Kätzin unruhig gewesen. Rastlos. Sie fühlte sich bei ihren Zweibeinern nicht mehr so wohl wie früher und verbrachte viel mehr Zeit draußen, auf der Spur der Moorkatze. Sie hatte sich umgehört und einiges über die Clans - die wilden Katzen - erfahren: Es waren vier Gruppen, die sich gegenseitig brutal bekämpften und all ihre Nahrung selbst fangen mussten, die aber innerhalb eines Clans einen starken Zusammenhalt erwiesen. Kalesi war auch bei Mikusch gewesen, einem Einzelläufer, der die Clan-Katzen gut kannte, hatte mit ihm gesprochen und sich Geschichten erzählen lassen.
Aber trotzdem. Immer wieder zog es die junge Kätzin zum Moor, zu den Clan-Grenzen, die - wie diverse Streuner behaupteten - bis aufs Blut verteidigt wurden. Und nach zwei Monden der Unsicherheit, wohin sie gehörte, hin und her gerissen zwischen dem bequemen, gewohnten Lebens eines Hauskätzchens und der Sehnsucht nach dem Leben im Clan hatte Kalesi eine Entscheidung getroffen: Sie würde sich dem Clan anschließen. Oder es zumindest versuchen.

Deshalb saß sie jetzt hier an der Grenze, im warmen Schein der Blattgrüne-Sonne, und wartete auf eine Patrouille. Heidekraut raschelte. Kalesi spitzte die Ohren und erhob sich erwartungsvoll.
"Hallo ...?", setzte sie an, wurde aber aprupt unterbrochen, als das Gras explodierte und eine verschwommene Gestalt in ihre Seite krachte. Die Kätzin heulte erschrocken auf, als sich Krallen durch ihr getupftes Fell bohrten und sie erschlaffte am Boden. Über ihr stand ein junger, schwarzer Kater mit einer seltsam verdrehten Pfote, hinter ihm tauchten ein schwarzweißer Kater und eine dunkelgraue Kätzin auf.
"Eindringling!", fauchte die Kätzin. "Was machst du in unserem Territorium?"
Kalesi setzte zu einer Antwort an, wurde aber von dem schwarz-weißen Kater unterbrochen, der vortrat und den kleinen, schwarzen Kater mit einem Schwanzschnippen zurückrief. Er tappte misstrauisch um die junge Kätzin herum und schnupperte.
"Pflaumenkralle", miaute er schließlich. "Das ist das Hauskätzchen, das hier seit zwei Monden herumschleicht. Ich erkenne den Geruch."
Kalesi zuckte zusammen. Diese Katzen wußten von ihren Streifzügen entlang der Grenzen! Sie hatte allerdings nie eine Katze getroffen.

Die dunkelgraue Kätzin, die anscheinend "Pflaumenkralle" hieß - seltsamer Name, fand Kalesi - spitzte die Ohren und betrachtete das Hauskätzchen von oben bis unten. "Was willst du hier?", fragte sie erneut.
"Ich wollte ... naja ...", begann Kalesi schüchtern. Angesichts der großen, kräftigen Katzen um sie herum, die die Krallen in den Boden gebohrt hatten und mit grimmigem Blick auf sie hinuntersahen, schienen die Warnungen der anderen Hauskätzchen viel realer.
Doch sie hatte sich entschieden, hierher zu kommen und würde jetzt nicht ängstlich davonrennen. Sie erhob sich aus ihrer geduckt Haltung, vorsichtig auf die Reaktion der Clan-Katzen achtend, und antwortete mit fester Stimme: "Ich will mich eurem Clan anschließen!"

