Kapitel 20
Schwarzpfotes Augen weiteten sich. "W-was meinst du damit?", stotterte sie. Tausende von Gedanken wirbelten durch ihren Kopf und verlangten nach einer Antwort, bis die schwarzweiße Kätzin fast Kopfschmerzen bekam.
"Später, jetzt müssen wir uns beeilen, sonst kommen wir zu spät." Rasender Bach nickte ihr kurz zu, ehe er sich umdrehte und den Gang entlanglief. Schwarzpfote folgte ihm. Zu spät wofür? Angst und Zweifel nagten an ihr, doch ihre Neugier war größer. "Was genau suchen wir?", rief sie dem Kater zu, während sie ihm hinterherhetzte. Ohne auf ihre Frage einzugehen, hielt dieser plötzlich an und deutete auf ein schwarzes Loch im Boden. "Da unten ist ein weiterer Gang. Pass auf! Die Decke hängt recht niedrig."
Damit sprang er hinab und wurde von der Finsternis verschluckt. Schwarzpfote sog tief die kalte Luft ein, dann tat sie es ihm gleich. Ich muss verrückt sein.
In dem Gang war es noch dunkler als vorher. Vor der Kätzin leuchtete schwach das helle Fell von Rasender Bach, der unbeirrt weiterlief.
Die feuchte Decke streifte Schwarzpfotes Rückenfell und die dichten Wände schienen sich zu bewegen. Auf einmal wurde der Weg breiter. Eine riesige Höhle tat sich vor den beiden Katzen auf, von deren Decke lange spitze Steine hingen. Am Ende der Höhle reckte sich ein breiter Fels in die Höhe. Seine Seiten waren mit vielen kleinen Nischen Absätzen verziert.
Plötzlich strömte Schwarzpfote ein seltsamer Geruch entgegen. Rasender Bachs Augen leuchteten auf und er rannte aufgeregt auf einen Hohlraum in der steinernen Wand zu. "Schnell, wir müssen uns verstecken.", rief er ihr zu.
Das Herz der DonnerClan-Kätzin schlug ihr bis zum Hals, als sie dem weißgrauen Kater mühevoll folgte.
Nachdem sich beide in das kleine Loch gezwängt hatten, sah sie Rasender Bach erwartungsvoll an. "Warum verstecken wir uns?" Der Kater deutete schweigend in die Richtung, aus der sie gekommen waren; und tatsächlich. Mehrere Katzen strömten nacheinander aus der schmalen Öffnung und verteilten sich in der Höhle.
Schwarzpfote schnappte überrascht nach Luft. "Was machen wir, wenn sie uns finden?", flüsterte sie nervös.
Rasender Bach zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Keine Angst, sie können uns weder sehen, noch hören, noch riechen. Nur fühlen können sie uns, daher müssen wir auch außerhalb ihrer Reichweite sein. Schwarzpfote fröstelte. Sie wusste in diesem Moment nicht, was sie denken sollte. Alles passierte so schnell.
"Wer sind diese Katzen?", fragte sie mit gedämpfter Stimme, da sie einfach nicht glauben konnte, dass keiner von ihnen sie wahrnehmen konnte.
"Das ist der SonnenClan. Sie kommen meistens als erstes." Rasender Bach seufzte genervt. "Und das schon seit Ewigkeiten." Was? Schwarzpfote sprang auf und ignorierte das mulmige Gefühl in ihrem Bauch. "Es gibt keinen SonnenClan!"
Der weißgraue Kater legte den Kopf schief. "Aber da ist er doch.", erwiderte er hartnäckig. Der Atem der DonnerClan-Schülerin beschleunigte sich, während ihr Blick erneut zu den Katzen wanderte, die sich inzwischen um den großen Fels versammelt hatten. Als sie nicht antwortete, fuhr Rasender Bach fort. "Es gibt doch nicht nur deine Clans. Diese hier existieren bereits seit hunderten von Blattwechseln."
Schwarzpfote sprang auf, wobei sie sich fast den Kopf an der Decke stieß. Ein kleines Gefühl in ihr hatte fast damit gerechnet, dass er das sagen würde, doch glauben konnte sie es noch lange nicht. "Das kann nicht sein!", keuchte sie und starrte Rasender Bach aufgebracht an. Aber dieser seufzte nur. "Doch, Schwarzpfote. Siehst du es nicht?" Er machte eine Pause, ehe er hinzufügte: "Und du wirst bald nicht mehr die einzige sein, die von den Clans weiß."
Wieso muss er immer in Rätseln sprechen? Eine Welle aus Fragen überschwemmte Schwarzpfote und sie hatte das dringliche Bedürfnis, auf jede einzelne eine Antwort zu bekommen. Es kann einfach nicht noch mehr Clans geben! Davon wüssten wir doch. SternenClan, was soll all das? Mit zusammengekniffenen Augen sah sie Rasender Bach an. "Wer wird es noch erfahren?" Der Kater zuckte amüsiert mit den Ohren. "Das verrate ich nicht. Vielleicht kommst du ja selber dahinter.", schnurrte er, doch dann drehte er ruckartig den Kopf herum und starrte den Eingang der Höhle an. "Der DämmerClan kommt."
Irritiert folgte Schwarzpfote seinem Blick. Tatsächlich traten weitere Katzen aus den Schatten hervor und liefen zielstrebig auf den SonnenClan zu. Einer von ihnen, ein silberner Kater mit breiten Schultern, trat aus der Menge hervor.
"Das ist Eichelstern.", flüsterte Rasender Bach erfürchtig. "Er ist der Anführer des DämmerClans und-" Plötzlich stockte er. "Der MorgenClan und MondClan klommen."
Schwarzpfote schenkte den neu eingetroffenen Katzen nur kurz Aufmerksamkeit. Genau wie die anderen Clans davor tappten sie erwartungsvoll auf diese zu und maunzten zur Begrüßung. Die schwarzweiße Kätzin interessierte sich in diesem Moment mehr für Eichelstern. Er hat einen ganz anderen Namen als Rasender Bach. Vielleicht sind ihre Gesetzte unseren doch nicht so fremd.
"Es müsste gleich losgehen."
Das Miauen des weißgrauen Katers riss sie aus ihren Gedanken.
Schwarzpfotes Herz begann, schneller zu schlagen, als vier Katzen sich aus der Menge teilten und den großen Felsen hinaufkletterten. "Zu ihren Ehren nennen wir den Felsen >Anführerfelsen<.", erklärte Rasender Bach ihr rasch.
Dann sind sie wohl die Anführer. Die Schülerin beobachtete aufgeregt, wie eine rabenschwarze Kätzin vortrat und mit ihrer weißen Schwanzspitze schnippte. "Die Versammlung ist eröffnet.", jaulte sie und sofort verstummte das Getuschel. Nur die letzten Stimmen hallten in den gigantischen Höhlenwänden wider.
"Das ist Rissstern, die Anführerin des SonnenClans. Sie beginnt die Versammlungen, dann ist der MorgenClan an der Reihe, schließlich der DämmerClan und zum Schluss der MondClan.", kommentierte Rasneder Bach das Geschehen mit leuchtenden Augen. Schwarzpfote warf ihm einen skeptischen Blick zu. Es gibt eine Reihenfolge? Wozu? Ich glaube kaum, dass der MondClan freiwillig der Lezte sein möchte. Ob sie all das mit einem Kampf entschieden haben?
Doch Rissstern unterbrach ihre Gedanken, als diese mit erhobenem Kinn zu sprechen begann: "Die sich nähernde Blattgrüne bescherte dem SonnenClan diesen Mondbogen eine hervorragende Jagd; unsere Kriegerin Wespenschwinge hat sogar einen Bergfalken gefangen." Sie machte eine Pause, um die beeindruckenden Rufe verklingen zu lassen, dann fuhr sie fort. "Außerdem hat unser Weiser Birkensaft einen neuen Schüler. Sonnenpfote." Sie deutete auf einen getüpfelten Kater, der sich rasch über sein zottiges Brustfell leckte. "Er war bereits am Himmelbach und hat somit seinen offizellen Dienst als Schüler angetreten."
Schwarzpfote legte verwirrt den Kopf schief. "Wovon redet sie da? Mondbogen? Weiser? Himmelbach?" All diese Worte fühlten sich seltsam auf ihrer Zunge an, als würde sie versuchen, Zweibeinersprache zu erlernen. Rasender Bach schnurrte belustigt. "Das kann ich dir alles später erklären. Nur so viel: Ein Weiser heilt Kranke und tauscht seine Träume am Himmelbach mit unseren Ahnen.", miaute er knapp und wandte sich wieder den Anführern zu.