Kurz herrschte Stille. Der Schwarzweiße, dessen Namen Kalesi immer noch nicht wusste, riss überrascht die bernsteinfarbenen Augen auf, während Pflaumenkralle sie verengte. Der kleine schwarze Kater, der bisher noch nichts gesagt hatte, schnaubte verächtlich und wandte sich ab.
"Hör zu, Hauskätzchen", Pflaumenkralle sprach langsam und bedrohlich. "Wir nehmen nicht jede dahergelaufene Katze bei uns auf, klar? Wir sind ein Clan, kein Haufen Streuner."
"Aber wir könnten immer ein paar zusätzliche Pfoten gebrauchen.", argumentierte der Kater. Seine goldenen Bernsteinaugen ruhten warm auf Kalesi.
Die dunkelgraue Kätzin fauchte. "Du bist unmöglich, Riesenschweif! Aber gut, kommt sie eben mit. Soll Heidestern entscheiden." Damit drehte sie sich um und trabte durch das Gras davon.
"Komm!", rief Riesenschweif und sprang ihr nach. "Totpfote, du folgst uns."

Mit klopfendem Herzen raste Kalesi durch die Heide. Vor ihr hüpfte Riesenschweifs Schwanzspitze auf und ab, hinter ihr trommelten Totpfotes Pfoten auf die weiche Erde. Sie folgten einem versteckten Pfad durch die Heide, liefen durch einen kurzen Ginstertunnel und standen auf einmal in einer Senke, die von Gras und weicher Erde bedeckt und von Gestrüpp umrandet war. Katzen jegliches Alters wandten sich zu ihnen um und betrachteten neugierig die Patrouille. Pflaumenkralle lief voraus, Kalesi vermutete, um Heidestern Meldung zu machen. Sie ließ sich neben Riesenschweif und Totpfote am Fuße eines großen Felsbrockens nieder und erwiderte vorsichtig die Blicke der Clan-Katzen, die in wildes Getuschel ausgebrochen waren.
Riesenschweif beugte sich zu ihr, als Pflaumenkralle aus hinter dem Felsen auftauchte, kurz ein paar Namen über die Lichtung rief und gefolgt von einigen Katzen wieder verschwand. "Heidestern, unsere Anführerin, berät sich mit den älteren Kriegern, ob sie dich aufnehmen wollen."
Kalesi nickte mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Oh bitte, nehmt mich auf!

Gefühlte Ewigkeiten später spürte Kalesi eine Bewegung hinter sich. Sie drehte sich um und sah eine elegante graue Kätzin auf den Stein springen. Sie legte den Kopf in den Nacken und jaulte: "Ich fordere alle Katzen, die alt genug sind zu jagen, auf, sich zu einem Clan-Treffen zu versammeln!"
Die Katzen, die ohnehin schon vollzählig waren, rückten enger zusammen.
Heidestern ergriff wieder das Wort: "Das hier", sie deutete mit der Schwanzspitze auf Kalesi am Fuß des Felsen. "Ist Kalesi, ein Hauskätzchen. Sie hat den Wunsch geäußert, such dem Clan anzuschließen und nach reiflicher Überlegung, haben wir beschlossen, ihr drei Monde lang die Zeit zu geben, sich bei uns einzuleben. Sollte sie sich beweisen, werden wir sie in den WindClan aufnehmen."

Geheule brach auf der Lichtung aus, Kalesi hörte Protestschreie. Aber das war ihr egal, sie war nur unendlich erleichtert. Sie geben mir eine Chance! Und ich werde sie nutzen!
Heideschweif sorgte mit einem energischen Jaulen für Ruhe. "Ich bin die Anführerin. Mein Wort ist Gesetz. Wir werden sehen, wie sich das Hauskätzchen macht." Sie sah Kalesi mit klaren, blauen Augen an. "Bist du damit einverstanden?"
"Ja, natürlich! Ich danke dir, Heidestern." Kalesi neigte den Kopf.
"Gut. Wir werden einen Mentor für dich ernennen, der dich die Gebräuche der Clans, das Jagen und das Kämpfen lehrt. Pflaumenkralle, tritt vor!"
Kalesis Mut sank. Die dunkelgraue Kätzin machte keinen Hehl daraus, dass sie sie nicht mochte, und sie sah auch nicht besonders erfreut aus, dass Heidestern sie ausgewählt hatte. Riesenschweif flüsterte in Kalesis Ohr: "Ihr müsst euch mit den Nasen berühren!" Dankbar nickte die Kätzin.
"Pflaumenkralle, du bist eine starke Kriegerin und ich bin mir sicher, du wirst all deine Qualitäten an Kalesi weitergeben und sie zu einer wahren Clan-Katze machen." Heidestern richtete ihre Augen auf die getupfte Kätzin. "Kalesi, Ich werde dich nicht nach deiner Treue zum Gesetz der Krieger fragen und dir auch keinen Clannamen geben. Beides kannst du in drei Monden nachholen, wenn du dich anstrengst." Sie neigte den Kopf. "Geh nun zu deiner Mentorin."