Die schwarzweiße Kätzin zuckte neugierig mit den Ohren. Also ist ein Weiser so etwas wie ein Heiler? Und der Himmelbach ist für sie unser Mondsee?, überlegte sie. Das ist alles so verrückt, das könnte ich mir gar nicht ausdenken. Ob es wohl wirklich andere Clans gibt?
Schnell schüttelte sie diesen Gedanken ab. Was für ein Fuchsdung!
Plötzlich ergriff eine weitere Kätzin das Wort. Rasender Bach stellte sie Schwarzpfote als Tiefstern vor. Das rote Fell der Anführerin leuchtete im Mondlicht, das durch die schmalen Ritzen in der Decke in die Höhle einfiel, hell auf, als würde es brennen. "Der MorgenClan hat einen siegreichen Kampf gegen den DämmerClan geführt.", rief sie.
Die versammelten Katzen miauten überrascht auf.
Zu Schwarzpfotes Überraschung knurrte Rasender Bach an ihrer Seite verärgert. Irritiert sah sie ihn an. "Was ist los? Ein Kampf kommt doch immer wieder mal vor."
Doch der weißgraue Kater zog nur wütend seine Nase kraus. "Das ist jetzt nicht wichtig.", entgegnete er mit schneidender Stimme. Unsicher trat Schwarzpfote von einer Pfote auf die andere. Vielleicht haben Kämpfe hier eine andere Bedeutung?
Plötzlich trat Rissstern erneut vor. "Welchen Tribut hast du gefordert?"
Schwarzpfote ignorierte ihre Verwirrung über das seltsame Wort der Kätzin und sah gespannt zu Tiefstern. "Der nächste Wurf wird der des MorgenClans sein."
Überall ertönte entsetztes Miauen. Die Katzen riefen durcheinander und ein Sturm aus unbekannten Stimmen dröhnte in dem Kopf der DonnerClan-Schülerin. "Wovon spricht sie?", flüsterte sie Rasender Bach zu. Der Kater formte seine grauen Augen zu Schlitzen, als er antwortete: "Wenn ein Clan gegen einen anderen gewinnt, darf er einen Tribut fordern. Der Anführer des Sieger-Clans entscheidet immer, egal ob Beute, Territorium oder-" "Oder Junge", beendete Schwarzpfote seinen Satz. Ein schockiertes Kribbeln jagte durch ihren Körper. Tiefstern nimmt den DämmerClan tatsächlich Junge weg? Was für ein Fuchsherz!
"Manchmal", fuhr Rasender Bach fort. "Wählen die Anführer auch Krieger, Schüler oder Königinnen." Schwarzpfote starrte ihn an. "Das ist erlaubt?" Sie konnte das Entsetzten in ihrer Stimme nicht verstecken.
Er nickte ernst. "Donnerstern war dafür bekannt, Katzen als Tribut zu fordern, um sie zu niederträchtige Arbeiten zu zwingen. Er selbst hat mehr durchlebt gehabt, als die meisten Katzen da unten jemals werden, aber dennoch ist er grausamer als ein Dachsrudel." Schwarzpfotes Augen weiteten sich vor Schreck. "Und was hat das mit Tiefstern zu tun?"
Rasender Bach schnaubte verächtlich. "Tiefstern ist die Tochter seines Bruders."
"Und lebt Donnerstern noch?"
Er zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Niemand weiß, was mit den Katzen passiert, die in den Fluss der Verbannten kommen." Er sah zu Boden. "Ich hatte Glück. Der HimmelClan war gnädig zu mir."
Schwarzpfote blinzelte ihn nur ausdruckslos an. Schon wieder sprach der Kater nur in Rätseln. "Was meinst du damit?", hakte sie nach. Rasender Bach nickte verständnisvoll. "Sobald eine Katze stirbt, wird sie vom HimmelClan zu sich geholt. Er entscheidet, ob sie bleiben darf oder in den Fluss der Verbannten gebracht wird. Katzen, die besonders loyal waren, dürfen in einer Seele wiedergeboren werden. Und zwar in jedem Clan ihrer Wahl. In jedem der neun Clans." Er sah Schwarzpfote an und sie hatte das Gefühl, als würde er bis in ihre Seele blicken können.
Ein ungutes Gefühl durchströmte sie. Sag es nicht! Sag es nicht!
"Schwarzpfote, du warst einst Fallende Feder."
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