Kalesi trat vor, blickte in Pflaumenkralles gelbe Augen und hob die Nase. Die beiden Kätzinnen berührten sich kurz, dann trat die Kriegerin zurück.
"Ich hoffe, es war kein Fehler, dich nicht sofort zu verjagen.", knurrte sie.
"Du wirst es nicht bereuen.", miaute Kalesi unbeirrt. Sie würde sich nicht von Pflaumenkralle aus der Bahn werfen lassen und sie war einfach nur glücklich, als Riesenschweif ihren Namen zu rufen begann und dir anderen Katzen zögerlich miteinfielen.

Als Heidestern von ihrem Felsen sprang, verstummten dir Rufe und die Katzen kehrten zu ihren Pflichten zurück. Hier und da gab es noch Geflüster, aber der Großteil schien sich mit Kalesis Anwesenheit abgefunden zu haben.
Pflaumenkralle riss sie aus ihrer nachdenklichen Betrachtung des Lagers.
"Komm mit, wir schließen uns einer Grenzpatrouille an, dann kann ich dir das Territorium zeigen. Du hast viel zu lernen."
"Ja, Pflaumenkralle!" Kalesi fühlte sich wieder wie ein Junges, freudig erregt bei dem Gedanken, das Unbekannte zu erforschen. Sie tappte hinter ihrer Mentorin her zum Ginstertunnel, wo bereits zwei Kater warteten, die Kalesi nicht kannte - wie auch?
"Das sind Wollschweif und Hirschsprung."
Die Kater nickten Kalesi zu, sagten aber nichts. Sie erwiderte den Gruß, dann schon sich die Patrouille aus dem Lager und lief ein Stück durch die Heide, bis sie auf einem kleinen, windumtosten Erdflecken hielten.

Unter ihnen breitete sich ein riesiges Gebiet aus.
Ein dunkler Fichtenwald wurde von einem helleren Laubwald durch einen Donnerweg getrennt, am Wald entlang Wand sich ein breiter Fluss, der im Sonnenlicht glitzerte. Kalesi glaubte weit entfernte Katzenshilouetten am Ufer zu sehen, aber sie war sich nicht sicher. Hinter dem Fluss erstreckten sich Wiesen und kleine Wäldchen, ganz hinten am Horizont konnte die Kätzin die Umrisse eines Zweibeinerorts ausmachen.
Mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen sah sich Kalesi um, während der Wind in ihr Fell fuhr und es durcheinanderbrachte.
"Es ... es ist so groß!", hauchte sie schließlich. "Es gibt so viel zu sehen!"
Sie wandte sich um schaute zurück auf Felder und Zweibeinernester, die verstreut weit unter ihr lagen. Ihr altes Zuhause. In der Ferne konnte sie die hohen Gipfel der Berge erahnen.

"Da staunst du, was?", schnurrte Hirschsprung. "Aber keine Sorge, das ist nicht alles WindClan-Territorium. Wir müssen nicht überallhin. Aber jetzt kommt!"
Er wirbelte herum und sprang den Hang hinab, die Patrouille dicht auf den Fersen. Kalesi raste über das Moor, das lange Gras federt angenehm unter ihren Ballen, über ihr erstreckte sich der weite blaue Himmel und der Wind brauste in ihren Ohren. Energie schoss durch ihren ganzen Körper und sie schoss dahin, komplett erfüllt von überschäumender Freude.

Hier gehöre ich hin!

***

"Nun, Pflaumenkralle, hat Kalesi sich bewährt? Ist sie bereit, eine Kriegerin zu werden?"
"Ja, das ist sie." Pflaumenkralle neigte den Kopf und Kalesi richtete sich stolz auf.

In den letzten drei Monden hatte sie hart trainiert, ihre Tage mit Patrouillen, Kampftraining und Jagen verbracht, ihre Abende damit, sich Geschichten der Ältesten erzählen zu lassen und die Sitten und Regeln des Clans kennen zu lernen. Neue Muskeln spielten unter ihrem getupften Pelz, der in der späten Blattfall-Sonne glänzte. In einem Kampf gegen den FlussClan vor drei Tagen hatte sie schließlich endlich ihre Treue zu ihren neuen Gefährten beweisen können und wurde deshalb jetzt zur Kriegerin ernannt.

"Kalesi, tritt vor. Versprichst du, das Gesetz der Krieger zu ehren, deinem Clan treu zu sein und, wenn nötig, dein Leben für ihn zu geben?"

"Ich verspreche es.", miaute sie klar und deutlich."
"Dann bitte ich meine Kriegerahnen, auf diese Schülerin herabzublicken. Sie hat hart gearbeitet, um eure Gesetze zu erlernen und sich vom Weg eines Hauskätzchens abzuwenden. Mit der mir vom SternenClan verliehenen Kraft gebe ich dir nun deinen Kriegernamen. Kalesi, von diesem Augenblick an wirst du Goldtupf heißen. Der SternenClan ehrt deine Geschicklichkeit und deine kreative Denkweise. Hiermit heiße ich dich als vollwertige Kriegerin des WindClans willkommen!"

"Goldtupf! Goldtupf!" Freudengeheul überflutete die Lichtung wie unglaubliche Freude und heißer Stolz Goldtupf. Sie sah sich auf der Lichtung um, blickte in nun vertraute Gesichter. Das war jetzt ihr Clan, ihre Gefährten, ihre Familie. Und allen voran Riesenschweif, an dessen warmen, bernsteinfarbenen Augen ihr Blick hängen blieb.

Er trottete auf sie zu, während sich die übrigen Katzen langsam zerstreuten.
"Meinen Glückwunsch, Goldtupf! Du hast es geschafft!"
Goldtupf schnurrte und drückte sich an den Kater. Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf. "Ich danke dir. Ohne dich hätte mich Pflaumenkralle bei unserem ersten Treffen verjagt."
Riesenschweif leckte über ihre Wange, seine Augen glühten vor Liebe zu ihr. "Nichts zu danken. Und jetzt komm. Die Patrouillen warten."
Er wandte sich um, Goldtupf an seiner Seite. Sie verschränkten die Schwänze ineinander und liefen einträchtig nebeneinander her.

Ja, dachte Goldtupf noch einmal, während sie sich an Riesenschweifs weiches Fell schmiegte und seinen angenehmen Duft nach Heideblüten einsog. Hier gehöre ich hin, hier an Riesenschweifs Seite.

2.032 Wörter

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Gewidmet an Kalesi, möge sie in Frieden ruhen.
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Goldtupf ist eine fiktive WarriorCat, sie ist in keinem der Bücher zu finden. Sie war demnach natürlich auch nie Riesenschweifs Gefährtin, aber da er keine hat, dachte ich mir, gebe ich ihm eine. ^^
Die Katze Kalesi existiert wirklich, ich habe sie in der Sendung "Hautnah - Die Tierklinik" gesehen und sie so bedauert, als sie eingeschläfert werden musste, dass ich ihr eine Geschichte schreiben wollte.

Die Geschichte spielt zeitlich in "Riesensterns Rache", zwischen Lahmfuß' Schülerzeremonie und Riesensterns Anführerzeremonie.

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